Change the system, not the climate – Kohleausstieg selber machen

Change the system, not the climate – Kohleausstieg selber machen

Die internationale Gemeinschaft hat sich 2015 im Pariser Klimaabkommen endlich darauf verständigt die Erderwärmung auf unter 2°C zu begrenzen, möglichst auf 1,5°C. Dieser Schritt war für globale Gerechtigkeit in Gegenwart und Zukunft sehr dringend nötig. Nichtsdestotrotz besteht die Gefahr, dass auch dieses Papier geduldig ist, es bei unverbindlichen Absichtserklärungen bleibt und die für die Umsetzung der Ziele nötigen Schritte nicht eingeleitet werden. Um alleine das so genannte „2-Grad-Ziel“ zu erreichen müssen 80% der Kohlereserven unter der Erde bleiben (McGlade, C. & Ekins, P., 2015). Die Zeit, das zu erreichen ist knapp (Radebach, A. & Schulze, T. o.D.)
Zu einer internationalen Allianz für den Kohleausstieg (leider ohne zeitnahes gemeinsames Ausstiegsjahr) haben sich allerdings erst 23 Länder und Provinzen zusammengeschlossen, Deutschland gehört bisher leider nicht dazu. Dort stoßen alleine die Braunkohlekraftwerke ein Viertel der gesamten deutschen CO2-Emissionen aus. Weltweit ist Deutschland der größte Exporteur von Braunkohle (in absoluten Zahlen). Die Reserven in den drei großen deutschen Braunkohlerevieren (in der Lausitz, im Rheinland, und Mitteldeutschland) werden auf ca. 40 Milliarden Tonnen. Das sind 14,4% (Stand 2006) der weltweit bekannten Reserven geschätzt (Groll, S., Fuhr, L., Löffelsend, T., 2015).
Trotz des hohen Braunkohlexports wird zusätzlich Steinkohle aufgrund der niedrigeren Abbaukosten häufig aus bspw. Südamerika importiert. Zusätzliche Folgen des Abbaus vor Ort sind häufig Massenvertreibungen, Landraub, Menschenrechtsverletzungen, Atemwegserkrankungen und massive Umweltschäden (Ganswindt, K., Rötters, S., Schücking, H., 2013). Im Jahr 2013 war es 50,6 Millionen Steinkohle (Statistisches Bundesamt, 2013). Dies verschärft den geringen Wirkungsgrad der Kohlekraftwerke, denn es wird nur ein Drittel der Wärme aus dem Verbrennungsprozess tatsächlich in Strom umgewandelt. Im Vergleich zu Gaskraftwerken weisen Altanlagen bei Steinkohle einen Wirkungsgrad von 32% und bei Braunkohle einen Wirkungsgrad von 36% auf. Eine Moderisierung der Anlagen kann den Wirkungsgrad auf 50% erhöhen (Groll, S., Fuhr, L., Löffelsend, T., 2015). Eine Modernisierung ist allerdings gar nicht nötig, da Versorgungssicherheit zu adäquaten Kosten durch klimaneutrale Technologien und eine Weiterentwicklung der Energiespeicherung gewährleistet werden kann (Huneke, F., Perez Linkenheil, C., Niggemeier, M., 2017). Im Gegenteil: Bei Modernisierung oder Neubauten von Kohlekraftwerken wird viel Geld in überhölte Technologie gesteckt, der Kohleausstieg hinausgezögert und birgt durch die schwierige Regelbarkeit eine zusätzliche Herausforderung für Netz und Versorgungssicherheit (Schultz, S., 2017).
Es findet eine Umstrukturierung der Arbeitsplätze und Berufsgruppen statt, so dass trotz einem weltweiten Arbeitsplatzverlust von ca. zwei bis drei Millionen bis 2030 diese kompensiert werden durch neue Arbeitsplätze im wachsenden Bereich der erneuerbaren Energien (Barzantny, K., Schner, S., Vomberg, S., Groscurth, H.-M., 2007). Schon jetzt liegt der Anteil der Beschäftigen in der EU im Bereich der erneuerbaren Energien über dem der fossilen Energieträger, weltweit sind beide Bereiche auf einem Level (Barzantny, K. et al., 2007). Es braucht jetzt die Schaffung von Perspektiven für ein klimafreundliches und sozial gerechtes Arbeiten begleitet von Schulungen und bei Bedarf Lohnfortzahlungen, da das Hinauszögern des Kohleausstiegs auch unter sozialen Gesichtspunkten unverantwortlich ist.
Wichtig dafür ist auch, dass sich die Subventionspolitik dahingehend ändert, dass fossile Energieträger nicht mehr unterstützt und ein preisgünstiger Energiepreis angeboten werden kann. Bereits jetzt sollte in die Energiekosten auch die Folgekosten der Kohlenutzung mit eingepreist werden. Zudem ist es hilfreich, wenn die Weiterentwicklung und der Ausbau regenerativer Energien auch finanziell staatlich gefördert und nicht weiter ausgebremst bzw. gedeckelt wird wird. Darüber hinaus verschärft der Klimawandel soziale Ungerechtigkeiten sowie Vulnerabilitäten und trifft vor allem Menschen, die im heutigen Gesellschaftssystem bereits benachteiligt werden. Gesamtgesellschaftlichen Prozessen wie die Umverteilung zur Verringerung der Schere zwischen Arm und Reich sowie die Veränderung der Art zu wirtschaften hin zur Wahrung ökologische Grenzen und globaler Solidarität sind nötig. Die natürliche Mitwelt darf nicht weiter als Ressourcen-Quelle und Müll-Senke unter ökonomische Verwertungsprozesse unterworfen werden.

