Männerbünde – Männerbande

Der größte verbindungsstudentische Dachverband CV hat seinerseits vor kurzem einen Reformvorschlag gekippt, demzufolge neben Nichtkatholiken auch Frauen Aufnahme als Bundesmitglieder gefunden hätten. Die große Mehrheit hielt diese Veränderungen für das Wohl der Korporationen nicht förderlich, das traditionell bewährte Konzept des „Männerbundes“ gerate so ins Wanken. Tatsächlich verweisen auch heute noch die meisten Verbindungen unverblümt oder implizit auf ihr männerbündisches Selbstverständnis, was bis heute eine Gemeinsamkeit unter den verschiedenartigen Korporationstypen darstellt. (Wenige Ausnahmen, wie Damenbünde und gemischte Verbindungen bleiben angesichts des vom überwiegenden Teil des Korporationsstudententums hochgehaltenen männerbündischen Prinzips Randerscheinungen). Die Ursprünge der männerbündischen Ideologie So essentiell das „männerbündische“ für das Gros der Verbindungen gehalten werden muß, so verwunderlich ist es auch, daß es sich hierbei um eine relativ neue Wortschöpfung handelt.

Das erste Mal war die Rede vom „Männerbund“ beim Ethnologen Heinrich Schurtz, der in einer 1902 erschienenen Schrift die „Grundformen der Gesellschaft“ völkerkundlich untersuchen wollte. Seine These: Mannerbünde hätten den Prozeß der „Kulturschaffung“ in Gang gesetzt. Zusammenschlüsse von Männern seien als Träger aller höherer gesellschaftlicher Entwicklung zu betrachten, während Frauen unter starkem Einfluß geschlechtlicher Liebe und der Zuneigung zur Familie stünden, die ihnen zufallende Geselligkeitsformen also diejenigen, die sich auf zwischengeschlechtliche Vereinigung gründen, seien.

Männerbünde als Kulturschaffer Der Kulturschaffungsprozeß war Schurtz zufolge durch eine Reihe typischer Merkmale geprägt: Seiner Theorie zufolge waren Männervereinigungen das Ergebnis dreier Entwicklungsstufen: „Altersklassen“ als Vorform des Männerbundes, das „Männerhaus“ als Zwischenstufe und Clubs bzw. Geheimgesellschaften als eigentliche Männerbünde. Zu den Altersklassen zählte Schurtz (männliche) Kinder, Jungmänner und verheiratete Erwachsene, wobei für den kulturellen Schaffungsprozeß die Jünglinge am bedeutesten seien, da bei ihnen der „reine Geselligkeitstrieb” als Motor des kulturellen Fortschritts am reinsten zutage träte. Als Versammlungsort diente den Altersklassen das Junggesellen- oder Männerhaus, in denen die ledigen Männer wohnten und mit unverheirateten Frauen sexuellen Kontakt hätten. In Krisenzeiten diente das Männerhaus jedoch als Versammlungsort aller wehrfähigen Männer. In Kriegs- wie Friedenszeiten sollte hier die Politik des Dorfes bzw. Stammes gemacht werden, das Männerhaus stelle einen Konzentrationspunkt der Macht dar. Im Gegensatz dazu stünden die häuslich-familiären Gemeinschaftsformen, die naturgemäß die Wirkungsbereiche der Frauen seien. Schurtz unternahm nicht den Versuch, seine Theorie vom Mann als Kulturträger und der Frau als Hort der Familien-fortpflanzung zu beweisen, der Begriff „Männerbund” war also bereits bei seiner Einführung ideologisch vorbelastet, die Theorie mithin wissenschaftlich haltlos.

Dennoch finden sich bei Schurtz wichtige Erkenntnisse über die Charakteristika von Männerbünden: Ihnen haftet ein aggressives Moment an, sie sondern sich räumlich und sozial ab (im Männerhaus) und sind auf Dramatisierung der Männerrolle ausgelegt, die in spontane Gewaltakte einmünden kann. Männerbünde und Homoerotik Schurtz sprach vom „reinen Geselligkeitstrieb“, ohne diesen näher zu spezifizieren. Der Schriftsteller und Psychoanalytiker Hans Blüher hatte allerdings eine Erklärung für dieses Phänomen parat: Homoerotische Empfindungen seien für die Entstehung und den Zusammenhalt eines Männerbundes maßgeblich. Charakteristisch sei ein „charismatischer Männerheld”, der im hierarchisierten Bund (entsprechend den Altersklassen bei Schurtz) den höheren Geist nach unten weiter gebe. Die vergangene Kulturepoche des Liberalismus habe den geistigen Wert dieser Bünde mißachtet, indem sie durch die propagierte Gleichstellung von Mann und Frau das „gemischte Publikum“ hergestellt habe. Blüher avancierte mit seinem Hauptwerk, dem zweibändigen „Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft – Eine Theorie der Staatsbildung nach Wissen und Wert“ zu einem führenden Vertreter und Theoretiker der Idee vom Männerbund, seine Gedanken sollten im Nationalsozialismus ihre extreme Umsetzung erfahren. Blüher ging von einer besonderen homoerotischen Zuneigung eines männlichen Kindes zu einem älteren Mann aus, in den sich der Junge nach der Ablösung von der „weichlichen und schwülen“ Beziehung zur Mutter heftig verliebt. Im Gegensatz zur Mutterliebe trage diese Beziehung einen überaus strengen Charakter, sei weitgehend passiv und bestehe darin, von dem geliebten und bewunderten Mann ebenfalls geliebt und bewundert zu werden. Diese Liebe befähigt den Jungen zu Höchstleistungen und zwingt ihn, „so tapfer und tüchtig zu sein, wie es nur immer möglich ist.“

