Am 21.06. verhandelt der Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg über einen Antrag, Altbundeskanzler Dr. h.c. mult. Helmut Schmidt die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Prof. Dr. Frank Deppe lehnt das Vorhaben ab. Seine Begründung(en):
PHILIPPS – UNIVERSITÄT MARBURG Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie Institut für Politikwissenschaft Prof. Dr. Frank Deppe An die Mitglieder des Promotionsausschusses und des Fachbereichsrates des FB 03
Betr.: Antrag Janich auf Verleihung der Würde eines Doktors der Philosophie ehrenhalber durch den Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg an Herrn Altbundeskanzler Dr. h.c. mult. Helmut Schmidt; Antrag auf Ablehnung des Antrages.
In einem Schreiben vom 14. 4. an den Herrn Dekan habe ich erste Gründe für die Ablehnung des Antrages genannt:
1. Nicht das Fach Philosophie, sondern der Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie verleiht die Ehrendoktorwürde.
2. Für die Verleihung sollen ausschließlich wissenschaftliche Gründe maßgebend sein.
3. Die Verleihung soll vom Konsens getragen werden und nicht zur Polarisierung und zur Polemik beitragen.
Herr Janich betont das „Fächerprinzip“. Dieses gilt wohl für die Initiative und für das Profil der zu ehrenden Persönlichkeit. Dennoch entscheiden der Promotionsausschuss des gesamten Fachbereichs und der Fachbereichsrat über die Vergabe der Ehrenpromotion. Zum Fachbereich gehören – nach der Größe – das Institut für Politikwissenschaft sowie die Institute für Soziologie, Europäische Ethnologie, Philosophie, Völkerkunde / Religionswissenschaft sowie die Friedens- und Konfliktforschung. Den Initiatoren des Projektes musste natürlich bewusst sein, dass es um dieses Projekt und die Person eine kontroverse Diskussion geben wird. Dafür spricht auch das ungewöhnliche Verfahren, bereits im Dezember 2005 im Promotionsausschuss das Verfahren einzuleiten und gleichzeitig Vertraulichkeit zu vereinbaren, also den Vorgang geheim zu halten . Auf diese Weise wurde ich erst durch den Fachbereichsbeschluss vom 25. Januar 2006 über die Initiative informiert und konnte mich danach bemühen, Mitglied des Promotionsausschusses zu werden. Dass an den Beschlüssen des Ausschusses wie des FBR Kollegen aus der Politikwissenschaften beteiligt waren, die es nicht für nötig befanden, das Direktorium des Institutes zu informieren, ist ein weiterer – mir unverständlicher – Tatbestand, der die „Ungewöhnlichkeit“ des Verfahrens nur unterstreicht.
Ich komme nunmehr zu den inhaltlichen Gründen der Ablehnung. Helmut Schmidt ist ein bedeutender sozialdemokratischer Politiker der Geschichte der Bundesrepublik Er war früh Vorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), Bundestagsabgeordneter, Innensenator in Hamburg, Fraktionsvorsitzender, Verteidigungsminister, Bundesfinanzminister und schließlich ab 1974 Bundeskanzler, der Willy Brandt nachfolgte. Als Mitherausgeber und Kommentator der „Zeit“ spielt er seit den 80er Jahren in der politischen Öffentlichkeit des Landes eine wichtige Rolle, die ihm wohl auch niemand streitig machen möchte. Bis zum Jahre 2000 war ihm bereits 25 mal der Titel eines Ehrendoktors verliehen. Die Hochschule der Bundeswehr in Hamburg trägt seinen Namen. Man kann dem Herrn Altbundeskanzler zu diesen – durchaus angemessenen Ehrungen – nur gratulieren. Er ist Träger von zahlreichen hochkarätigen Preisen und Auszeichnungen. Die Marburger Initiative ist also wenig originell und sie kommt sehr spät.
