Hintergrund
In Australien wurden 1989 Studiengebühren eingeführt. Hintergrund war die Erhöhung der StudentInnenzahlen. Parallel dazu startete die australische Regierung ein umfangreiches Hochschulbauprogramm. Das Higher Education Contribution Scheme (HECS) sieht vor, dass StudentInnen nach ihrem Studium und ab einer bestimmten Einkommensgrenze ihre Studiengebühren in Form eines Steueraufschlages zurückzahlen; wer Studiengebühren sofort, d.h. während des Studiums zahlt, erhält einen Nachlass von 25 % (demnächst 20%). Dabei sind insgesamt etwa 40 % aller Studienplätze HECS-Studienplätze, die übrigen stehen nur jenen StudentInnen zur Verfügung, die jeweils zu Semesterbeginn ihre Gebühren zahlen können. Die Höhe der Studiengebühren war zunächst in allen Studiengängen gleich; die konservative Howard-Regierung führte 1996 ein in drei ”Preiskategorien“ gestaffeltes Modell ein, das sich an der jeweiligen Verwertbarkeit von Studiengängen bzw. dem zu erwartenden Einkommen orientiert. Demnach sind Medizin und Jura als die ökonomisch ”verwertbarsten“ Studiengänge auch am teuersten, gefolgt von naturwissenschaftlichen und zuletzt geisteswissenschaftlichen Fächern. Diese Preise bilden dabei keine angebotsseitigen Kosten ab, sondern orientieren sich am erwarteten Einkommen der AbsolventInnen. Deutlich wird dies vor allem bei Rechtswissenschaften, die als reine Buchwissenschaft verhältnismäßig geringe Kosten verursacht.
1. Nachlaufende Studiengebühren verschlechtern die Bildungschancen von Menschen aus bildungsfernen Schichten
Die Bevorzugung besser verdienender Familien ist schon im australischen System veranlagt. Zwar werden die ”Schulden“ in Australien lediglich inflationsindexiert und nicht verzinst, dafür sind aber massive Abschläge für SofortzahlerInnen vorgesehen. Das geringere Ausfallrisiko bei SofortzahlerInnen kann zudem eine Bevorzugung beim Hochschulzugang nach sich ziehen. Wenn sich die Hochschulen (teilweise) über nachlaufende Studiengebühren finanzieren, müssen sie das Ausfallrisiko bei der Zulassung zum Studium mit berücksichtigen – DirektzahlerInnen signalisieren Bonität. Davon profitieren insbesondere StudentInnen, die über die entsprechenden Mittel verfügen. Dies führt per definitionem zu einer Diskriminierung von Menschen aus bildungsfernen Schichten.
In Deutschland kann dieser Diskriminierung nicht mit staatlichen Transferleistungen (etwa BAföG) entgegengewirkt werden, da diese zumindest teilweise auf Darlehensbasis gewährt werden. Dies führt zu einer doppelten Verschuldung und damit zu einer verstärkten Diskriminierung von StudentInnen aus bildungsfernen Schichten.
2. Die Finanzierung von Hochschulen ist und bleibt Aufgabe des Staates
”Hochschulausbildung [ist] als ein öffentliches Gut zu betrachten und [ist und bleibt] eine vom Staat wahrzunehmende Verpflichtung“ (Prager Kommunique). Sozial gerechter Hochschulzugang und die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre können nur durch eine der volkswirtschaftlichen Notwendigkeit entsprechende Finanzierung von Bund und Ländern gewährleistet werden. In Anbetracht des unterfinanzierten Hochschulbereichs und der erwarteten (und wünschenswerten) Erhöhung der AbsolventInnenzahlen ist eine Steigerung der staatlichen Ausgaben für Lehre und Forschung unabdingbar.
Die Einführung von (nachlaufenden) Studiengebühren wird den Rückzug des Staates aus der Hochschulfinanzierung erleichtern – parallel dazu wird die Höhe der Studiengebühren steigen müssen, damit die Hochschulen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Mittel aufbringen können. Denn die Verabschiedung des Haushaltes (und damit die Festlegung der Höhe der jeweiligen Hochschulbudgets) ist das höchste Recht eines Parlamentes, dem nicht vorgegriffen werden kann. Insofern sind Aussagen wie ‚Der Staat darf sich nicht aus seiner Bildungsfinanzierung zurückziehen‘ bestenfalls politische Willenserklärungen, deren Halbwertszeit überschaubar ist.
Die empirischen Erfahrungen, insbesondere auch aus Australien, zeigen eindeutig, dass die öffentliche Bildungsfinanzierung durch den Anstieg privater Mittel (z. B. Studiengebühren) zurückgefahren wird. Der Anteil von Studiengebühren stieg beispielsweise zwischen 1996 und 2001 von 19,6 % auf 34,5 % am Gesamtbudget der australischen Hochschulen. Parallel dazu sanken die staatlichen Zuschüsse im genannten Zeitraum um 1.200 AUD (722 Euro) pro StudentIn. Die Studie ”Students Pay More, Unis Get Less, the Government Pockets the Difference“ der australischen HochschullehrerInnengewerkschaft NTEU kommt zum Schluss, dass die australische Regierung durch die Erhöhung der Studiengebühren im Wesentlichen eine Konsolidierung ihres Haushaltes anstrebt.
