Für eine qualitative Studienreform

Wissenschaftliche Bildung und Ausbildung an den Hochschulen in Deutschland entsprechen nicht den gesellschaftlichen Erfordernissen. Die aktuelle Debatte um die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen, um Modularisierung und Kreditpunktsysteme sowie um ‚Qualitätssicherungsinstrumente‘ wie Evaluation und Akkreditierung scheint sich dennoch auf eine rein technische Strukturdebatte zu beschränken. Eine transparente öffentliche Debatte um Ziele und Inhalte der Hochschulbildung findet nicht statt.

Der fzs fordert diese Debatte mit diesem Postitionspapier ein. Er wird für eine qualitative Studienreform wirken, die sich an den folgenden Eckpunkten orientiert:

Demokratische Studienreformdebatte statt Expertenklüngel

Was die Qualität eines Studiums ausmacht, ist nicht objektiv bestimmbar. Im Gegenteil: Lernziele werden von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen notwendigerweise widersprüchlich definiert. Die AbsolventInnen können nicht gleichzeitig sowohl reibungslos funktionierende Rädchen im Produktionsprozess als auch Sand im Getriebe sein. Eine Internationalisierung von Studiengängen kann nicht gleichzeitig eine Qualifizierung für die Standortkonkurrenz als auch internationale Verständigung und Solidarität zum Ziel haben. Ebenso herrschen unterschiedliche Vorstellungen von ‚guten‘ Studienbedingungen, Lehr- und Lernformen. Die Definition von Studienzielen, Inhalten und Methoden kann also nur das Ergebnis einer bildungspolitischen Auseinandersetzung sein. Die Foren, in denen diese Debatte geführt wird, sind daher vor allem daran zu messen, inwieweit sie eine Partizipation aller beteiligten Gruppen, die demokratische Legitimierung ihrer jeweiligen VertreterInnen sowie die Transparenz der Debatte gegenüber der Öffentlichkeit gewährleisten. Die Diskussion um Lernziele kann nie abgeschlossen sein, sondern muss sich in sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen ständig fortentwickeln. Lehrende und Lernende vor Ort müssen daher über Lerninhalte und -ziele ständig in Dialog bleiben. Der fzs setzt sich für eine Lehr- und Lernkultur ein, für die forschendes Lernen und eine gemeinsame Bestimmung der Lernziele durch Lehrende und Lernende in allen Lehrveranstaltungen selbstverständlich sind. In jedem Studiengang muss es außerdem Gremien geben, in denen Lehrende und Lernende gleichberechtigt über die Fortentwicklung des Studienganges beraten. Hierüber hinaus brauchen wir auch auf zentraler Ebene einen ständigen Dialog von Hochschule und Gesellschaft über die Ziele, Inhalte und Methoden von Bildung und Wissenschaft. Die Fortentwicklung eines Faches kann dabei weder allein der Diskussion innerhalb der wissenschaftlichen Fachverbände, noch der beliebigen Profilierung einzelner Fachbereiche oder einem direkten politischen Durchgriff der Arbeitgeber überlassen werden. Stattdessen fordert der fzs die Einbindung von gesellschaftlichen Gruppen wie beispielsweise von Gewerkschaften und Umweltverbänden in die Auseinandersetzung um eine Fortentwicklung der Hochschulbildung.

Solidarisches Lernen statt Ellenbogen

Der fzs konstatiert, dass dem Wettbewerb unter den StudentInnen als Regulierungsmechanismus in den Hochschulen eine wachsende Bedeutung zukommt. Dieser wird unter anderem durch neue Barrieren im Bildungssystem forciert, beispielsweise durch die Einführung eines selektiven Bachelor-/Mastersystems sowie durch hochschulinterne Auswahlverfahren für Studienanfänger und für Masterstudiengänge, aber auch durch die geplante Einführung von Ranking-Noten im Rahmen des ECTS. All diese Umstrukturierungen setzen die StudentInnen unter Druck, sich von ihren MitstudentInnen abzugrenzen. Der fzs erteilt diesem Leitbild eine klare Absage. Wir wollen nicht gegeneinander, sondern miteinander studieren. Wissen ist ohne den Austauch mit anderen weder herstellbar, noch zu rechtfertigen oder weiterzuentwickeln. Wenn StudentInnen ein strukturelles Interesse daran haben, dass alle anderen möglichst wenig wissen, wird dieser Austausch mit anderen systematisch behindert. Ein produktiver Lernprozess kann dagegen nur durch ein gemeinsames Erkenntnisinteresse befördert werden.

Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung statt Elfenbeinturm

Die Orientierung von Lehre und Studium auf die berufliche und gesamtgesellschaftliche Praxis ist eine notwendige Voraussetzung für kritische Bildung. Hochschulen sind als Institutionen von Bildung, Forschung und wissenschaftlicher Auseinandersetzung zwangsläufig in gesellschaftliche Entwicklungen und Konflikte eingebunden. Eine Hochschule, die sich als Freiraum außerhalb der Gesellschaft definiert und ihre Arbeit als zweckfrei bezeichnet, nimmt sich jegliche Möglichkeit, die an sie herantretenden Anforderungen in Frage zu stellen und liefert ihre Ergebnisse damit jeglichem Zweck aus.

Kritischer Praxisbezug statt Arbeitsmarktorientierung

Hochschulen müssen ein Ort sein, an dem Lösungen für gesellschaftliche Probleme erarbeitet und Grundlagen für gesellschaftlichen Fortschritt entwickelt werden. Es kann daher nicht einziges Ziel eines Studiums sein, StudentInnen für die bestehende Arbeitswelt zu qualifizieren. Neben einem soliden Fachwissen muss ein Studium auch Kenntnisse und Fähigkeiten zur gesellschaftlichen und politischen Mitwirkung vermitteln. Es ist ein zentraler Bestandteil wissenschaftlicher Ausbildung, bestehende Strukturen zu hinterfragen, Alternativen zu entwickeln und entsprechende Impulse in die Praxis zu geben. Ein praxisorientiertes Studium muss also auch zum Ziel haben, am späteren Arbeitsplatz soziale und ökologische Reformen durchsetzen zu können sowie neue Tätigkeitsfelder zu erschließen. Aber auch über den eigenen Arbeitsplatz hinaus müssen AbsolventInnen in der Lage sein, in gesellschaftliche Entwicklungen aktiv einzugreifen. Der fzs setzt sich daher dafür ein, dass gerade das kritische Betrachten der beruflichen und gesellschaftlichen Praxis den Kern einer Praxisorientierung bildet, die mehr ist als ‚training on the job‘ und dabei tatsächlich zu einer dauerhaften Berufsfähigkeit der AbsolventInnen, aber auch zu gesellschaftlichem Fortschritt beiträgt. Eine so verstandene Praxisorientierung kann nicht durch eine Entwissenschaftlichung ‚berufsorientierter‘ Studiengänge erreicht werden, sondern steht im Gegenteil in direkter Relation zum wissenschaftlichen Niveau des Studiums. Das Leitbild des forschenden Lernens muss daher weiterhin für alle Studiengänge gelten. Die wissenschaftliche und fachpolitische Auseinandersetzung mit der Geschichte und gesellschaftlichen Rolle des eigenen Faches muss ein zentraler Bestandteil jeden Studienganges sein. Technologieentwicklung und Technologiefolgenabschätzung müssen als untrennbare Bestandteile einer verantwortungsbewussten Wissenschaft stets im Zusammenhang gelehrt und gelernt werden.

