In Artikel 20 Grundgesetz wird die Bundesrepublik Deutschland als demokratischer und sozialer Bundesstaat definiert. Im Grundrechtskatalog bekennt sich die Bundesrepublik Deutschland zu den Menschenrechten (Artikel 1) und gewährt allen Bürgerinnen und Bürgern das Recht auf freie Entfaltung (Artikel 2). Damit wird allen Bürgerinnen und Bürgern durch individuelle Grund- und Freiheitsrechte ein Grundrecht auf soziale Teilhabe zugesichert.
Ein Zwang zur Arbeit lässt sich aus dem Grundgesetz nicht entnehmen. Dieser entsteht erst durch den Druck der kapitalistischen Produktionsweise. Eben dieser Druck sollte jedoch aus unserer Sicht durch die angemessene Beschneidung des Privateigentums der Vermögenden reduziert werden.
Die Praxis des deutschen Sozialstaats sieht jedoch ganz anders aus: Jede Sozialleistung ist mit Pflichten und Zwängen, vor allem Arbeitszwang, verbunden. Die grundlegende soziale Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger wird durch eine massive Selektion im Bildungsbereich verfehlt. Der aktuelle Umbau der Sozialsysteme verschärft den Zwang und die staatliche Kontrolle noch weiter. Im Bildungsbereich werden Zugangshürden neu errichtet, anstatt bestehende strukturelle Zugangshindernisse zu beseitigen.
Aus unserer Sicht dürfen wir uns in dieser Situation weder auf ein oft strategisch begründetes Mitgestalten noch auf einen reinen Abwehrkampf beschränken. Vielmehr erscheint es uns erforderlich, sich auf individuelle Grund- und Freiheitsrechte zu beziehen – und unabhängig von taktisch-strategischen Spielereien – grundsätzliche Kritik an Bildung und Gesellschaft zu formulieren.
Der Bereich der Sozialpolitik nimmt bei diesen Überlegungen aus unserer Sicht eine Schlüsselstellung ein: Nur eine ausreichende finanzielle Unabhängigkeit des einzelnen Menschen ermöglicht ein würdevolles Leben in dem sich die Menschen frei nach ihren Neigungen entfalten können. Im Rahmen einer Sozialpolitik, die auf Zwang basiert, lässt sich überdies keine emanzipatorische Bildungspolitik, und damit auch keine soziale Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger realisieren. Ein Beispiel von vielen – und sicher auch nicht das drängendste – ist die aktuelle Gestaltung der Studienfinanzierung: Selbst, wenn man es in diesem aktuell stark sozial selektiven Bildungssystem bis an die Hochschule geschafft hat, ist oft kein selbstbestimmtes Studium möglich. Nur bei einer elternunabhängigen Studienfinanzierung und einem Studium, das unabhängig von der Notwendigkeit von Erwerbsarbeit aufgenommen werden kann, könnten Studierende eine eigene Studienentscheidung und vor allem Fächerwahl treffen. Vor allem eine elternabhängige Förderung reproduziert dagegen geschlechtsspezifische und schichtspezifische Rollenzuschreibungen.
Um eine Änderung zu erreichen, kann man sich natürlich nicht auf den Bereich der Studienfinanzierung oder andere Teilbereiche beschränken, sondern muss Sozial- und Bildungspolitik in einen gemeinsamen Kontext setzen und ein umfassendes visionäres Gegenkonzept zum aktuellen Trend der neoliberalen Konzepte diskutieren.
Vor diesem Hintergrund möchten wir im fzs die Debatte über die Forderung nach einer sozialen Grundsicherung wieder anstoßen: Für uns ist in einem Modell einer Grundsicherung wesentlich, dass allen Menschen ein Mindesteinkommen garantiert ist. Die Grundsicherung muss bedarfsdeckend sein und personenbezogen ausgezahlt werden. Ziel der sozialen Grundsicherung ist es damit, ein würdevolles Leben ohne Daseinsangst und Armut zu ermöglichen. Neben die bloße Existenzsicherung tritt der Anspruch auf eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben. Die soziale Grundsicherung orientiert sich also im Gegensatz zur aktuellen Sozialstaatskonzeption nicht an verschärftem Zwang und Kontrolle, sondern an garantierten Grundrechten.
Damit möchten wir die Diskussion um die soziale Grundsicherung zum Ausgangspunkt nehmen, um uns grundlegendere Gedanken über das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu machen.
Beschlossen auf der 26. MV in Bonn, Oktober 2004