Newsletter Frauen- und Geschlechterpolitik Februar 2008

1. Aktionstage gegen Sexismus und Homophobie an Hochschulen

Vom 21.-25. April 2008 finden zum zweiten Mal bundesweit die Aktionstage „Kein Sexismus an Hochschulen!“ des freien zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) statt. In dieser Woche soll es an verschiedenen Hochschulen Veranstaltungen und Aktionen gegen Sexismus und Homophobie geben. Dabei setzen wir auf das altbewährte Konzept: Die Studierendenschaften, Referate, Initiativen vor Ort organisieren das Programm, der fzs liefert Materialien und koordiniert die Veranstaltungen bundesweit. Wir möchten euch herzlich einladen, euch mit euren eigenen Veranstaltungen und Aktionen zu beteiligen.

Themen der Aktionstage:

100 Jahre Frauenstudium

Im kommenden Jahr dürfen wir ein Jubiläum feiern. Vor 100 Jahren, zum Wintersemester 1908/09 durften Frauen sich auch in den letzten Ländern des deutschen Reichs erstmals ordentlich an Hochschulen um Studium einschreiben. Aber auch 100 Jahre danach kann man keineswegs von Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen im Hochschulbereich sprechen. Auch wenn Studentinnen und Studenten mittlerweile gleichermaßen ein Studium beginnen, bleiben Frauen immer noch häufiger auf der Strecke, wenn es um Promotion, Habilitation oder Professuren geht. Auch die Fächerwahl geschieht nach wie vor nach überkommenen Rollenvorstellungen. Frauen und Männer müssen sich für ihre Studienfächer rechtfertigen, wenn sie nicht den gängigen Klischees entsprechen, auch Beleidigungen und Diskriminierung bei Prüfungen sind keine Seltenheit.

Sexismus und Homophobie

Gleichzeitig werden wir an den Hochschulen über Werbung, Zeitschriften oder Lehrmaterialien Tag für Tag mit sexistischen und homophoben Darstellungen konfrontiert. Aus der Beratungserfahrung der (autonomen) Referate in Studierendenvertretungen wissen wir, dass sexuelle Belästigung oder verbale und körperliche Angriffe auf schwule und lesbische Studierende regelmäßig vorkommen. Auch 100 Jahre, nachdem das Geschlecht qua Gesetz keine Rolle mehr spielt beim Hochschulzugang spielt es faktisch eine sehr große. Nach wie vor werden wir alle in erster Linie danach beurteilt, ob wir uns so verhalten, wie es „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“ richtig wäre. Alle, die sich nicht in diese Kategorien einordnen wollen, müssen mit Vorurteilen und Beleidigungen fertig werden.

Aktionstage 2008

Der fzs veranstaltet im kommenden April zum zweiten Mal die Kampagne „Kein Sexismus an Hochschulen!“ In einem selbst gewählten Mix aus Politik und Kultur soll ein Rahmen für Informationsveranstaltungen, Ausstellungen und Kulturveranstaltungen gegeben werden. Der fzs koordiniert hierbei die einzelnen Hochschulstandorte und unterstützt die VeranstalterInnen vor Ort mit einheitlichen Materialien, Medienarbeit und Hilfe bei der Suche nach Themen und ReferentInnen.

Mitmachen!

Die Aktionstage gestaltet ihr an euren Hochschulen durch Vorträge, Konzerte, Lesungen, Diskussionen und vieles mehr. Der fzs unterstützt durch Materialien, Kontakte zu ReferentInnen und Hilfe bei der Planung eurer Aktionstage.

Vorbereitungsseminar 14.-16. März 2008 in Kassel

Zur Vorbereitung auf die Aktionstage bieten wir außerdem ein Seminar an. Themen: Konzeption der Aktionstage, Veranstaltungsplanung und –bewerbung, Moderation von Podiumsdiskussionen oder Vorträgen.

