Von Bologna nach Berlin

Mobilität von Studierenden und Dozierenden erhöhen

Der fzs unterstützt ausdrücklich das Ziel, die Mobilität von Studierenden und Dozierenden maßgeblich zu erhöhen. Dies bietet nicht nur Vorteile für die Betroffenen, sondern infolge neuer Impulse für Lehre, Forschung und Arbeitsmarkt sowie einer Stärkung des internationalen Bewusstseins und der internationalen Verflechtungen Vorteile für die gesamte Gesellschaft. Allerdings besteht bei einer lediglich die Hochschulstrukturen betrachtenden Harmonisierung der Bildungssysteme die Gefahr der Herausbildung einer durch die familiäre finanzielle Situation begünstigten, mobilen europäischen Bildungselite. Daher ist es unerlässlich, die soziale Dimension von Mobilität mitzuberücksichtigen und den finanziellen und zeitlichen Mehraufwand, der Studierenden durch einen Auslandsaufenthalt entsteht, durch finanzielle Zuschüsse und ordnungspolitische Maßnahmen zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist es notwendig, kulturelle und sprachliche Barrieren für Studium und Lehre an ausländischen Hochschulen durch einen deutlichen Ausbau landeskundlicher und sprachlicher Ausbildung an Schulen und Hochschulen abzubauen. Wegen der gesellschaftlichen Vorteile, die ein Mehr an Mobilität mit sich bringt, sowie zur Stärkung der Chancengleichheit müssen die entstehenden Mehrkosten durch die Gesellschaft getragen werden.

Chancengleichheit statt „Wettbewerbsfähigkeit“

Der fzs lehnt den Begriff der „Wettbewerbsfähigkeit“ des nationalen oder europäischen Bildungssystems als irreführend ab. Hochschulen und Bildungssysteme müssen sich an den Bedürfnissen und Interessen der Betroffenen orientieren; insofern sollte ihre Attraktivität erhöht werden. Grundvoraussetzung dafür ist ein ausreichendes Angebot an Studienplätzen, den Anforderungen wissenschaftlicher Arbeit genügender technischer Ausrüstung und Ausstattung der Bibliotheken sowie didaktisch und inhaltlich qualifiziertem Lehrpersonal.

Die Studierenden in Europa haben, wie die Studierenden weltweit, ein Recht auf gleichwertige Bildung sowie vergleichbare wirtschaftliche und soziale Verhältnisse. Verdrängende Konkurrenz, aggressiver Wettbewerb und qualitative Differenzierung sind mit dem Grundrecht auf Hochschulbildung, der Freiheit von Forschung und Lehre sowie mit dem internationalen Anspruch von Wissenschaft nicht zu vereinbaren. Vielmehr bedarf es im Sinne der Solidarität in der Wissenschaft und im Anspruch auf weltweite Entwicklung Überlegungen, wie durch finanzielle Unterstützung der reichen Staaten die Hochschulsysteme in Ost-, Südost- und Südeuropäischen Staaten ein vergleichbares Niveau der technischen und personellen Ausstattung herzustellen ist.

Europäische Qualitätssicherung

Der fzs begrüßt die Forderung nach einem europäischen System der Qualitätssicherung. Die Erforderlichkeit gemeinsamer Kontrolle und Verbesserungsanstrengungen ergibt sich bereits aus dem Anspruch auf Gleichwertigkeit der Bildung. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass Qualität mehr ist als Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt: Qualität muss sich in erster Linie an wissenschaftlichen Maßstäben messen lassen, sie beinhaltet aber auch die Fähigkeit des Bildungssystems, Studierende zum kritischen Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu befähigen, die sozialen und ökologischen Folgen von Forschung und Entwicklung zu reflektieren und zu berücksichtigen.