Den älteren Mann bezeichnet Blüher als „charismatischen Männerhelden“. Die so geartete Liebe sei unvergänglich, übertrage sich aber im Laufe der Zeit auf andere Männer. Interessant ist, daß Blüher diese Beziehung für eindeutig sexuell hielt, auch wenn sie nicht zwangsläufig zu sexuellen Handlungen führt. Ferner trägt der Männerbund eine politische Funktion: Er sei gegen die Gemeinschaftsform der Familie ausgerichtet und somit antibürgerlich. Zwei Formen der männlichen Gemeinschaft seien typisch: In denen erster Ordnung gebe es den erwähnten homosexuellen Männerhelden (Typus Inversus), um den sich in mehreren Hierarchien die restlichen Männer scharen.

Daneben gebe es auch männliche Gesellschaften zweiter Ordnung, bei denen das „Bild des Helden“ an die Stelle des homosexuellen Führers tritt. Männerbünde seien nicht auf rationalem Fundament gebaut, sondern sie stellen ein exklusives, mythisches Erlebnis dar, in dem das Gefühl der Willenssteigerung enthalten sei. Der Eros schaffe aus der Vielzahl der Einzelnen einen lebendigen Organismus, der um Vieles stärker sei als die zusammengenommen Kräfte der Individuen. Mithin sei der Bund nicht auf rationale Weise funktional, also eigentlich zweckfrei, doch habe er „tiefsten menschlichen Belang“. Weihevoll sei jede Art männlicher Gesell-schaft (von der Stammtischrunde bis zur Staatsregierung). An der Spitze der Gesellschaft stehe der „obere Männerbund”, von natürlich-adligem Geschlecht, der die „Idee einer gesamtmenschlichen Vorzüglichkeit“ umsetze. Diesem allein falle jeglicher Herrschaftsanspruch zu, was keinesfalls undemokratisch sei, da in einem solchen Bunde nur die besten aller Entscheidungen getroffen werden könnten.

Jeder Mann werde Blüher zufolge dadurch geprägt, wie sein Verhältnis zu verschiedenen Arten von Männerbünden in seinem Lebenslauf geartet ist. Zu Feinden der Männerbünde gehörten die bürgerliche Gesellschaft, die von Familie und dem sexuellen Umgang mit Frauen geprägt sei und den männerbündisch-orientierten Jüngling zu verderben trachtet. Blühers Ausführungen gipfeln in offen frauenfeindlichen Parolen: „Wehe dem Manne, der einer Frau verfiel! Wehe der Kultur, die sich den Frauen auslieferte!“ Beinahe überflüssig anzumerken, daß Blüher entscheidende Anknüpfungspunkte für antifeministische männliche Zusammenschlüsse bot und bietet und mithin ein ideologisches Fundament für das männerbündische Regime im faschistischen Deutschland zur Verfügung stellte.

Doch es gibt noch weitere ideologische Vorreiter. Männer, hart wie Stahl – Soldatenkult Der Name Ernst Jünger ist eng mit der mystisch-irrationalen Überhöhung des Soldatentums verbunden. Als eigener Wert, quasi als „Gottheit“ sorge der Krieg für eine eindeutige Freund-Feind-Unterscheidung, die auf die Vernichtung des letzteren abzielt. Die Soldaten des 1. Weltkrieges betrachtete Jünger als Männer, deren „Mannestum” an die Spitze getrieben war; eine neue Rasse sei aus dem Geist des Krieges geboren worden, die eine verehrungswürdige Elite wäre, die nicht nur zerstörerisch, sondern auch schöpferisch tätig wurde: Die Soldaten hätten das Gesicht der Erde neu gemeißelt, der Kampf sei nicht Vernichtung, sondern die „männliche Form der Zeugung“, und so kämpfe nicht einmal der umsonst, der im falschen Glauben tötet. Die „harte europäische Sittlichkeit“ hebe sich über das Geschrei und die Weichheit der Masse hinweg, und ihre eigene Sprache, die nur von wenigen verstanden werde, mache sie vornehm; nur die Besten könnten sich in ihr verständigen“. Das Töten im Krieg erschien Jünger als sinnvoll und produktiv, die modernen Zivilisation umschrieb er hingegen mit „Weichheit der Massen“.

