Studieren in Deutschland
Die finanzielle Situation von Menschen in Ausbildung ist seit Jahren prekär.
Die Corona-Pandemie und eine steigende Inflationsrate, haben den Trend der zunehmenden studentischen Armut weiter verschärft. Betroffen sind neben klassischen Armutsfaktoren – vor allem Studierende, welche allein oder in Wohngemeinschaften lebenden. [1] Armut unter jungen Menschen ist ein strukturelles Problem, das auch strukturelle Lösungen erfordert. Für Studierende und Auszubildende könnte das BAföG eine entscheidende Hilfe sein, doch es entfaltet seine Wirkung oft nicht oder zumindest nicht in einem ausreichenden Maße. Die BAföG-Bedarfssätze sind zu niedrig, die Wohnpauschale deckt die realen Mietkosten nicht, und die Zahl der BAföG Empfänger*innen ist immer noch viel zu gering. Mit einer wie im Koalitionsvertrag angekündigten Strukturreform, hätten diese Mängel gemindert oder gar beseitigt werden können.
In Deutschland hängt die Entscheidung, ob man sich eine Ausbildung leisten kann, fataler Weise maßgeblich an der ökonomischen Situation (des Elternhauses), nicht am eigenen Willen. Die Realität ist: Ein Studium ist ein Luxus, den man sich leisten können muss. (Weiter-)Bildung ist eines der höchsten Güter, und angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland sollten die Zugangsmöglichkeiten zur Qualifikation nicht an der Schwelle der ökonomischen Herkunft scheitern. Chancengerechtigkeit in der Bildung ist ein oft zitiertes Ziel, welches natürlich bereits vor der Universität beginnt. Es ist aber so, dass viele Berufe heute eine akademische Ausbildung erfordern, wodurch häufig der Weg zur Qualifikation über die Hochschule führen müsste. Es ist nicht zuletzt deshalb unabdingbar, dass auch an dieser Stelle wirksame Mechanismen geschaffen werden, die den gleichen Zugang fördern, bestehende Hürden haben fatale gesellschaftliche Folgen.
Der fzs sieht es als seine Aufgabe zu betonen, dass die Entscheidung, ob Bundesmittel in Sozialausgaben und die Bildung fließen, eine ist, die bewusst (nicht) getroffen wird. In einem Sozialstaat wäre es die Aufgabe des Gesetzgebers die Last der Betroffenen aus sozialen Ungleichheiten durch wirksame Unterstützung (im Teil) zu nehmen. Gerade wenn es um eine Situation geht, in die sie herein geboren sind. Derzeit schafft es das BAföG nicht (ausreichend) diese Last abzunehmen. Der Ursprungsfassung des BAföG von 1971 gelang dies zumindest noch besser.
Es hätte einer grundlegenden Reform bedurft, bei dem vorliegenden Änderungsgesetz handelt es sich „nur“ um eine Anpassung, dass sich die 29. Novellierung noch in eine Strukturreform verwandelt erscheint unrealistisch. Unter diesem Blickwinkel beschränkt sich die vorliegende Stellungnahme in seiner Kritik auf Lücken des aktuellen Gesetzesentwurfs, welche noch im parlamentarischen Prozess realistisch anzupassen sind, ohne dass sich grundlegend neue Konzepte zu überlegen wären.
Das Geld ist entscheidend
Eines der wohl gravierendsten Versäumnisse des aktuellen Änderungsgesetzes ist die Nichtanhebung der Bedarfssätze des BAföG. Dies wird von der Regierungsseite damit begründet, dass eine Erhöhung bereits in den letzten Änderungen stattgefunden habe. [2] Dabei ignoriert sie, dass die damalige Anpassung durch die Inflation sofort wieder entwertet wurde und inflationsbereinigt eine Kürzung der Bedarfssätze vorlag – welche auch durch zahlreiche Verbände kritisiert wurde. [3] Auch der massive Realverlust des BAföG im Vergleich zum ursprünglichen BAföG [4] scheint wenig Beachtung zu finden. Vor allem erscheint es hier noch einmal von Nöten zu betonen, dass zwar gesamtgesellschaftlich hohe Inflationsraten existierten, diese für Grundbedarfe – Strom, Essen, etc. – jedoch noch höher waren.
