Stellungnahme Hochschulgesetz NRW

Zeitumstellung in NRW: Die Hochschulen werden vom Hochschulzukunfts- auf das Hochschulvergangenheitsgesetz umgestellt.
Mit dem neuen Hochschulgesetz in NRW wird das Rad zurückgedreht.

Durch den Präsidenten des nordrhein-westfälischen Landtages waren wir zur Stellungnahme zum vorgelegten Entwurf zum Gesetz zur Änderung des nordrhein-westfälischen Hochschulgesetzes und zum Änderungsantrag der Fraktionen CDU und FDP mit der Drucksache 17/5081 aufgefordert. Erklärtes Ziel der Landesregierung ist es, an den Gesetzgebungsstand nach dem sogenannten „Hochschulfreiheitsgesetz“ anzuknüpfen. Verbesserungen des „Hochschulzukunftsgesetzes“ (das sicherlicher auch nicht perfekt war) werden zurückgenommen, andere restriktive Elemente ergänzt. Nachfolgend findet ihr unsere Stellungnahme:

§ 2 Rechtsstellung
Die Ermöglichung eines elektronischen Verkündungsblattes begrüßen wir ausdrücklich. Die Ermöglichung einer Bauherreneigenschaft für Hochschulen sehen wir unter den aktuellen Bedingungen hingegen kritisch. Aktuell sind Hochschulen flächendeckend unterfinanziert. Die Bauherreneigenschaft verspricht zwar mehr Selbstständigkeit, sie bedeutet jedoch auch einen erheblichen Personalaufwand. Weder sind die Mittel für dieses Personal in den Hochschulen frei, noch sind die entsprechenden Kapazitäten und Kompetenzen in den meisten Hochschulverwaltungen zu finden. Der Imperativ der – vermeintlichen – Autonomie lässt befürchten, dass Hochschulen diese Verantwortung überlassen wird, ohne notwendige Beratungs- und Kontrollstrukturen zu schaffen. Ohne einen engen Austausch mit den entsprechenden Ministerien, der Oberfinanzdirektion und schließlich einer stetigen Begleitung durch den Landesrechnungshof bergen Bauprojekte, besonders jene größerer Art, immer die Gefahr der Überforderung – und daraus folgen nicht zuletzt Mehrkosten (Zum Beispiel in Lüneburg).

§ 3 Aufgaben
Ausgründungen
Die Förderung von Ausgründungen ist kein Zweck von Hochschulen und sollte entsprechend auch nicht als Aufgabe definiert werden. Erstens lassen sich die gravierenden gesellschaftlichen Probleme nicht mittels Start-Ups lösen und zweitens sind solche Probleme, die sich aus der Dominanz unternehmerischen Denkens in vielen Gesellschaftsbereichen ergeben haben, nicht durch genau dieses unternehmerische Denken lösbar. Hochschulen müssen einen Wissenstransfer durch vielfältige Bildungsangebote und adäquate
Wissenschaftskommunikation gewährleisten und diese Aufgabe nicht profitorientierten Unternehmen überlassen. Ziel von Forschung und Studium an Hochschulen ist die Befähigung zur Wissenschaft und zur kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen, nicht der möglichst reibungslose Einstieg in lukrative Jobs. Übergeordnetes Ziel sollte frei zur Verfügung stehendes Wissen und kein Konkurrenzdenken sein.

Digitalisierung
Die Präzisierung im Bereich der Förderung von Online-Angeboten und die damit verbundene Unterstützung der Digitalisierungsbemühungen der Hochschulen begrüßen wir ausdrücklich. Auch durch unsere Zusammenarbeit mit dem Hochschulforum Digitalisierung konnten wir eine reflektierte, nicht technikdeterminierte Betrachtung von Digitalisierung entwickeln. Der Digitalisierungsdiskurs läuft schnell Gefahr, sich im Buzzword-Dschungel zu verheddern. Einige Diskursteilnehmer*innen agieren umsichtiger und ziehen sich mit dem Befund, dass Digitalisierungsprozesse nur in Buzzwords verhandelt werden und Digitalisierung auf gar keinen Fall Selbstzweck sein dürfe, aus der Debatte. Diese Ausgangssituation führt dazu, dass es schwierig scheint, sich überhaupt aus einer hochschulpolitischen Perspektive dem Thema zu nähern. Wir begrüßen deshalb, dass der Fokus nun eindeutig auf die Unterstützung von Lehrangeboten gelegt wird. Digitalisierung macht schlechte Lehre nicht gut und gute Lehre nicht zwangsläufig besser. Die Frage nach Digitalisierungsmaßnahmen kann daher nicht von der Frage nach guter Lehre und guten Lehrbedingungen losgelöst betrachtet werden. Deshalb muss in die Förderung digitaler Maßnahmen stets die hochschuldidaktische Perspektive und Weiterbildung einbezogen werden.

