Bildungspolitische Erwartungen an die neue Bundesregierung

Wir fordern die zukünftige Bundesregierung auf, ihre Bildungspolitik der nächsten vier Jahre an den folgenden Grundsätzen auszurichten:

Hochschulfinanzierung
Bund und Länder müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass ausreichend öffentliche Mittel für die Hochschulen zur Verfügung stehen. Um die Qualität des Hochschulstudiums zu sichern, sind massive Investitionen in den Hochschulbau notwendig. Quantität und Qualität der Hochschulausstattung sind in den meisten Bereichen auf dem Stand der späten Siebzigerjahre stehen geblieben und werden weder der Zahl der StudentInnen noch wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht.

Studiengebühren
Bildung ist ein Recht, es darf kein Privileg bleiben. Wir fordern daher ein Ende der Debatte um die Einführung von Studiengebühren und die Absicherung der Studiengebührenfreiheit im Hochschulrahmengesetz. Ein bundesweites Verbot muss sich auch auf Verwaltungs-, Zweitstudiums-, Aufbau-/Ergänzungs-/Erweiterungsstudiums-, Langzeitstudiums- und Promotionsstudiumsgebühren sowie Studienkonten- und Bildungsgutscheinmodelle erstrecken. Die künstliche Verknappung von Bildungszeit durch Studiengebühren ist abzulehnen.

Studiengebühren schrecken vor allem Kinder aus sozial schwachen und so genannten bildungsfernen Schichten aus Unsicherheit über die Finanzierbarkeit eines Studiums von der Studienaufnahme ab. „Sozial verträgliche“ Studiengebühren kann es nicht geben! Jede Verkoppelung von Bildungschancen mit der – strukturell ungleichen – privaten Einkommens- und Vermögensverteilung in der Gesellschaft reproduziert die entsprechende Ungleichheit in der Teilhabe an Bildung. Dieser Ausgangslage kann auch kein noch so ausgefeiltes Darlehenssystem entgegenwirken, wie die Entwicklung des BAföG anschaulich zeigt.

Studienfinanzierung
Nötig ist insbesondere eine grundlegende Reform der Ausbildungsfinanzierung, die elternunabhängig gewährt werden soll und sich nicht auf den Bereich der Studienfinanzierung beschränkt. Nach dem Vorbild der skandinavischen Staaten müssen junge Menschen über 18, die sich in einer Ausbildung befinden, als Erwachsene behandelt werden.

Eine bedarfsdeckende, staatliche Finanzierung des Lebensunterhalts muss die elterliche Finanzierung ablösen. Das neue System muss sowohl Hochschulstudien als auch die berufliche Ausbildung umfassen. Damit wird eine grundsätzliche Gleichbehandlung aller postsekundären Ausbildungen gewährleistet. Die Lohnzahlungspflicht der Arbeitgeber darf dabei nicht angetastet werden. Dies ist eine unverzichtbare Maßnahme zur Herstellung von sozialer Gerechtigkeit und Freiheit der Berufswahl.

Soziale Lage
Über zwei Drittel aller StudentInnen finanzieren einen Teil oder ihr komplettes Studium durch regelmäßiges „Jobben“. Diese Form der Erwerbsarbeit findet zumeist in prekären Arbeitsverhältnissen mit unzureichender sozialer Absicherung statt. Das gilt auch für studentische Beschäftigte an den Hochschulen. Durch eine umfassende Reform der Studienfinanzierung, die Erhöhung der Anrechnung der Studienzeit für die Sozialversicherung und eine bundesweite tarifliche Absicherung studentischer Hilfskräfte muss diese Lage deutlich verbessert werden.

Zudem sind massive Investitionen zur Bereitstellung preiswerten Wohnraums notwendig. Die in Aussicht gestellten Investitionen des Bundes sind nicht einmal ausreichend, den Bestand zu sichern. Vor allem in Ballungsräumen ist der Wohnungsbau öffentlich zu fördern. Insbesondere die über internationales Hochschulmarketing angelockten ausländischen Studierenden finden derzeit keinen Wohnraum und müssen in Notunterkünften untergebracht werden. Wir fordern in Übereinstimmung mit DSW und HRK ein groß angelegtes Investitionsprogramm.

