Stellungnahme zur Mindestlohnanpassungsverordnung 2

Zum ersten Januar 2019 soll der Mindestlohn auf 9,19€ angehoben werden. Wir haben zur Mindestlohnanpassungsverordnung 2 eine Stellungnahme abgegeben:

Der Mindestlohn ab 2019 in Münzen.
Mindestlohn ab 2019

Grundsätzliche Einschätzung zu den Auswirkungen des geltenden gesetzlichen Mindestlohns sowie dessen Erhöhung auf 9,19 Euro zum 1. Januar 2019 und auf 9,35 Euro zum 1. Januar 2020 in Bezug auf den Schutz der Arbeitnehmer*innen

68% [basierend auf den Ergebnissen der 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, 2016 – wenn die Trends weiter bestehen, sind die Anteile seitdem weiter gestiegen] der Student*innen arbeiten neben ihrem Studium. Das so akquirierte Einkommen macht 26% des Geldes, das Student*innen zur Verfügung haben, aus. Die Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns und insbesondere dessen Erhöhung sind aus studentischer Perspektive grundsätzlich positiv zu bewerten. Da die öffentliche Studienfinanzierung (BAföG) nur für einen Bruchteil der Student*innen zugänglich und der Umfang dann weiterhin ungenügend ist, sind viele Student*innen neben dem Studium auf Erwerbsarbeit angewiesen. Von den BAföG-Empfänger*innen mit elternabhängigem BAföG arbeiten immer noch 54% neben dem Studium, von den Empfänger*innen von elternunabhängigem BAföG sind es sogar 60%. Die meisten Student*innen sind dabei abhängig von diesen Einnahmen, da der Lebensunterhalt – gerade bei geringer finanzieller Unterstützung durch Verwandte – ansonsten nicht finanzierbar wäre. Gleichzeitig liegt die Höhe des Verdienstes mit durchschnittlich 385€/Monat häufig im sog. Minijobbereich und die Tätigkeit im Bereich niedriger Stundenlöhne, wie z.B. als Aushilfskraft in Gastronomie o.ä. oder als studentische Hilfskraft an Hochschulen. Erhöhungen des Mindestlohns wirken sich also in vielen Fällen direkt auf die Stundenlöhne von Student*innen aus. Gerade für Student*innen bedeutet das aber nicht nur eine Verdienststeigerung,

Der besondere Vorteil für Student*innen liegt dabei darin, dass sie dadurch die Möglichkeit erhalten, bei gleichem Einkommen die Arbeitszeit zu reduzieren, dadurch immer noch den Lebensunterhalt sichern zu können und dahingegen fokussierter studieren zu können. 29% der Student*innen studieren faktisch in Teilzeit, weil sie neben dem Studium für ihren eigenen oder den Unterhalt von Angehörigen sorgen müssen. Ausgehend vom durchschnittlichen Einkommen durch Erwerbsarbeit von 385€/Monat könnten durch eine erste Erhöhung um 0,35 Euro eine monatliche Reduktion der Arbeitszeit um fast 2h ermöglicht werden, durch die weitere Erhöhung auf 9,35 Euro um über eine weitere halb Stunde. Es sollte durch die Höhe des Stundenlohns insgesamt möglich sein, wirklich nur nebenbei, zweitrangig nach dem Studium zu arbeiten. Darüber hinaus muss es auch möglich sein, sich politisch oder zivilgesellschaftlich zu engagieren.

Des Weiteren ist der aktuelle Mindestlohn gemessen an realen studentischen Lebensverhältnissen deutlich zu niedrig. Dies ist insbesondere an der Entwicklung der Mieten z.B. für WG-Zimmer in größten studentischen Städten festzumachen. Die Mieten sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Durchschnittlich kostet ein Zimmer für Student*innen monatlich 363 Euro (1).

Darüber hinaus möchten wir hervorheben, dass besonders Student*innen mit schwächeren finanziellen Ressourcen des Elternhauses oder „niedriger Bildungsherkunft“ von einer Erhöhung des Mindestlohns profitieren. Bei ihnen macht das Einkommen über Erwerbsarbeit neben dem Studium überdurchschnittlich viel aus: Es sind 30% ihres Einkommens und damit nochmal 4% mehr als im Durchschnitt. Denn diese Student*innen arbeiten besonders häufig neben dem Studium, um sich das Studium überhaupt erst zu ermöglichen. Ein nachhaltiger Abbau sozialer Selektion im Hochschulsystem aufgrund der Bildungsherkunft und des ökonomischen Status kann nur durch ein bedarfsdeckendes, eltern-, alters- & herkunftsunabhängiges BAföG als Vollzuschuss – wie von uns gefordert – gelingen. Die Erhöhung des Mindestlohns hätte also die Möglichkeit, selektive Hürden zum Studium abzufangen. Eine Lösung dafür kann dies aber nicht sein.