Nachhaltigkeits-, Friedens- und Demokratiepostulat
‚Die Hochschulen entwickeln keinen Beitrag zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt. Sie sind keinerlei friedlichen Zielen verpflichtet und kommen ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen nicht nach.‘
Stünde der vorangehende Satz in dem Hochschulgesetz eines Landes, so wäre dies ein fatales Zeichen. Sein Gegenteil, die positive Formulierung, steht aktuell im nordrhein-westfälischen Hochschulgesetz. Die Streichung des Bekenntnisses zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt und der Verantwortung für nachhaltige Entwicklung ist besonders angesichts des im Handlungsfeld I des Bildungsbereichs Hochschule im Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung verankerten Zieles, Bildung für nachhaltige Entwicklung dezidiert in Hochschulgesetzgebung aufzunehmen, ein klarer Rückschritt. Der Nationale Aktionsplan ist Teil des UNESCO-Weltaktionsplans, an dem sich die Bundesrepublik Deutschland über das Bundesministerium für Bildung und Forschung beteiligt. Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des deutschen Beitrages konnte NRW noch als Musterbeispiel für eine gelungene hochschulgesetzliche Implementierung dienen, die geplante Streichung fügt sich nahtlos in ein Bild der Ignoranz gegenüber Bildung für nachhaltige Entwicklung, zu dem auch gehört, dass NRW als eines von nur drei Bundesländern nicht am Austausch des Fachforums Hochschule im Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung mit den zuständigen Landesministerien teilnahm.
Die im bisherigen § 3 (6) genannten Ziele nicht nur optional in Grundordnungen, sondern im HG zu fixieren, schafft Sichtbarkeit und nimmt auch das Land in die Pflicht, die Hochschulen bei diesen Aufgaben zu unterstützen. Aus dieser gesellschaftlichen Verantwortung zieht sich das Land NRW nun offenkundig. Wir begrüßen deshalb auch, dass das Eine Welt Netz NRW in dieser Angelegenheit eindeutig Stellung bezogen hat.
Eine tatsächliche Freiheit von Wissenschaft ist nur gegeben, wenn externe Zwänge so weit wie möglich minimiert werden. Dazu gehört auch das Konkurrieren um Forschungsaufträge und Drittmittel. Eine Zivilklausel nimmt Forscher*innen zumindest aus dem Zwang, Geld für Rüstungsforschung anzunehmen. Wissenschaft findet nicht außerhalb des Allgemeininteresses statt, sondern mitten in der Gesellschaft. Ein friedliches Zusammenleben ist ein grundsätzliches Interesse der Menschen, der entsprechende Auftrag ist darum auch im Grundgesetz festgehalten.
Es zeichnet sich ab, dass die Mehrzahl der Hochschulen dieser Auffassung folgend an ihren entsprechenden Formulierungen in den Grundordnungen festhalten wird. Dies auch landesgesetzlich abzubilden, würde den Stellenwert erhöhen und den Hochschulen rechtliche Rückendeckung bieten.

§ 5 Finanzierung und Wirtschaftsführung
Ohne nennenswerte Änderungen bleiben die Regelungen zur Hochschulfinanzierung. Hier gibt es große Bedarfe. Wirtschaftlichkeit und Effizienz als Maßstab für Hochschulen sind komplett gegenläufig zu Forschungsfreiheit und guter Lehre. Der Druck, um die größten Drittmittel werben zu müssen, sorgt für eine Ausrichtung von Wissenschaft in Richtung marktwirtschaftlichen Konkurrenzdenkens. Bildung und Wissenschaft sollten jedoch von Erkenntnisinteresse geleitet werden, nicht aber von wettbewerblichen Verfahren und gewollter Unterfinanzierung. Für eine interessengeleitete Forschung bleibt den Hochschulen jedoch kein Geld. Ohne Drittmittel, welche zu großen Teilen aus staatlichen oder teilstaatlichen Organisationen an Hochschulen vergeben werden, ist Forschung kaum noch möglich.
Wir weisen an dieser Stelle auch auf die aktuellen Verhandlungen zu den Wissenschaftspakten hin. Das Land NRW ist hier gefordert darauf hinzuwirken, dass der Bund stärker zu einer Verbesserung der Grundfinanzierung beiträgt.

