Autonomiebedürfnisse der Wissenschaft

Grundgesetz Art. 5 (3) 1-2: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Die formulierten Anforderungen an Forschung und Lehre werden durch Implementierung von externen Aufsichtsräten in die Hochschulverwaltungen oder Zielvereinbarungen mit den Ministerien im Rahmen des Hochschulpakts in Frage gestellt. Ist vor diesem Hintergrund das im Grundgesetz verankerte Autonomierecht der Wissenschaft noch erfüllt? Oder stellen die neuen Steuerungsinstrumente eine andere Interpretation des Autonomiebegriffes dar?

Hochschulautonomie darf aus Sicht des fzs nicht verstanden werden als eine Einladung an die Hochschulen, sich von gesamtgesellschaftlicher Verantwortung und demokratischen Prinzipien zu verabschieden, sondern eben gerade eingedenk dieser Grundsätze, selbstbestimmt entscheiden zu können, was gelehrt und worüber geforscht werden soll.

In einigen Landeshochschulgesetzen zeigt sich eine Tendenz zum Abbau der Freiheit der Wissenschaft. An Stelle der hochschulinternen Gremienkontrolle tritt die Machtkonzentration auf Einzelpersonen insbesondere DekanInnen und PräsidentInnen/RektorInnen sowie die Fremdbestimmung durch nicht demokratisch legitimierte Personen aus Wirtschaft und Politik insbesondere im Rahmen der Installierung sogenannter Hochschulräte. Außerdem drängt die öffentliche Unterfinanzierung die Hochschulen in die systematische Unterwerfung unter die Gesetze des freien Marktes, um „Ersatzmittel“ zu erwirtschaften. Die leistungsorientierte Mittelvergabe und Studiengebühren stehen dabei symbolisch für eine neoliberale Bildungspolitik.

Wider die wettbewerblichen Automatismen in der Wissenschaft

Durch wettbewerbliche Ansätze in der Bildungspolitik wird das Autonomiebedürfnis der Wissenschaft untergraben und verwässert. An Stelle ihrer Selbstverwaltung tritt ein subjektiver Anspruch, Wissenschaft messbar zu machen, um sie innerhalb einer Konkurrenzsituation mit anderen zu bewerten, d. h. sie in Abhängigkeit zu bringen. Auch Rankings greifen diese Tendenz auf. Dadurch entsteht ein Druck, der dem wissenschaftlichen Erkenntnisprozess völlig unangemessen ist. Es liegt in der Natur der Forschung, dass sie langfristig, ergebnisoffen und mit unvorhersehbaren Wendungen, ja auch Misserfolgen gespickt ist. Eine Kanalisierung in enge Pläne ist unproduktiv und behindert echten, unvoreingenommenen Erkenntnisgewinn. Eine daran geknüpfte Finanzierung kann in die falsche Richtung drängen. Nicht die Finanzierung sollte die Richtung vorgeben, sondern das, was von WissenschaftlerInnen als erforschungs- und lehrwürdig betrachtet wird.

Warum Wissenschaftsfreiheit so wichtig ist

Die Wissenschaft muss sich prinzipiell in jede Richtung entwickeln dürfen. Die Fächervielfalt muss gewährleistet sein. Sie darf nicht tendenziös, d. h. parteipolitisch bzw. durch einen gesellschaftlichen Bereich (z. B. die Wirtschaft) dominiert sein. Die finanzielle Förderung von Forschung und Lehre ist allein durch Bund und Länder zu gewährleisten. Dies schließt jedoch keine weitergehende Förderung durch Institutionen der EU oder andere demokratisch legitimierte supra-, inter- oder transnationale Institutionen aus.

„Zugunsten der Wissenschaftsfreiheit ist stets der diesem Freiheitsrecht zugrunde liegende Gedanke mit zu berücksichtigen, dass gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient.“

Wissenschaft als kritisches Gewissen

Kritische wissenschaftliche Reflexion lässt sich nicht allein dadurch verwirklichen, dass man bestimmte Fachdisziplinen formal aufrechterhält. Auch darf das Angebot nicht allein durch die Nachfrage bestimmt werden, wodurch die Fächervielfalt dann nicht mehr gewährleistet wäre. Die Aktualität oder Nützlichkeit einzelner Fachdisziplinen können zwar zeitweise in Frage gestellt werden, weisen aber nicht auf die Entbehrlichkeit in der Zukunft hin. Im Vordergrund steht daher der fortschreitende nicht utilitäre Erkenntnisgewinn auf Dauer. Wissenschaft und Gesellschaft bedingen sich gegenseitig. Ihre Unabhängigkeit aber auch Selbstkontrolle behält die Hochschule durch eigene Kontrollorgane und die im Grundgesetz verankerte Bindung an die Verfassung.

