Wider dem rechten Kulturkampf in der Hochschule, überall – für (gesellschafts-)kritische Wissenschaft

In der jüngeren Vergangenheit erleben wir vermehrt einen Kulturkampf von rechts, der sich in Teilen auch einer gewissen Anschlussfähigkeit einer breiten Öffentlichkeit erfreut. Während der faschistoide Republikaner Ron DeSantis am Campus in Florida die Wissenschaftsfreiheit einschränkt und Ungarn bereits 2018 Gender Studies verboten hat, bringt die völkische und in immer größeren Teilen neo-faschistische AfD den Antrag „Umgehend eine Evaluation sogenannter Agendawissenschaften durch den Wissenschaftsbeirat beantragen“ im Bundestag ein [1]. Dabei spielt im aktuellen Diskurs Geschlecht eine zentrale Rolle.

Agenda-what? – es heißt kritische Forschung
Unter „Agendawissenschaften“ verstehen sie u. a. Postcolonial Studies, Gender Studies und jede Forschung, die sich für, aus ihrer Perspektive, „angeblich diskriminierte Minderheiten“ interessiere. Diesen werfen sie in Gänze Unwissenschaftlichkeit vor und Teil einer „Identitätslinken“ zu sein. Ihr eigentliches Ziel ist vielmehr das Rausdrängen von gesellschaftskritischer, emanzipatorischer Forschung und Bildung. Aber genau das ist es, was Forschung vorantreiben soll: Fortschritt zum Wohle der Menschen. Dass kritische Forschung dauernd in Bedrängnis ist, zeigt die Schließung des in der Bundesrepublik einzigartigen Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte an der FSU Jena [2].

Für uns ist klar: (gesellschafts)kritische Forschung muss gestärkt statt eingeschränkt werden.

Das Problem heißt Erstarken der AfD
Dass das Programm der AfD ein Problem für die Menschen in Deutschland darstellt, ist klar. Der Höhenflug der AfD aktuell beflügelt sie. An Hochschulen sind ihre Hochschulgruppen bisher nicht erfolgreich gewesen. Das könnte sich ändern, wenn die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung in naher Zukunft mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Damit würde der bereits geführte Kulturkampf von rechts an Hochschulen weiter gestärkt werden.

Deswegen fordern wir als Studierendenvertretungen in Deutschland weiterhin: Keine öffentlichen Mittel für die rechtsradikale Desiderius-Erasmus-Stiftung.

Das Problem beginnt nicht erst bei der AfD
Die AfD ist im parlamentarischen Betrieb nur die Spitze. Auch andere Parteien in Opposition und Regierungen unterstützen extrem rechte Narrative in Idee und Tat. Ein prominentes Beispiel ist die Verbrüderung der CSU mit dem christlich-nationalistischen US-Politiker Ron DeSantis, der in dem von ihm regierten US-Bundesstaat Florida nicht nur gegen die wissenschaftliche, sondern auch gegen die Selbstbestimmung von Frauen, inter, nicht-binären, agender und, allen voran trans* Personen, vorgeht. Der CDU Vorsitzender Friedrich Merz will währenddessen die Union als „Alternative für Deutschland mit Substanz“ verkaufen [3]. Bei dieser symbolischen und sprachlichen Annäherung an die extreme Rechte bleibt es aber nicht: In Sachsen verbietet der CDU Kultusminister Schulen und mit dem Kultusministerium zusammenarbeitenden zivilgesellschaftlichen Organisationen mit Sonderzeichen geänderte Sprache, die Menschen abseits der Geschlechterbinärität mitspricht [4]. In Thüringen haben CDU und AfD im November 2022 gemeinsam einen Antrag beschlossen, der alle staatlichen Stellen, auch Hochschulen, auffordert, gendergerechte Sprache zu verbieten [5].

Die aktuellen Narrative des rechten Kulturkampfs treffen insbesondere inter, nicht-binäre, trans* und agender Personen und reichen bis zur offenen Bedrohung und Anzweiflung des Existenzrechts dieser Gruppen. Auf diesen Zug können vermeintliche Kritiker:innen der Postmoderne aufspringen, die wie im Fall des Transfeindes Bernd Ahrbeck keine wissenschaftlich-fundierte Kritik formulieren, sondern bloß ihren Ressentiments einen wissenschaftlich-seriösen Anstrich geben wollen [6]. Mit dem „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ hat sich 2020 sogar eine vorwiegend professorale Organisation gegründet, die perfiderweise unter dem Deckmantel der Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit den rechten Kulturkampf „gegen Gendern“ bis tief in die Hochschulen trägt. Das Netzwerk zählt heute über 750 Mitglieder, die sich als Opfer von „Cancel Culture“ inszenieren, während sie die ihnen vielfach gegebene Macht als Lehrstuhlinhaber*innen dafür nutzen, um rechten politischen Aktivismus zu betreiben – häufig explizit gegen die Studierenden, deren demokratisch gewählten Gremien und die Mitarbeiter*innen am jeweiligen Lehrstuhl oder Institut. Das Schlagwort der Wissenschaftsfreiheit wird zum Schlachtruf gegen Kritik von Hochschulmitgliedern, die qua Status weniger Einfluss im deutschen Hochschulsystem haben. Mit der eigentlichen Bedeutung des Begriffes hat das nichts zu tun. Anstatt über eine „Trans-Lobby“ zu fantasieren, sollte die patriarchale Identitätslogik kritisiert und analysiert werden, die Menschen immer wieder in Geschlechterrollen zwängt. [7]

