Aufruf: fzs-Kampagne zum 70. Jahrestag der NS-Bücherverbrennungen

„Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man bald auch Menschen.“ Heinrich Heine, Almansor. Eine Tragödie

Im Jahre 1933, zumeist am 10. Mai, mal früher mal später, wurden an den meisten deutschen Hochschulstandorten, aber auch in Städten, in denen es 1933 noch keine Universitäten gab, von Studierenden „zersetzende Schriften“ verbrannt. Diese Aktion wurde unmissverständlich als „Aktion wider den undeutschen Geist“ bezeichnet. Als „zersetzend“ galten den deutschen Studierenden dabei Schriften von liberalen und linken WissenschaftlerInnen und AutorInnen sowie vor allem: Schriften von Jüdinnen und Juden. Die Bücherverbrennungen waren somit nicht nur ein weiterer öffentlichkeitswirksamer Auftakt zur politischen Verfolgung von NazigegnerInnen sondern auch ein Vorspiel zu Vernichtung der Jüdinnen und Juden. Dieses Jahr jähren sich die Bücherverbrennungen zum siebzigsten Mal. Aus diesem Anlass will der fzs, Dachverband von derzeit 74 Studierendenvertretungen, mit einer Kampagne und einem Kongress an dieses Vorspiel zur Vernichtung erinnern.

These:

Die Bücherverbrennungen im Jahre 1933 waren primär die Tat der Studentenschaften , das heisst der Allgemeinen Studentenausschüsse (AStA) und ihres Dachverbandes, der Deutschen Studentenschaft (DSt). Diese Studentenvertretungen waren zu Beginn der Weimarer Republik aus diversen Vorläufern entstanden und schließlich Anfang der 20er Jahre von Seiten der Administration als legitime Vertretungen anerkannt und mit dem Recht, Beiträge von allen Studierenden einzuziehen ausgestattet worden. Der davon erhoffte Demokratisierungsschub im traditionell reaktionär-elitären Studentenmilieu blieb aber aus. Stattdessen stellten die Studenten in der Weimarer Republik so etwas wie eine völkische Avantgarde dar.

Dies zeigt sich exemplarisch an dem „Becker-Kontroverse“ genannten Verfassungsstreit der DSt 1926. Dabei ging es darum, dass der preußische Kultusminister Becker der DSt in Preußen den Status der legitimen Vertretung, und den ASten damit das Recht, Zwangsbeiträge zu erheben, aberkennen wollte, solange diese immer noch österreichische und sudetendeutsche Studentenvertretungen in ihren Reihen duldete. Dabei richtete sich die Politik des Ministers nicht prinzipiell gegen die Mitgliedschaft von nichtdeutschen Studentenvertretungen in der deutschen DSt, sondern gegen den in diesen Vertretungen praktizierten Ausschluss von „nationalen und religiösen Minderheiten“ – kurz gesagt, gegen den „Arier-Paragraphen“, der den Ausschluss von JüdInnen aus den Körperschaft Studentenvertretung in Österreich und dem „Sudentenland“ regelte. Während große Teile der lokalen, d.h. der AStA-Hierarchien den Bruch im Sinne Beckers aus Überlegungen der Status-Erhaltung heraus vollziehen wollten, war dies weder der Reichsgliederung DSt noch den Studenten selbst ein Anliegen. Die im Anschluss durchgeführten Urabstimmungen bestätigten die DSt-Führung in ihrer Haltung. Mit überwältigenden Mehrheiten zwischen 70 und 90 % verzichteten die preußischen Studenten auf eine verfasste Interessenvertretung und stimmten für die Zusammenarbeit mit Studentenvertretungen, die JüdInnen aus ihren Reihen ausschlossen. Das aus dem Verbot für die Studentenschaften, Zwangsbeiträge einzuziehen, folgende Finanzproblem wurde durch finanzielle Hilfen aus Studentenverbindungen und ihren Dachverbänden aufgefangen, die sich eine völkische Studentenvertretung etwas kosten ließen. ..

Die Studentenschaften beteiligten sich schon weit vor 1933 an der Vertreibung jüdischer und linker Professoren und Dozenten aus den Hochschulen. Treibende Kraft dieser Politik war der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB). Seit den frühen 30ern und der Einführung des Führerprinzpis sind die studentischen Hierarchien in AStA, DSt und auch in großen korporationsstudentischen Dachverbänden (z.B. der Deutschen Burschenschaft, DB) aber kaum noch von den Hierarchien im NSDStB zu unterscheiden. Man kann von einer „Selbstgleichschaltung“ der DSt vor dem 30. Januar 1933 sprechen.

