Zivilklausel verteidigen!

Am 12. Juni hat das „Stockholm International Peace Research Institute“ (SIPRI) seinen Jahresbericht für 2023 herausgegeben. Das Ergebnis ist so erwartbar wie erschreckend: die nukleare Aufrüstung schreitet weltweit voran. Russland, das einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, kommt seinen Berichtspflichten nicht mehr wirklich nach und kündigt einen Abrüstungsvertrag nach dem nächsten auf.

Aber auch andernorts besteht eine akute Gefahr für den Einsatz von Atomwaffen: Indien und Pakistan rüsten wegen Grenzkonflikten in Kaschmir gegeneinander; die Islamische Republik Iran baut immer mehr atomwaffenfähige Raketen und steht kurz vor der Herstellung von Atombomben; Nordkorea entwickelt sein nukleares Arsenal immer weiter; China versucht, sich auf das Niveau der USA hochzurüsten.

Das Zerstörungspotenzial der mittlerweile 12.512 Atomsprengköpfe ist unvorstellbar, jeder einzelne könnte ganze Ortschaften einäschern. Die Doktrin der „gegenseitig versicherten Zerstörung“ (mutually assured destruction, kurz: MAD) sorgt dafür, dass ein einziger Fehler die Auslöschung von Millionen oder sogar Milliarden an Menschenleben bedeuten kann. Dieser unerträgliche Zustand wird von der internationalen Studierendenbewegung seit jeher kritisiert.

Die Entwicklung von Atomwaffen zeigt, dass Wissenschaft eine gesellschaftliche Verantwortung trägt. Diese Verantwortung geht weit darüber hinaus, dass ihre Ergebnisse „funktionieren“ müssen. Vielmehr müssen Wissenschaftlerinnen kritisch hinterfragen, was dieses „funktionieren“ für Gesellschaft, Menschheit und Umwelt bedeutet. In einer Welt, in der politische Konflikte noch immer mit Waffengewalt ausgetragen werden, darf die Wissenschaft nicht zur Handlangerin der Massenvernichtung werden.

Deshalb ist es wichtig, dass ausschließlich militärisch anwendbare Technologien nicht weiterverfolgt werden. Forschungsvorhaben, deren Ergebnisse sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können („Dual Use“), müssen kritisch begleitet werden. Stattdessen sollte an Hochschulen und Forschungsinstituten Friedens- und Konfliktforschung betrieben werden – das schwedische SIPRI ist ein gutes Beispiel.

Auch nach dem 24.2.2022 bleibt das nukleare und konventionelle Wettrüsten der falsche Weg. Gleiches gilt für die politische und gesellschaftliche Fokussierung auf das Militärische: Derzeit soll die Bundeswehr mehr Einfluss auf das Bildungssystem bekommen, Jugendoffizierinnen sollen noch präsenter an Schulen sein und Hochschulen werden zur Kooperation mit der Bundeswehr angehalten, Zivilklausel sollen abgeschafft oder ignoriert werden. Dazu werden Mittel für Bildung und Soziales gegen den Militäretat ausgespielt, erstere Bereiche sollen zugunsten der „Sicherheit“ verzichten. Das ist Militarismus, der das Wettrüsten begleitet. Wir lehnen diese Tendenz klar ab und fordern stattdessen das politische Primat des Zivilen – gerade in der Wissenschaft. Projekte wie die „Cyberagentur“ in Halle (Saale), die dem Verteidigungsministerium noch mehr Einfluss auf die Hochschulfinanzierung einräumen will, treiben die Militarisierung voran und sind Teil des Problems. Zwar ist es im Extremfall erforderlich, sich gegen autoritäre Regime militärisch zu verteidigen. Solange aber die Bedingungen fortbestehen, die solche Regime hervorbringen, ist eine militärische Bezwingung aller autoritären Staaten eine weltfremde Utopie. Mit dem Atomwaffenverbotsvertrag haben atomwaffenfreie Länder insbesondere des globalen Südens im Bündnis mit der globalen Zivilgesellschaft die Initiative für eine Welt ohne nukleare Kriegsmittel ergriffen. Diese Initiative ist zu stärken!

Ein dauerhafter Fortschritt in Richtung Demokratie, Freiheit und internationale Gerechtigkeit ist nur durch eine widerständige Zivilbevölkerung zu erreichen, die ihre Rechte lokal und global gleichermaßen erkämpft. Wir Studierende sollten uns mit diesen Bewegungen solidarisieren und deutsche Waffenlieferungen an autoritäre Staaten bekämpfen!

Zivilklauseln stellen an Hochschulen, außerhochschulischen Wissenschaftseinrichtungen und in Hochschulgesetzen den institutionellen Rahmen für eine zivile, der friedlichen Entwicklung der Welt verpflichteten wissenschaftlichen Praxis dar. Aktuelle Forderungen zur Abschaffung bestehender Zivilklauseln weisen wir daher zurück! Aktivitäten zur Einführung weiterer Zivilklauseln an Hochschulen, sowie außerhochschulischen Wissenschaftseinrichtungen möchten wir unterstützen. Statt eine Zunahme von Rüstungsforschung und Kooperationen mit Akteurinnen, die von einer Abschaffung der Zivilklausel profitieren würden, zu riskieren, müssen den Hochschulen umfassende Mittel bereitgestellt werden, den in ihnen tätigen Wissenschaftlerinnen und Studierenden das Forschen, Lehren und Lernen für eine friedliche, gerechte und demokratische Entwicklung zu ermöglichen. Bund und Länder sehen wir hierzu in der Verantwortung – wir fordern die flächendeckende Einführung von Zivilklauseln in den Hochschulgesetzen!

Beschlossen auf der 72. MV im August 2023 in Hamburg