§ 6 Strategische Ziele; Hochschulverträge
Die Entscheidung über die strategische Ausrichtung einer Hochschule sollte grundsätzlich dieser selbst obliegen. Diese Ausrichtung ist dabei unter gleichrangiger Beteiligung aller Statusgruppen in einem partizipativen Verfahren im Senat zu treffen. Soweit das Land inhaltliche Steuerungsbedarfe sieht, müssen diese in Zielvereinbarungen zwischen Land und Hochschule festgelegt werden. Diese Zielvereinbarungen sollen den gleichen Beteiligungsmaßgaben wie die eigene strategische Ausrichtung unterliegen. Mittel für Hochschulen dürfen nicht wettbewerblich vergeben werden, sondern sind für alle Hochschulen vorzusehen. Seitens der Hochschule muss für alle strategischen Entscheidungen die Letztverantwortlichkeit beim Senat liegen.

§ 11 Zusammensetzung der Gremien
Eine nicht nur deklaratorische, sondern viel mehr auch numerisch paritätische Zusammensetzung von Gremien ist nicht nur demokratietheoretisch geboten, sondern befördert überdies den gleichberechtigten Austausch und belebt den Diskurs. Wir fordern, alle Senate tatsächlich viertelparitätisch zu besetzen und ihnen die Rolle als höchste beschlussfassende Gremien zuzugestehen und die Entscheidungs- und Regelungskompetenzen der Hochschulräte auf die Senate zu übertragen.

§ 13 Wahlen zu den Gremien
Die Konferenz der deutschsprachigen Informatikfachschaften hat Grundsätze definiert, denen elektronische Wahlen über die selbstverständliche Gewährleistung der grundgesetzlichen Wahlgrundsätze hinaus genügen müssen. Wahlen müssen aus demokratietheoretischer Perspektive heraus stets ohne besondere technische Kenntnisse nachvollziehbar und potenziell neu auszählbar sein. Bis die genannten Anforderungen erfüllt sind, sollte keine Hochschulwahl elektronisch stattfinden. Zu suggerieren, dass Wahlen online durchzuführen ein Demokratisierungsinstrument darstellt, ist Unfug. Hochschulen bedürfen einer echten Mitbestimmung aller Hochschulangehörigen anstelle einer von der Technikseite gedachten Scheindebatte zur Erhöhung der Beteiligung, die sich daraus auch nicht ableiten lässt.

§ 34a Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen
Gute Arbeitsbedingungen sind ein Grundstein für eine von allen mitgestaltbare und funktionierende Hochschule, dies braucht jedoch hochschulübergreifende, das heißt landes- und bundesweite Regelungen, die Befristungen erschweren und Sicherheiten für Angestellte schaffen. Dass Wissenschaft oft finanziell nicht mit der Wirtschaft konkurrieren kann, liegt an der schlechten finanziellen Ausstattung von Hochschulen, nicht an falschen Vergabestrukturen.
Tarifliche Bezahlung und unbefristete Arbeitsverhältnisse sind wichtige Faktoren für die Wertschätzung der geleisteten Arbeit. Statt die Hochschulen gegeneinander auszuspielen, sollten an allen Hochschulen Bedingungen geschaffen werden, unter denen einer erkenntnisgeleiteten, unabhängigen Forschung keine Steine in den Weg gelegt werden. Durch Abhängigkeit von Mittelgeber*innen und Forschungsaufträgen, ebenso wie durch unsichere Arbeitsverhältnisse, wird der wissenschaftliche Diskurs nicht bloß beschnitten – einer qualitativ hochwertigen Forschung und Lehre wird der Nährboden entzogen.
Obschon der Rahmenkodex nicht alleine die systemisch prekären Beschäftigungsbedingungen auflösen konnte, so ist der Grundsatz, landesweite Mindeststandards zu definieren, ein wichtiger Grundsatz, der aufrechtzuerhalten ist.