Studentische Verbindungen als Männerbünde Helmut Blazek nennt in seinem Buch „Männerbünde“ ausgehend von maßgeblichen Theoretikern wie Schurtz, Blüher und Jünger folgende Aspekte als wesentlich für „echte” Männerbünde, in denen Männer ihre Gechlechterrolle dramatisieren: Sie sind aus freiem Willen gebildet, und beruhen auf Akzeptanz gemeinsamer Normen und geistiger Ziele. Sie sind meistens hierarchisch organisiert, und an ihrer Spitze steht meist ein „charismatischer Führer“, an dessen Stelle auch ein vermitteltes „Heldenbild“ stehen kann. Die Aufnahme neuer Mitglieder erfolgt selektiv durch bestimmte Initiationsriten, und die Vollmitglieder des Bundes teilen ein mitunter rational für nicht explizierbar gehaltenes, vorgetäuschtes oder echtes „Geheimwissen“. Männerbünde grenzen Frauen aus und werten sie ab, verlangen andererseits von ihren Mitgliedern die totale Unterordnung unter die Gemeinschaft, versinnbildlicht durch den Führer bzw. die Führungsschicht des Bundes.

Ferner zeichnen sie sich durch homoerotische Äußerungen verdrängter Sexualität aus. Die Mitglieder des Männerbundes haben ein elitäres Sendungsbewußtsein, und die tatsächliche Funktion des Bundes bestehe als Sprungbrett für den sozialen und ökonomischen Aufstieg der Mitglieder. Letztlich dienen Männerbünde dem Erwerb und der Verteidigung männlicher Machtpositionen. Als Paradebeispiel für Männerbünde in der heutigen Zeit können die studentischen Verbindungen und Burschenschaften bezeichnet werden, bei denen das männerbündische Prinizip in mehr oder weniger radikalisierter Ausformung zum traditionellen Selbstverständnis gehört: Alle obengenannten Aspekte treffen zumindest auf schlagende Verbindungen zu. Insbesondere diese halten an ihrer restriktiven Aufnahmepraxis fest, während sich mehrere nichtschlagende Verbände in der Vergangenheit für Frauen geöffnet haben. Das Schlagen von Mensuren demonstriert nicht nur Militanz, sondern kann auch als Äußerung verdrängter Sexualität (Schläger als Phallussymbol) gedeutet werden. Der Zusammenhalt der Mitglieder einer Verbindung wird von seinen Vertretern oft als „nicht explizierbares, abenteuerliches Erlebnis“ geschildert. Anstelle des charismatischen Führers treten männliche Heldenphantasien, die mit dem Bewußtsein verbunden sind, einem Bund anzugehören, dem eine zentrale Rolle für die Zukunft des deutschen Volkes zukomme.

Doch welche Bedeutung hatte das männerbündische für die Begründer des Verbindungstums? Bis Ende des 19. Jahrhunderts bestand gar kein Bedarf, sich durch männerbündisches Gebaren von „Verweiblichung“ der Gesellschaft abzugrenzen, worunter demokratisch ausgerichtetes Denken und Handeln gefaßt wurde. Frauen waren bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht als reguläre Studentinnen an deutschen Hochschulen zugelassen und spielten in der politisch-öffentlichen patriarchalischen Gesellschaftsordnung keine Rolle. Dennoch ist auch den Verbindungen der Frühzeit eine Dramatisierung der Männerrolle zuzuschreiben; Corps wie Buschenschaften sahen sich als Elite der Gesellschaft zu militant vertretenen Herrschaftsansprüchen veranlaßt, worauf die in diesen Gemeinschaften praktizierenden Erziehungsformen wie ritualisiertes Brauchtum, insbesondere das Schlagen von Mensuren, abzielten.

So sehr sich die Burschenschaften heute rühmen, sie hätten sich im Geiste der Werte der französischen Revolution gegründet, so wichtig ist es festzustellen, daß sie sich im Laufe der Zeit an die Werte der Corps anglichen, wobei sie im allgemeinen völkische Positionen vertraten, während die Corps traditionsgemäß feudal-elitäre Auffassungen hatten. Selbst für die Ur-Burschenschaftliche Bewegung wie die Turnerschaften lassen sich deutlichmännerbündische Merkmale erkennen, die auf eine Radikalisierung der Männerrolle unter dem Aspekt der Militanz abzielten. Nach zunehmender Einflußnahme der Frauenbewegung in der Gesellschaft und als Reaktion auf die Öffnung der Hochschulen für Frauen begannen sich die Verbindungen unter dem Aspekt des Männerbündischen in radikal-ausgrenzender Weise neu zu definieren: Sie allein nahmen für sich in Anspruch, Akademiker im Männerbund charakterlich zu schulen, die Hochschulen selbst wurden in zunehmenden Maße als Horte der „Verweichlichung“ und „Vermassung“ gesehen. Die Weichen für die Radikalisierung zum „echten“ Männerbund waren gestellt.

