250 iranische Flüchtlinge besetzen Brüsseler Unis

Ein Fall mit Beispielcharakater, über den in der deutschen Presselandschaft nichts zu vernehmen war. Im Oktober besetzten 250 iranische Flüchtlinge die Brüsseler Unis, um der drohenden Abschiebung zu entgehen. 35 traten in Hungerstreik, einer nähte sich Berichten des belgischen Dachverbands FEF (www.fef.be) zufolge den Mund zu.

Der Hungerstreik ist mittlerweile abgebrochen, nachdem der belgische Innenminister zugesagt hatte, die Akten der Betroffenen erneut zu prüfen, womit die Abschiebungen vermutlich aber nur vorübergehend ausgesetzt sind. Im Folgenden nun einige Artikel aus der belgischen Zeitung Le Soir (www.lesoir.be) in deutscher Übersetzung, ein Statement des „Student Movement Coordination Committee for Democracy in Iran“ (SMCCDI, www.daneshjoo.org), eine Online-Petition sowie ein Feature und mehrere Berichte von Indymedia Belgium (belgium.indymedia.org)

Réfugies cherchent étudiants pour assemblée Artikel, veröffentlicht in Le Soir, en ligne, 8. Oktober 2003)

übersetzt von Annerose Gulbins

www.fef.be/page1201.html

20 Tage nach ihrer Ankunft in der ULB mobilisieren die iranischen Staatsangehörigen

Flüchtlinge suchen Studierende für Versammlung

Diesen Donnerstag werden die iranischen Flüchtlingsgruppen auf dem Campus Solbosch der Freien Universität Brüssel (ULB) die Studenten treffen, mit denen sie seit schon fast 20 Tagen zusammenleben. Während dieses Treffens werden die Flüchtlinge entscheiden, ob sie demonstrieren oder nicht.

Untergebracht in einer Notunterkunft im Saal Honoris Causa, möchten die Iraner daran erinnern, dass sie da sind. Der Slogan „Wir können nicht hierbleiben. Wir können nicht zurückkehren. Wo sollen wir also hin?“ ist auf den Fenstern zu lesen. Für die Versammlung am Donnerstag werden Flugblätter verteilt. Begleitet von Fotos einer Hinrichtung durch Erhängen, zeigt ein Fernseher Bilder eines Mannes mit vollständig verbrannten Armen.

All dies um zu zeigen, welcher Verbrechen sich das iranische Regime schuldig gemacht hat. Bis jetzt wurde die Anwesenheit der Flüchtlinge mit einer allgemeinen Gleichgültigkeit von den Studenten aufgenommen, die von Seminar zu Seminar eilen oder an den folkloristischen Aktivitäten teilnehmen, die traditionell um diese Jahreszeit den Campus beleben. Michael Schaub, ein Mitglied von BEA-Interfac, ein richtiges Unterstützungskommittee für die iranischen Flüchtlinge, erklärt: „Die Studenten brauchten eine Weile um sich an die Situation zu gewöhnen. Wir haben auch am Anfang die Information der Studierenden zu Gunsten der Logistik vernachlässigt, um Sicherheit und Hygiene zu gewährleisten.“

Hygiene ist nicht leicht bei dem Zusammengepferchtsein zu gewährleisten, und wöchentlich kommen mehr Iraner. Tagsüber seien es 184 politische Flüchtlinge nach Keyvan Azari, einem ihrer Sprecher. Fabrizio Bucella, Vizepräsident der ULB und mit der Sache betraut, schätzt die Iraner, die die Nächte im Saal Honoris Causa verbringen, auf maximal 80. Streit um Zahlen, der die kleinen Iraner natürlich nicht davon abhält, in den Gängen ….. zu spielen. Die Eltern, sie warten. Schicksalsergeben.

Wie es Kayvan Azari verkündet: „Wir bleiben hier bis wir eine Antwort der belgischen Regierung erhalten.“ Und hebt die Hand an die Kehle um durch eine Geste zu verdeutlichen, dass die Rückkehr in den Iran nicht gefahrlos für ablaufen würde.