Kohleausstieg ist nicht nur nötig, um das Klima zu schützen, sondern auch aus zahlreichen gesundheitlichen Gründen (Kritische Mediziner*innen, 2017). Kohlekraftwerke haben einen Anteil von 70% an den gesundheitsschädlichen Feinstaubemissionen in der EU. Die Luftverschmutzung durch Ruß- und Staubpartikeln führt zu Erkrankungen der Atemwege (Asthma, chronische Bronchitis) und des Herz-Kreislaufsystems (Lungenkrebs, Herzinfakte). Alleine in Deutschland führen die Emissionen der Kohlekraftwerke zu rund 2.700 vorzeitigen Todesfällen (HEAL, 2013). Neben den Ruß- und Staubpartikelemissionen emittieren Kohlekraftwerke Quecksilber, Arsen, Blei oder Cadium, die über die Nahrungsaufnahme das Nervensystem angreifung und insbesondere für Ungeborene eine Gefahr darstellt (Preiss, P., Roos, J., Friedrich, R., 2013).

Die Folgen des Klimawandels und somit auch die der Kohlenutzung sind lokal und global gravierend. Millionen von Menschen verlassen ihren Lebensort, weil ihre Lebensgrundlagen durch intensivere und häufigere Extremwetterereignisse die u.a. zu häufigeren Ernteausfällen führen und langsam fortschreitende Umweltdegradation, oft vom Klimawandel mit verursacht, zerstört wird. Bisher erleben dies vor allem Menschen, die in Ländern des globalen Südens leben und global sowie historisch betrachtet somit am wenigsten für die hohen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. (Bedarff, H., Jakobeit, C., 2017). Für den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen und globale Gerechtigkeit insgesamt wird zu wenig getan. Es gilt erzwungene Migration zu verhindern, gleichzeitig legale Migrationswege zu schaffen und die Fluchtursachen zu bekämpfen.
Auch im globalen Norden, z.B. im rheinischen Braunkohlegebiet, werden Natur und Lebensgrundlagen immer weiter zerstört. Konkret werden Dörfer und Wälder wie den Hambacher Forst zwangsumgesiedelt bzw. abgeholzt. Seit vielen Jahren leisten unterschiedlichste Initiativen (Bürger*inneninitiativen, NGOs, Waldspaziergänge, Camps, Dauerbesetzungen, Massenaktionen, Kleingruppenaktionen, Petitionen etc.) dagegen und gegen Kohlenutzung ingesamt friedlich Widerstand.

Kohleausstieg ist auch Hochschul- und Wissenschaftspolitik.

Hochschulen können die Relevanz, Notwendigkeit und Herausforderung des Kohleausstiegs durch ihre inhaltliche sowie finanzielle Freiheit in Form von wissenschaftliche Erkenntnissen ermöglichen. Dabei ist es auch wichtig ihre Unabhängigkeit gegenüber politischen Eingriffen zu schützen. Hochschulen können und sollten außerdem auch Orte des Gesellschaftswandels sein. Der Ausgangspunkt regionaler regenerativer Energieversorgung kann ein mitgliedergruppenübergreifendes ehrenamtliches Engagement an der Universität und/oder Lehr- und/oder Forschungsprojekt an einer Hochschule sein. Themenfelder wie Energiespeicherung und Strukturwandel bekommen eine höhere Bedeutung durch die wissenschaftlich Betrachtung des Kohleausstiegs und es besteht die Verantwortung der Hochschulen Lösungen für einen sofortigen Kohleausstieg und sozialverträglichen Strukturwandel zu erarbeiten und soweit möglich, zu praktizieren. Denn auch im Betrieb kann eine Hochschule zum Kohleausstieg beitragen z.B. in der eigenen Energieversorgung sowie – falls vorhanden – hinsichtlich eines Divestments von Rück- und Anlagen. Diesen positiven Wandel einzufordern und soweit möglich zu leben, ist auch Aufgabe von Student*innenschaften. Es ist auch unsere Verantwortung die Zukunft zu gestalten.

