Stellungnahme: Studierende während der epidemischen Lage nationaler Tragweite schützen

Mit der Einführung weitreichender Lockerungen der Hygienemaßnahmen in vielen Bundesländern beginnt nun auch zunehmend die Präsenzlehre an den Hochschulen. Daher betonen die Unterzeichnenden die Notwendigkeit, dass Hochschulen ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen, und den Studierenden eine adäquate persönliche Schutzausrüstung, wie beispielsweise Mund-Nasen-Schutz, zur Verfügung stellen.

Bereits in früheren Stellungnahmen forderte beispielsweise die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V. (bvmd) die Verantwortlichen auf, den Gesundheitsschutz der Studierenden sicherzustellen [1]. Studierende gelten nach § 2 Absatz 1 Nr. 8 Buchstabe c Siebtes Buch Sozialgesetzbuches (SGB VII) [2] als Versicherte der gesetzlichen Unfallversicherung. Gemäß § 1 sowie §§ 21 ff. DGUV Vorschrift 1 müssen Unfallverhütungsmaßnahmen und damit auch die Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) durch das Unternehmen gewährleistet werden; im Falle der Studierenden müssen entsprechend die Hochschulen die Bereitstellung der PSA gewährleisten.[3] [4]

Viele Studierende haben durch die Pandemie ihre Beschäftigung verloren. Um für alle Studierenden unabhängig von ihrer finanziellen Situation denselben Gesundheitsschutz gewährleisten zu können, muss ihnen die entsprechende Ausrüstung kostenfrei zur Verfügung gestellt werden.

Die Unterzeichnenden stellen fest, dass die Präsenzlehre, beispielsweise und insbesondere der Unterricht am Patienten oder Laborpraktika, aufgrund der persönlichen Interaktivität Vorteile gegenüber digitalen Lehrformaten bieten. Studierende, welche besonders gefährdet sind, müssen jedoch in der Strategieplanung der Lehre und der Prüfungen von den Hochschulen besonders berücksichtigt werden: Auch unter Studierenden gibt es einen signifikanten Anteil an Menschen, die vorerkrankt sind und damit eine Risikogruppe darstellen. Das Zentralinstitut für kassenärztliche Versorgung beziffert den Anteil der Menschen mit mindestens einer COVID-19 relevanten Vorerkrankung in der Altersgruppe zwischen 15-24 Jahren auf 3,6 Prozent. [5] Dies würde bei 2,89 Millionen Studierenden in Deutschland über 100.000 Studierende betreffen. [6] Insbesondere Studierende aus den Gesundheitsberufen müssen jedoch aufgrund der erhöhten Expositionsgefahr durch Patientenkontakt besonders bedacht werden. Unter den 98.348 Medizinstudierenden und 15.948 Pharmaziestudierenden Deutschlands würde sich dieser Anteil somit auf knapp 3500 betroffene Medizinstudierende bzw. 550 Pharmaziestudierende beziffern.[7] [8] Auch müssen Studierende mit einem unvermeidbaren Kontakt zu Risikogruppen, der beispielsweise durch das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt entsteht, dringend bedacht und besonders geschützt werden. Die Gesundheit dieser Menschen darf unter keinen Umständen gefährdet werden.

Auch der mentalen Belastung betroffener Studierender, die zu einer Risikogruppe gehören, muss Rechnung getragen werden. Eine reguläre Teilnahme an Präsenzveranstaltungen kann mit einem erheblichen psychischem und sozialem Druck verbunden sein, wenn man dadurch riskiert, sich oder nahe soziale Kontakte einem erheblichen Risiko auszusetzen. Auch auf diesen besonderen Umstand muss angemessen reagiert werden. Die Unterzeichnenden sehen die Hochschulen auch hier in der Pflicht, Regelungen einzuführen, um die Infektionsgefahr, die von Präsenzlehre oder -prüfungen ausgeht, zu minimieren. Dies kann beispielsweise durch die Schaffung kulanter Möglichkeiten für Härtefallanträge betroffener Studierender ermöglicht werden. Auch sollte hier den Studierenden aus oder mit unvermeidbarem Kontakt zu Risikogruppen die freie und flexible Wahl gegeben werden, welche der angebotenen Optionen sie wahrnehmen.

Denkbar wären hier beispielsweise digitale Prüfungsformate wie Open-Book- Exams, die auch aus dem Home-Office heraus möglich wären und bereits in einigen Hochschulen durchgeführt werden. Auch die Fortführung und der Ausbau digitaler Lehrformate, wie beispielsweise simulierter Unterricht am Krankenbett, stellen eine Möglichkeit dar, Studierende auszubilden, ohne diese direkt durch Präsenzveranstaltungen zu gefährden.[9]

Die Hochschulen haben nicht nur die rechtliche, sondern auch die ethische und moralische Verpflichtung, ihre Studierenden in Krisenzeiten im Rahmen ihrer Möglichkeiten bestmöglich zu schützen.