Da jede Institution, die einen Preis verleiht, sich mit dem Preisträger auch selbst ehren möchte, bleibt zu fragen, welche besonderen Gründe es nahe legen, der Initiative zuzustimmen oder sie abzulehnen. Ich werde im folgenden zu begründen suchen, warum 1. die von Herrn Janich und auch von einem Gutachter behaupteten Verdienste von Helmut Schmidt um die Philosophie nicht ausreichen, um – wie es in der Promotionsordnung heißt – seine „hervorragenden und eigenständigen geistig-schöpferischen Leistungen“ in der Philosophie durch eine Ehrenpromotion zu würdigen. Ich werde 2. zeigen, dass die Leistungen von Herrn Helmut Schmidt auf dem Gebiet der Politik und der Kommentierung von Politik zweifellos beachtlich sind, dass diese jedoch stets von einer großen Gruppe von Wissenschaftlern und Studierenden des Fachbereichs abgelehnt und kritisiert wurden. Würde der Fachbereich daher Herrn Schmidt die Ehrendoktorwürde verleihen, so käme dies einer öffentlichen Distanzierung von einem relevanten – lange Zeit prägenden – Bestandteil seiner eigenen Geschichte und Gegenwart gleich.
Das Gutachten des Kollegen Bracher geht auf Verdienste von Helmut Schmidt um die Philosophie überhaupt nicht ein. Er rühmt ihn ausschließlich als „Staatsmann“, der vor allem im „stürmischen Jahr 1968“ – gegen „außerparlamentarische Opposition und beginnenden Terrorismus“ – sowie bei der Durchsetzung der Nachrüstung Anfang der 80er Jahre auch gegen die eigene Partei „hohen Sachverstand“ und Mut bewiesen habe. Das Gutachten von Herrn Habermas – ein Brief an Herrn Janich, der extrem kurz gehalten ist – spricht von „intellektueller Brillanz“, einem „scharfsinnigen Analytiker der Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung“ und von seinem „ökonomischen Sachverstand“. Habermas spricht von „normativen Hintergrundüberzeugungen“, die allerdings nicht erläutert werden, und schlussfolgert: „in dem Pragmatiker verbirgt sich zugleich etwas von einem Philosophen“. Ich vermag aus dieser Bemerkung nicht den Schluss zu ziehen, dass Habermas Herrn Schmidt „hervorragende und eigenständige geistig-schöpferische Leistungen“ auf dem Gebiet der Philosophie attestieren möchte, wie es die Promotionsordnung vorsieht. Das würde – nach meiner Überzeugung – angesichts der Angriffe von Schmidt auf die „kritische Theorie“ und insbesondere die Theorien von Jürgen Habermas bis in die 70er Jahre auch überhaupt keinen Sinn geben.