Ausweiten des Hochschulzugangs und lebensbegleitendes Lernen

Eine Harmonisierung der europäischen Hochschulsysteme erfordert von der Bundesrepublik Deutschland einen enormen Ausbau seiner Studienplatzkapazitäten. Chancengleichheit und Bildungsbeteiligung sind im internationalen Vergleich beschämend gering, die soziale Selektivität des Bildungssystems höher als in allen vergleichbaren Industriestaaten. Daher ist halbherzigen Reformen eine Absage zu erteilen; die Überlastung der Hochschulen ist durch Hochschulbau und Neueinstellungen von Lehrpersonal nachhaltig abzubauen. Eine umfassende Schulreform mit Abschaffung des im internationalen Vergleich stark rückständigen mehrgliedrigen Schulsystems ist umgehend erforderlich, um Lernende aus bildungsdiskriminierten Milieus den Zugang zur Hochschule zu erleichtern. Werktätigen sind durch Ausbau des Hochschulzugangs und Flexibilisierung der Studienangebote im Rahmen des lebensbegleitenden Lernens weiterqualifizierende Studien zu ermöglichen.

Mitbestimmung und Demokratisierung

Ausgehend von der Feststellung im Prager Communiqué, dass StudentInnen an der Organisation und Inhaltlichen Gestaltung der Hochschulen und Studiengänge durch Mitbestimmungsrechte angemessen vertreten sein sollen, fordert der fzs im Zuge des Bologna-Prozesses eine umfassende Demokratisierung der Hochschulen sowie der die Hochschulen betreffenden politischen Entscheidungs- und Diskussionsstrukturen. Als einziger Dachverband der StudentInnenschaften und Vertretung der StudentInnen in Deutschland auf europäischer (ESIB) und internationaler Ebene (IUS) fordert der fzs zudem die überfällige Anerkennung als legitime, allgemeine Interessenvertretung der StudentInnen durch Bundes- und Landesregierungen sowie die weiteren hochschulpolitischen AkteurInnen.

Von Bologna nach Berlin

Der fzs begrüßt die Ziele des Bologna-Prozesses und wird sich daher weiterhin aktiv und konstruktiv im Interesse der Studierenden in die Debatte um den „europäischen Raum der Hochschulbildung“ einbringen. Die Vorbereitung und Durchführung der Bologna-Nachfolge-Konferenz in Berlin 2003 wird als Herausforderung und Chance begriffen, die Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland angemessen auf bundesweiter und europäischer Ebene (ESIB) gegenüber Regierungen, HochschulrektorInnen und der Wirtschaft zu vertreten. Die Entwicklungen in Südeuropa zeigen, dass eine intensive Beteiligung der Studierenden an der Umsetzung und weiteren Planung des Bologna-Prozesses notwendig ist, soll sie nicht den Interessen der Studierenden widersprechen, eine große Opposition provozieren und anti-europäische Stimmungen riskieren. Wir fordern daher das BMBF, KMK, HRK und DAAD auf, den fzs regelmäßig umfassend über die laufende Planung und Organisation der Berlin-Konferenz zu informieren und an den Vorbereitungen zu beteiligen. Wir fordern die Mitglieder des fzs auf, sich mit den Auswirkungen des Bologna-Prozesses vor Ort auseinanderzusetzen, sich in die bundesweite Diskussion einzubringen sowie darauf hinzuwirken, eine an den Grundsätzen der Durchlässigkeit der Studiengänge, der Chancengleichheit sowie des interdisziplinären forschenden Lernens orientierte Umsetzung der zentralen Maßnahmen des Bologna-Prozesses an den Hochschulen zu gewährleisten. Wir fordern ferner alle Beteiligten dazu auf, mit den studentischen Interessenvertretungen auf Bundes- und Landesebene über die Maßnahmen zur Umsetzung des Bologna-Prozesses in einen breiten Dialog zu treten und eine Einigung über die erforderlichen Reformen im Hochschulbereich zu suchen.

Beschlossen auf der 21. MV in Potsdam, April 2002