Es wirkt, als ob die Bundesregierung lieber die Bundesverfassungs gerichtsklage gegen die BAföG-Bedarfssätze abwarten möchte, anstatt selbst die Initiative zu ergreifen und die Bedarfssätze existenzsichernd auszugestalten. Diese Untätigkeit und der Fakt, dass im Kern dort über Bedarfssätze von vor knapp zehn Jahren verhandelt wird, legt die Vermutung nahe, dass je nach Ausgang des Verfahrens sich (Teile) der Bundesregierung damit brüsten wollen, dass es seitdem natürlich Anhebungen gab, und folglich kein Handlungsbedarf bestünde.
Wichtig wäre eigentlich, wenn die Novelle endlich realistische und dynamische BAföG-Bedarfssätze festschreibt, die auf einer validen Berechnungsgrundlagen basieren.
Als Vertretung der Studierenden ist es uns wichtig, dass in Armut lebende Gruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden, [5] es muss an vielen Stellen des Sozialstaats nachgebessert und dringend notwendige Investitionen in den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie das Schließen der Schere zwischen Arm und Reich investiert werden.
Dennoch oder gerade deshalb ist die Schlechterstellung im Vergleich zu anderen Sozialleistungen bei einem BAföG-Anspruch, schwer vermittelbar. So liegt das Bürgergeld beispielsweise deutlich über den Bedarfssätzen des BAföG. Zudem schließt das BAföG oft die Koppelung zu anderen Sozialleistungen aus, sodass es Studierende und Auszubildende verwehrt bleibt auf andere Mechanismen zurückgreifen oder ihre Leistungen aufstocken, wenn der Bedarfssatz zum Leben nicht reicht. Viel zu häufig sind Studierende, und auch – BAföG-Empfänger*innen, auf einen Nebenjob verwiesen – obwohl es sich bei einem Studium, um eine Vollzeitbeschäftigung handelt. Gerade im Kontext der Feiern zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes sollte die Bedeutung von Bildung und der Möglichkeit, sich gesellschaftlich einzubringen, nicht unterschätzt werden.
Es gibt kein gesetzlich festgelegtes Existenzminimum in Deutschland, das was am nächsten an ein solches kommt, wäre das Bürgergeld, hinter dem die BAföG-Bedarfssätze zurückbleiben. Es wäre jedoch falsch anzunehmen, man könne den Bürgergeldsatz eins zu eins auf Studierende und Menschen in Ausbildung übertragen. Es gibt viele ausbildungsspezifische Ausgaben, die in die Berechnung eines studentischen Existenzminimums einfließen müssten. [6]
Es ist ein falsches Signal und inhaltlich nicht vermittelbar, dass der Bedarfssatz unangetastet bleibt, während die monatliche Rückzahlrate des Darlehenssatzes erhöht wird. Gerade die Angst vor Verschuldung hält Studierende in ökonomisch prekären Situationen davon ab, BAföG zu beantragen oder gar ein Studium aufzunehmen.
Wohnen als zentralen Kostenfaktor ernst nehmen
Es ist längst keine Neuigkeit mehr, dass die Wohnkostenpauschale des BAföG unter den tatsächlich zu zahlenden Mietpreisen liegt. [7] Umso unverständlicher ist die fehlende Nachbesserung. Zeitgemäß wäre es, von einer starren Grenze der Wohnkostenpauschale abzurücken und sich stattdessen an die realen Mietpreise vor Ort zu orientieren. Es existieren bereits ortsübliche Mietpreistabellen, anhand derer Sozialempfänger*innen ihre Wohngeldzuschüsse erhalten. Warum dies nicht auch für Studierende gilt, ist unklar. Studierende erhalten oft nicht nur niedrigere Zuschüsse, die Wohnkostenpauschale wird auch nicht regelmäßig überprüft und angepasst.