Les Iraniens iront jusqu’au bout (Artikel in Le Soir, en ligne, vom 10. Oktober 2003)

Fabienne Defrance

übersetzt von Annerose Gulbins

www.fef.be/page1214.html

ULB: Aufruf zur Solidarität

Die Iraner bleiben bis zum Schluss

„Wir können weder in Belgien bleiben noch in den Iran zurückkehren. Wo also hin?“ Die 192 Iraner, die sich hier in der ULB seit 22 Tagen aufhalten, sind am Donnerstag Mittag alle zur Avenue Paul Héger gegangen um den Universitätsangehörigen – unterstützt von Fotos – die schwierigen Lebensbedingungen in ihrem Herkunftsland zu erklären. An ihrer Seite Studenten und Professorenm alle Mitglieder des Unterstützungskommittees, das sich um sie herum gebildet hat.

„Ihre Situation muss Anlass für umfassende Solidarität, nicht Gleichgültigkeit, sein“, appellierte Mateo Alalufm Mitglied des Kommittees. „Diese Menschen sind zur Illegalität gezwungen. Sie sind von den belgischen Behörden wissentlich in eine prekäre verwaltungstechnische Situation gebracht worden. Das ist richtiggehend kriminell und diese Politik dürfen wir nicht akzeptieren.“

Viele solcher Aufrufe wurden gestern gemacht, damit eine möglichst große Zahl Studierender und Universitätsangehöriger mobilisiert wird und hilft den Aufenthalt der Iraner zu erleichtern. „Denn bisher wurden die Appelle nur per Mundpropaganda verbreitet“, erklärt Michael Schaub vom Bureau des étudiants administrateurs-Interfac. „Das war sehr langsam. Zuerst wegen des Semesterbeginns, dann wegen *guindaille*, usw.

„Für jeden Iraner wird eine Akte angelegt“, versichert ein Rechtsanwalt. „Sie berichten darin von den Verfolgungen, die sie erlebt haben. Diese Akten werden an den Innenminister weitergeleitet. Wir hoffen dass ihm das die Augen öffnet und er ihr Recht auf Menschenwürde anerkennt.“

„Alle diese Menschen sind vor einem der autoritärsten Regime der Gegenwart geflohen“, erklärt Anwar Mirsattari, der Sprecher der Iraner. „Man findet heute in diesem islamistischen Regime weder politische Parteien, noch Gewerkschaften, weder Presse- noch Meinungsfreiheit. Statt dessen werden Steinigung, Hängen, Folter und Zensur ausgeübt. Kurz: Die Menschenrechte werden dort in eklatanter Weise verletzt.“

Zur Erinnerung: Am vergangenen 19. September verließen 17 der Iraner das „petit chateau“ und suchten verzweifelt Zuflucht in der ULB nachdem sie die Aufforderung erhalten hatten, das Gelände zu verlassen. „Sie haben sich zuerst in den Räumen von BEA-Interfac aufgehalten“, berichtet Kemal vom Unterstützungskommittee. „Als ihre Zahl anstieg wurden sie zwischen den zwei Mensagebäuden untergebracht. Bis dahin hatte die Univerwaltung eine Vogel-Srauß-Politik verfolgt. Danach – im Anschluss an Gespräche – entschied sie, die Iraner etwas angenehmer im Saal Honoris Causa unterzubringen.“

Die Iraner, die entweder bereits endgültig abgelehnt sind oder sich noch im Asylverfahren befinden, haben zwei essentielle Forderungen: „Dass Belgien die Verhandlungen mit dem Iran um die Wiedereinbürgerung von Iranern beendet und dass diese ein Recht auf vorläufigen Aufenthalt bis zu den nächsten iranischen Präsidentschaftswahlen im Mai 2005 bekommen“, erklärt der Sprecher der Iraner. „Wir sind bereit, unsere Aktion bis zum Ende zu bringen.“

Les Iraniens oubliés de l’ULB (Artikel in Le Soir vom 31.10.2003)

Fabienne Defrance

Übersetzung von Annerose Gulbins

Die vergessenen Iraner der ULB

Seit 6 Wochen halten sich 200 Iraner in Räumen der ULB auf. Sie fordern ein vorläufiges Aufenthaltsrecht. Die Behörden und die Politik schweigen.