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2. Frauenpolitik, Gleichstellung und Gender Mainstreaming

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2.1 Seminarankündigung: Erlebnis Geschichte

04. – 06. April 2008 „Erlebnis Geschichte – Deutsche Normalität, Frauen- und Studentenbewegung. Seminar im Haus der Geschichte in Bonn“

Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn ist seit seiner Konzeption und Eröffnung von vielen Seiten kritisiert worden. Es ist heute sehr gut besucht, leicht zugänglich und kostenlos. Es wurde nicht für das „übliche“, also ältere, bildungsbürgerliche Museumspublikum konzipiert, sondern für ein breites, junges Publikum, dem es einen erlebten Eindruck der bundesrepublikanischen Geschichte und der Geschichte der DDR von 1945 bis heute vermitteln möchte.

Aufgebaut ist es in einer großen Haupt- und einer kleineren Wechselausstellung. Bis heute ist seine Hauptausstellung von hunderttausenden von Menschen besucht worden, darunter von vielen Schulklassen. Es steht außer Frage, dass gerade das Erleben die Geschichtsbilder und Vorstellungen aktiv prägt. Auf dem Seminar wollen wir untersuchen, wie verschiedene, kontroverse Phasen der Geschichte dort dargestellt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Frauenbewegung, die Studentenbewegung und die Shoah. Das Seminar findet nach einem theoretischen Einstieg direkt im Haus der Geschichte in kleinen Arbeitsgruppen statt. Unter Anleitung erarbeiten die TeilnehmerInnen Fragestellungen zu der Darstellung der einzelnen Abschnitte im Museum.

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2.2 „Herdprämie“ – Unwort des Jahres 2007?

Am 15. Januar 2008 wurde „Herdprämie“ zum Unwort des Jahres gekührt. Begründet wurde die Entscheidung von der Jury damit, dass der Begriff „Herdprämie“ Eltern diffamiere, insbesondere Frauen, die ihre Kinder zu Hause erziehen statt Krippenplätze in Anspruch zu nehmen. Ob es bei dieser Entscheidung tatsächlich um eine sprachkritische Bewertung oder vielmehr um die Verbreitung von parteipolitischen Ansichten aus dem christdemokratischen und christsozialen Lager ging, fragte die Märkische Allgemeine Prof. Schlosser (Mitglied der Jury). Dieser wies eine politische Vereinnahmung von sich. Seltsam daran ist, dass der familienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johannes Singhammer, in einer Pressemitteilung darauf hinwies, dass das Unwort „Herdprämie“ dem Vorschlag seiner Fraktion entspräche, den sie bereits im Mai 2007 den Kommissionsvorsitzenden Prof. Horst Dieter Schloesser unterbreitet hätten.

Was auch immer mit der Wahl des Unwortes „Herdprämie“ bezweckt wurde, verschwunden ist das Wort aus Sprachgebrauch jedenfalls nicht. Die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros (BAG) beispielsweise hält die „Herdprämie“ nicht für ein „Unwort“ sondern für ein „Unding“. Der Begriff verdeutliche ihrer Meinung nach den Effekt des Betreuungsgeldes, nämlich die „Subventionierung der Frau am Herd“. Nur die eigenständige Existenzsicherung, also die Berufstätigkeit, schütze Frauen vor finanziellen Notlagen bei Trennung und vor Altersarmut., betonen die BAG-Frauen.

Quelle: Zweiwochendienst Frauen. Gesellschaft und Politik, Ausgabe 251 (Januar 2008), Seite 2

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2.3 CEWS – Hochschulranking nach Gleichstellungsaspekten

Das Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung CEWS veröffentlicht die zweite Fortschreibung des „Hochschulranktings nach Gleichstellungsaspekten“. Ein erstes Ranking erfolgte auf der Grundlage von Daten aus dem Jahr 2003. Das aktuelle Ranking beruht auf quantitativen Daten aus dem Jahr 2005. Somit werden erste Veränderungen sichtbar.

Ziel des Hochschulrankings ist es, die Leistungen der Hochschulen im Bereich Gleichstellung von Frauen und Männern mit Hilfe quantitativer Indikatoren zu vergleichen, um Stärken aber auch Schwächen in der Umsetzung des Gleichstellungsauftrags zu erkennen und wirkungsvolle Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der Situation von Frauen in der Wissenschaft einzuleiten oder fortzusetzen.