In der Stellungnahme des Bundesrats steht die Annahme, dass Studierende weniger Miete zahlen als der Durchschnittsmietende einer Stadt. [8] Dies wird damit begründet, dass „Studierende häufiger in anderen Wohnformen leben als Nicht-studierende und durch öffentlich geförderte Wohnheimangebote Zugriff auf vergleichsweise günstigeren Wohnraum haben“. Zwar gibt es geförderten Wohnraum für Studierende in Form von Wohnheimen, doch diese decken bei weitem nicht den Bedarf. Zudem schließt der BAföG-Anspruch oft andere Sozialleistungen aus, sodass BAföG-berechtigte Studierende häufig der Zugang zu Sozialwohnungen verwehrt bleibt. Sie sind in der breiten Masse auf den „freien“ Wohnungsmarkt verwiesen, dessen Preise gerade in Großstädten oder an Hochschulstandorten sehr sind.
So erstaunt es nicht, dass gerade alleinlebende Studierende und solche, die in WGs leben, besonders von Armut betroffen oder bedroht sind. Es ist wichtig, nicht nur Subjekt-, sondern auch Objektförderung zu betreiben.
Da jedoch in absehbarer Zeit weder durch Programme wie „Junges Wohnen“ noch durch den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus genügend Wohnraum für Menschen in Ausbildung geschaffen wird, ist es unabdingbar, dass die Wohnkostenpauschalen realitätsnah gestaltet werden.
Das BAföG muss an die realen Mietpreise angepasst werden, um die finanzielle Belastung der Studierenden angemessen zu berücksichtigen.
Sinnvolle Flexibilitätssemester
Die Durchschnittsstudiendauer liegt über der Regelstudienzeit, [9] daher ist es prinzipiell zu begrüßen, dass der Gesetzesvorschlag der Bundesregierung eine Regelung schaffen möchte, um diese starren Grenzen aufzulockern.
Trotz dieser Verbesserung bleibt die Regelung jedoch immer noch zu restriktiv. Viele Prüfungen werden nur einmal jährlich angeboten, es wäre daher notwendig, mindestens zwei Flexibilitätssemester einzuführen. Es erscheint zudem fraglich, warum zwar die Höchstdauer angegangen wird, aber es keine Nachbesserungen beim Leistungsnachweis des § 48 gibt.
Studienstarthilfe als Entlastung
Der fzs begrüßt den Ansatz der Bundesregierung, die Kosten des Studienbeginns zu berücksichtigen und Studierende bereits zu diesem Zeitpunkt finanziell zu unterstützen. Dennoch erscheint es nicht sinnvoll, für BAföG und Studienstarthilfe getrennte Prüfungen vorzunehmen.
Vielmehr sollte ein Verfahren entwickelt werden, das für beide Anträge Anwendung findet und eine schnelle Bearbeitung zusichert, damit auch die Studienstarthilfe im Idealfall noch vor Studienstart ausgezahlt werden kann.
Die Beantragungszeiträume sind zu knapp bemessen. Besonders für Erstakademiker*innen aus Familien ohne akademischen Hintergrund sind die vielen Fristen des Studienstarts überwältigend. Viele Studierende entdecken erst nach und nach, welche Leistungen sie überhaupt beantragen können.
So ist zu beobachten, dass das BAföG zwar etabliert ist und Studienanfänger*innen grundsätzlich wissen, dass sie diese Sozialleistung beantragen können, dennoch herrschen auch hier oft Unsicherheit bei der Antragsstellung. Die Hürden der Beantragung werden bei einem neuen Instrument wie der Studienstarthilfe noch stärker sein. Daher ist es aus Sicht des fzs zwingend, die Fristen für die Beantragung weiter zu fassen. Es ist kein Argument, dass Studierende, die diese Hilfe später beziehen würden, nicht auf sie angewiesen seien. Viele Studierende überbrücken die Anfangszeit mit privaten Krediten, diese müssen ebenfalls zurückgezahlt werden. Zudem ist der Kreis der Berechtigten zu eng gefasst. Es ist nicht nachvollziehbar, warum andere Studierende – die im Späteren BAföG beziehen – diese Leistung nicht benötigen sollten.