§ 38a Tenure Track
Wir begrüßen, dass mit der Aufnahme in das Hochschulgesetz die Rechtsgrundlage für die Tenure-Track-Verfahren der Hochschulen verbessert wird. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass Tenure Track kein alleiniger Garant für gute Beschäftigungsbedingungen ist und überdies gewährleistet sein muss, dass bestehende Defizite in der Repräsentanz von Vielfalt an Hochschulen reduziert und nicht verstetigt werden.

§ 46a Vertretung der Belange studentischer Hilfskräfte
Wie bereits einleitend ausgeführt und in den Stellungnahmen des DGB und der SHK-Räte in NRW vertieft, halten wir eine starke Selbstvertretung von Interessen für unabdingbar. Dazu bedarf es statt einer Optionalisierung einer systematischen Stärkung der SHK-Räte, indem ihnen einerseits Ressourcen gewährt und andererseits Kompetenzen zugestanden werden.

§ 48 Einschreibung
Hochschule ist nicht die Fortsetzung von Schule mit anderen Mitteln. Damit ist nicht gemeint, dass wir das, was gemeinhin als Verschulung bezeichnet wird, als ein für Schulen unterstützenswertes Unterfangen halten. In diesem Sinne sollte jedwedes Testverfahren nicht auf die Reproduktion von Faktenwissen, das möglicherweise nicht oder nur bedingt Grundlage des beabsichtigten Studiums sein wird, abzielen. Ein nicht repressiver, sondern Möglichkeiten und eigene Interessensschwerpunkte aufzeigender Selbsttest kann potenziell allerdings einen individuell besseren Zugang zum System Hochschule ermöglichen als die formelle Hochschulzugangsberechtigung.

§ 49 Zugang zum Hochschulstudium
Mit der Neuausrichtung des Fokus auf die individuelle Erfüllung der erforderlichen Sprachkenntnisse statt auf den Abschluss an einer deutschsprachigen Bildungseinrichtung wird Diskriminierung abgebaut. Damit wird die Offenheit der Hochschulen bei gleichzeitiger Wahrung der sprachlichen Erfordernisse gestärkt.

§ 58 Ziel von Lehre und Studium, Lehrangebot
Mit der Streichung der Auflistung der Ziele von Studium und Lehre erfolgt ein Rückschritt. So wird unter anderem gestrichen, dass Student*innen „zu wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit, zur Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden in der beruflichen Praxis, zur kritischen Einordnung wissenschaftlicher Erkenntnis und zu verantwortlichem Handeln befähigt werden“. Die stattdessen eingeforderten Leitbilder für die Lehre, die an die vom Wissenschaftsrat geforderten Lehrverfassungen anknüpfen, stellen keinen Widerspruch zu den bisher verankerten Zielen dar, sondern sollten auf ihnen fußen. Die Streichung sendet das Signal, dass allgemeinbildende Grundlagen zu Lasten des Studienerfolgs vernachlässigt werden. Stattdessen wird, wie im nächsten § noch deutlicher wird, die Verantwortung auf die Student*innen abgewälzt. Wir empfehlen daher, die neu vorsgeschlagene Formulierung ergänzend, nicht alternativ, zu verwenden.

§ 58a Studienberatung, Studienverlaufsvereinbarung
(3) Eine gute, unterstützende Beratungsstruktur, die Studierenden Möglichkeiten aufzeigt, wird vielerorts praktiziert und kann eine wichtige Hilfe im Studium darstellen. Wird das Instrument der Beratung allerdings zum Zwang, so wird es aller positiven Effekte beraubt und zu einem Teil eines repressiven Instrumentariums, das die Landesregierung den Hochschulen an die Hand gibt. Zielfürend könnte stattdessen sein, das Angebot an Beratungen auszubauen, sodass Student*innen mit Beratungsbedarf sich freiwillig und ohne Hürden an jemanden wenden können. Die in (4) verankerten Folgen für das Nichtzustandekommen einer Verlaufseinbarung sind eine Zumutung für Studierende. Die Konsequenz für von außen zwangsweise festgelegte Fristen sind Stress und Druck. So kann keine konstruktive Lernatmosphäre entstehen. Da es beim Studium nicht darum geht, Leistungen zu erbringen, sondern etwas zu Lernen, ist eine konstruktive Lernatmosphäre eine notwendige Bedingung für gute Lehre an Hochschulen. Eine Möglichkeit, eine konstruktive Lernatmosphäre zu schaffen, wäre z.B. die Verbesserung der Betreuungsverhältnisse und ausreichend vergütete, unbefristete Lehrpersonen. Es kann nicht die Lösung für das zu stark ausgelastete Hochschulsystem sein, Studierende über Leistungsvereinbarungen und Fristen zu einem an externen Kennzahlen orientierten Studium anzuhalten und damit die Verantwortung für die Finanzierungsmisere Individuen zu überlassen. Dieses Vorhaben widerspricht zudem eindeutig dem Prinzip der Studierfreiheit.