Nach der „Machtergreifung“ wurde die Vertreibung jüdischer und linksgerichteter Hochschulangehöriger unter Mithilfe der Studentenorganisationen intensiviert. Sie war Vorarbeit für die Vernichtung der europäischen JüdInnen, deren wissenschaftliche Vordenker beinahe ausnahmslos in der völkischen Atmosphäre der Hochschulen in der Weimarer Republik ihre akademische Ausbildung erhalten hatten. Die Bücherverbrennung waren der sinnfällige Ausdruck dieser völkischen Kontinuität, sie waren zudem eine Initiativbewerbung der zu diesem Zeitpunkt längst nationalsozialistischen Studentenschaft, eine Präsentation der eigenen Fähigkeiten für den „neuen Staat“.

Ziel:

Ziel der Kampagne ist es, auf die oben umrissene völkische Kontinuität hinzuweisen, als deren Ausdruck die Bücherverbrennungen gelten können. Die Bücherverbrennungen begreifen wir als ein Vorspiel zum Holocaust. Es geht also nicht nur darum, auf die Kontinuität bis 1933 hinzuweisen, sondern auch um die Kontinuität nach 1933. Mit dem Ausschluss von JüdInnen aus dem öffentlichen Leben – z.B. aus den Hochschulen – und ihrer zunehmenden Entrechtung begann die Politik, die mit ihrer Deportation und Ermordung endete. Betont werden soll die maßgebliche Rolle der Studentenschaften (als gewählte studentische Vertretungen!) bei den Bücherverbrennungen. Die Rolle der Studentenschaften wurde in der historiographischen Betrachtung oft heruntergespielt. Tatsache ist aber, dass die DSt und nicht etwa, wie oft behauptet, die NSDAP-Führung die Bücherverbrennungen maßgeblich plante und durchführte. Auf diese Geschichte studentischer Interessenvertretung hinzuweisen, ist ein weiteres Anliegen der Kampagne.

Verlauf:

Deswegen ruft der fzs dazu auf, dass Studierendenvertretungen, hochschulpolitische Organisationen und Gruppen aus den verschiedenen Städten durch eine Aktion, Veranstaltungen (einen kleinen ReferentInnenpool werden wir in Kürze zur Verfügung stellen) und Pressearbeit rund um „ihren“ Jahrestag an die Bücherverbrennungen erinnern. Wir regen an, das oftmals kaum bekannte Geschehen und die Rolle der Studierenden und ihrer gewählten Vertretungen im Nationalsozialismus und bei den Bücherverbrennungen in das öffentliche Gedächtnis zu rufen und der weit verbreiteten kommunalen Gedenkroutine eine andere Aktion (z.B. Brandfleck-Aktion, s.u.) entgegenzustellen. So noch nicht vorhanden, wäre eine konkrete Forderung eine deutliche Kenntlichmachung des Ortes der Bücherverbrennung in Eurer Stadt, mit dem Hinweis auf die Akteure. Wir bitten Euch, Informationen über die Bücherverbrennung in Eurer Stadt zu sammeln und an uns zu schicken, u.a. damit wir die Informationen zentral auf eine Homepage stellen, in einem Reader zusammenfassen und zentral Pressearbeit machen können. Teilt uns bitte mit, was stadt- oder universitätsgeschichtlichen Publikationen zu entnehmen ist: Wer die Verbrennung organisierte, wo sie stattfand, welche Resonanz sie fand…

Am Wochenende vom 04.-06. Juli werden wir unter dem Kampagnenmotto „Das war ein Vorspiel nur…“ einen Kongress in Frankfurt/Main organisieren, der die Kampagne wissenschaftlich aufbereiten soll, zu dem Ihr schon jetzt herzlich eingeladen seid.

Organisatorisches:

Kontakt zu uns gibt es hier oder telefonisch:

0234/27413 (Gerd), 0172/6573427 (Sebastian)

Die Homepage findet Ihr ab demnächst unter www.buecherverbrennung.tk

Die Auswahl einer Aktionsform bleibt natürlich Euch überlassen. Unser Vorschlag wäre eine Brandfleck-Aktion. Dabei orientieren wir uns an Wolfram Kastner, einem Aktionskünstler aus München, der schon in verschiedenen Städten am Ort der dortigen Bücherverbrennungen einen „Brandfleck“ aufgemalt oder durch Holzkohle imitiert hat. Der Künstler stünde auch für eine solche Aktion (Honorar vorausgesetzt) zur Verfügung. Wendet Euch an uns! Informationen und Materialien (inhaltlicher Reader, ReferentInnenpool, Aktionsbeschreibung, Flugblatt, Poster) werden Euch bei Interesse zugesandt.

Über eine auch finanzielle Unterstützung, v.a. für den Kongress, von finanzkräftigen Studierendenvertretungen und Organisationen würden wir uns natürlich freuen.

Mit freundlichen Grüßen,

Gerd und Sebastian (Referenten für pol. Bildung/Antifa des fzs)

Anmerkung: Wenn hier nur die männliche Form benutzt wird, so hat das den schlichten Grund, dass Frauen in der Weimarer Zeit an den Hochschulen krass unterrepräsentiert waren und die hier beschriebene Politik eine quasi durchgängig von Männern betriebene war.