Bachelor-/Masterstudiensysteme: Keine neue Idee

Die Einführung gestufter Studiengänge wird in Deutschland seit den 60er Jahren debattiert. Auch damals wurde der wesentlich vom Wissenschaftsrat getragene Vorschlag mit der wachsenden Studierendenzahl und dem allgemeinen Ziel einer Studienzeitverkürzung begründet. Mit der 4. Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG) im Jahre 1998 fand die Einführung von Bachelor-/Masterstudiengängen Eingang in die deutsche Gesetzgebung. Mit der Unterzeichnung der Bologna-Erklärung 1999 wurde zudem ein Instrument geschaffen, um die Umstellung der Hochschulabschlüsse auf Bachelor und Master in Deutschland erheblich zu forcieren. Kein anderes Element des Bologna-Prozesses wurde auf europäischer Ebene von deutscher Seite so vehement eingefordert und findet hier so große Beachtung. Mit den im Oktober 2003 durch die Kultusministerkonferenz beschlossenen ”Ländergemeinsamen Strukturvorgaben gemäß § 9 Abs. 2 HRG für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen“, wurden nun grundlegende Richtlinien geschaffen, die unter anderem vorsehen, dass der Bachelor der erste berufsqualifizierende und zugleich Regelabschluss eines Hochschulstudiums ist, sowie dass der Zugang zum Masterstudium von ”weiteren besonderen Zugangsvoraussetzungen“ abhängig sein soll. Der fzs stellt fest, dass es sich bei der Einführung des Bachelor- /Masterstudiensystems im Kern um eine relativ alte Idee handelt, die unter dem Deckmantel der Internationalisierung offensichtlich im wesentlichen auf eine Verkürzung der Regelstudienzeiten und damit auf einen massiven Bildungsabbau abzielt. Außerdem ist vorgesehen, die ‚herkömmlichen‘ Studiengänge innerhalb der nächsten Jahre vollständig durch Bachelor-/Masterstudiengänge zu ersetzen. Das neue Studiensystem soll den Studierenden also nicht mehr als attraktive Alternative, sondern als alternativlose neue Studienstruktur vorgesetzt werden.

Keine Reduzierung von Studienplätzen und freier Zugang zum Master

Die Einführung eines zweistufigen Studiensystems kann bei entsprechender Ausgestaltung sinnvoll sein, um zu einer Erhöhung der Bildungsbeteiligung beizutragen, vor allem durch eine Erhöhung des Zugangs von Menschen ohne allgemeine Hochschulreife. In einem zweistufigen System könnte die Zugangsschwelle zu einem ersten und daraufhin auch einem zweiten Abschluss deutlich gesenkt werden. Dies ist aber nicht das Ziel der aktuellen Einführung: Die bestehende Unterfinanzierung der Hochschulen soll offensichtlich durch eine schärfere Beschränkung des Hochschulzugangs gelindert werden. Bessere Betreuungsrelationen sind notwendig, dürfen aber nicht auf Kosten von Studienplätzen durchgesetzt werden. Durch zusätzliche Selektionshürden im Bildungssystem werden die Potentiale neuer Bildungswege durch ein zweistufiges Studiensystem konterkariert. Der fzs fordert daher einen unbeschränkten Zugang zum Master für alle Studierwilligen. Neukonzeption und qualitative Studienreform statt vermeintliche Kopie anderer Systeme Die Behauptung, es gäbe ein international anerkanntes und vergleichbares zweistufiges Studiensystem, ist falsch. Vielmehr existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Systeme, die allein gemeinsam haben, dass auf das Bachelor- das Masterstudium folgt. In den Köpfen der entscheidenden AkteurInnen hat sich dennoch ein Wunschbild eines homogenen und leistungsfähigen angloamerikanischen Studiensystems verfestigt, das mit der Realität insbesondere der Mehrheit der US-amerikanischen Hochschulen nur sehr wenig zu tun hat. Dieser verklärte Wunschtraum einer wettbewerbsfähigen Elitehochschule mit vergleichbaren, weil identisch organisierten, Bachelor- und Masterprogrammen wird in der deutschen hochschulpolitischen Debatte zum neuen Leitbild erklärt, dem es nachzueifern gelte. Dieses Leitbild leistet aber längst überwunden geglaubten Diskursen Vorschub, die an die Tradition der Ordinarienuniversität anknüpfen und mit progressiver Studienreform nichts zu tun haben. Die Antwort auf die realen Probleme der Hochschulen in Deutschland kann deshalb nur eine Neukonzeption der Studiengänge sein, die eine inhaltliche, die Erfordernisse der Fächer berücksichtigende Überarbeitung der bestehenden Studiengänge zur Grundlage hat. Die formale Festlegung eines starren Zeitschemas nach dem Prinzip von 3+2 oder 4+1 Studienjahren ist daher nicht sinnvoll und hat mit einer qualitativen Studienreform nichts zu tun.