Tatsächlich findet sich auch bei den heutigen schlagenden Verbindungen (und in schwächerem Ausmaß bei nichtschlagenden) der ganze für Männerbünde typische Merkmalskatalog: Die von Schurtz genannten verschiedenen Altersklassen finden sich hier in der „Füxe-Burschen-Alte-Herren-Hierarchie“ wieder, wobei der Fux erst nach absolviertem Initiationsritual – auch das ist typisch für Männerbünde – in den Kreis der Vollmitglieder aufgenommen wird. Auffallend ist die Bindung des Neuanwärters an seinen „Leibbursch” und die damit einhergehende quasifamiliäre Gemeinschaftsform: Familie ja, aber bitte ohne Frauen. Das Männerhaus als generationsübergreifendes Machtzentrum stellt das Verbindungshaus dar. Ein elitäres Selbstverständnis macht sich gestern wie heute durch das Seilschaftsprinzip wie die Ablehnung der „Massenuniversität“ bemerkbar.

Besonders deutlich zum Tragen kommt bei den schlagenden Verbindungen das aggressive Moment in Gestalt des Mensurenschlagens. Diese ritualisierte Erziehungs- bzw. Charakterformungsinstitution dient dazu, für das Berufsleben abzuhärten und gleichzeitig, als einzelner Schmerzen zu ertragen, während man für das Wohl der Verbindung (und später der Firma, der Nation usw.) im Wortsinne den Kopf hinhält. Die Zukunft korporierter Männerbünde: Abschottung vs. Aufweichung Bis heute gibt es Bestrebungen in nichtschlagenden Verbindungen, die Aufnahme von Frauen zuzulassen, wie z.B. der zuvor angeführte CV-Antrag. Ein Grund dafür mag sein, daß das Selbstverständnis als Männerbund bei den nichtschlagenden kaum noch ideologisch untermauert ist und von aktiven Korporationsmitgliedern zunehmend als unbegründeter Anachronismus aufgefaßt wird. Oft erhebt sich gegen angestrebte Satzungsänderungen jedoch Widerstand aus den Reihen der Alten Herren, denen der ideologische Hintergrund des männerbündischen noch eher am Herzen liegt.

Interessant zudem, daß Homosexualität zu einem Streitpunkt innerhalb vieler Verbindungen geworden ist: Selbst ein Verband, der Frauen aufnimmt, scheint sich mitunter bei der Akzeptanz homosexueller Bundesbrüder schwer zu tun, insbesondere die maßgeblich einflußreichen Alten Herren. Und die neu entstandene Strömung „Schwule im CV” stößt ebenso wie andere Reformbestrebungen auf entschiedenen Widerstand großer Teile der Altherrenschaften. In schlagenden Verbindungen wird die Aufnahme von Frauen dagegen ebensowenig thematisiert wie die von Homosexuellen, Kriegsdienstverweigerern oder Nichtdeutschen. Die Männerbundideologie gehört hier noch zum tradierten ideologischen Fundament, und ist für Aktive wie Alte Herren zentrale Weseneigenschaft des Verbindungswesens. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Verbindungswesen weiter entwickeln wird: Erfolgt eine um sich greifende Radikalisierung nach völkisch-nationalem und männerbündischem Prinzip oder können sich Verbindungen weiterhin gesellschaftlichen Modernisierungs- und Emanzipationsprozessen entziehen? Reformbewegungen gemäßigter Korporationen erscheinen wie eine konsequenterweise erfolgende Abspaltung von der völkisch-radikalen Fraktion nicht nur denkbar, sondern zeichnen sich in Ansätzen bereits ab. Unterstützt wird diese Tendenz durch eine den gemäßigten Verbänden oft nahegelegte Distanzierung des in den Reihen der schlagenden Verbindungen vielfach praktizierten rechtsextremen Engagements. Wie der Kern des männerbündischen Verbindungsnetzwerkes wirkungsvoll zu bekämpfen ist, steht auf einem anderen Blatt.

Empfehlenswerte Literatur zum Thema „Verbindungen – Männerbünde”: Helmut Blazek: Männerbünde. Berlin: Aufbau, 2001 Dietrich Heither: Verbündete Männer. Köln: PapyRossa, 2000