Hochschulzugang
Wir werden die Regierungsparteien an ihrem Versprechen messen, die Studierquote zu erhöhen. Um den Realitäten an den Hochschulen gerecht zu werden und den Hochschulzugang zu erweitern, sind im BAföG und dem HRG ein Teilzeitstudium zu institutionalisieren. Die Möglichkeiten, auch ohne Abitur eine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben, müssen erweitert werden. Das Modell Gesamthochschule muss ausgebaut, nicht abgeschafft werden. Allen Versuchen, den Hochschulzugang zu erschweren, ist eine Absage zu erteilen, hier ist dem Wildwuchs in den Ländern durch eine rahmengesetzliche Regelung zu begegnen.

Um den Hochschulzugang deutlich auszuweiten, bedarf es auch einer grundlegenden Schulreform. Die Bundesregierung muss diese Debatte anstoßen, auch wenn ihre Kompetenzen noch gering sind. Ganztagsschulen reichen hier nicht aus. Eine Durchlässigkeit des Bildungssystems lässt sich nur durch Abschaffung der Mehrgliedrigkeit (Haupt-, Realschule, Gymnasium, Gesamtschule) erreichen sowie durch eine Reform der Pädagogik, welche die SchülerInnen in den Mittelpunkt stellt anstatt der LehrerInnen.

Weiterbildung
Wir fordern eine gesetzliche Regelung lebenslanger Lernansprüche (Weiterbildungsrahmengesetz), welche sich an einer Stärkung der Rechte und der gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit der einzelnen Individuen orientiert. Dazu gehört auch die Definition eines öffentlichen Finanzierungsanspruchs und einer Beteiligung der Wirtschaft etwa nach dem Muster der dualen Berufsausbildung und/oder nach französischem Vorbild einer Kapitalabgabe in einen nationalen Weiterbildungsfonds. Dabei orientieren wir uns an dem Grundsatz, dass individuelle Qualifikationsverluste infolge wissenschaftlich-technischer Modernisierungen nicht privat angelastet werden dürfen. Erhaltung von Hochschulbildung als öffentlichem Gut

Wir erwarten von der Bundesregierung ein klares Bekenntnis: Hochschulbildung ist öffentliches Gut. Das soll auch so bleiben. Eine Kommerzialisierung von Bildung ist damit nicht zu vereinbaren. Das gilt für Studiengebühren ebenso wie für einen wirtschaftlich betriebenen „Export“ von Studiengängen. Wir fordern insbesondere eine Umkehr im Umgang mit der Welthandelsorganisation (WTO), in der Weiterentwicklung des Handelsabkommens für Dienstleistungen (GATS). Hier betreibt der Bund mit Hilfe der EU derzeit eine Exportstrategie auch im Hochschulbereich, die einen freien und gleichen Zugang zu Bildung sowie eine staatlich gewährleistete Qualitätssicherung gefährden. Die zukünftige Bundesregierung muss bei EU und WTO ein Moratorium für die GATS-Verhandlungen einfordern, bis ausreichende Studien über mögliche Folgen für die Bildung vorliegen.

Unter dem Deckmantel der Internationalisierung darf keine Kommerzialisierung von Bildung betrieben werden. Europäischer Hochschulraum Wir fordern die Bundesregierung auf, sich bei der Gestaltung des europäischen Hochschulraums auch für die oben genannten Ziele einzusetzen. Um die angestrebte freiwillige Mobilität der Studierenden zu erreichen, müssen gerade auch die sozialen Rahmenbedingungen dies ermöglichen. Als Ausrichterin der nächsten Bologna-Folgekonferenz kommt hier der Bundesregierung eine besondere Verantwortung zu.