Die transnationalen Konzerne haben den Bildungsbereich als neues Spielfeld entdeckt. Nach ihrem Verständnis ist Bildung eine handelbare Ware; Hochschulen sollen der Heranbildung von Humanressourcen, also wirtschaftlich verwertbarer AbsolventInnen dienen. Zwei Interessengruppen interessieren sich dabei besonders für den Bildungsbereich: einerseits private oder an privaten Ablegern und den Einnahmen aus Studiengebühren interessierte Hochschulen überwiegend des angelsächsischen Sprachraums, die an Profiten aus den aufgrund der Herausbildung der „Wissensgesellschaft“ ständig wachsenden, derzeit auf ca. Billionen weltweit geschätzten Ausgaben für Bildung interessiert sind. Andererseits die Multis, die von billigen, für sie verwertbaren hochausgebildeten Fachkräften profitieren wollen.
So fordert der ehemalige GATT-Generaldirektor und heutige Verhandlungschef des European Round Table of Industrialists, eines Zusammenschlusses europäischer Multis: „Die Verantwortung für Ausbildung muss ein für allemal von der Industrie übernommen werden. […] Bildung sollte als Dienstleistung für die Wirtschaft betrachtet werden.“ Um ihr Ziel zu erreichen, lassen die Konzerne neoliberale Think Tanks wie den Bertelsmann-Ableger „Centrum für Hochschulentwicklung“ (CHE) sowie die Weltbank geeignete Studien vorlegen, um die Privatisierung der Hochschulen und die Einführung von Studiengebühren voranzutreiben. Natürlich nicht alles auf einmal, und in jedem Fall sozialverträglich. In der Theorie. Während die Industriestaaten den Forderungen der Industrie großenteils freiwillig folgen, lässt sie der Internationale Währungsfonds (IWF) mit Strukturanpassungsmaßnahmen in den Ländern der sog. 3. Welt zwangsweise umsetzen.
Diese Politik stößt im Zuge der Internationalisierung des Hochschulbereichs auf günstige Rahmenbedingungen: das Internet bietet privaten Hochschulen die Möglichkeit, weltweit und zu jeder Zeit ihre kostenpflichtigen Programme anzubieten. So machte die international tätige, amerikanische Apollo Group, Mutter der Phoenix University online, 2001 einen Umsatz von 9,5 Mio., davon 92% aus Studiengebühren.
Die Internationalisierung des Hochschulsektors liegt im Trend. Nicht zuletzt von StudentInnenvertretungen wurde sie traditionell immer wieder eingefordert, um gleiche Chancen und gleiche Voraussetzungen auf der ganzen Welt zu erreichen. Die Mobilität von Lernenden und Lehrenden wächst stetig an. Gemeinsame Studiengänge werden in internationaler Kooperation eingeführt. Und: Hochschulen aus Industriestaaten gründen weltweit private, gebührenpflichtige Ableger. Zwei Seiten der gleichen Medaille?
Den ausländischen StudentInnen, aber auch den Bildungsträgern, bereiten bei dieser Internationalisierung die Anerkennung von Studienleistungen, die Gleichstellung mit heimischen StudentInnen im Arbeitsmarkt und im sozialen Bereich, die Erteilung von Visa usw. unzählige Probleme. Internationale Lösungsansätze sind mehr als überfällig. Unstrittig ist dabei, dass die Internationalisierung allen eine große Chance bieten kann: die Vielfalt der Angebote wird erhöht, der Austausch von Lehrenden und Lernenden erleichtert. Eine Verbesserung der Qualität von Forschung und Lehre kann (muss aber nicht!) erreicht werden. Und nicht zuletzt werden nationale Borniertheit und Vorurteile abgebaut. Die internationale Regulierung und Harmonisierung des Hochschulwesens durch demokratische Institutionen ist dabei jedoch unerlässlich.
Die angebotene Lösung: Liberalisierung und GATS
Die Lösung, die uns für die mit der Internationalisierung verbundenen Probleme von Seiten der Regierungen aufgedrängt wird, sieht anders aus. Sie heißt „Liberalisierung der Bildungsmärkte“ und soll durch das GATS, das General Agreement on Trade in Services geregelt werden. Das GATS wurde 1995 als Teilvertrag der neu gegründeten WTO ins Leben gerufen: als Handelsabkommen regelt es neben Bereichen wie Telekommunikation und Finanzdienstleistungen auch den Handel mit Gesundheit und Bildung. Die fortschreitende Liberalisierung und faktisch auch Deregulierung dieser Bereiche ist unmittelbar in das Abkommen eingebaut. Wenn ein Staat spezifische Verpflichtungen für einzelne Teilbereiche übernimmt, ist er zur „Inländergleichbehandlung“, d.h. zur Gleichbehandlung von ausländischen mit inländischen, von privaten mit öffentlichen AnbieterInnen gezwungen. Die Rücknahme einmal gemachter Zugeständnisse ist fast unmöglich.