Interdisziplinarität statt Kanonisierung

Zu den politischen Absichtserklärungen zur Einführung des Bachelor-/ Masterstudiensystems gehörte die Ermöglichung neuer interdisziplinärer Studienwege, die verstärkt individuelle Bildungswege möglich machen sollten. Die Trennung konsekutiver und nicht-konsekutiver Masterstudiengänge, wie sie durch die im Oktober 2003 von der Kultusministerkonferenz beschlossenen Strukturvorgaben festgeschrieben wurde, schließt aber eben diese Studienwege aus dem konsekutiven Studiensystem aus und verwehrt im Zusammenhang mit den BAföG- und Studiengebührenregelungen einem Großteil der StudentInnen damit den Zugang zum interdisziplinären Master. Dieses wird noch dadurch verschärft, dass im Zuge der Umstellung auf das Bachelor- /Masterstudiensystem vielerorts interdisziplinäre Studienanteile mit Hinweis auf den möglichen Fachwechsel nach dem Bachelor abgeschafft oder zumindest stark eingeschränkt werden. Quasi ganz nebenbei können die Fachdisziplinen so auch den häufig von den Fächern ungeliebten, von den Studierenden aber geschätzten Wahl- und Kombinationsmöglichkeiten ein unrühmliches Ende bereiten. Ein radikales Umsteuern ist in dieser Hinsicht längst überfällig.

Anerkennung verbessern statt falscher Mobilitätsversprechen

Unter Berücksichtigung der Diversität der europäischen Hochschulsysteme kann die Umstellung auf Bachelor-/Masterstudiengänge und damit eine rein formale Angleichung der Titel nicht ohne weitergehende Aspekte zu einer Vergleichbarkeit und damit zu einer wesentlich gesteigerten Mobilität im europäischen Hochschulraum führen. Diese Einschätzung wird durch bisherige Erfahrungen bestätigt. Vielmehr ist es notwendig, die tatsächliche Anerkennung von einzelnen Lehrveranstaltungen, Studienabschnitten und -abschlüssen vor Ort zu verbessern. Dazu kann die Einführung des ECTS im Sinne einer Orientierung am tatsächlichen studentischen Arbeitsaufwand hilfreich sein. In erster Linie muss auf zentraler Ebene die Ratifizierung sowie die ernsthafte Umsetzung der Lissabonner Anerkennungs-Konvention vorangetrieben werden.

Studiengebührenfreiheit und Ausbildungsförderung für alle Studiengänge

Die Studiengebührenfreiheit muss grundsätzlich für alle Studiengänge gewährleistet werden. Ebenso ist die Ausbildungsförderung nach BAföG für alle Studiengänge sicherzustellen. Eine Unterscheidung von konsekutiven, nicht-konsekutiven und weiterbildenden Studiengängen, die im Übrigen häufig nicht sachlich begründet, sondern eine willkürliche Entscheidung von Landesministerium und Hochschule ist, darf keinerlei Auswirkungen auf die Studienfinanzierung haben. Überdies lehnt der fzs die Auslagerung von MA-Studiengängen in privatrechtlich organisierte Weiterbildungsinstitutionen ausdrücklich ab. Kostenpflichtige MA Studiengänge erhöhen die soziale Selektivität und führen letztlich zu einer Manifestierung finanzieller und sozialer Ungleichheit.