Bewertet werden die Hochschulen und Länder in den Bereichen Studierende, Promotionen, Habilitationen; wissenschaftliches und künstlerisches Personal und Professuren. Berücksichtigt werden auch Veränderungen im Zeitverlauf beim wissenschaftlichen und künstlerischen Personal und bei den Professuren. Bei den Universitäten befinden sich die Freie Universität Berlin, die Georg August-Universität Göttingen, die Technische Universität München, die Universität Osnabrück und die Universität Trier in den beiden Spitzengruppen. Herausragend bewertet sind bei den Fachhochschulen die Evangelische Fachhochschule Darmstadt, die Hochschule Dresden, Fachhochschule der Evangelischen Landeskirche in Baden Freiburg i. Br., die Evangelische Fachhochschule Hannover, Fachhochschule für Kunst und Gestaltung Kiel, die Evangelische Fachhochschule Nürnberg und die Fachhochschule Oldenburg/ Ostfriesland/Wilhelmshaven FH. Bei den Künstlerischen Hochschulen erreichten die Hochschule für Schauspielkunst Berlin und die Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe in allen bewerteten Bereichen Spitzenplätze.

Bei dem Ranking fand ebenfalls eine Auswertung nach Bundesländern statt, bei der Berlin und Niedersachsen zur Spitzengruppe gehören.

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2.4 Kuwait: Verordnung Geschlechtertrennung an den Hochschulen

Seit in Kuwait ein neues Gesetz in Kraft getreten ist, welches privaten Universitäten die Trennung von Männern und Frauen vorschreibt, ist nicht viel passiert. Kein Aufschrei ging durch Land stattdessen rühmen sich die Präsidenten der Universitäten, dass sie größtenteils schon Geschlechtertrennung praktiziert haben und sich nun an die Rest gemischtgeschlechtlicher Vorlesungen machen werden.

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2.5 Türkei: Kopftuchverbot an den Hochschulen aufgehoben

Das türkische Parlament hat am 7. Februar ein Ende des Kopftuch-Verbots an den Universitäten des Landes beschlossen. Die notwendige Zweidrittelmehrheit wurde erreicht und der entsprechenden Verfassungsänderung stimmte das Parlament am 9. Februar ebenfalls mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit zu.

Zwischen 100.000 und 200.000 waren dem Aufruf von etwa 70 verschiedenen Organisationen gefolgt und demonstrierten im Zentrum Ankaras gegen diese Verfassungsänderung. Unter hohem Sicherheitsaufgebot schwenkten sie türkische Flaggen und Bilder des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk. Die DemonstrantInnen fürchten, dass mit Aufhebung des Verbotes künftig Druck auf Frauen ausgeübt werde und das Kopftuch nach und nach in Schulen und Behörden einführt werde.

Kein Streit enthüllt in der Türkei so sehr, was in den Köpfen vor sich geht, wie dieser um das Recht von Studentinnen, ihren Kopf zu verhüllen. Für die „säkulare“ Staatselite verkörpert das Kopftuch einen Lebensstil, der mit Laizismus, also der Trennung von Staat und Religion, unvereinbar ist. Für zwei Drittel der Türken aber, das zeigen Umfragen, ist das Tragen des Kopftuchs eine religiöse Pflicht und ein bürgerliches Recht.

Seyran Ates, deutsch-türkische Anwältin, Autorin und Frauenrechtlerin, beschreibt die Bedeutung des Kopftuches so. Das Kopftuch zeigt an, „dass die Frau nicht zur sexuellen Verfügung steht, wenn sie auf der Straße ist, sie soll ihre Reize bedecken vor den Männern.“[1] „Das Kopftuch signalisiert den sexuellen Wert der Frau, welcher die Männer reizen würde, wenn sie sich nicht verhüllen würde. Es ist ein Symbol für die Reduzierung der Frau zum Sexualobjekt.“ [2] Bei den Diskussionen um die Aufhebung des Kopftuchverbotes sprechen beide Seiten von Freiheit. Die AnhängerInnen des Staatgründers Atatürk befürchten eine Islamierung der Türkei und halten das laizistische Prinzip (Trennung von Staat und Religion) hoch.Staatschef Erdogan spricht hingegen von „Freiheit“ und „Selbstbestimmung“, um den Verdacht zu entkräften, seine Partei wolle das Land islamisieren. Niemand dürfe, aus welchen Gründen auch immer, vom „Recht auf Bildung“ ausgeschlossen werden, sagt Erdogan.