Die Lage der 200 Iraner, die sich seit 6 Wochen in ULB befindenm verschlechtert sich von Tag zu Tag. 31, davon 2 Frauen, befinden sich im Hungerstreik, einige bereits seit 10 Tagen. Nach Auskünften des Roten Kreuzes gibt der Anlass sowohl der Streikenden als auch der Übrigen immer mehr Anlass zur Sorge.

Am 19. September verließen 17 Iraner das Petit Chateau und flüchteten in die ULB, nachdem sie die Aufforderung erhalten hatten, das Land zu verlassen. Sehr schnell schlossen sich ihnen Duzende Landsleute an, die meisten von ihnen selbst in Asylverfahren. Bis zu 250 Menschen bewohnten so tagsüber die Räume der ULB. Zwanzig von ihnen wurden dagegen vor einer Woche von UCL (?) aufgenommen.

Die Iraner haben zwei wesentliche Forderungen: „Dass Belgien die Verhandlungen mit dem Irak um die Wiedereinbürgerung der Iranern stoppt, und dass diese ein vorläufiges Aufenthaltsrecht in Belgien erhalten, bis zu den nächsten iranischen Präsidentschaftswahlen 2005“.

Die ULB unterstützt (offiziell) die Iraner. „Was uns am meisten schockiert, ist die Ausweglosigkeit (?) der Situation, in der sich die Iraner befinden“, erklärt Fabrizio Bucella, Vizepräsident der Verwaltung. „Einige haben die Aufforderung erhalten, das Land zu verlassen, was jedoch nicht ausgeführt werden kann, weil der Iran die Menschen nicht ins Land lässt, wenn sie nicht freiwillig zurückkehren. Das bedeutet, dass diese Menschen in die Illegalität getrieben werden.“

Am Donnerstag fand eine Diskussion an der ULB statt, zu der die Iraner, betroffene Organisationen und die Politik eingeladen kamen. Einige Studenten, die sich um die Iraner kümmern, berichteten von den schwierigen Lebensbedingungen einiger Iraner. „Es ist wahr, wir können nicht sicher sein, ob es wahr ist, was sie erzählen“, unterstreicht Andrea Réa von der ULB. „Doch was wichtig ist, sind die Überschneidungen ihrer Aussagen. Sie zeigen große Ähnlichkeit.“

„Nichts kann die Richtigkeit der Aussagen bestätigen“, gibt Sylvie Sarolea, Anwältin, zu. „Wenn man sich jedoch die Berichte von internationalen Organisation wie Amnesty International oder Human Rights Watch anschaut, versteht man schnell, dass die Situation im Iran sehr schwierig ist.“ Für die Anwältin hätten die Akten der Iraner schon seit langem richtig behandelt werden sollen. Wenn die Genfer Konvention angewendet würde, müssten die Iraner Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommen. Die Aussagen und die allgemeine Situation im Land reichten ihrer Meinung nach aus, um die Gefahr der Verfolgungen zur beweisen, denen die Menschen ausgesetzt wären, würden sie zurückkehren in ihr Land.

Die Art und Weise, in die Ausländerbehörde und das CGRA die Situation im Iran einschätzen, ruft heftige Kritik hervor. „Sie stützen sich auf interne Informationen, zu denen man keinen Zugang hat und die man daher nicht anfechten kann“, zeigt die Anwältin auf, „Über die Akten wird unter der Maßgabe entschieden, dass sich die Situation im Iran bessert. Wir wissen nicht, wo sie diese Informationen erhalten haben.“

„Sie sehen“, fügt Jean Cornil, Abgeordneter der Kommunistischen Partei hinzu, „wir haben sowohl die juristischen als auch die parlamentarischen Mittel um diesen Menschen eine vernünftige Regelung zu ermöglichen. Das einzige Problem ist der politische Wille, nichts anderes.“

Marie Nagy, Regionalabgeordnete der Grünen, befürchtet, „dass es einen erklärten und nicht ausgesprochenen Willen, die Zahl der Flüchtlinge in Belgien zu reduzieren.“

