Seit der vergangenen MinisterInnenkonferenz im Mai 2007 in London sind alle Staaten im Bologna-Prozess aufgerufen, einen Aktionsplan zur Aktionslinie „Soziale Dimension“ zu entwerfen. Diese Entscheidung ist ein Ergebnis, welches in erster Linie von den StudentInnen in den einzelnen Ländern und auf europäischer Ebene durchgesetzt werden konnte. Die Aktionspläne jedes Landes sollen bis zur nächsten Bologna-Konferenz im Jahr 2009 vorliegen und konkrete Schritte zum Abbau von sozialen Ungleichheiten und sozialen Problemen im Hochschulsystem beinhalten. Aus Sicht des fzs ergeben sich folgende Anforderungen an den Aktionsplan für die Bundesrepublik.
I. Allgemeine Anforderungen
Das gesamte Bildungssystem der BRD reproduziert bestehende soziale Ungleichheiten. Der Bereich tertiärer Bildung (schulische und berufliche Bildung sowie Hochschulbildung) ist davon nicht weniger betroffen als alle anderen Bildungsbereiche. Mit dem Bologna Prozess findet eine weitreichende Reform der Hochschulsysteme in Europa statt, die aller Voraussicht nach bislang nicht dazu geeignet ist, soziale Ungleichheiten abzubauen. Der Aktionsplan Soziale Dimension – als sozialpolitische Programmlinie des Bologna Prozess – muss aufbauend auf einer fundierten Analyse der derzeitigen Situation ein Konzept beinhalten, welches zum Ziel hat, Hochschulzugang und einen erfolgreichen Studienverlauf unabhängig von sozialer Herkunft zu ermöglichen. Hierbei müssen Bildungs- und Sozialpolitik in einem Kontext gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet und kritisiert werden.
Dabei muss der Aktionsplan konkrete Vorschläge und Aktionen beinhalten und Akteure benennen, die für deren Umsetzung verantwortlich sind. Bereiche, die aus Sicht des fzs im Aktionsplan in jedem Fall behandelt werden müssen sind Hochschulzugang, Studienverlauf und -erfolg, Studienfinanzierung, Diskriminierung internationaler StudentInnen sowie StudentInnen mit Behinderung oder chronischer Krankheit.
II. Konkrete Anforderungen
a. Hochschulzugang
Die Chance der Kinder von AkademikerInnen, ein Hochschulstudium beginnen zu können, ist um das 3,6-fache höher als die Chance der Kinder von Nicht-AkademikerInnen . Neben der sozio-ökonomischen Lage und dem finanziellen Risiko eines Hochschulstudiums ist auch die zunehmende Restriktion des Hochschulzugangs dafür verantwortlich. Der Aktionsplan muss die Umsetzung eines Konzepts zur Neuordnung des Hochschulzugangs beinhalten, welches mindestens die folgenden Punkte beinhaltet:
- eine umfassende Öffnung des Hochschulzugangs für Menschen mit beruflicher Bildung und ohne Abitur
- eine Abschaffung aller sozial selektiver Auswahlverfahren
- ein transparentes und bundeseinheitliches Verfahren zur Verteilung von Studienplätzen, bei denen ein vorübergehender Mangel besteht
- Übergang Schule/Hochschule als Phase des intensiven Austausches zwischen Schulen und Hochschulen zur Beratung und Betreuung von Studieninteressierten
- Betreuung und Beratung der StudienanfängerInnen, um Studienabbrüche und Orientierungslosigkeit zu verhindern
b. Studienerfolg
Die Bologna Reformen konnten ein zentrales Ziel bislang nicht erfüllen. Die Studierbarkeit der Studiengänge und die Zufriedenheit der StudentInnen sind nach allen bisherigen Kenntnissen schlechter geworden. Der Aktionsplan muss eine ständige Evaluation der Auswirkungen der Studienreform und Aktionen zu den Teilbereichen beinhalten:
- Verbesserung der fachlichen Beratung und der Betreuungssituation an Hochschulen, ohne Abbau von Studienplätzen
- Herstellung einer Vereinbarkeit von Studium, Beruf- oder Erwerbsstätigkeit, Kinderbetreuung oder ehrenamtlichem Engagement
- Deutliche Flexibilisierung der Studiengänge durch Abkehr von Überregulierung und Prüfungslast
- Soziale Beratung und Infrastruktur für Wohnen, Lernen und Verpflegung, die allen StudentInnen offen steht
c. Studienfinanzierung
Die finanzielle Situation der Studierenden ist in vielen Bereichen fatal schlecht. Auch die letzte BAföG-Erhöhung war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Rahmen des Aktionsplans müssen Eckpunkte für eine strukturelle Reform der Studienfinanzierung vorgelegt werden, die in absehbarer Zeit folgende Punkte regelt:
- Abschaffung der Altersgrenze
- Finanzierung der Übergangszeit von Bachelor zu Master
- Umwandlung des BAföG in eine bedarfsdeckende, elternunabhängige Studienfinanzierung
- Abkoppelung der BAföG-Förderung vom engen Korsett der Regelstudienzeit
- Auflösung der familiären Subsidiarität und Reorganisation verschiedener Sozialleistungen
- Mitnahme der Studienfinanzierung über das EU-Ausland hinaus und Einbeziehung von Mobilitätskosten
- Studienfinanzierung für BildungsinländerInnen und BildungsausländerInnen
d. Ausländische Studierende
Die Diskriminierung von ausländischen StudentInnen – besonders aus den Nicht-EU-Staaten – ist in Deutschland extrem groß. Die Situation von ausländischen StudentInnen in Deutschland ist in vielerlei Hinsicht durch besondere Diskriminierungen geprägt. Zahlreiche Trends legen die Vermutung weiterreichender Verschärfungen der Hochschulzugangsmöglichkeiten und Lebens- bzw. Studiensituation ausländischer StudentInnen nahe. Der Aktionsplan muss ein Konzept zur Gleichstellung von ausländischen StudentInnen beinhalten, welches sämtliche Diskriminierungen, insbesondere die im Aufenthalts- und Arbeitsrecht, beseitigt.
e. StudentInnen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung
Die Ansprüche von StudentInnen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung werden im Bildungs- und Hochschulsystem nicht beachtet. Dies betrifft sowohl bauliche Maßnahmen als auch Nachteile im Studienalltag – die Unflexibilität der Studien- und Prüfungsorganisation stellt große Probleme dar. Des Weiteren ist zu befürchten, dass durch die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master, StudentInnen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung massiv diskriminiert werden. Die Wiedereingliederungshilfe nach SGB XII fällt für nicht-konsekutive Masterstudiengänge weg. Damit werden StudentInnen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung von weiterführenden Studien ausgeschlossen. Der Aktionsplan muss bundesweit einheitliche Standards für Nachteilsausgleiche vorlegen sowie Anreize für Hochschulen entwickeln, ihre Einrichtungen im umfassenden Sinn barrierefrei zu gestalten und den besonderen Ansprüchen der StudentInnen nachzukommen sowie Diskriminierung beseitigen. Barrierefreiheit muss in einem umfassenden Sinn als Leitziel für eine progressive Hochschulreform verstanden werden.