Da in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder betont wird, dass Helmut Schmidt ein hervorragender Ökonom („Weltökonom“) sei, möchte ich meinen Freund und Kollegen Prof. Dr. Klaus-Peter Kisker (Nationalökonom aus Berlin und für Jahrzehnte Mitglied der Partei von Helmut Schmidt) zitieren, der auf meine Frage, ob Helmut Schmidt ein „großer Ökonom“ sei, folgendes geantwortet hat: „Zu Helmut Schmidt als „großem Ökonomen“ etwas zu sagen, fällt mir schwer. Ich weiß nicht, wie er zu diesem Ruf gekommen ist. Weder in seiner politisch aktiven Zeit noch anschließend in der „Zeit“ hat er irgendwelche relevanten theoretisch fundierten Aussagen zu wirtschaftspolitischen Themen gemacht. Ich weiß, dass er in Hamburg u.a. bei Karl Schiller Volkswirtschaftslehre studiert hat. Wie Schiller hat er lange einen Bastard-Keynsianismus vertreten, das heißt, Keynes als Steinbruch genutzt, die ihm passenden Stücke herausgebrochen, die schweren Brocken aber links liegen gelassen. In der alten Bundesrepublik hat er kurz vor seiner Abwahl mit dem Haushaltskonsolidierungsgesetz die neoliberale Wende eingeleitet, die dann durch Kohl nur weiter geführt wurde. Heute offenbart er sich als Neoliberaler. In der ARD bei Beckmann (13.12.04) behauptete er, dass die Deutschen die meisten Feiertage hätten und die wenigsten Arbeitsstunden in der ganzen Welt leisteten. Sein Fazit, das muss sich ändern. In der „Zeit“ vom 22.05.03 greift er scharf die deutschen Gewerkschaftsführer und Lafontaine an, die sich von Marxisten zu Pseudokeynsianern gewandelt hätten und die verhindern, dass in Deutschland die notwendigen Anpassungen vorgenommen werden können. Mehr kann ich zu diesem theoretischen Vakuum auf die Schnelle nicht sagen“. Man sieht also, dass auch auf diesem Gebiet sehr kontroverse Auffassungen über die Leistungen von Helmut Schmidt bestehen. Ich komme auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik seiner Regierung noch zurück. Das Gutachten von Herrn Nida-Ruemlin geht nun explizit auf philosophische Bezüge ein und bezeichnet Helmut Schmidt als einen „Spitzenpolitiker“, der – wie nur Wenige – sein „Handeln auch von philosophischen Prinzipien“ hat leiten lassen. Dabei werden Kant und Popper genannt. Leider gibt Herr Nida-Ruemelin keine Quellen an – wahrscheinlich denkt er an die Rede des Bundeskanzlers Helmut Schmidt zum 250. Geburtstag von Immanuel Kant im März 1981 . Schmidt bekennt sich darin – ohne genauer auf Kant einzugehen – zu der folgenden Maxime: „Der Politiker trägt nicht nur Verantwortung für seine guten Vorsätze oder seine gute Gesinnung (hier kommt schon Max Weber mit seiner Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik ins Spiel, F.D.), sondern vor allem trägt er Verantwortung für die Folgen seines Handelns oder Unterlassens. Das habe ich übrigens schon bei Marc Aurel gelernt, als ich 19 Jahre alt war“ . Der Impuls der Aufklärung im Denken von Kant, der die Grundlage allen kritischen Denkens der Moderne bildet, tritt hier deutlich zurück. Innerhalb der SPD gab es gerade in dieser Zeit scharfe Kritik daran, dass Schmidt Begriffe wie Pflicht und Verantwortung gegenüber den kritischen Impulsen des Aufklärungsdenkens in den Vordergrund stellt, die schließlich in der Tradition der sozialdemokratischen Partei, ihren Kämpfen gegen den preußischen Obrigkeitsstaat und gegen den Faschismus eine zentrale Rolle gespielt haben. Gleichwohl sieht Herr Kollege Nida-Ruemlin den Zusammenhang von „Ethik und Politik“ (im Kantischen Sinne) bei Schmidt besonders auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik, aber auch der Sicherheitspolitik – und speziell bei seinem Engagement für die „Nachrüstung“ – bestätigt. Nida-Ruemlin sieht hier sogar Wirkungen eines „ethischen Sozialismus“, der der „pragmatischen Sozialdemokratie“ der kleinen Leute stets besonders nahe gewesen sei und der natürlich immer „antimarxistisch“ ausgerichtet war. Der Fachphilosoph hätte an dieser Stelle den „Neukantianismus“ und die berühmte „Marburger Schule“ (Cohen, Natorp u.a.) oder auch den frühen Austromarxismus (Adler) erwähnen können, der den Sozialismus eher als ethisch begründete Handlungskonzeption, denn als Vollzug objektiver Geschichtsgesetze (im Sinne von Kautskys Auslegung des Historischen Materialismus) interpretierte. Solche Tiefen würden freilich dem Gegenstand nicht gerecht. Dass ausgerechnet die Haltung von Helmut Schmidt in der sog. „Nachrüstungsdebatte“ als Beweis für die ethischen (auch religiösen) Bindungen seiner Politik gelten soll, vermag nicht zu überzeugen; denn innerhalb wie außerhalb der SPD waren es prominente Christen (Erhard Eppler, Heinrich Albertz, Dorothee Sölle u.a.), die die Forderungen der Friedensbewegung am Anfang der 80er Jahre auch in der SPD unterstützten. Die Logik der Abschreckung und des „atomaren Gleichgewichtes“, die Helmut Schmidt vertrat, wurde von den Christen in der Friedensbewegung scharf kritisiert. Die Fronten sind auch heute noch verhärtet. In einer 2006 erschienen Biographie über Helmut Schmidt bemerkt der Autor Michael Schwellien: „Für diejenigen, die damals zu Hunderttausenden gegen den von ihm eingefädelten NATO-Doppelbeschluss auf die Strasse gingen, hat Schmidt noch heute – und heute erst recht – nicht viel mehr als Häme übrig“. Noch weniger taugt – wie Herr Kollege Nida-Ruemelin behauptet – die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Bundeskanzlers Schmidt als Beweis für die einzigartige Verbindung von „Politik und Ethik“ sowie von „Politik und Wissenschaft“. Die Zahl der Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland verdoppelte sich unter der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt von unter 1 Millionen (1974) auf über 2 Millionen (1982). In den Jahren 1981 und 1982 hatten die DGB-Gewerkschaften zu Massendemonstrationen gegen „die Politik des Sozialabbaus“ unter der Regierung Schmidt/Genscher aufgerufen. Prof. Dr. Werner Abelshauser, Autor des Buches „Wirtschaftsgeschichte der BRD“ bestätigte im Interview der vdi-Nachrichten (24. September 2004) die Auffassung von Wirtschafts- und Sozialpolitikern, dass unter Helmut Schmidt die Wende zur neoliberalen, angebotsorientierten Politik, die dann die Regierungen Kohl fortsetzten wurde, eingeleitet wurde. „Vdi: „In ihrem neuen Buch berichten Sie, Helmut Schmidt und seine beiden letzten Finanzminister Hans Matthöfer und Manfred Lahnstein hätten Anfang der 80er Jahre Positionen vertreten, die sehr an das erinnern, was heute unter „Hartz“ firmiert. Wie weit gehen die Parallelen?
Abelshauser: Die Regierung Schmidt hatte spätestens 1979 verstanden, dass es unter Globalisierungsbedingungen nicht mehr möglich war, Arbeitslosigkeit national, also mit schuldenfinanzierter staatlicher Arbeitsbeschaffung zu bekämpfen. Sie hat deshalb ein neues Konzept von Reformen entwickelt, das der heutigen Agenda 2010 gleicht wie ein Ei dem anderen. Sie riet zum Beispiel den Gewerkschaften, mittelfristig real stagnierende Lohnabschlüsse hinzunehmen und wollte dafür im Gegenzug Arbeitnehmer an den wirtschaftlichen Erträgen der Unternehmen beteiligen. Vor allem aber beabsichtigte sie, Korrekturen an den sozialen Sicherungssystemen vorzunehmen, die sie für unbedingt notwendig hielt, um den Anstieg der Lohnnebenkosten wirkungsvoll einzudämmen“.
Man mag diese „Wende“ für einen Ausweis politischer Klugheit und wirtschaftspolitischer Kompetenz halten – sie rief aber auch den Protest der Gewerkschaften sowie die Kritik von Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern hervor, die schon Ende der 70er /Anfang der 80er Jahre im jährlichen „Memorandum alternative Wirtschaftspolitik“ vor den negativen Folgen dieser Politik (für Wachstum, Beschäftigung und Sozialstaat) warnten. Auch hier eröffnet sich also ein Feld höchst kontroverser Debatten.
Neben Kant nennt Herr Nida-Ruemlin das Werk von Sir Charles R. Popper – vor allem „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ – als die zweite große Quelle der philosophischen Inspiration von Helmut Schmidt. Der „Fallibilismus“ als Methode, die nüchterne Haltung gegenüber Visionen und Utopien sowie die Frontstellung gegen den Marxismus, der die „offene, westliche Gesellschaft bedroht“ haben Helmut Schmidt besonders geprägt. Im sog. „Positivismusstreit in der deutschen Soziologie“ hatte Helmut Schmidt also eindeutig Position bezogen, die er auch in einem Vorwort zu dem zweibändigen Werk „Kritischer Rationalismus und Sozialdemokratie“ (Georg Lührs u.a.. Berlin / Bonn Bad Godesberg 1975) bekräftigte. Dabei diente ihm der Bezug zu Popper und zum kritischen Rationalismus stets als Waffe in der Auseinandersetzung mit den linken, marxistischen Strömungen in der eigenen Partei – vor allem bei den Jungsozialisten der 70er Jahre. Das entsprach durchaus den Intentionen von Popper, der – wie gerade Jürgen Nordmann in einer von mir betreuten Dissertation gezeigt hat – auf das engste politisch und theoretisch mit Friedrich August von Hayek („Road to Serfdom“, 1944), – einem der „Bannerträger“ des radikalen Neoliberalismus und des methodologischen Individualismus – verbunden war . Dass der kritische Rationalismus bei Popper im Alter immer mehr in die offene Apologie der bestehenden Gesellschafts- und Herrschaftsordnung umschlug (wie T. W. Adorno und Jürgen Habermas schon im „Positivismusstreit“ hervorgehoben hatten), schien Helmut Schmidt, als er ihn 1993 besuchte , nicht zu stören. In Interviews und Vorträgen seit den 70er Jahren polemisierte Popper immer aggressiver gegen die linke Studenten- und Jugendbewegung sowie gegen die Renaissance eines akademischen Marxismus in dieser Zeit.
In einem Vortrag im Jahre 1989 (St. Gallen) stellte Karl Popper fest: „Wir im Westen leben im Himmel, natürlich im ersten Himmel und noch nicht im siebten Himmel. Unser Himmel ist sehr verbesserungsfähig. Wir dürfen unsere Welt nicht länger beschimpfen und schlecht machen. Sie ist bei weitem die beste, die es je auf Erden, und besonders in Europa, gegeben hat“
Im Interview mit dem „SPIEGEL“ (April 1992):
„Der kommunistische Wahnsinn besteht im wesentlichen darin, und das findet sich schon bei Marx, dass die sogenannte kapitalistische Welt als teuflisch angesehen wird. Das, was Marx Kapitalismus genannt hat, hat es nie auf der Welt gegeben, auch nie etwas Ähnliches!“
„Unsere liberale Gesellschaftsordnung ist die beste und gerechteste, die es bisher auf Erden gab“
„Unser erstes Ziel muss heute (1992) der Friede sein. Der ist sehr schwer zu erreichen in einer Welt wie der unseren, wo Leute wie Saddam Hussein und ähnliche Diktatoren existieren. Wir dürfen nicht davor zurückschrecken, für den Frieden Krieg zu führen…
Spiegel: Die Amerikaner sollten als erneut gegen Saddam vorgehen, wenn es Anzeichen gibt, dass er sich die Bombe verschafft?
Popper: Nicht nur gegen Saddam. Es muss eine Art Einsatztruppe der zivilisierten Welt für solche Fälle geben. Im überholten Sinne pazifistisch vorzugehen wäre Unsinn. Wir müssen für den Frieden Kriege führen. Und selbstverständlich in der am wenigsten grausamen Form …
Spiegel: Da reden Sie beinahe schon wie die Strategen des Pentagon…. Nach Ihrer Überzeugung leben wir in der besten und gerechtesten Gesellschaft, die es je gab…. Aber sie werden doch kaum bestreiten können, dass es in weiten Teilen der Dritten Welt Massenelend gibt?
Popper: Nein. Aber das ist hauptsächlich auf politische Dummheit der Führer in den verschiedenen Hunger-Staaten zurückzuführen. Wir haben diese Staaten zu schnell und zu primitiv befreit. Es sind noch keine Rechtsstaaten. Dasselbe würde geschehen, wenn man einen Kindergarten sich selbst überließe“ ).
Für Helmut Schmidt war weniger die philosophisch-theoretische Auseinandersetzung als vielmehr der Machtkampf innerhalb der eigenen Partei, in der er bis in die 70er Jahre zum prominentesten Vertreter ihres rechten Flügels (auch Gegenpol zu Willy Brandt) aufgestiegen war, von Bedeutung. Dafür spricht auch seine Nähe zum sog. „Seeheimer Kreis“, über den gerade – mit Vorwort von Helmut Schmidt – eine ausführliche Analyse vorgelegt wurde . Die „Seeheimer“ – gelegentlich auch mit den sog. „Kanalarbeitern“ in der SPD gleichgesetzt – hatten sich gegen den linken Flügel, Jungsozialisten und Marxisten zusammengeschlossen. Ihre Gegner waren die Linken, die Alternativ- und die Friedensbewegung und die „Grünen“ in ihrer Gründungsphase. Wie auch in anderen sozialdemokratischen Parteien mit proletarischen Wurzeln blühte hier in den 70er Jahren ein dezidierter Antiintellektualismus, der z.B. durch Gewerkschaftsführer wie den Vorsitzenden der IG Chemie, Papier, Keramik Herrmann Rappe personifiziert wurde. Dieser hat durch „Säuberungen“ (gegen die Linke) in seiner Gewerkschaft „zielstrebig und zeitweilig mit harter Hand“ daran gearbeitet hatte, „um die IG Chemie auf den Kurs der Sozialpartnerschaft einzuschwören“ . In einer Besprechung der Arbeit über den Seeheimer Kreis in der FAZ heißt es u.a.: „Die Jahre zwischen 1974 und 1982 waren die einflussreichste Zeit der Seeheimer, weil Bundeskanzler Schmidt manchen in seine Ministerriege aufgenommen hatte. Die Seeheimer fungierten als innerparteilicher Anwalt des Regierungschefs, die ihm im Kampf gegen die Gegner des Nato-Doppelbeschlusses und der friedlichen Nutzung der Kernenergie den Rücken stärkten“ .
Ich bin mir bewusst, dass es viele Menschen innerhalb und außerhalb der SPD gab und gibt, die dieser Politik von Helmut Schmidt Anerkennung zollen. Mir geht es um die Feststellung, dass Helmut Schmidt Politik stets als kontroversen (ja auch polemischen) Diskurs verstanden hat, dass seine gelegentlichen Bezüge zur Philosophie vor allem der Auseinandersetzung mit linken – und insbesondere mit marxistischen – Positionen in der eigenen Partei dienten. Dabei setzt er sich unvermeidlich auch der Kritik jener aus, die mit seinen Positionen nicht übereinstimmten. Im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg (sowie den Vorgängerinstituten in der alten Philosophischen Fakultät) gab es besonders viele Kollegen, die sich mit den politischen Positionen von Helmut Schmidt und ihren theoretisch-philosophischen Begründungen äußerst kritisch auseinandergesetzt haben. Die Entscheidung über die Vergabe einer Ehrenpromotion provoziert daher Konflikte.
Zum Schluss sollen noch zwei Konfliktfelder angesprochen werden, die in der neueren Zeit – also durch die journalistische Tätigkeit von Helmut Schmidt in der Wochenzeitung „Die Zeit“ – zu heftigen Polemiken geführt haben:
- Immer wieder hat Helmut Schmidt die Gewerkschaften in Deutschland dafür kritisiert, dass sie den Flächentarifvertrag – als eine der Grundlagen für die Existenzbedingungen der Gewerkschaften in Deutschland – verteidigen, während die Unternehmer und ihre Verbände sowie die am Neoliberalismus orientierten Wirtschaftswissenschaftler schon seit langem die Erosion des Flächentarifvertrages- verbunden mit dem Bekenntnis zu flexiblen, betriebsbezogenen Lösungen – fordern und betreiben. In der Zeit vom 6. 9. 2001 schrieb Schmidt: „Ist der Flächentarifvertrag am Ende? Leider nein. Aber es wäre zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit wünschenswert, wenn der flächendeckende Lohntarif an sein Ende gebracht würde. Was eine Geschäftsleitung und ein geheim gewählter Betriebsrat miteinander verabreden können und wollen, das nützt beiden gleichermaßen …“.
Während der Tarifrunde im öffentlichen Dienst Ende 2002 / Anfang 2003 wurde von den Arbeitgebern und der Presse eine Kampagne gegen die Gewerkschaft ver.di, gegen die Tarifforderungen und vor allem gegen die Androhung eines Streiks entfacht. Ihren Höhepunkt erreichte diese Kampagne mit einem Artikel von Helmut Schmidt, der am Tag vor dem Abschluss unter der provokanten Schlagzeile „Wider die Erpressung“ auf der Titelseite der Zeit erschien. Für die Streikdrohung der Gewerkschaft gebe es keine Rechtfertigung, erklärte der frühere sozialdemokratische Bundeskanzler, sie richte sich gegen das Gemeinwohl. Die Staatskassen seien leer. „In dieser Lage helfen nur politische Tatkraft – und Tapferkeit“, verkündete der Ex-Kanzler. „Wenn der Streik tatsächlich kommen, wenn er wirklich ‚drei bis vier Wochen’ dauern sollte, wie ein hoher Ver-di-Funktionär angekündigt hat, so gäbe es jedenfalls den Regierenden in Bund und Ländern die Chance, ihre Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Dann nämlich muss Schluss gemacht werden, mit der ganz Deutschland überdeckenden Tarifgemeinschaft und folglich auch mit den flächendeckenden ‚allgemeinverbindlichen’ Tarifen“. Schmidt begrüßte Berlins Austritt aus dem Arbeitgeberverband, denn dieses System trage nur „dazu bei, verbandliche und bürokratische Macht zu zementieren – sowohl die Macht der Arbeitgeberverbände als auch die der Gewerkschaften“ .
Mitglieder der Gewerkschaft ver.di und anderer Gewerkschaften, Personal- und Betriebsräte, die um die Bedeutung des Flächentarifvertrages – gerade im öffentlichen Dienst, wo in diesem Jahr eine harte Auseinandersetzung um Fragen von Arbeitszeit und Lohn geführt wurde (und z.T. noch wird), – wissen, werden über solche Auffassungen des Altbundeskanzlers empört sein. Sie würden die Verleihung einer Ehrendoktorwürde durch einen Fachbereich, dem – natürlich nur in bestimmten Segmenten – eine besondere Nähe zu den Gewerkschaften nachgesagt wird, kaum verstehen.
- Helmut Schmidt ist einer der Wortführer eines neonationalistischen Diskurses, der immer wieder Widerspruch und Kritik provoziert. Er war 1994 an der Gründung einer „Deutschen Nationalstiftung“ beteiligt, deren Ziele auch in seinem Buch „Handeln für Deutschland“ dargelegt werden. Die Bereitschaft zum Verzicht auf einen, Mut und Tatkraft auf der anderen Seite sind die zentralen Botschaften, die mit Polemik gegen „antiautoritäre Erziehung“, mit Hinweisen auf die Kriminalitätsrate von „Asylbewerbern“ und mit der Forderung nach einem „Einwanderungsgesetz“ verbunden werden. Dieser Diskurs ist eindeutig nach rechts offen. Es gibt daher – auch in der neueren Zeit – zahlreiche Äußerungen von Helmut Schmidt gegen Einwanderung . In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt am 24. 11. 2004 erklärte Helmut Schmidt, es sei „ein Fehler“ gewesen, Menschen „aus fremden Kulturen ins Land zu holen“. Auch Äußerungen von Helmut Schmidt über den Zweiten Weltkrieg und die Rolle der Wehrmacht sind nicht von den Erkenntnissen der historischen Forschung über die Verbrechen der Wehrmacht – vor allem in Osteuropa – geprägt, sondern bedienen eher einen konservativen Verschleierungsdiskurs über die deutsche Geschichte.
Ich fasse zusammen:
1. Weder die auswärtigen Gutachter noch die Laudatio von Herrn Kollegen Janich vermögen überzeugend darzulegen, dass der Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Herrn Helmut Schmidt den Grad eines Doktors ehrenhalber (Dr. phil. h.c.) „aufgrund von hervorragenden und eigenständigen geistig-schöpferischen Leistungen“ im Fachgebiet der Philosophie verleihen sollen.
2. Die Leistungen von Herrn Schmidt als einem bedeutenden Repräsentanten der nationalen wie der internationalen Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind unbestritten. Ob jedoch seine Politik besonders erfolgreich war, ob sie zustimmungsfähig war, ob deren – auch auf die Philosophie bezug nehmenden – Hintergrundannahmen überzeugend waren und sind – all das ist höchst umstritten. Vor allem Anhänger der kritischen Theorie, der Gesellschafts- und Politikanalyse in der Tradition des linken Flügels der Aufklärung, des Linksheglianismus, der Marx’schen Theorie und der Geschichte der sozialen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts – hatten immer Grund, sich in einer Position der Opposition gegen die von Helmut Schmidt vertretene politische Linie und deren – oft nur schwer erkennbare – philosophische Hintergrundannahmen – zu definieren.
3. Im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität (und in den Vorgängerinstituten der alten Philosophischen Fakultät) gab es – im bundesdeutschen Vergleich – seit den 60er Jahren überdurchschnittlich viele Professoren, Mitarbeiter, Studierende, die sich mit wissenschaftlichen und politischen Positionen identifizierten, die von Helmut Schmidt heftig kritisiert wurden und die ihrerseits an Aktivitäten beteiligt waren, die sich u.a. auch gegen die Politik von Helmut Schmidt richteten. Das Institut für Politikwissenschaft hat gerade Wolfgang Abendroth aus Anlass seines 100. Geburtstages geehrt – er war gleichsam (innerhalb und außerhalb der SPD) Antipode zu Helmut Schmidt. Darüber hinaus haben Professoren wie Heinz Maus, Werner Hofmann, Karl-Hermann Tjaden, Dieter Boris, Renate Rausch, Rainer Rilling, Hans Heinz Holz, Burkhard Tuschling, Reinhard Kühnl, Peter Römer, Hans Karl Rupp, Georg Fülberth und Frank Deppe an diesem Fachbereich – auf unterschiedliche Weise – Positionen vertreten, die mit dem „kritischen Rationalismus“ von Popper und der sozialdemokratischen Politik von Helmut Schmidt wenig gemein hatten.
4. Daraus ergibt sich, dass a) das Prinzip des Konsensus, das bei der Verleihung von Ehrendoktorwürden durch den Fachbereich gelten sollte, außer Kraft gesetzt ist – und dass b) eine Mehrheitsentscheidung eine öffentliche Kontroverse auslösen muss.
Ich ersuche den Ausschuss (und den Fachbereichsrat), dem Antrag Janich nicht zuzustimmen.
(Prof. Dr. Frank D e p p e)