§ 64 Prüfungsordnungen
Student*innen wird durch Pflichtanwesenheit ihre Mündigkeit zum selbstständigen und selbstbestimmten Lernen genommen. Diese trägt zudem nicht zu einem qualitativen Studium bei. Die gesetzliche Regelung zum Verbot der Anwesenheitspflicht stellte daher eine Errungenschaft dar, die Studierendenschaften in anderen Bundesländern zum Vorbild gereichte, so bezog sich unter anderem die Landes-ASten-Konferenz Niedersachsen in ihrer Stellungnahme zur jüngsten HG-Novelle positiv auf die Regelungen der geltenden Gesetzesbestimmungen in NRW. Ein Studium sollte auf Erkenntnisgewinn und nicht auf durch Prüfungen zu dokumentierende Leistungen ausgerichtet sein. Die Dominanz der Prämissen einer Schulförmigkeit und einer Ausrichtung auf die Employability von Absolvent*innen kann durch von einem emanzipatorischen Bildungsbegriff geprägte Prüfungsordnungen – in den Grenzen des bestehenden Systems – abgeschwächt werden. Dazu müssten Beschränkungen im Zeitpunkt und in der Anzahl des Absolvierens einer Prüfung verboten werden. Diese bestehenden Einschränkungen befördern externe Faktoren, die potenziell zu einem endgültigen Nichtbestehen führen können und reduzieren damit die fachliche Aussagekraft von Prüfungen beträchtlich. Aus dieser Betrachtung heraus sehen wir auch die in § 63 bereits jetzt verankerten und weiterhin dort fixierten Sanktionen für Täuschungen kritisch. In einem auf Leistung und Bestehensdruck ausgelegten System kann sich eine Täuschung als Ultima Ratio zum Verbleib an der Hochschule darstellen, zu der in einem restriktionsfreien, auf Erkenntnisgewinn ausgerichteten Hochschulwesen weniger wahrscheinlich gegriffen würde.
Vor dem Erlass staatlicher Prüfungsordnungen empfehlen wir, neben den Hochschulen, auch explizit die Gruppe derer, die Prüfungen nach jenen Prüfungsordnungen zu absolvieren haben, ebenfalls anzuhören.

§ 67b neu Promotionskolleg für angewandte Forschung der Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen
Ganz ausdrücklich begrüßen wir die Überführung des Graduierteninstituts in ein Promotionskolleg als wichtigen Schritt zur Ermöglichung der Promotion an Fachhochschulen bzw. Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. Bereits 2015 haben Studierendenschaften auf Bundesebene im Rahmen der 52. Mitgliederversammlung des fzs ein gleichberechtigtes Promotionsrecht an Fachhochschulen gefordert und Anforderungen an dieses definiert.

§ 77b Besondere Vorschriften betreffend die FernUniversität in Hagen
Grundsätzlich begrüßen wir, dass dem Wesen der FernUniversität Hagen durch einen eigenen Paragraphen Rechnung getragen wird. Dass von gesetzgeberischer Seite methodische Vorgaben gemacht werden, mutet allerdings besonders angesichts der vermeintlichen Autonomiemaxime befremdlich an.

Nachdem wir einzelne Aspekte des Gesetzes beleuchtet und kommentiert haben, wollen wir noch einige Grundsätze, auf denen unsere Stellungnahme fußt, darstellen.

