1. Aktuelle Situation Prekäre Beschäftigung an Hochschulen, ohnehin schon seit Jahrzehnten ein dominanter Missstand, hat in den letzten Jahren explosionsartig zugenommen. Waren im Jahr 2000 bereits 80% der Arbeitsverhältnisse an Hochschulen befristet, so kommen mittlerweile auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis 9 befristete.[1] Die Ausmaße an prekärer Beschäftigung, wie es sie an den Hochschulen gibt, wird man in dieser Form selbst in der freien Wirtschaft nirgends finden. Damit setzt das deutsche Wissenschaftssystem auf eine Trennung zwischen ”echten” Wissenschaftler*innen auf Dauerstellen zu prekären Hilfsstellen, die international Ihresgleichen sucht. Der Großteil der Wissenschaftler*innen und Beschäftigten an Hochschulen muss sich so immer wieder von Projektfinanzierung zu Projektfinanzierung hangeln. Als zusätzliches ”Alleinstellungsmerkmal” speziell des deutschen Hochschulsystems kommt hinzu, dass es nach Abschmelzung des sog. ”Mittelbaus” im Grunde genommen keine gesicherte Berufsperspektive ohne Professur an der Hochschule gibt. [2]
2. Ursachen prekärer Beschäftigung an Hochschulen Über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat der Gesetzgeber zeitliche Befristungsgrenzen für befristete Arbeitsverhältnisse vorgesehen. Innerhalb von 6 Jahren soll bzw. muss demnach ein*e Stelleninhaber*in entfristet werden. Die aktuelle Praxis der Hochschulen beförderte das genaue Gegenteil: Die Leute wurden i.d.R. gerade nicht entfristet, sondern entlassen. Da die Regelung sich auf das Bundesland als Arbeitgeber bezieht, bleibt vielen als einziger Ausweg die Wanderung in ein anderes Bundesland und Hoffnung, dort eine Stelle zu bekommen. Nach der ursprünglichen Intention sollte mit dem Gesetz übrigens befördert werden, dass sich die Leute in dieser Zeit weiter für die nächste Karrierestufe qualifizieren und die Hochschulen Leute dann nicht ewig und maßlos befristen, sondern diese Leute irgendwann entfristet werden. Nicht nur mit dem Gerücht, dass man nur durch stets neue Köpfe – und also stetigen Wechsel – eine kreative Hochschule zustande bekäme, wird begründet, dass Leute nicht entfristet, sondern entlassen werden. Auch durch die große Relevanz von Drittmitteln für die finanzielle Ausstattung der Hochschulen wird befristete Beschäftigung als scheinbar einzig mögliche Form verfestigt. Der Glaube an stetige Projektfinanzierung und die Kultur des Antragsschreibens bewirkt, dass ein Großteil der Beschäftigten nur noch für diese Projekte angestellt werden und sie danach sehen müssen, wo sie bleiben. Diese Mentalität wurzelt in den ökonomischen Zwängen, denen sich die Hochschulen und ihre Funktionsträger*innen unterworfen sehen. Ihnen bleibt eine begrenzte Menge an Ressourcen, die sie bei Gefahr des eigenen Bedeutungsverlustes in die Akquise weiterer Mittel investieren müssen. Das betrifft die Beschäftigtenstruktur nicht nur dadurch, dass dabei fleißige Wissenschaftsmanagementsubjekte gezüchtet werden, die die antrainierten Wettbewerbslogiken intuitiv auf ihre Personalpolitik übertragen. Tatsächlich sind die wissenschaftlichen Angestellten auch unmittelbar betroffen, wenn ihre Stellen nur aus Zweit- oder Drittmitteln finanziert werden. [3] Mittelbar sind die Beschäftigen von diesen Wettbewerben betroffen, wenn Gelder für Stellen flüssig gehalten werden, um sie gegebenenfalls in andere Bereiche umzuleiten. Beispielsweise kann es im Interesse der Investitionsbestrebungen einer Universität liegen, einem Lehrstuhl Personalmittel zu entziehen, um sie einem anderen zur Verfügung zu stellen. Solche Praktiken ergeben sich zwangsläufig aus dem Konkurrenzdruck um Professor*innen. Wissenschaftler*innen, die als attraktiv gelten, können z.T. nur mit zusätzlichen Mitarbeiter*innenstellen dazu bewogen werden für eine Hochschule (weiter) zu arbeiten. Selbst in der freien Wirtschaft, in der auch mit Projekten gearbeitet wird oder die Finanzausstattung nicht auf Dauer komplett absehbar ist, wird nicht mit derart exorbitanten Befristungsquoten beschäftigt. Da man die Leute auch halten will und von bereits qualifizierten Leuten dauerhaft auch mehr als sechs Jahre profitieren möchte, bietet man ihnen auch sichere Beschäftigungsverhältnisse an.
