Thesen zum verantwortungsbewussten Umgang mit E-Learning

Durch die Verbreitung von Multimedia und Internet erwachsen neue Möglichkeiten von Kommunikation und Lernarrangements. In Schule wie Hochschule ist ein Trend zum E-Learning feststellbar. Der Begriff „E-Learning“ umfasst dabei alle Formen von Lernen, bei denen digitale Medien für Präsentation und Distribution von Lernmaterialien oder zur Unterstützung zwischenmenschlicher Kommunikation zum Einsatz kommen.

Die jeweiligen Formen müssen dabei den Anforderungen emanzipatorischen Lernens gerecht werden. Inwiefern E-Learning gelingt, ergibt sich dabei aus der Einbindung in das konkrete Lernarrangement. Eine solche Einbindung kann im konkreten Fall gelungen, misslungen oder auch gar nicht vorhanden sein. Überspitzt gesagt liegt im letzteren Fall „E” ohne Learning vor.

Ausgangspunkt: Emanzipatorisches Lernen mündiger Individuen statt Technokratie
Lernen ist ein individueller Prozess, durch den das Subjekt seine Handlungsmöglichkeiten in der Welt erweitert. Lernen definiert sich nicht durch Eintrichtern von Input, sondern als Outcome eigenen Handelns. Im Rahmen von E-Learning gilt es daher – wie im Rahmen jedweder Lernarrangements -, unbedingt darauf zu achten, dass die technischen Möglichkeiten nicht zur Kontrolle und Reglementierung genutzt werden und damit wirkliche Lernprozesse ersticken.

Vielmehr muss eine positive Alternative entwickelt werden, indem neue Möglichkeiten der hierarchiefreien Kommunikation und des gemeinsamen selbstbestimmten Lernens verwirklicht werden. Dabei kann E-Learning lediglich eine Teilkomponente darstellen, die Entwicklung hierarchiefreier Lernverhältnisse setzt eine Enthierarchisierung der Hochschule selbst voraus.

These 1: E-Learning braucht Austausch und Kommunikation
E-Learning muss berücksichtigen, dass Lernen nur als Tätigsein in der Welt und damit als sozialer Prozess stattfindet. Ein Lernarrangement ohne jegliche Präsenzphase und gemeinsamen Austausch – auch face-to-face – ist daher in sich beschränkt.

Nachhaltiges E-Learning ist um die Ermöglichung von Kommunikation bemüht und nicht um deren Verhinderung. Grundsätzlich erscheinen Formen des „blended learning“ sinnvoll, in denen E-Learningphasen mit Anwesenheitsphasen kombiniert werden. Auch die Einbettung von E-Learning in traditionelle Seminar- und Lernarrangements muss einem stimmigen Konzept folgen. Demgegenüber muss „distance learning“ eine Möglichkeit für einen direkten Austausch aller Beteiligten beinhalten.

These 2: E-Learning benötigt Qualifikation und Reflexion der Lehrenden
Auch E-Learning setzt eine didaktische Konzeption mit einem entsprechenden Aufwand an Vor- und Nachbereitung voraus. Damit es nicht zu einer einseitigen und standardisierten Wissensvermittlung kommt, ist eine spezielle didaktische und technische Qualifikation der Lehrenden dringend notwendig. Derzeit fehlen vielen Lehrenden noch die hierzu notwendigen Kenntnisse. Die Hochschulen müssen dafür sorgen, dass die Lehrenden entsprechend qualifiziert sind und E-Learning nicht als Instrument für eine oberflächliche Selektions- und Testmaschinerie missverstanden wird. Eine solche durch E-Learning drohende Reduktion birgt die Gefahr, dass kritische Reflexion und jeglicher Blick über den gegenwärtigen Stand der Dinge hinaus verloren gehen und E-Learning letztendlich auf den Lernerfolg reduziert wird.