Die Unterzeichnenden fordern daher, dass:

  • Studierende adäquat durch die Hochschulen mit persönlicher Schutzausrüstung versorgt werden und diese kostenlos gestellt wird,
  • Hygienekonzepte zum Schutz der Studierenden bei Präsenzlehre und – prüfungen implementiert werden,
  • Studierende, die Risikogruppen angehören oder unvermeidbaren Kontakt zu Menschen aus Risikogruppen haben, in der Planung der Lehre gesondert bedacht werden müssen. Möglichkeiten sind bspw. alternative Lehr- und Prüfungsformate oder kulante Härtefallregelungen. Die Optionen müssen mindestens bestehen bleiben, solange eine epidemische Lage nationaler Tragweite festgestellt ist,
  • um den Studienfortschritt zu gewährleisten, die Abmeldung einer Klausur nicht die einzige Alternative sein darf, die den Studierenden gegeben wird,
  • betroffenen Studierenden die freie und flexible Wahl gegeben wird, inwiefern sie je nach Risikosituation an Präsenzlehre teilnehmen wollen,
  • die mentale Belastung von betroffenen Studierenden bedacht und Beratungs- und Hilfsangebote zur Verfügung gestellt oder bedarfsgerecht ausgebaut werden, sowie
  • Studierenden kein wesentlicher Nachteil im Studienfortschritt durch die epidemische Lage nationaler Tragweite entstehen darf.

Unterzeichnende Verbände:

  • freier zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs)
  • Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland – bvmd
  • Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland e.V. (BPhD e.V.)
  • BuFaK WiSo
  • BuFaTa ET – Die Bundesfachschaftentagung Elektrotechnik
  • 48,0. Konferenz der Informatikfaschaften (KIF)
  • GeoDACH
  • Bundesfachschaftentagung Chemie
  • AStA der Universität Göttingen
  • AStA TU Dortmund

Literatur:

[1] Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V. (bvmd); Stellungnahme zur Einschränkung in Studium und Staatsexamen durch COVID- 19;
https://www.bvmd.de/fileadmin/user_upload/2020-03- 20_Stellungnahme_zur_Einschra%CC%88nkung_in_Studium_und_Staatsexamina _durch_COVID-19.pdf (Letzter Zugriff 24.05.2020)

[2] Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) – Gesetzliche Unfallversicherung; § 2 SGB VII Versicherung kraft Gesetzes; https://www.sozialgesetzbuch- sgb.de/sgbvii/2.html (Letzter Zugriff 24.05.2020)

[3] Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung; DGUV Vorschrift 1 – Unfallverhütungsvorschrift Grundsätze der Prävention https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/2909 (Letzter Zugriff 24.05.2020)

[4] Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG) §3; http://www.gesetze-im- internet.de/arbschg/__3.html (Letzter Zugriff 24.05.2020)

[5] Bätzing J, Holstiege J, Hering R, Akmatov MK, Steffen A, Dammertz L, Czihal T, von Stillfried D.; Häufigkeiten von Vorerkrankungen mit erhöhtem Risiko für einen schwerwiegenden klinischen Verlauf von COVID-19 – Eine Analyse kleinräumiger Risikoprofile in der deutschen Bevölkerung; Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi). Versorgungsatlas-Bericht Nr. 20/05. Berlin 2020. DOI: 10.20364/VA-20.05. URL: https://www.versorgungsatlas.de/themen/alle-analysen-nach-datum- sortiert/?tab=6&uid=110

[6] de.statista.com; Anzahl der Studierenden an Hochschulen in Deutschland in den Wintersemestern von 2002/2003 bis 20019/2020;https://de.statista.com/statistik/daten/studie/221/umfrage/anzahl-der-studenten- an-deutschen-hochschulen/ (Letzter Zugriff 24.05.2020)

[7] Statistisches Bundesamt; Studierende an Hochschulen – Vorbericht – Fachserie 11 Reihe 4.1 – Wintersemester 2019/2020https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung- Kultur/Hochschulen/Publikationen/Downloads-Hochschulen/studierende- hochschulen-vorb-2110410208004.pdf?__blob=publicationFile (Letzter Zugriff 16.05.20)

[8] de.statista.com; Anzahl der Pharmaziestudenten in Deutschland in den Jahren 2002 bis 2018;https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5057/umfrage/studenten-der- pharmazie-in-deutschland/ (Letzter Zugriff 24.05.2020)

[9] Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V. (bvmd); Stellungnahme: Empfehlung für die Lehre während der COVID-19-Pandemie, https://www.bvmd.de/fileadmin/user_upload/2020-04- 09_Stellungnahme_Empfehlungen_fu%CC%88r_die_Lehre_wa%CC%88hrend_d er_COVID-19-Pandemie_.pdf (Letzter Zugriff 24.05.2020)