Die Behörden, und besonders Patrick Dewael, Innenminister, bleiben seltsam ruhig in dieser Angelegenheit. Selbst in Hinblick auf die ULB. „Seit dem 1. Oktober schreibe ich im Namen der Universität an den Innenminister um einen Gesprächstermin zu bekommen“, bezeugt Fabrizio Bucella. „Das ist doch keine unverschämte/unerfüllbare Bitte! Wir haben auch an den Premierminister und den Außenminister geschrieben. Wir haben keine Antwort bekommen, nicht einmal eine Empfangsbestätigung! Der Gesundheitszustand der Hungerstreikenden kann sich sehr schnell verschlechtern. Wir könnten sehr bald vor großen Gesundheitsproblemen stehen. Das Schweigen der politisch Verantwortlichen regt mich auf und ich hoffe nicht, dass wir einen Unfall abwarten müssen, damit die Situation dieser Personen endlich beachtet wird.“

(Zusammenfassung: Der belgische Innenminister Patrick Dewael erklärt seine Bereitschaft zu einem Vermittlungsgespräch und will einzelne Fälle überprüfen. Eine Lösung für alle betroffenen Flüchtlinge lehnt er ab, und betont, die am Hungerstreik beteiligten würden keinesfalls bevorzugt behandelt. Seine Entscheidung erfolgte auf die Aufforderung zweier linker Politikerinnen. Dennoch werden die Abschiebungen nicht generell gestoppt, im geschlossenen Abschiebezentrum von Vottem sei beispielsweise noch Platz für 40 Personen).

Le Soir en ligne d’aujourd’hui (17h44)… petite avancée. Egalement un bon reportage sur la RTBF (paraît-il…).

Dewael va entendre les Iraniens de l’ULB

Le ministre de l’Intérieur Patrick Dewael a indiqué jeudi à la Chambre pouvoir „marquer son accord sur une médiation“ pour répondre au problème soulevé par quelque 200 Iraniens hébergés depuis plusieurs semaines par l’Université Libre de Bruxelles (ULB). „Mais je ne puis“ m’engager dans une médiation si ces Iraniens „reçoivent des avantages que ne recevraient pas des gens qui n’auraient pas fait la grève de la faim“, a-t-il précisé.

Pour le reste, M. Dewael a confirmé qu’il ne pouvait interférer de manière politique dans une série de décisions juridictionnelles. Il s’est dit disposé à examiner certaines questions individuelles dans ce dossier mais a répété qu’il ne pouvait pas apporter une solution collective. Le ministre de l’Intérieur a également insisté pour dire qu’il n’était pas disposé à négocier „sous la pression de la grève de la faim“.

M. Dewael répondait à des interpellations de Karine Lalieux (PS) et Marie Nagy (Ecolo). L’échange de vues entre le ministre et les parlementaires s’est fait dans une certaine agitation. Cela, alors que l’ordre des travaux avait prévu dans un premier temps que M. Dewael se ferait représenter en ce qui concerne les réponses à apporter sur le dossier des Iraniens, le ministre de l’Intérieur étant par ailleurs apte à répondre à une série d’interpellations sur d’autres sujets. Finalement, les choses sont rentrées dans l’ordre.

D’autre part, dans le dossier de l’enfermement des personnes en séjour illégal, M. Dewael a indiqué jeudi à la Chambre que des opérations d’arrestations étaient actuellement en cours. Le ministre a confirmé que son intention était de placer les personnes sous le coup d’un mandat d’expulsion en centres fermés. A cet égard, il a notamment fait remarquer qu’une aile du centre de Vottem était encore libre d’occupation. Selon le ministre, quarante personnes en séjour illégal peuvent y être hébergées.

Das „Student Movement Coordination Committee for Democracy in Iran“ (SMCCDI) äußerte sich empört über Situation der Flüchtlinge und das Verhalten der belgischen Behörden: www.daneshjoo.org/article/publish/article_3088.shtml

Eine Online-Petition (Englisch) steht unter

www.petitiononline.com/IRSY/petition.html

Auf Indymedia Belgium (belgium.indymedia.org) wurde ausführlich über die Besetzung berichtet: