Positionspaper zur Notengebung

1. Noten haben keine konstruktive Rückmeldefunktion

Nachdem die Fehler der Lernenden sachlich von der Lehrkraft analysiert wurden, ist die logische Schlussfolgerung: „Wer macht welche Fehler und wie kann ich ihm helfen?“ Doch anstatt den Lernfortschritt in dieser Weise zu unterstützen, werden Fehler quantifiziert und die Fehlerhäufigkeit wird in eine Note übersetzt. Dadurch findet eine Problemverlagerung statt: „Wie viele Fehler macht er/ sie?“ Das Individuum wird nicht als solches wahrgenommen. Noten dienen lediglich zur Aufstellung subjektiver Ranglisten von Lehrenden. Dies ist Ausdruck einer Gleichgültigkeit den Lernenden und dem Lernprozess gegenüber.

2. Noten sind ein ungeeignetes Messinstrument

Die Notengebung gibt vor, Leistungsaussagen zu machen. Die Prüfungsformen aber, die zur Notenvergabe führen, sind nicht valide. Es kann gezeigt werden, dass außer der Leistung im Prozeß der Notengebung viele Störfaktoren erheblichen Einfluß haben. Das führt in der Regel dazu, daß Noten keine individuelle Rückmeldung zum Lernfortschritt geben, sondern zu einem großen Teil auch Spiegel der Herkunft sind.

3. Noten sind ein Mittel der sozialen Auslese

Mit Hilfe der Noten führt die Schule eine gesellschaftliche Selektionsfunktion aus, die Menschen in Sieger und Verlierer kategorisiert. Die Schulkarriere ist eine Vorentscheidung der Lebenskarriere. Schule übt eine Zulieferfunktion für Berufshierarchie aus und führt zu einer Schichtenreproduktion. Chancengleichheit besteht vermeintlich, dabei wird jedoch ausgeblendet, dass SchülerInnen mit unterschiedlichen Voraussetzungen an diesem Schulsystem teilnehmen.

4. Noten haben eine kurze „Zerfallszeit“

Der Lernstoff wird unter das Maß der Zeit gebeugt, also gibt es ein vorgegebenes Zeitpensum zum „Erlernen“ des Stoffes als personenunabhängige äußere Schranke des Lernens. Notengebung ist nur ein momentaner Ausdruck des Lernstandes und wird nicht dem Lernprozess des/ der Lernenden gerecht. Daraus folgt, dass Notengebung irreversibel ist.

5. Noten erschweren, dass SchülerInnen aus Interesse an der Sache lernen

SchülerInnen lernen für Noten, da diese für das zukünftige Leben einen wichtigen Tauschwert haben. Das führt zu der Absurdität, dass der Lerngegenstand für die SchülerInnen beliebig wird. Es wird kurzfristig gelernt, damit Wissen für Tests abrufbar ist, anstatt nachhaltig zu lernen.

6. Noten haben Auswirkungen auf die Persönlichkeit der Lernenden

Schlechte Zensuren stigmatisieren den/die einzelne/n und werden häufig auf individuelles Versagen zurückgeführt. Dies stört die Entwicklung der Persönlichkeit und kann negative Auswirkungen auf diese haben: Hemmungen, Angsterfahrungen, psychische Störungen, Gewalttätigkeit bis hin zum Suizid. Wenn Wissen mit Gefühl der Angst verknüpft und gespeichert wird, führt das aus kognitionspsychologischer Sicht nachweislich zu einer Verhinderung nachhaltigen Lernens.

7. Noten haben Auswirkungen auf die Lehrperson

Durch das erzwungene Machtinstrument der Note wird die Beziehung zwischen Lehrpersonen und SchülerInnen von vornherein gestört, die Beratungs-, Erziehungs- und Betreuungsfunktion steht hierzu im Widerspruch.

8. Noten sind ein Repressionsmittel

Noten dienen nicht nur der Disziplinierung von SchülerInnen sondern auch von Lehrpersonen. Denn Lehrpersonen stehen über die Praxis ihrer Notenvergabe in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, gerade wenn die Kultusministerien die Notenvergabe auswerten und bewerten.

Da Lernen ein konstruktiver Prozess ist, der individuell und personengebunden abläuft, sollte dieses Rückmeldesystem individualisiert und nicht quantitativ sondern qualitativ sein.

Deshalb fordern wir:

  • die Notengebung in der Schule abzuschaffen
  • keine vergleichbaren Selektionsinstrumente einzuführen
  • in der Schule konstruktive Rückmeldungen zu geben, um die Lernenden zu fördern (z.B. Portfolio, Selbstreflektion, schriftliche Rückmeldung).

Beschluss der 32. Mitgliederversammlung des fzs im Juli 2007.