Jede Student*innenschaft und viele Einzelpersonen können etwas zur großen Transformation einer postfossilen Gesellschaft beitragen. Mögliche Beiträge sind:

  • zum jährlichen Klimacamp im Rheinland, dem Lausitzcamp und den Aktionen von Ende Gelände zu mobilisieren
  • sich mit den Aktiven im Hambacher Forst zu solidarisieren
  • politische Bildung durch Ausstellungen und Veranstaltungen ermöglichen

  • für eine Dekarbonisierung der Hochschulen argumentieren
  • für eine klimaneutrale Energieversorgung, auch in den lokale bzw. regionale Student*innenwerken einsetzen
  • für eine gesellschaftrelevante Forschung und Lehre an Hochschule einsetzen

Der freie zusammenschluss der student*innenschaften (fzs e.V.)

  • unterstützt das Klimacamp im Rheinland, das Lausitzcamp, Ende Gelände und die Aktiven im Hambacher Forst
  • fordert Schluss mit Subventionen von fossilen Energieträgern in Deutschland und weltweit
  • fordert das sofortige Abschalten der 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke in Europa und einen mittelfristigen und nachhaltigen Kohleausstieg
  • bringt die Positionierung in der ESU ein

Quellen & Literatur-Tipps:

Barzantny, K., Schner, S., Vomberg, S., Groscurth, H.-M- (2007): Klimaschutz: Plan B 2050. Zuletzt abgerufen unter: www.greenpeace-energy.de/fileadmin/docs/publikationen/Plan_B_Langfassung.pdf

Bedarff, H., Jakobeit, C. (2017). Klimawandel, Migration und Vertreibung: die unterschätzte Katastrophe. Zuletzt abgerufen unter: www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20170524-greenpeace-studie-klimawandel-migration-deutsch.pdf

Ganswindt, K. Rötters, S., Schücking, H. (2013). Bitter coal. Ein Dossier über Deutschlands Steinkohleimport. Zuletzt abgerufen unter: www.urgewald.org/sites/default/files/bittercoal_1_15_13.pdf

Groll, S., Fuhr, L. & Löffelsend, T. (2015). Der Kohleatlas. Berlin: Heinrich-Böll Stiftung und BUND.

HEAL (2013). Was Kohlestrom wirklich kostet. Gesundheitsfolgen und externe Kosten durch Schadstoffemissionen. Zuletzt abgerufen unter: www.env-health.org/IMG/pdf/heal_coal_report_de.pdf

Huneke, F., Perez Linkenheil, C. & Niggemeier, M. (2017). Kalte Dunkelflaute. Robustheit des Stromsystems bei Extremwetter. Zuletzt abgerufen unter: www.energybrainpool.com/fileadmin/download/Studien/Studie_2017-06-26_GPE_Studie_Kalte-Dunkelflaute_Energy-Brainpool.pdf

Kritische Mediziner*innen (2017). Gesundheit braucht Klimaschutz. Zuletzt abgerufen unter: www.kritmedbonn.files.wordpress.com/2017/10/positionspapier-zur-cop23.pdf

McGlade, C. & Ekins, P., (2015). The geographical distribution of fossil fuels unused when limiting global warming to 2 °C. Zuletzt abgerufen unter: www.nature.com/articles/nature14016

Preiss, P., Roos, J. & Friedrich, R. (2013). Assessment of Health Impacts of Coal Fired Power Stations in Germany by Applying EcoSenseWeb. Zuletzt abgerufen unter: www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/130401_deliverable_ier_to_greenpeace_de.pdf

Radebach, A. & Schulze, T. (o.D.). So schnell tickt die CO2-Uhr. Zuletzt abgerufen unter: www.mcc-berlin.net/forschung/co2-budget.html

Statistisches Bundesamt (2013). Import von Steinkohle 2013 um 15,2 % gestiegen. Zuletzt abgerufen unter: www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2014/04/PD14_141_51.html

Schultz, S. (2017). Weniger Kohlemeiler könnten Stromversorgung sicherer machen. Zuletzt abgerufen unter: www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/kohleausstieg-weniger-kohlmeiler-machen-laut-bmwi-stromnetz-stabiler-a-1178178