Allen voran die Universitäten sind gespalten. In einem gemeinsamen Aufruf sprachen sich 1300 türkische ProfessorInnen für eine Aufhebung des Verbots auf. „Die Zeit ist gekommen, den Studentinnen ihre Freiheit zurückzugeben“, schrieben sie. Viele Kollegen hingegen warnen vor „dem Siegeszug der Islamisten“.

Vor allem an der Universität Istanbul ist die Aufregung groß. An der ältesten Hochschule des Landes, die 1933 von Präsident Kemal Atatürk reformiert wurde, fühlt man sich dem kemalistischen Erbe besonders verpflichtet. „Das Kopftuch ist ein Zeichen für den Dogmatismus der Religion“, sagt Professor Celal Sengör. Verhüllte Studentinnen begingen Verrat an der Wissenschaft und hätten deshalb kein Recht auf den Zutritt zu Hochschulen. „Wenn es notwendig ist, dann schließen wir die Uni, bis die Regierung zur Vernunft kommt“, sagt Sengör. Dutzende KollegInnen haben bereits angekündigt, Studentinnen mit Kopftuch nicht zu unterrichten.

Auch unter den StudentInnen sind die Gräben tiefer als je zuvor. „Wir Frauen wollen tragen, was uns gefällt“, sagt Özlem, Literaturstudentin an der Bilgi University. Ihre Kommilitonin Ella pflichtet ihr bei: „Der Staat hat uns keine Kleidervorschriften zu machen.“ Weder Ella noch Özlem tragen Kopftuch. „Wir sind nicht religiös“, beteuern sie. „Aber wir respektieren den Glauben anderer.“

Kübra, die an der Universität Istanbul Medizin studiert, sagt, bisher hätten sich junge Musliminnen entscheiden müssen: entweder Schleier oder Studium, Kopftuch oder Karriere. „Gut, dass das bald vorbei ist.“ Das Ende des Kopftuchbanns sei der erste Schritt zu einer gerechteren Gesellschaft.

„Es ist der erste Schritt in Richtung Theokratie“, fürchtet hingegen Ezgi, Jurastudentin aus Ankara. Und der Istanbuler Schauspieler Ozan Ayhan: „Eine Islamisierungswelle schwappt durch das Land. Frauen ohne Kopftuch werden es künftig sehr schwer haben.“

  • (2) Ates, Seyran: Der Multikulti-Irrtum. Wie wir in Deutschland besser zusammenleben können. 2007, S. 126

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3. Homo-, Bi- und Transsexualität

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3.1 Fortschritte beim Adoptionsrecht für Homosexuelle

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat den französischen Staat zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 10.000 Euro verurteilt, weil die zuständigen Behörden den Adoptionsantrag einer lesbischen Lehrerin abgelehnt hatten. Als Begründung für ihre Ablehnung hatten die französischen Behörden angegeben, dem Kind würde eine „väterliche Bezugsperson“ fehlen. Die europäischen Richter in Straßburg verwiesen in ihrem Urteil auf das in Frankreich bestehende Recht für Ledige, ein Kind zu adoptieren. Es sei nicht überzeugend, einer Lesbe ihren Adoptionswunsch zu verweigern, weil sie dem Kind wichtige Orientierungspunkte nicht bieten könne.

Der deutsche Lesben- und Schwulenverband erhofft sich durch die richterliche Entscheidung Rückenwind für seine Forderung nach einem gemeinschaftlichen Adoptionsrecht für Homosexuelle. Das Urteil mache deutlich, dass Lesben und Schwulen weder offen noch verdeckt der Zugang zur Adoption verwehrt werden dürfe, sagte der Sprecher vom Lesben- und Schwulenverband, Manfred Bruns. Bisher dürfen Lesben und Schwule in Deutschland nur als Einzelperson ein Kind adoptieren. So hat immer ein Partner oder eine Partnerin allein das Sorgerecht in einer Beziehung. Als Paar haben Homosexuelle nur das Recht zur so genannten Stiefkindadoption — der Adoption eines leiblichen Kindes aus einer früheren Hetero- Beziehung. Volker Beck, menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, sieht mit dem Urteil die Auffassung seiner Partei bestätigt, das gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Ehen bei der Adoption gleichzustellen sind: „Kindeswohl und Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen lassen sich nicht gegeneinander ausspielen.“