Wissenschaftsautonomie in der Gesellschaft

Der Wissenschaftsautonomie muss ein verantwortungsvoller Umgang mit der Gesellschaft und den Studierenden an die Seite gestellt werden. Es ist falsch, Hochschule und Gesellschaft als zwei getrennte Sphären zu betrachten. Den Studierenden muss bei der Kontrolle der Wissenschaft eine Schlüsselposition zukommen: Als die Gruppe, die sich am kürzesten in den Hochschulstrukturen bewegt, können sie gesellschaftliche Verantwortung am besten an die Hochschule herantragen und so kritische Wissenschaft stärken.

Es ist scharf zurückzuweisen, die Wissenschaft nach Maßgaben des Marktes auszurichten! Vielmehr sollte die Wissenschaft hier als kritisches Korrektiv wirken. Berechtigt sind hingegen Ansprüche, die Wissenschaft auf ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung hinzuweisen. Allerdings müssen auch sie sich in einem Maß halten, so dass ergebnisoffenes Forschen möglich bleibt.

Ein undemokratischer und vollkommen verfehlter Ansatz der Gesellschaft, Einfluss auf die Wissenschaft zu sichern, ist es, Kompetenzen der akademischen Selbstverwaltung auf mehrheitlich mit Hochschulexternen besetzte Gremien wie Hochschulräte zu übertragen, wie es die meisten der in den letzten 10 Jahren entstandenen Landesgesetzgebungen tun. Solche Hochschulräte sollen mit „exzellenten Persönlichkeiten“ besetzt sein, also gerade nicht mit VertreterInnen gesellschaftlicher Gruppen. Vielmehr wird hier wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten an exponierter Stelle die Möglichkeit gegeben, auf die Entwicklung der Hochschulen Einfluss zu nehmen. Dies ist undemokratisch, negiert die Wissenschaftsautonomie, zielt auf eine Abschaffung der Gruppenuniversität und wirkt einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung der Hochschulen dadurch entgegen. An Stiftungshochschulen wird dieses Problem durch die exponierte Stellung der Stiftungsräte weiter verschärft. Eine bessere Alternative ist die Einrichtung von Gremien, in denen die verschiedenen Gruppen der gesamten Gesellschaft vertreten sind. Diese sollten allerdings auch nicht Aufgaben der akademischen Selbstverwaltung übernehmen, sondern vor allem eine beratende Funktion wahrnehmen.

Ein sinnvolles Verhältnis von Hochschule und Gesellschaft kann nur eine Autonomie in gesellschaftlicher Verantwortung sein. Wissenschaftsautonomie, ihre Organisation, Entfaltung und Kontrolle obliegt ausschließlich der Autorität der Forschenden, Lehrenden und Studierenden. Diese müssen sich jedoch bewusst sein, dass ihr wissenschaftliches Handeln am gesamtgesellschaftlichen Fortschritt orientiert sein muss.

Daher fordert der fzs:
– Die Hochschulen müssen autonom sein. Hochschulräte und ähnliche Gremien, die undemokratisch besetzt sind und in die akademische Selbstverwaltung eingreifen, darf es nicht geben. Rein beratende Kuratorien, die gesamtgesellschaftliche Ansprüche an die Hochschulen herantragen, finden unsere Unterstützung.
– Einflüssen auf die grundlegende Auswirkung der Hochschule durch den Markt darf es nicht geben!
– Alle Angehörigen der Hochschule müssen sich ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung in Forschung und Lehre bewusst werden.
– Studierende müssen als starke Brücke zwischen Hochschule und Gesellschaft anerkannt werden. Sie können gesellschaftliche Verantwortung in die Hochschule hineintragen und kritische Wissenschaft fördern. Die Studierenden selbst müssen dies als eine ihrer Aufgaben begreifen.