Gleichberechtigung der Abschlüsse

Ausgehend von den oben gefassten Anforderungen an eine Praxisorientierung der Hochschulausbildung ist die Unterscheidung nach forschungsbezogenen und anwendungsbezogenen (berufsorientierten) Masterstudiengängen irreführend und zurückzuweisen. Eine dauerhafte Berufsbefähigung kann nicht durch eine Entwissenschaftlichung der Studiengänge erreicht werden, ebenso wie ‚Forschungsorientierung‘ nicht ohne Anbindung an die Praxis geschehen darf. Die Abschlüsse an Fachhochschulen und Universitäten sind grundsätzlich gleichzustellen. Dies heißt auch, dass das Promotionsrecht auch für AbsolventInnen von FHs zu garantieren ist. Modularisierung: Lernziele diskutieren, neue Möglichkeiten der Studiengestaltung eröffnen Die Modularisierung von Studiengängen stellt die Planenden vor die Herausforderung, über die Lernziele bestimmter Studienabschnitte zu diskutieren und diese in den Gesamtzusammenhang des betreffenden Studienganges einzuordnen. In diese Debatte müssen Lehrende und Lernende als gleichberechtigte DiskussionspartnerInnen einbezogen werden. Der Diskussionsprozess um Lernziele muss kontinuierlich fortgeführt werden, da Lernziele in sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen und angesichts wissenschaftlichen Fortschritts immer wieder neu bestimmt werden müssen. An den Hochschulen ist dagegen derzeit zu beobachten, dass im wesentlichen bestehende Lehrveranstaltungen neu gemischt und damit organisatorische Gegebenheiten in die neue Struktur gegossen werden. Eine Diskussion über eine inhaltliche Studienreform findet nicht statt. Häufig eröffnet die Struktur keinerlei neue Freiheiten in der Studiengestaltung, sondern geht im Gegenteil mit einer Zunahme des Anteils von Pflichtveranstaltungen einher und schränkt die StudentInnen in ihren Möglichkeiten der eigenständigen fächerübergreifenden Kombination und Schwerpunktbildung deutlich ein. Der fzs tritt für eine Modularisierung von Studiengängen ein, die nicht nur Studienstrukturen transparenter macht, sondern auch zusätzliche interdisziplinäre und individuelle Studienwege eröffnet und gleichzeitig eine umfassende Debatte über die Ziele bestimmter Studienbestandteile neu eröffnet.

ECTS: Mobilität statt Prüfungsorientierung

Damit die Einführung des European Credit Transfer Systems (ECTS) tatsächlich zur Mobilität von StudentInnen im europäischen Hochschulraum beitragen kann, müssen die ECTS-Punkte, welche einzelnen Lehrveranstaltungen zugeordnet werden, Auskunft über den erwartbaren Arbeitsaufwand der betreffenden Veranstaltung und damit über deren Gewicht im Gesamtkontext des Studienganges geben. Das ECTS kann somit zur Transparenz der Studienorganisation beitragen, sofern es tatsächlich auf der Grundlage einer Debatte um den studentischen Arbeitsaufwand für die Vor- und Nachbereitung von Lehrveranstaltungen und Prüfungen sowie für eigenständiges Studieren definiert wird. Die derzeit zu beobachtende ‚Reform‘ von Studienplänen mit Hilfe eines festen Umrechnungsfaktors von Semesterwochenstunden in ECTS-Punkte kann hierzu keinerlei Beitrag leisten. Sinnvolle Richtgrößen für den Arbeitsaufwand bestimmter Lehrveranstaltungen sind nur durch die Befragung der StudentInnen zu ermitteln. Die Orientierung von Studienaufwand und -organisation an VollzeitstudentInnen geht dabei an der Wirklichkeit vorbei: VollzeitstudentInnen sind längst nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme. Die von der Kultusministerkonferenz angesetzten 1800 Stunden pro Jahr entsprechen 45 Arbeitswochen a 40 Stunden. Dies verdeutlicht, dass hier die Zeit der StudentInnen vollständig für das Studium verplant wird. Wenn man also die Orientierung an VollzeitstudentInnen konsequent zu Ende denkt, heißt dies, dass die Mehrzahl der StudentInnen auch weiter deutlich länger studieren muss, als es sich BildungsplanerInnen erhoffen. Und da ein ‚Überziehen‘ der Regelstudienzeit inzwischen massiv geahndet wird, führt dies nicht zu einer Verbesserung, sondern zu einer Verschlechterung der Situation Teilzeitstudierender. Das ECTS bietet keine Lösung für TeilzeitstudentInnen, macht aber nochmals deutlich, dass dieses Problem dringend angegangen werden muss. Der fzs nimmt mit großer Beunruhigung wahr, dass unter dem Deckmantel des ECTS vielerorts die Einführung von zahlreichen neuen Prüfungen und eine reine Prüfungsorientierung des Lernens vorangetrieben werden. Der fzs wehrt sich gegen die Vorstellung, dass nur explizit abgeprüftes Wissen als Studienleistung anerkannt werden könne. Rankingnoten, wie sie derzeit im Rahmen des ECTS diskutiert werden, lehnt der fzs ab. Statt der beobachtbaren Prüfungsinflation gehört die Ablösung klassischer durch neue Prüfungsformen auf die hochschulpolitische Tagesordnung. Hierbei sind insbesondere solche Prüfungsformen zu entwickeln, die nicht das Ergebnis des Lernprozesses schematisch abprüfen, sondern den Lernprozess selbst begleiten und forschendes Lernen befördern.