These 3: E-Learning benötigt Qualifikation und Reflexion der Lernenden
Nicht nur auf die Lehrenden kommen im Rahmen von E-Learning neue Herausforderungen zu. Der Erwerb der technischen Grundkenntnisse sowie der Zugang zu entsprechender Ausstattung muss allen Studierenden garantiert werden. Technische Schwierigkeiten dürfen keine Hürden darstellen und Barrierefreiheit muss gewährleistet sein.

Entsprechend bedarf es möglichst einer Begleitung des Seminars, die allen Lernenden die vorhandenen technischen Möglichkeiten eröffnet, ohne dabei in deren Eigenständigkeit einzugreifen. Um sich in immer wieder neuen Lernarrangements zurecht zu finden und diese mit verändern zu können, müssen Studierende dazu nicht nur qualifiziert werden, sondern auch berechtigt sein.

These 4: E-Learning ist eine Möglichkeit zur Öffnung der Hochschule
E-Learning muss die Öffnung der Hochschule vorantreiben. Dies bedeutet erstens, dass die Ergebnisse gemeinsamen Forschens und Lernens der Gesellschaft zugänglich gemacht werden. Zweitens soll E-Learning den Diskurs von Menschen verschiedener Hochschulen, Disziplinen und Vorkenntnisse sowie Menschen von außerhalb der Hochschulen ermöglichen.

Auf diese Weise kann eine heterogene Gruppe entstehen, die in der Zusammenarbeit die Möglichkeiten ihrer eigenen Vielfalt auszuschöpfen vermag. Hierbei müssen allen Beteiligten alle Gestaltungsmöglichkeiten und -rechte offen gehalten werden. So darf E-Learning etwa nur mit Hilfe von Software unter freien Lizenzen stattfinden.

These 5: E-Learning muss Datenschutz garantieren
Ein verantwortlicher Umgang mit E-Learning schließt die Beachtung der informationellen Selbstbestimmung und des Rechts auf Privatsphäre zwingend mit ein. Dies bedeutet nicht nur Verhinderung einer nicht ausdrücklich autorisierten Veröffentlichung personenbezogener Daten, sondern schließt auch eine Kontrolle darüber ein, auf welche Weise die eigenen persönlichen Daten an welcher Stelle gespeichert und wann sie gelöscht werden.

Die entstehenden Möglichkeiten verstärkter Erfassung von Daten und Überprüfung von Onlinetätigkeiten sind als Instrumente zur Kontrolle und Konformisierung der Partizipierenden strikt abzulehnen. Emanzipatorische Lernprozesse und kritische Reflektion würden dadurch verhindert und stattdessen eine Standardisierung der Lernschritte und damit eine Anpassung an den antizipierten Lernweg gefördert.

Um dies zu verhindern, muss die verwendete Software frei von derartigen Instrumenten sein. Darüber hinaus müssen ihre Verwendungsmöglichkeiten transparent gemacht sowie ihre Zugangs- und Benutzungsrechte egalisiert werden. Nur so kann gewährleistet werden das die Anwender und Anwenderinnen angstfrei und unvoreingenommen aber kritisch mit dem Medien umgehen.

These 6: E-Learning benötigt Begleitforschung
Die besondere Bedeutung spezieller Didaktik zur Vermittlung technischer Fertigkeiten wurde oben bereits betont. Um eine verantwortungsbewusste Anwendung der sich rasch entwickelnden Möglichkeiten zu zulassen, muss entsprechende Forschung diese begleiten und gestalten. Dabei steht die Forschung zum E-Learning selbst erst am Anfang.

Die technische Unterstützung ermöglicht eine große Bandbreite an neuen Lernarrangements. Um deren Chancen, zum Beispiel zur Ermöglichung individueller Lernverläufe und effektiver Evaluationen richtig nutzen zu können, müssen sie methodisch hinterfragt und entsprechend weiterentwickelt werden. Besonders mit Blick auf die Konsequenzen für Lernen und Lernende muss der Umgang mit virtuellen Lernumgebungen von Forschung begleitet werden. Diese Herausforderungen müssen nicht nur technisch sondern auch sozialwissenschaftlich bewältigt werden.