Wir stellen uns dem entgegen und leisten als Studierendenvertretungen Widerstand gegen den rechten Kulturkampf an Hochschulen und in der Gesellschaft.

Für (gesellschafts)kritische Forschung – aber was ist das überhaupt?
Wir stehen an der Seite der Forscher:innen, die eine gesellschaftskritische Analyse in ihrer Forschung vorantreiben und weiterentwickeln. Dabei ist es für uns selbstverständlich, dass unter Forscher:innen intensiv gestritten wird, um im Denken voranzukommen. Diese Streits sind notwendig, denn nicht jede:r, der:die in den Bereichen wie Gender Studies, Postcolonial Studies oder anderen Bereichen arbeitet oder forscht, teilt dieselben Analysen. Als fzs kritisieren wir auch antisemitische Tendenzen in postkolonialer Forschung [8}, können aber trotzdem Errungenschaften postkolonialer Forschung erkennen und sie für uns nutzen.

Wir müssen uns als Verband aber auch selbst fragen: Was verstehen wir unter (gesellschafts)kritischer Forschung? Und zwar immer wieder. Denn Gesellschaft verändert sich – und somit auch der Gegenstand der Forschung und dadurch die Forschung selbst.

Wir fordern:

  • Keine Förderung durch öffentliche Mittel für die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung
  • Ausfinanzierung der Hochschulen durch öffentliche Mittel
  • Spürbar mehr Geld für (gesellschafts)kritische Forschung an deutschen Hochschulen
  • Die Prüfung der Erhaltung der Geschlechtergeschichte an der FSU Jenad
  • Eine intensive Beschäftigung des fzs mit dem Komplex kritische Forschung bis zur Sommermitgliederversammlung 2024
  • Die Erarbeitung eines Papers zu kritischer Wissenschaft bis zur Sommermitgliederversammlung 2024

[1] AfD, 04.07.2023: Umgehend eine Evaluation sogenannter Agendawissenschaften durch den Wissenschaftsrat beantragen in: Deutscher Bundestag: Drucksache 20/7565; digital abrufbar: https://dserver.bundestag.de/btd/20/075/2007565.pdf.
 [2] Freund:innen der Geschlechtergeschichte, 26.07.2023: Geschlechtergeschichte an der Uni Jena erhalten; digital abrufbar: https://www.soziologie.uni-jena.de/institut/genderkommission/aktuelles/geschlechtergeschichte-retten-fsu.
 [3] phoenix, 19.07.2023: Statements zur CSU-Sommerklausur u. a. von Markus Söder und Friedrich Merz; digital abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=_ouZpDBwMhE ab 9:33.
 [4] Konferenz Sächsischer Studierendenschaften, 13.07.2023: Welche Probleme löst diese Problem?; digital abrufbar: https://www.kss-sachsen.de/pm_22_23.
 [5] Nicole Opitz, 11.11.2022: Krieg gegen das Sternchen in: taz.de; digital abrufbar: https://taz.de/Thueringer-Antrag-gegen-das-Gendern/!5894568/.
 [6] Charlie Kaufhold, 08.10.2020: Homo- und Transfeindlichkeit mit wissenschaftlichem Anstrich in: Amadeu Antonio Stiftung: Belltower.News; digital abrufbar: https://www.belltower.news/kein-ausnahmefall-homo-und-transfeindlichkeit-mit-wissenschaftlichem-anstrich-105249/.
 [7] fzs, 07.08.2021: fzs kritisiert das „Netzwerk für Wissenschaftsfreiheit“; digital abrufbar: https://www.fzs.de/2021/03/08/fzs-kritisiert-das-netzwerk-fuer-wissenschaftsfreiheit/.
 [8] fzs, 01.10.2023: Gegen den postkolonialen Antisemitismus der documenta fifteen; digital abrufbar: https://www.fzs.de/2022/10/01/gegen-den-postkolonialen-antisemitismus-der-documenta-fifteen/.

Beschlossen auf der 72. MV im August 2023 in Hamburg