Quelle: Zweiwochendienst Frauen. Gesellschaft und Politik, Ausgabe 251 (Januar 2008), Seite 5

Israel

Nicht nur in Europa, auch in Israel gibt es Verbesserungen: Zukünftig dürfen Homosexuelle Paare in Israel Kinder adoptieren. Laut der Entscheidung können Lesben und Schwule nun nicht mehr nur die biologischen Kinder des Partners/der Partnerin adoptieren , sondern auch andere Kinder. Im Einzelfall müsse darüber jedoch die für Adoptionen zuständige Behörde entscheiden. Die Reaktionen auf die Entscheidung waren durchmischt. Die israelische Zeitung Haaretz sprach von einer „revolutionären Entscheidung“ und einem „Durchbruch auf dem Weg zu gleichen Rechten für Schwule und Lesben im Bereich der Familie“. Scharfe Kritik an der Entscheidung kam hingegen von Seiten der ultra-orthodoxen Juden.

Quelle: derstandard.at/?url=/?id=3220370

3.2 EU rügt Deutschland für unzureichendes Antidiskrimierungsgesetz

Nach Fällen massiver Benachteiligung von Behinderten und gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften will die EU-Kommission ihre Anti-Diskriminierungs-Gesetze verschärfen. In Berichten aus mehreren europäischen Staaten ist zum Beispiel die Rede davon, dass Menschen mit Behinderungen bei Finanzdienstleistungen deutlich mehr zahlen müssen als Kunden ohne Beeinträchtigungen. Begründung: Die Versicherungen gehen von einer kürzeren Lebenserwartung aus. Nach Auffassung Brüssels stellt dies einen klaren Verstoß gegen die europäische und nationale Gesetzgebung dar.

Schwere Vorwürfe erhob der Sozialkommissar Spidla gegen Deutschland. In einem Schreiben an das Bundessozialministerium rügt Spidla, eingetragene Lebensgemeinschaften von gleichgeschlechtlichen Partnern würden in „weiten Bereichen“ nicht wie Ehepaare behandelt. Er kritisierte vor allem „Leistungseinschränkungen“ bei Beamten und Soldaten, die trotz der Anti-Diskriminierungs-Gesetze vom August 2006 fortbestünden. So werde im öffentlichen Dienst bei Leistungen wie Beihilfe zur Krankenversicherung, Familienzuschlag sowie Witwen- und Witwergeld weiter zwischen Verheirateten und Partnern einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft unterschieden.

„Europarechtswidrig“ sei es darüber hinaus, wenn Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot nur haften, wenn ihnen ein Verschulden nachgewiesen werden kann. „Nach Ansicht der Kommission handelt es sich nicht um unterschiedliche Familienstände“, heißt es in dem Brief an Berlin. Wenn Menschen „wegen ihrer sexuellen Ausrichtung nicht in den Genuss jener Rechte kämen, die nicht verheirateten Partnern zustehen“, müsse die Kommission einschreiten. Die Bundesregierung hat nun zwei Monate Zeit, um eine Stellungnahme abzugeben. Ansonsten droht ein Vertragsverletzungsverfahren, das in letzter Instanz auch vor dem Europäischen Gerichtshof landen kann. So weit will man es aber offenbar nicht kommen lassen. In Brüssel war gestern zu hören, die Große Koalition habe Bereitschaft zur Nachbesserung der deutschen Regelungen signalisiert. Das dürfte aber nicht einfach sein, denn vor allem in der Union hatte es schon bei der Abfassung der ersten vier Gesetze zur Umsetzung der EU-Gleichstellungs-Richtlinie massive Widerstände gegeben. Die Kommission will allerdings – unabhängig von der Sonderstellung der Ehe und Familie im deutschen Grundgesetz – darauf bestehen, dass wenigstens im Bereich der Sozialgesetzgebung alle Unterschiede zwischen der traditionellen Ehe und einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft beseitigt werden.

Quelle: www.morgenweb.de/service/archiv/artikel/642402915.html

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