Starke studentische Interessenvertretung
Hochschulen leben und profitieren von ihrer Studierendenschaft. Aus Perspektive der Bundesstudierendenvertretung erachten wir eine echte studentische Partizipation in allen Phasen, in allen Prozessen und auf allen Ebenen für unerlässlich für ein selbstbestimmtes Studium. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die zahlreichen Aktivitäten von Studierendenschaften in Nordrhein-Westfalen im Kontext der Novellierung des Hochschulgesetzes, sei es durch Positionierungen, Kampagnen oder Informations- und Diskussionsveranstaltungen. Insbesondere ihre gemeinsamen Anstrengungen auf Landesebene, die in der Stellungnahme des Landes-ASten-Treffens in Nordrhein-Westfalen mündeten, die wir ausdrücklich begrüßen und unterstützen, seien an dieser Stelle hervorgehoben.
Auch die gemeinsame Stellungnahme des Bündnisses der SHK-Vertretungen in NRW gemäß § 46a begrüßen wir ausdrücklich. Ernst zu nehmende, gelebte Interessenvertretung muss immer durch diejenigen erfolgen, die von einer Maßnahme unmittelbar betroffen sind.

Grundsatz der Freiheit
In der im Gesetzesentwurf in „B Lösung“ formulierten Perspektive zur Lösung des in „A Problem“ ermittelten Problembefundes, der der Novellierung des Hochschulgesetzes zugrunde liegt, ist von einer Gesetzesänderung im Sinne eines weiterentwickelten Hochschulfreiheitsgesetzes die Rede, das auf den Fortschritten des alten Hochschulfreiheitsgesetzes beruhe. Freiheit ist ein hehres und erstrebenswertes Ziel. Unabhängig von der noch zu diskutierenden Frage, um wessen Freiheit um wessen Preis es sich bei den intendierten Änderungen handelt, sei die Freiheit von Bildung als Grundbedingung von Bildung genannt. „Bildung ist frei und daher gerecht und vernünftig; Erziehung ist gewaltsam und daher ungerecht und unvernünftig“ (Tolstoj, Erziehung und Bildung 1861/62). In diesem Sinne ließe sich die Frage stellen, ob es sich um ein den Studierenden ihre Mündigkeit zu freier Bildung absprechendes Studierendenerziehungsgesetz und nicht um ein Hochschulfreiheitsgesetz handle. Ziel des Gesetzes sei es, Hochschulen ihre Autonomie zurückzugeben. Dieses Ziel wird an vielen Stellen erreicht, an anderen entsteht Hochschulen ein vermeidbarer Mehraufwand, der sie in ihrer Freiheit bedingt einschränkt. Die Freiheit von Hochschulen muss allerdings nicht notwendigerweise die Unfreiheit von Studierenden nach sich ziehen. Keine Hochschule büßt an Freiheit ein, wenn es ihren Studierenden freisteht, selbst darüber zu entscheiden, zu welchen Lehrveranstaltungen sie anwesend sein wollen und können und wie sich ihr Studienverlauf gestalten soll. Die Frage, wessen Freiheit zu welchem Ausmaß durch das Gesetz erreicht wird, wird Gegenstand der Würdigung der jeweiligen Paragraphen sein. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass Freiheit nicht absolut ist, sondern einerseits graduell und andererseits Freiheit intersubjektiv unterschiedlich ausgeprägt sein kann.

Zugang zu Bildung
Zuletzt sei vor der eigentlichen inhaltlichen Betrachtung hinsichtlich eines nicht in diesem Gesetz geregelten Umstandes, der immer noch nicht final ad acta gelegten Pläne zur Wiedereinführung von Studiengebühren, klargestellt: Der freie zusammenschluss von student*innenschaften lehnt Bildungs- und Studiengebühren weiterhin entschieden ab. Diese für internationale Studierende zu erheben, stellt eine Diskriminierung und eine Absage an jegliche Internationalisierungsabsichten von Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen dar. Bemühungen der Hochschulen zu mehr Bildungsgerechtigkeit, ihre Beiträge zur Öffnung für Kinder von Nichtakademiker*innen und für internationale Studierende werden damit konterkariert. Die bedenklichen Entwicklungen in Baden-Württemberg, insbesondere hinsichtlich der beinahe kompletten Marginalisierung von Studierenden aus Afrika, in Kombination mit dem lauten Schweigen des nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministeriums zu seinen Studiengebührenplänen legt nahe, dass diese nicht weiter verfolgt werden. Wir erwarten, dass das Ministerium dies nun auch offiziell postuliert.