Für den Bildungsbereich könnte ein Ausbau der Verpflichtungen sowie ein Abbau von Ausnahmebestimmungen der WTO-Mitglieder unter dem GATS verheerende Folgen haben: sollten ausländische, profitorientierte Hochschulen z.B. Zugang zum deutschen „Bildungsmarkt“ suchen, müssten sie ebenso bezuschusst werden wie staatliche. Dies gilt allerdings nicht nur für hoch-industrialisierte Staaten, sondern auch für Schwellen- und Entwicklungsländer… Die Nichterhebung von Studiengebühren an öffentlichen Hochschulen könnte eine „wettbewerbsverzerrende Subvention“ darstellen. Die Folgen für Hochschulzugang und Qualität der Bildung, für Freiheit von Forschung und Lehre sind bisher nicht erforscht. Ob sich ein kritischer Wissenschaftsanspruch in mit kommerzieller Absicht privatisierten Hochschulen erhalten lässt, darf getrost bezweifelt werden. Maßstab für private Bildung ist jedenfalls nicht der gesellschaftliche Nutzen, sondern die wirtschaftliche Verwertbarkeit.
Die EU als Deutschland vertretende Vertragspartnerin hat von Anfang an – an der Öffentlichkeit vorbei – viele Verpflichtungen im Bildungsbereich übernommen. Zwar wurden zunächst weitreichende Ausnahmeregelungen zum Schutz der öffentlichen Bildung sowie zur Freiheit in der Vergabe von „Subventionen“ im Bildungsbereich vereinbart, doch sind diese in der laufenden Handelsrunde grundsätzlich Teil der Verhandlungsmasse. Schien es zunächst danach, als wolle die EU den Bildungsbereich aus den laufenden GATS-Verhandlungen heraushalten, sind jetzt Liberalisierungsforderungen an die USA bekannt geworden. Die EU fordert dabei ein Gleichziehen mit den von ihr bereits 1994 unterschriebenen Verpflichtungen. Klaus Landfried, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), kommentiert wohlwollend: „Wer den Kopf in den Sand steckt, kann immer noch auf den Hintern gehauen werden…!“ Abwarten.
Langsam beginnt sich Widerstand gegen diese Liberalisierung zu regen. Ein buntes Bündnis von studentischen Verbänden, Bildungsgewerkschaften und anderen NGO´s will die Diskussion um die Zukunft des Bildungswesens in die Öffentlichkeit tragen.
Den Beteiligten muss dabei klar sein, dass es nicht allein um das GATS geht, sondern um die Verteidigung und den Ausbau eines demokratisch organisierten, frei zugänglichen und öffentlich zu finanzierenden Bildungssystems. Wir brauchen eine tiefgehende Analyse der stattfindenden Internationalisierung der Hochschulen, die Entwicklung neuer programmatischer Forderungen, eine breite Bündnisarbeit und politische Einflussnahme. Unverzichtbar in diesem Zusammenhang ist auch die weltweite Abstimmung studentischer Forderungen durch Kooperation der Dachverbände.
Der fzs hat auf seiner letzten MV einen Beschluss gefasst mit der Forderung, ein Moratorium über die GATS-Verhandlungen im Bildungsbereich zu verhängen, bis die möglichen Auswirkungen einer Ausdehnung der Verpflichtungen und Regelungen auf die Gesellschaften erforscht sind. Wir arbeiten derzeit an einer Aufarbeitung der Entwicklungen im Bereich „Transnational Education“ in Deutschland, um die Grundbedingungen, auf welche das GATS stößt, genauer zu analysieren.
Bei der Auseinandersetzung mit dem GATS geht es um die Verteidigung studentischer und gesellschaftlicher Rechte. Und nicht zuletzt um den Ausbau von Bildung zum Menschenrecht.
Education is a right, not a privilege!
Heiner Fechner, Vorstandsmitglied des fzs 2001-2003
erschienen in: Papierkrieg 57 (Magazin des fzs), Oktober 2002