Demokratisierung des Akkreditierungssystems statt Markt und Mode

Für die Gestaltung der Bachelor- und Masterstudiengänge, so die politische Ankündigung, sollten die Planenden vor Ort mehr Freiräume erhalten als bei den ‚herkömmlichen‘ Studiengängen. Rahmenprüfungsordnungen für die neuen Studiengänge wurden nicht erarbeitet. Stattdessen wurde die fachlich-inhaltliche Begutachtung neuer Studiengänge an das Akkreditierungssystem und damit in die Hände von Akkreditierungsagenturen und GutachterInnen abgegeben. Der fzs stellt fest, dass das Akkreditierungssystem bislang keine neuen Gestaltungsspielräume eröffnen konnte. Im Gegenteil: Die Orientierung der Akkreditierungsverfahren auf einzelne GutachterInnen erzeugt auf die antragstellenden Fachbereiche einen enormen Konformitätsdruck. Denn wer als GutachterIn kommen wird und nach welchen Kriterien diese Einzelpersonen urteilen, ist für die Fachbereiche kaum vorhersehbar. Der Mut, vom Mainstream abweichende Studienprogramme zu entwickeln, fällt entsprechend gering aus. Ein zweites Verfahren nach einer abgelehnten Akkreditierung würde neben dem Prestige-Verlust die Mehrzahl der Fachbereiche auch vor einschneidende finanzielle Probleme stellen. Hierüber hinaus existieren Vorgaben einzelner Agenturen, die in ihrer Detailliertheit den Umfang der herkömmlichen Rahmenprüfungsordnungen deutlich überschreiten. Institutionell wurde die fachlich-inhaltliche Überprüfung neuer Studiengänge von den Ministerien auf privatrechtlich organisierte Akkreditierungsagenturen übertragen und damit auf Institutionen, die sich demokratischer Kontrolle weitgehend entziehen. Verbindliche Standards für die Einbeziehung aller betroffenen Gruppen auf allen Ebenen stehen nach wie vor aus. Die Partizipation unterschiedlicher Gruppen in den Gremien des Akkrediterungssystems wird darüber hinaus nicht als politische Interessenvertretung anerkannt, sondern als Beratung durch ExpertInnen verstanden. So sind StudentInnen nicht als VertreterInnen der Verfassten Studierendenschaft, sondern als ‚ExpertInnen der eigenen Studienbedingungen‘ eingebunden. Es verwundert vor diesem Hintergrund wenig, dass die Akkreditierungsagenturen im Allgemeinen wenig Anlass sehen, die StudentInnen selbst entscheiden zu lassen, von wem sie in Akkreditierungsverfahren und -gremien vertreten werden wollen. Der fzs betont, dass die Legitimation der jeweiligen VertreterInnen durch ihre Basis unverzichtbarer Bestandteil eines demokratisch verfassten Gremiensystems ist. Er wird den Studentischen Akkreditierungspool daher weiterhin unterstützen. Die Schaffung des Akkreditierungssystems sieht eine Regulierung durch Marktmechanismen vor: Die Agenturen sollen untereinander in Wettbewerb treten. Es ist zu beobachten, dass auf diesem Markt die inhaltlichen Standards vor allem von denjenigen gesetzt werden, die bereits vorher eine stabile Machtposition in der Bildungspolitik bzw. im jeweiligen Fach besessen haben. Tatsächliche Reformen der Studiengänge werden somit eher behindert als befördert. Marktmechanismen sind ungeeignet, nachhaltige Studienreformprozesse zu initiieren. Es ist widersinnig, die Aufgabe einer kontinuierlichen Studienreform durch eine Orientierung an Markt und Mode erfüllen zu wollen. Für eine ständige, lebendige und demokratische Debatte um eine qualitative Studienreform dürfen die StudentInnen nicht zu KundInnen degradiert, sondern müssen zu gleichberechtigten Diskussionspartnern der Lehrenden werden.

Beschlossen auf der 25. MV in Passau, Mai 2004