3. Hierarchiefreie Wissenschaft statt Prekarisierung und Konkurrenzdruck Der beschriebene Missstand hängt eng damit zusammen, dass ein ganz bestimmtes Bild der Professur in Deutschland vorherrscht. Es kann nur Eine*n geben – so gilt es nicht nur in den Highlands von Hollywood, sondern auch an der Hochschule. Der*die Lehrstuhlinhaber*in ist der, dem in der althergebrachten Hochschulhierarchie alles untergeordnet ist und auch auf dem Weg dorthin schaffen es nur Wenige. Um diese Spitzenpositionen des*der Lehrstuhlinhaber*in oder Professor*in herum befinden sich im derzeitigen System abhängig und befristet beschäftigte teilmündige Wissenschaftler*innen, die sich in einer Konkurrenz befinden, die Spitzenposition einzunehmen. Diese werden dementsprechend auch als sog. ”wissenschaftlicher Nachwuchs” bezeichnet. Es handelt sich hierbei aber eigentlich nicht um Heranwachsende, sondern um erwachsene Menschen mit eigenen Interessen, Fähigkeiten und Arbeitsschwerpunkten. Anstatt diese eigenen Interessen und Arbeitsschwerpunkte zu befördern, ist ihre Freiheit, selbst Wissenschaft zu betreiben, immer an den oder die Professor*in gebunden. Art 5. GG wird dementsprechend auch fälschlicherweise oft so verstanden und betrachtet, als wären nur diese wenigen Professor*innen Träger*innen der ”Wissenschaftsfreiheit”. Die wissenschaftliche Arbeit baut jedoch weniger auf bloßen Einzelleistungen und Hierarchien auf, sondern profitiert von der kollektiven Auseinandersetzung auf Augenhöhe im Streit um das bessere Argument. Dieses Konzept der Professur und die entsprechende Strukturierung der Wissenschaftswelt kritisiert der fzs. Insbesondere die von wenigen Individuen dominierte Lehrstuhlstruktur stellt ein Problem dar und behält viele eigentlich zur Eigenständigkeit fähige Menschen in höchst abhängigen Arbeitsverhältnissen. Der fzs lehnt berufsständisch organisierte Strukturen ab und fordert mehr unabhängig und langfristig Beschäftigte an Hochschulen. Es muss möglich sein, freie*r Wissenschaftler*in zu sein, ohne zu den 10% an der angeblichen Spitze zu gehören. Daueraufgaben in der Lehre müssen auf Dauerstellen übernommen werden. Forschung und Lehre sind gleichberechtigte Aufgaben einer Hochschule und müssen auch gleichwertig berücksichtigt werden – auch hinsichtlich von nichtprekären Arbeitsverhältnissen. Sofern Beschäftigungsverhältnisse dennoch befristet werden, sollte es hierfür einen Befristungszuschlag für die Beschäftigten geben. Die Qualität des Studiums muss durch Personalentwicklungsmaßnahmen wie Weiterqualifizierungen und sinnvolle Evaluationszyklen gewährleistet werden. Wenn sich Professor*innen in bestimmten Ämtern der akademischen Selbstverwaltung engagieren, bekommen sie vielfach Deputatsermäßigungen und der damit einhergehende ”Verlust” an Lehre wird in den jeweiligen Fächern substituiert. Eine solche Vertretung darf nicht über kurzfristige befristete prekäre Arbeitsverhältnisse geschehen, die sich für die Studierenden nachteilig auswirken können. Eine Kontinuität in der Lehre kann z.B. mit befristeten Lehraufträgen, die weder längere Zeit am Institut sind noch Prüfungen abnehmen können, keineswegs geleistet werden.