Für eine geschlechtergerechte Schule

Schule trägt dazu bei, Kinder und Jugendliche in die Geschlechterdichotomie und -hierarchie der gegenwärtigen Gesellschaft zu sozialisieren und ist damit wesentliches Strukturmoment von Reproduktion geschlechtsstereotypischer Zuschreibungen.

Gesellschaftliche Diskurse um Geschlechtergerechtigkeit, um in Fragestellungen des Patriarchat und um Forderungen nach Gleichbehandlungen von Frauen und Männern kritisieren im Kern die in unserer Gesellschaft gegenüber dem „Männlichen“ tendenzielle Abwertung von sogenannten frauentypischen Eigenschaften und Tätigkeiten und einer damit einhergehenden Benachteiligung von Frauen.

Zur Überwindung dieser Ungleichbehandlung strengen entsprechende Forderungen an, die Frau in ihren Eigenschaften als ebenbürtig und gleichberechtigt gegenüber dem Mann anzuerkennen. Die Gefahr dabei ist, dass diese Forderungen im Gegensatz zu ihrem Ziel, Ungleichbehandlungen manipulieren statt sie zu überwinden, weil sie Frauen und Männer in ihren Betrachtungen isolieren, ihnen geschlechtsdifferenzierende Bedürfnisse unterstellen und damit sozio-kulturell entworfene Unterschiede zwischen Frau und Mann reproduzieren. Ergebnisse sind Diskussionen über geschlechtgetrennte Schulen, Rücksichtnahme auf sogenannte geschlechtsspezifische Interessen, Defizite und Stärken, Diskussionen über die Angleichung der Frau an den Mann usw.

Im Bezug auf Schule spiegelt sich dieser Vorgang im sogenannten „heimlichen Lehrplan“ wieder, welcher unausgesprochene Lernziele und nicht intendierte Lerneffekte beinhaltet, die teilweise im Widerspruch zum offiziellen Lehrplan stehen. Er verfestigt so Hierarchisierung und Segregation von Geschlecht. Schulpraktisch findet sich dies durch curriculare und didaktische Vorgaben, durch die Darstellung der Geschlechter in Schulbüchern, sowie in den alltäglichen Interaktionsstrukturen zwischen LehrerInnen und SchülerInnen wieder. Die Festschreibung der Menschen auf zwei Geschlechter findet sich auch in den subjektiven Theorien der Lehrerinnen und Lehrer.

Wir gehen davon aus, dass Geschlechtsdifferenzen nicht „natürlich“ sind, sondern dass Geschlechtszugehörigkeit sozial erworben wird – es wird „getan“ (doing gender). Das heißt, es findet eine Inszenierung und Attribuierung von Geschlecht statt. Selbstkonzept und Fremdkonzept werden danach ausgerichtet. Obwohl diese Konstruktionen störanfällig sind, werden sie immer wieder geglättet und stimmig gemacht; zum Beispiel, indem die Lehrkraft zu dem Schüler sagt, „komm, ein Junge heult doch nicht“.

Die Zuschreibung der Geschlechtlichkeit, sowie die eigene Inszenierung der Geschlechtszugehörigkeit wird mit der ständigen Wiederholung reproduziert. Dies führt zu einer situationsübergreifenden Geschlechtskonstruktion.

Aus diesem Grunde sieht es der freie zusammenschluss von studentInnenschaften als seine Aufgabe, dieser Wiederholung und der Ontologisierung von Geschlecht entgegenzuwirken. Geschlechtsstereo-typische Zuschreibungen beschränken das Individuum in seinen individuellen Potentialen und behindert es in seiner vollen Entfaltung und Emanzipation.

Um auf eine Emanzipation jenseits der dichotomen Geschlechterdifferenzen und der mit ihr einbegriffenen Hierarchie hinzuwirken, befürwortet der fzs deshalb die reflexive Koedukattion nach Hannelore Faulstich-Wieland. Reflexion über das eigene Handeln, Bewußtwerdung von strukturellen Geschlechtsdifferenzen und eine Interaktion, die auch in der Sprache darauf hinarbeitet, jedem Individuum die Möglichkeit zu geben, sich voll zu entfalten. So können Lehrerinnen und Lehrer dazu beitragen, den sozial konstruierten Kategorien von Geschlecht entgegen zu wirken.

Schule ist kein Vakuum und so ist die Forderung nach reflexiver Koeduktion nicht unabhängig von der Forderung einer sich selbst gegenüber reflektierenden Gesellschaft zu stellen. Denn solange „die Verfaßtheit der Schule darauf ausgerichtet ist, die ihr gesellschaftlich zugewiesene Funktion zu erfüllen, wird Gleichheit allenfalls als Chancengleichheit erreichbar sein, solange Selektion Zuweisung zu unterschiedlich wertigen sozialen Positionen beinhaltet, werden Lebenschancen ungleich verteilt bleiben, solange Integration auch Integration in die Geschlechterhierarchie als ein wesentliches Strukturmoment der gegenwärtigen Gesellschaft meint, werden Integrationsprozesse von Mädchen und Jungen nicht nur unterschiedlich, sondern auch hierarchisch verlaufen.“ Entsprechend fordert der fzs und setzt sich selber dafür ein, neben der Etablierung von Koedukation auf eine Gesellschaft hinzuarbeiten, die mittels Überwindung von Hierarchien und Autoritäten eine soziale Selektion und damit eine Geschlechterselektion nicht mehr kennt.

Beschluss der 30. Mitgliederversammlung, Freiburg im August 2006.