Sexismus ist keine Kunst

beschlossen auf der 54. Mitgliederversammlung

Nachdem der AStA (Allgemeiner Student*innenausschuss) der Goethe-Universität Frankfurt jahrelang mit auf dem Campus und außerhalb agierenden „Verführungskünstlern“ zu tun hatte, ist ein Artikel in der Student*innenzeitschrift erschienen, der dieses Verhalten, unter Nennung beteiligter Akteur*innen, benannt und kritisiert hat.
Was zur Veröffentlichung des Artikels geführt hat, waren sich häufende Vorfälle auf dem Campus, in denen Studentinnen*[1] mit aggressiven Techniken „verführt“ werden sollten.
Es sollten bestehende Zustände benannt und darüber aufgeklärt werden, welche Personen und Strukturen an ihnen beteiligt sind.
Dabei wurden sowohl die PickUp-Community, wie auch beteiligte Einzelpersonen kritisiert.
Es folgte eine Klage, die sich auf die Nennung des Namens einer Person im Artikel bezog.
Nachdem die Klage beim Verwaltungsgericht in erster Instanz personenrechtlich nicht durchgesetzt werden konnte, kam es in der zweiten Instanz zu einer gerichtlichen Entscheidung, u.a. auf Basis des Presserechts, da zusätzlich mit dem hochschulpolitischen Mandat argumentiert wurde.
Die Entscheidung fiel dieses Mal gegen den AStA aus:
Die Äußerungen zum Thema PickUp Artists seien keine genuin hochschulpolitische Angelegenheit sondern eine gesellschaftspolitische und fielen damit auch nicht in den Themenbereich, mit dem die Student*innenschaft sich öffentlichkeitswirksam zu beschäftigen habe.
Resultat des Ganzen ist eine Auseinandersetzung auf drei Ebenen:
1.) Die feministische Kritik
Die inhaltliche Kritik an den selbsternannten „Verführungskünstlern“, die nach wie vor international und lokal agieren, bleibt bestehen. Die Möglichkeit, Hochschule zu einem Raum zu machen, in dem sich Frauen* frei bewegen können, wird weiter eingeschränkt.
Zu diesem Punkt folgen unten weitere Ausführungen.
2.) Trennung von Allgemein- und Hochschulpolitik
Die Behauptung, der zugrundeliegende Sexismus und die damit einhergehenden Konflikte an der Hochschule dürften keine Themen öffentlicher studentischer Diskussionen sein, markiert eine Zäsur, die nur künstlich aufrechterhalten werden kann.
In der Realität sind die Menschen, die sich an einer Hochschule begegnen, immer auch Teil der bestehenden Gesellschaftsordnung und ihrer Effekte. Diese Tatsache wird durch das Urteil untergraben.
Das Bestreben, studentische Gruppen zu entpolitisieren, wird damit durch weitere Sanktionen vorangetrieben.
Hochschulpolitische Arbeit ist ohnehin schon ein Raum, der durch Hürden der Prekarisierung, zeitlichen Anforderungen des Studiums und immer weitreichende Bildungsreformen rasant schwindet oder affirmativ gestaltet wird.
3.) Die Disziplinierung von Sozialbereichen
In Deutschland kann sich die Verfasste Student*innenschaft als körperschaftliche Organisation aller Student*innen nicht auf Grundrechte, wie etwa die Meinungs- oder Pressefreiheit berufen. Das liegt an einem Rechtverständnis, das historisch älter ist als die Bundesrepublik. Gemäß dieser Rechtsauffassung gehören Körperschaften öffentlichen Rechts der mittelbaren Staatsverwaltung an und dienen der Disziplinierung von Sozialbereichen. Aus dieser Perspektive sind Verfasste Student*innenschaften allenfalls potentielle Grundrechtsverletzerinnen, die – wie der Staat – dem bürgerlichen Individuum einschränkend gegenüberstehen. In diesem urdeutschen Rechtverständnis, das auf so zweifelhafte Denker wie Carl Schmitt und Ernst Forsthoff zurückgeht, ist eine kollektivgrundrechtliche Betrachtungsweise ausgeschlossen.
Bemerkenswerterweise ist dieser Umstand den Student*innenschaften historisch genau dann zum Verhängnis geworden, als sie begannen sich in eine außerparlamentarische Opposition gegenüber dem staatlichen Regierungshandeln zu verwandeln. Uns reicht es allerdings nicht, bloß zynisch darüber zu schmunzeln, dass Etatist*innen, die gesellschaftliche Prozesse Top-Down konstruieren, scheinheiligerweise genau dann vor dem Staat und den Verfassten Student*innenschaften warnen, wenn letztere emanzipatorische Ziele vorantreiben wollen. Wir werden uns auch zukünftig kritisch gegenüber dem Staat und sozialen Dominanzbeziehungen verhalten.
Infolge der Zensur solidarisierten sich bundesweit (studentische) Gruppen mit dem AStA der Universität Frankfurt.