Fazit und Ausblick
Die finanzielle Situation von Studierenden und Auszubildenden in Deutschland bleibt prekär, trotz der angestrebten Novellierung. Eine umfassende Reform – hin zu existenzsichernde Bedarfssätze und Wohnpauschalen, gekoppelt an die ortsüblichen studentischen Mieten wäre notwendig gewesen, um diese Mängel zu beheben.
Die vorgeschlagenen Flexibilitätssemester sind ein Schritt in die richtige Richtung, reichen aber nicht aus. Mindestens zwei Flexibilitätssemester und flexiblere Leistungsnachweise sind erforderlich.
Die Studienstarthilfe ist ein begrüßenswerter Ansatz, aber die Beantragungszeiträume sind zu knapp und der Prozess zu bürokratisch. Eine Ausweitung der Antragsfristen und eine Vereinfachung des Prozesses sind dringend notwendig.
In einer umfassenden Strukturreform sollten neben den genannten Aspekten auch die bürokratischen Hürden bei der Antragstellung und die starke Abhängigkeit von den Eltern adressiert werden. Es ist bedauerlich, dass volljährige Studierende oft die finanziellen Versäumnisse ihrer Eltern ausbaden müssen und teilweise angehalten sind rechtliche Schritte zu ergreifen, um ihren Anspruch durchzusetzen. Es bleibt zu hoffen, dass zukünftige Novellierungen mutig genug sind, sich diesen strukturellen Herausforderungen und neuen Mechanismen zu stellen, um eine gerechtere Bildungsförderung zu gewährleisten.
Quellenverzeichnis
- [1] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. N066, 16. November 2022
destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/11/PD22_N066_63.html - [2] Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des
Bundesrates zum 29. BAföGÄndG, Zu Ziffer 2c, 08. Mai 2024
dserver.bundestag.de/btd/20/113/2011313.pdf - [3] Vgl. exemplarisch Pressemitteilung der DGB-Jugend und des fzs, „BAföG
Reformen sind Flickwerk“, 23. Juni 2022
fzs.de/2022/06/23/gewerkschaftsjugend-und-studierendenvertretung
kritisieren-bafoeg-reformen-sind-flickwerk/ - [4] Stellungnahme von Joachim Schaller, GEW und fzs e.V. zur verfassungsrechlichen Prüfung, 14. Dezember 2022
https://www.fzs.de/2023/07/04/bafoeg-reformieren-und-inflationsfestmachen/ - [5] Im Gegensatz zum Antrag der Fraktion der AfD, „Kernprobleme des BAföG angehen (…)“, bsplw. Ziffer IV, 14. Mai 2024
https://dserver.bundestag.de/btd/20/113/2011376.pdf - [6] DZHW Brief, Abb. 1: „Vergleich der ‚Warenkörb‘ von Studierenden und der Gesamtbevölkerung“, Januar 2023
dzhw.eu/pdf/pub_brief/dzhw_brief_01_2023.pdf - [7] Moses-Mendelssohn-Institut, Pressemitteilung „Sommersemester 2024 – Wohnkosten verharren auf hohen Niveau“, 20. März 2024
moses-mendelssohn-institut.de/aktuelles/WohnkostenSoSe2024 - [8] Bundesrat, Stellungnahme zum Entwurf eines 29. BAföGÄndG, Ziffer 4, April 2024
- [9] Statistisches Bundesamt, „Mittlere Studiendauer Bachelor“ sowie „Mittlere Studiendauer Master“, 2024
Bachelor: destatis.de/DE/Mediathek/Digitales-Magazin/Bildung/Grafik/Interaktiv/hs-05-1-mittlere-studiendauer-bachelor.html
Master: destatis.de/DE/Mediathek/Digitales-Magazin/Bildung/Grafik/Interaktiv/hs-05-2-mittlere-studiendauer-master.html