3. Nachlaufende Studiengebühren wirken abschreckend auf Menschen aus bildungsfernen Schichten
Der Zugang zu Bildung hängt in Deutschland mehr als in anderen Ländern maßgeblich von der sozialen Herkunft ab. Der Bildungsweg von Kindern mit hoher sozialer Herkunft entspricht in der Regel dem Schema Grundschule- Gymnasium-Universität, während die Bildungsbeteiligung von Kindern aus sozial schwächer gestellten Familien im sekundären und tertiären Bereich wesentlich geringer ist. So stammen heute lediglich 12 % der StudentInnen an deutschen Hochschulen aus bildungsfernen Schichten – halb so viele wie noch 1982 (23 %).
Internationale Untersuchungen wie die IGLU- oder die OECD-Studie belegen die Selektivität des deutschen Bildungssystems: Durch die Unverbindlichkeit und die Erhebung von Gebühren im Vorschulbereich sowie durch das dreigliedrige Schulsystem wird unter anderem die Chance auf eine gerechte Bildungsbeteiligung verhindert. Chancengleichheit im Bildungssystem setzt zumindest die Abschaffung jeglicher Gebühren sowie eine grundlegende Reform des dreigliedrigen Schulsystems voraus.
Die Erhebung auch nachlaufender Studiengebühren wird eine abschreckende Wirkung auf Studierwillige mit sozial schwächerer und schwacher Herkunft haben und demnach zu weiterer sozialer Selektion führen. Denn die Bereitschaft, sich zu verschulden, ist bei sozial schwächer gestellten Menschen wesentlich geringer. Im Rahmen der 2001 durchgeführten BAföG- Novellierung wurde u.a. eine Höchstverschuldungsgrenze (10.000 Euro) eingeführt, um Verschuldungsängste zu minimieren. Die Einführung nachlaufender Studiengebühren wirkt diesem Ziel diametral entgegen: Statt den potenziellen Schuldenberg möglichst gering zu halten, würden nachlaufende Studiengebühren zu einer verstärkten Belastung finanziell benachteiligter Menschen führen: Neben den eigentlichen Gebühren muss von einer hohen Zinsbelastung ausgegangen werden.
Die Einführung nachlaufender Studiengebühren widerspricht damit auch dem Ziel, die Zahl der HochschulabsolventInnen in der BRD zu erhöhen.
4. Nachlaufende Studiengebühren beeinflussen Studien- und Berufswahl
Die Einführung nachlaufender Studiengebühren wird die Studien- und die Berufswahl von StudentInnen stark beeinflussen. Wenn StudentInnen zusätzlich zu den Lebenshaltungskosten Schulden für ihr Studium aufnehmen, werden sie ihre Studienwahl nicht von persönlichen Eignungen und Neigungen, sondern verstärkt aufgrund der Verwertbarkeit des jeweiligen Studienganges abhängig machen, um ihre Schulden möglichst bald bzw. überhaupt begleichen zu können. Das Studium als Investition in das eigene Humankapital wird somit der Logik des Return on Investment folgen: Rechet sich das Studium und insbesondere die Schuldenaufnahme im Hinblick auf das zu erwartende Einkommen? Hier muss schon die Studienplatzwahl unter einem Investitionskalkül erfolgen. Von einer freien Studienwahl kann bei einem solchen Szenario nicht mehr die Rede sein. Zugleich wird eine hohe ”Nachfrage“ nach ökonomisch verwertbaren Studiengängen einen breiten Fächerkanon unmöglich machen. Die Einführung (nachlaufender) Studiengebühren wird damit auch schwere Konsequenzen für ein breites Bildungsangebot haben.
5. Nachlaufende Studiengebühren wirken sich negativ auf das Studierverhalten aus
Das Studierverhalten von StudentInnen wird sich bei der Einführung nachlaufender Studiengebühren verändern. Einer Studie des Wiener Büros für Sozialtechnologie und Evaluationsforschung zufolge verspüren 55 % der befragten StudentInnen an österreichischen Hochschulen nach Einführung von Studiengebühren einen verstärkten zeitlichen bzw. finanziellen externen Druck; dies gilt insbesondere für StudentInnen aus bildungsfernen Schichten.
Dieser Druck, dem semesterweise zahlende StudentInnen ausgesetzt sind, wird zu einer Reduktion auf die notwendigsten Studienveranstaltungen und zu einem möglichst schnellen Abschluss führen; zugleich wird der Besuch von Lehrveranstaltungen, die nicht unmittelbar mit dem Studium zu tun haben, reduziert. Dies wirkt somit der allseits gebotenen Interdisziplinariät des Studiums entgegen. Auch hierbei sind insbesondere StudentInnen aus bildungsfernen Schichten betroffen.