[4] Aber die Probleme fangen nicht erst bei der Professur oder im Mittelbau an. Die Einübung in berufsständische Abhängigkeitsverhältnisse, wie sie an der Hochschule der Normalfall sind, findet vielmehr bereits im Bereich der wissenschaftlichen Hilfskräfte statt. Auch hier ist darauf hinzuwirken, dass studentische Beschäftigte nicht mehr an einem Lehrstuhl angestellt sind. Sie sollten besser bei einer übergeordneten Einheit wie dem Institut oder der Fakultät beschäftigt werden. Um die Probleme prekärer Beschäftigungsverhältnisse und einer verfehlten bzw. nicht vorhandenen Personalpolitik kurzfristig anzugehen, braucht es an den Hochschulen einen Kodex für gute Arbeit in der Wissenschaft. In diesem sollte festgelegt werden, wie an der jeweiligen Hochschule Beschäftigungsverhältnisse gestaltet werden. Der jeweilige Kodex sollte an der Hochschule konkret erarbeitet werden. Auf EU-Ebene wurde schon 2005 die ”Europäische Charta für Forscher und Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern” vorgelegt. In dieser hielt die Europäische Kommission die Festlegung von Standards für Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen fest, die sie insbesondere auf die ”Organisation von Arbeits- und Ausbildungsbedingungen im frühen Stadium der Laufbahn von Forschern” [5] bezog und hier u.a. Anerkennung des Berufs, Nichtdiskriminierung, Arbeitsbedingungen, Stabilität und Beständigkeit der Beschäftigung, Finanzierung und Gehälter, „Laufbahnentwicklung” anmahnte [6]. Weiter vorangetrieben wurde diese Diskussion zuletzt durch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft mit dem ”Herrschinger Kodex” [7], einer umfassenden Vorlage für einen Kodex für gute Arbeit in der Wissenschaft, die seither in der Diskussion ist. Über die Diskussion eines solchen Kodex kann eine Sensibilisierung für Beschäftigungsverhältnisse vor Ort ermöglicht werden. Eine solche Debatte hält der fzs für dringend notwendig. Der Handlungsbedarf erstreckt sich auch auf zugrunde liegende Probleme in der Finanzausstattung und Mittelvergabe. Es bedarf einer Abkehr von der Wettbewerbsorientierung, seien es Projektmittel, leistungsorientierte Mittelvergabe oder befristete Länderprogramme. Stattdessen muss es eine verlässliche und ausreichende Stellenplanung in der Grundfinanzierung der Hochschulen geben. Zudem fordert der fzs das System von Professuren und abhängig beschäftigten, wissenschaftlich unfreien Mitarbeiter*innen zu überwinden. Die ständischen Hierarchien müssen genauso abgeschafft werden, wie die bestehenden Lohnabhängigkeitsverhältnisse.
[1] Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013: 2] www.gew.de/Binaries/Binary65439/WiKo10_Reinhardt_Kreckel.pdf Ein Großteil der akademischen Arbeit speist sich aus solcherlei zeitbegrenzten Geldern. Im Jahr 2012 finanzierte die RWTH Aachen beispielsweise 2.185,1 wissenschaftliche Stellen durch Drittmittel, bei insgesamt 3.627,1 wissenschaftlichen Mitarbeitern macht das über 60% aus (ohne medizinische Fakultät). [4] Einzelne Lehraufträge von außerhalb der Hochschule sind zu Ergänzung der Lehre weiterhin zu begrüßen. Nur dürfen Lehrstühle nicht dauerhaft vertreten werden. [5] Europäische Kommission (2005): Europäische Charta für Forscher. Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern, Brüssel. ec.europa.eu/euraxess/pdf/brochure_rights/eur_21620_de-en.pdf (Europäische Kommission 2005: 6f.) [6] Ebenda, S. 12ff. [7] www.herrschinger-kodex.de