Ein Hoch auf die studentische Diskussionskultur

In verschiedenen Zeitschriften wurde in den letzten Monaten mit Unterstützung des Deutschen Hochschulverbandes der Niedergang der Debattenkultur an deutschen Hochschulen beklagt. Dabei wird sich auf ganz verschiedene Situationen bezogen, die nur bedingt in einen Zusammenhang zu stellen sind.
Einerseits werde von Seiten der Student*innen vermehrt über „banales“ diskutiert. Dabei gehe es, so der Präsident des DHV um „sensibilitätsgesteuerte Auseinandersetzung […], die viel an geistiger Substanz verloren gehen lässt“.
Hierbei geht es aber wohl eher darum, dass Student*innen in den letzten Jahren erkannt haben, dass Herrschafts- und Machtverhältnisse nicht erst dort entstehen, wo sie im politischen oder wirtschaftlichen Geschehen sichtbar werden, und Diskriminierung nicht erst dort wirkt, wo sie in Gewalt ausartet.
Bei der Erarbeitung einer Welt ohne solche Verhältnisse ist es völlig richtig, dass es Protest gegen solche Erfahrungen in der eigenen Bildungsinstitution gibt. Sprache beispielsweise ist ein Feld, in dem sich die genannten Herrschafts- und Machtverhältnisse reproduzieren und auch als solche benannt werden müssen.
Das hat nichts damit zu tun, dass die ’political correctness‘ überhandnimmt und sich nun niemand mehr traut irgendetwas zu sagen, das irgendwen auf welche Weise auch immer verletzen könnte, insbesondere indem es der Meinung dieser Person widersprechen könnte. Es gibt jedoch bestimmte Äußerungen, beispielhaft seien sexistische oder rassistische Kommentare genannt, die auch von Lehrpersonal diskutiert und ggf. geahndet werden sollten.
Hier erleben wir also weniger einen Niedergang als vielmehr einen Aufschwung der Diskussionskultur. Die Debatte darüber, was sagbar ist, wo die Grenzen eines wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurses liegen und wie wir miteinander und über Sachverhalte sprechen wollen, ist kein Angriff auf Debattenkultur, sondern ein elementarer Teil dieser.
Auch wird kritisiert, dass bestimmte Sprechpositionen an Hochschulen derzeit gar nicht zugelassen werden. Das ist in Bezug auf eine Diskussionskultur ein weit schwerwiegenderer Vorwurf.
Dies betrifft insbesondere Mitglieder der AfD, wenn diese auf Podien von Veranstaltungen von oder an den Hochschulen eingeladen werden aber auch andere Persönlichkeiten, die wegen rassistischer, sexistischer und in diesem Kontext oft wissenschaftsfeindlicher Ausfälle bekannt sind. Diese sehen sich oft lautstarkem Protest gegenüber, sodass eine Teilnahme dieser Person an der Podiumsdiskussion oder gar der Vortrag der eigenen Rede nicht möglich ist.

Aus unserer Perspektive stellt sich hier ein ganz anderer Wandel in der Diskussionskultur an Hochschulen ein: die Zulassung dieser Sprechpositionen. War es in den letzten Jahrzehnten undenkbar, Mitglieder einer offen rassistischen Partei zu Hochschulveranstaltungen einzuladen, geschieht dies nun regelmäßiger. Das passiert natürlich nicht ohne Grund. Gesellschaftlich sind diese Positionen wieder verstärkt in die gesellschaftliche „Mitte“ gewandert, oder die Mitte ist zu ihr gewandert, oder es trauen sich nun mehr Leute solche Positionen zu vertreten. Und genau hier liegt das Problem. Je mehr solche Positionen von intellektuell anerkannten Institutionen wie den Hochschulen eingeladen werden, desto mehr werden diese Positionen als legitim innerhalb der Meinungspluralität akzeptiert.
Für die Debatte an Hochschulen und der Gesellschaft ist es gut, dass auch Wissenschaftler*innen, wie Münkler, Rauscher , Baberowski oder Kutschera ihre und andere kritisch anzusehenden Positionen weder in der Lehre noch durch ihre gesellschaftliche Autorität ohne Reflektion im öffentlichen Diskurs äußern dürfen und müssen durch Gegenpositionen oder Debatten zu diesem Reflektionsprozess angeregt werden.
Anders als in den entsprechenden Zeitungsartikeln dargestellt, gewinnt nämlich am Ende nicht, wer am lautesten schreit (das kann gar nicht das Ziel der entsprechenden Proteste sein), sondern, wer überhaupt spricht und sprechen darf. Dass auch Gruppen ohne postenbedingte Öffentlichkeitswirkung eine Position in der Debatte einfordern und sich an den Autoritäten diskursiv abarbeiten, ist nur zu begrüßen.

Darum: Ein Hoch auf die studentische Diskussionskultur, in der sich nicht damit begnügt wird, brav in den Hörsälen zu sitzen und nur zu sprechen, wenn die Moderation einen dazu aufruft.