Bei der Einführung nachlaufender Studiengebühren ist demnach zu befürchten, dass für studentisches Engagement in kulturellen, sozialen und politischen Bereichen kein Platz mehr sein wird. Die Reduktion eines Studiums auf eine Investition in das eigene Humankapital wird die Möglichkeiten zur Entfaltung der StudentInnenschaft als relevante Gruppe innerhalb einer demokratischen Gesellschaft schwächen.
6. Nachlaufende Studiengebühren belasten Frauen stärker als Männer
Bei der Einführung von nachlaufenden Studiengebühren werden Frauen wesentlich stärker belastet als Männer. Da nach wie vor mehr Frauen als Männer die Kindererziehung übernehmen und entsprechend Erziehungsurlaub nehmen, müssen sie über einen längeren Zeitraum hinweg ihre angehäuften Schulden abtragen. Nach Einführung des top-up fees in Großbritannien beispielsweise werden Frauen durchschnittlich 4-5 Jahre länger als Männer ihre Gebühren zurückzahlen müssen . Frauen zahlen demnach 19,5 Jahre, Männer hingegen ”nur“ 15 Jahre lang. Aufgrund der unterschiedlichen Einkommenshöhe und Lebensarbeitszeit von Frauen und Männern wird darüber hinaus ein Großteil der Frauen im Gegensatz zu Männern ihre Schuldenlast bis zur Erreichung des Pensionsalters nicht vollständig zurückzahlen können.
Eine australische Hochrechnung kommt zum Schluss, dass bei einer angenommenen Verschuldung von 20.000 autralischen Dollar (AUD) Männer im Durchschnitt 17 Jahre, Frauen hingegen 51 Jahre lang ihre HECS-Schulden zurückzahlen müssen . Eine Gleichberechtigung von Männern und Frauen wird gerade durch die Einführung von nachlaufenden Studiengebühren erschwert.
7. Druck zur Profilbildung
Ein grundsätzliches Problem der nachlaufenden Studiengebühren ist die Unsicherheit bezüglich des künftigen Verdienstes der Studierenden. Es lassen sich jedoch statistische Mittelwerte und Wahrscheinlichkeiten errechnen, die von Fach zu Fach differieren: Je besser ökonomisch verwertbar ein Studienabschluss ist, desto geringer ist das Ausfallrisiko, das anfällt. Daher werden sich die Hochschulen, die sich teilweise über derartige Gebühren finanzieren müssen, zwei Dinge Überlegen:
1. Die Abschlüsse welcher Studienfächer lassen sich am besten vermarkten? 2. Welche Kalkulation bringt uns selbst die höchste Sicherheit im Rückfluss der Studiengebühren?
Den ersten Punkt wird man grob mit Wirtschaftswissenschaften, Jura, Naturwissenschaften und einigen weiteren Fächern definieren. Beim zweiten Punkt wird man sich das Ausfallrisiko ganzer Gruppen überlegen und vermutlich zu einer Mischkalkulation der genannten Fächer kommen. Die Hochschulen werden durch die nachlaufenden Studiengebühren eine ”Profilbildung“ vornehmen, die die ökonomischen Verwertbarkeiten widerspiegelt.
Ein zweites Problem ist die Menge der Studierenden: Je mehr Studierende in einem Fachbereich eingeschrieben sind, desto mehr Geld bekommt dieser nachlaufend als Einnahmen. Demnach entfalten die nachlaufenden Studiengebühren hier die gleiche Wirkung wie die nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung. Dies bedeutet, dass sich nur ”große“ Studiengänge rechnen, da sich hier entsprechend Geld eintreiben lässt. Dies bedeutet weiter, dass im Falle zu geringer Nachfrage einzelnen Fachbereiche geschlossen werden müssten, was eine weitere Konzentration auf die oben genannten Fächer nach sich ziehen dürfte. Das Problem der Qualität des Studiums soll nur gestreift werden – klar scheint aber, dass im Falle einer nachfrageorientierten Hochschulfinanzierung Massenveranstaltungen dominieren werden.
8. Nachlaufende Studiengebühren wirken sich auf den wissenschaftlichen Apparat aus
Das Problem der Nachfrageorientierung wird auch den wissenschaftlichen Apparat nicht verschonen: Wenn Hochschulen via nachlaufenden Studiengebühren nachfrageorientiert finanziert werden, dann müssen sie auch ihren Personalbestand an dieser Nachfrage ausrichten können. Dies bedeutet: Wenn man wenige Studierende hat, so muss man Personal abbauen. Die Kriterien der Stellenauswahl muss wiederum ökonomischen Kriterien folgen, nicht aus Bosheit sondern aus reinem Refinanzierungsinteressen. Die Fragen, die sich die Hochschule stellen muss, sind dann: Wer wirbt viele Drittmittel ein? Wer schleust viele Studierende durch? Wer kann als Werbeträger für die Hochschule dienen?
Die eigentlichen Fragen (Wer lehrt gut? Wer forscht gut?) werden – wenn überhaupt – nur um den Schein zu wahren gestellt. Kritische WissenschaftlerInnen, die sich nicht der Wirtschaft oder Stiftungen andienen, dürften es künftig schwer haben. Interessant wird auch sein, was mit nicht direkt ökonomisch verwertbarer Grundlagenforschung geschieht.