Die Einführung des Mindestlohns hatte direkte positive Folgen auf Beschäftigungsverhältnisse an Hochschulen. Mindestens 40.000 (2) Student*innen arbeiten neben dem Studium als studentische Beschäftigte, Hilfskräfte, Tutor*innen o.ä. an Hochschulen und verdienen dort häufig nur geringe Stundenlöhne. Schon bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns und auch bei der letzten Erhöhung mussten viele Hochschulen ihre Stundensätze nach oben anpassen. Gerade da in allen Bundesländern außer Berlin studentische Beschäftigte mit wissenschaftlichem Tätigkeitsbereich nicht von den Tarifverträgen erfasst sind und damit keine regelmäßigen Tarifauseinandersetzungen stattfinden, erachten wir regelmäßige Erhöhungen des gesetzlichen Mindestlohns auf 9,19 bzw. 9,35 Euro für relevant. Erhöht werden müssten die Stundenlöhne für studentische Beschäftigte z.B. teilweise in Bayern (bspw. Universität Bamberg, aktueller Stundenlohn von 9 Euro), Bremen (gekoppelt an MiLoG), einigen Hochschulen in Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Thüringen (3).

Insgesamt sehen wir für Student*innen mit Nebenjobs durch eine Erhöhung des Mindestlohns direkte positive Effekte, die ihre Lebenslagen unmittelbar verbessern können. Etwas ambivalenter gestaltet sich die Situation für Praktikant*innen

2. Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Praktikant*innen (§ 22 Abs. 1 MiLoG )

Die Regelungen zu Praktika in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 haben für Student*innen besondere Relevanz. Die Regelungen in Nr. 1, die Pflichtpraktika im Rahmen eines Hochschulstudiums aus dem persönlichen Geltungsbereich des Mindestlohns ausschließen, sind für Student*innen hoch problematisch. Die Regelungen erlauben Arbeitgeber*innen, Praktika extrem schlecht oder gar nicht zu vergüten.

Unternehmen haben sich teilweise – aufgrund der Regelmäßigkeit von Praktika – schon auf diese eingestellt. Die Praktikant*innen werden häufig schlicht als billige Arbeitskräfte eingesetzt, ein Ausbildungscharakter fehlt teilweise. Hauptsächlich aber ist die mangelnde bzw. geringe Vergütung besonders für Student*innen, die auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, eine Herausforderung. Durch die aktuelle Regelung werden sozial selektiv Student*innen belastet. Es ist vollkommen klar, dass Pflichtpraktika mit entsprechendem Stundenumfang nicht absolvierbar sind, wenn nebenbei noch für den Lebensunterhalt gearbeitet werden muss. Wenn in der Praktikumsstelle 40h/Woche gearbeitet wird, ist nicht zu erwarten, dass Student*innen ihren Lebensunterhalt anderweitig verdienen können, vor allem nicht ein halbes Jahr lang, wie es z.B. bei Praxissemestern in den Hochschulen für angewandte Wissenschaften der Fall ist. . Dass Praktikant*innen im Pflichtpraktikum angemessen entlohnt werden, ist also elementar. Dies betrifft besonders auch Medizinstudent*innen im Praxisjahr, die besonders gering bezahlt werden.

Ähnlich verhält es sich mit den Regelungen zu freiwilligen Praktika die nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 bis zu drei Monaten dauern oder zur Orientierung dienen. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass Arbeitgeber*innen mit diesen Regelungen im Allgemeinen sehr kreativ umgehen. Teilweise werden Kettenpraktika mit Mischung aus Pflicht und Freiwilligen Praktika konstruiert, um möglichst lange außerhalb des Geltungsbereichs des Mindestlohns zu kommen.

Dementsprechend fordert der fzs die Ausnahmeregelung sowohl für Pflichtpraktika, als auch für Freiwillige Praktika unter 3 Monaten und Orientierungspraktika abzuschaffen und damit den Geltungsbereich des Mindestlohns entsprechend auszuweiten.

3. Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Wettbewerbsbedingungen

Der fzs stellt fest, dass aus studentischer Perspektive Befürchtungen steigender Verbraucher*innenpreise aufgrund des Mindestlohns nicht eingetreten sind. Die Steigerungen der Lebenshaltungskosten für Student*innen sind nicht auf Erhöhungen des Mindestlohns zurück zu führen. Steigende Kosten entstehen Student*innen vor allem aufgrund steigender Mietkosten, die nicht mit Steigerungen des Mindestlohns zu tun haben. Dementsprechend hält der fzs fest, dass Wettbewerbsbedingungen nicht negativ vom Mindestlohn beeinflusst werden.

4. Weitere Empfehlungen für das Mindestlohngesetz

Gerade bei den ‘kurzzeitigen’ oder ‘Orientierungs’praktika, aber auch bei Pflichtpraktika zeigt sich, dass gegen Verstöße kaum vorgegangen wird. In der Abwägung zwischen Klage gegen eine*n potentielle*n zukünftige*n Arbeitgeber*in und der Akzeptanz der Verstöße entscheiden sich Praktikant*innen nachvollziehbarer Weise häufig gegen eine Klage bzw. andere Eskalationsformen. Indem in diesen Fällen Möglichkeiten für Verbandsklagerechte eingeführt werden, könnte dem entgegen gewirkt werden. Hierdurch könnten bspw. Gewerkschaften, Arbeitnehmer*innenvertretungen oder im Falle von hochschulrechtlich geregelter Praktika Student*innenvertretungen für die Arbeitnehmer*innen klagen.

Zusätzlich haben studentische Beschäftigte in den meisten Bundesländern keine Arbeitnehmer*innenvertretung bzw. die vorhandene Vertretungen ist nur mit stark eingeschränkten Rechten ausgestattet. Hierdurch fehlen niedrigschwellige Anlaufstellen, die bei Beschwerden über die Nichteinhaltung des Mindestlohns notwendig sind oder Aufklärungsarbeit über den Mindestlohn vor Ort leisten könnten. Studentische Beschäftigte befinden sich häufig in mehreren Abhängigkeiten zur*m Vorgesetzten. Hier ist eine einzelne Person gleichzeitig Vorgesetzte*r, Prüfer*in sowie ggf. wissenschaftliche Mentor*in und entscheidet über Verlängerung der Anstellung und den Fortgang bzw. Scheitern des Studiums. Gerade durch die mehrdimensionalen Abhängigkeiten von der*m direkten Vorgesetzten, wird es den Arbeitnehmer*innen erschwert gegen Verstöße vorzugehen, bspw. Beschwerde einzulegen oder sogar Klagen anzustreben.

Abgesehen von einer Erhöhung des Mindestlohns sollte auch die Information und Sensibilisierung von Student*innen über ihre Rechte und die Einhaltung des Mindestlohns verankert werden. Die Nicht-Einhaltung von Mindestlohnrichtlinien wird oft nicht erkannt oder nicht problematisiert, weder von Seiten der beschäftigten Student*innen noch von Seiten der Vorgesetzten, in den meisten Fällen auch arbeitsrechtlich ungeschulte Professor*innen. Wir empfehlen die Informations- und Aufklärungsarbeit noch weiter zu verstärken und die Arbeitnehmer*innenvertretung zu stärken, um bei Verstößen die Möglichkeit zu haben sich an niedrigschwellige Ansprechpartner*innen zu wenden.

Anmerkung:

Die Zahlen beziehen sich, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf: Middendorff, E., Apolinarski, B., Becker, K., Bornkessel, P., Brandt, T., Heißenberg, S. & Poskowsky, J. (2017).

Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. Zusammenfassung zur 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks – durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

 

(1) Hochschulstädte-Scoring 2018 des Moses-Mendelssohn-Instituts

(2) Alexander Lenger, Christian Schneickert und Stefan Priebe (2014): Studentische MitarbeiterInnen. Zur Situation und Lage von studentischen Hilfskräften und studentischen Beschäftigten an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Eine Studie gefördert von der Max-Traeger-Stiftung. Frankfurt: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft

(3) George, Roman; Staets, Andreas; Unger, Marco; Wolf, Hans-Dieter: Studentische und Wissenschaftliche Hilfskräfte an Hochschulen – Ein Ratgeber. Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. 2018.

 

Hier geht es zur Stellungnahme als PDF.