Die Gründe dafür waren und sind die inhaltliche Ablehnung der Agenda der selbsternannten Verführungskünstler und deren offensiv sexistische Praktiken, aber auch denWiderstand gegen die Zensur studentisch-politischer Teilhabe.
Die Solidarisierung war mit der Wiederveröffentlichung der Artikel verbunden und der Unterzeichnung einer gemeinsamen Pressemitteilung verbunden.
Diese kollektive Wiederveröffentlichung sollte ein klares Zeichen setzen, dass sich die betreffenden Gruppen nicht den Mund verbieten lassen würden und auch nicht hinnehmen würden, wenn Anderen, darunter auch vielen feministischen Aktivist*innen, untersagt würde, sich gegen die agierenden Sexisten zur Wehr zu setzen und sie als solche zu benennen.
Aus der Wiederveröffentlichung resultierte eine Reihe von Abmahnungen inklusive hoher Geldforderungen gegen zahlreiche hochschulpolitische Gruppen.
Bevor es mit dem aktuellen Stand weitergeht, sollen an dieser Stelle einige Worte zum Gegenstand der Debatte gesagt werden.
Es ist eine Debatte über Sexismus, die trotz des gemeinsamen Themas ganz anders verläuft, als die Debatte zur Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof. Dazu ist es wichtig zu verstehen, wer ”PickUp-Artists” sind, wie sie organisiert sind und wie sie agieren.
”Der Begriff Seduction Community oder Pickup Community bezeichnet heterogene, überwiegend männliche Gruppen, die sich durch Anwendung verschiedener Methoden bessere Chancen in der Kunst der sexuellen Verführung versprechen”, sagt uns der Wikipedia Eintrag zu ”Seduction Communtiy”. Daran wäre zu korrigieren, dass es nicht als Kunstform gelten kann, wenn einem die Mittel eines jahrhundertealten Patriarchats zu Gebote stehen, um männliches Begehren an anderen Menschen durchzusetzen.
Es handelt sich um eine international weit verstreute und über das Internet vernetzte Gruppe von überwiegend weißen, cis-männlichen Menschen [2].
Bekannt ist die ”Community” vielen vielleicht über vier Vertreter:
Der fiktionale Charakter ”Barney Stinson” aus der Serie ”How I met your mother”;
der Autor des Buches The Game: Penetrating the Secret Society of Pickup Artists (deutsch: Die perfekte Masche. Bekenntnisse eines Aufreißers), Neil Strauss.
Ein extremer Vertreter ist Daryusch Valizadeh, im Internet besser unter dem Pseudonym Roosh V bekannt, der dieses Jahr forderte, Vergewaltigungen im privaten Raum zu legalisieren, um ”unterdrückten Männern” ihre ”Rechte” wiederzugeben.
Und Julien Blanc, der 2014 international in seiner Funktion als ”Dating-Guru” auffiel, indem er in seinen Seminaren Sätze sagte wie: ”In Tokio kannst du als weißer Mann machen, was du willst. Ruf einfach Pokémon oder Pikachu und greif sie dir.”.
Dazu passend den Hashtag #ChokingGirlsAllAroundTheWorld prägte und mit Vorliebe T-shirts trägt auf denen ”Diss Fatties, Bang Hotties” zu lesen sind.
Nachdem Blanc Einreiseverbot in Großbritannien und Australien erhalten hat, wo er Seminare plante, ist es in den letzten zwei Jahren stiller um ihn geworden.
Wer aber denkt, Blanc sei ein ”schwarzes Schaf” mit herausragend misogynen
Ansichten, der*die irrt sich.
Seit Anfang der 1990er Jahre weitet sich auch die kommerzielle Seite der Community aus. Es erscheinen Ratgeber, Serien und Filme zum Thema (Beispiele: ”Magnolia”, Spielfilm, (1999), ”The Pickup Artist, Reality TV Show, VH1 (2007), ”How to Get the Women You Desire into Bed”, Ross Jeffries (1994)
119 u.v.m.).
Hinzu kommen einige international aufgestellte Unternehmen, die Pick-Up Seminare anbieten.
Die Preise für ein zweitägiges Seminar liegen in Deutschland gerade bei rund 1450 Euro und werden beworben mit Sätzen wie ”Verführung nützt auch fürs Business!” und ”Erklärungen” wie:
”Es gibt Mechanismen, wie man bei schönen Frauen unter dem Radar in die unterbewussten Schichten kommt, um bei ihnen den ”Ich-will-den Typ” Schalter auslöst.”
Um solche Aussagen zu stützen, werden populärwissenschaftliche Thesen (z.B. Frauen* seien auf der Suche nach ”guten Genen”) herangezogen oder, je nach Gusto, Verhaltensbiologie, sexuelle Selektion, evolutionäre Psychologie, evolutionäre Ästhetik, Soziologie, Soziobiologie oder Neuropsychologie als ”wissenschaftliche” Grundlage herbeizitiert.
”Techniken” wie Persuasive Kommunikation, Bewusstseinskontrolle, Suggestion oder Hypnose sind gerngesehene Zusatzqualifikationen.
Die PickUp Community setzt damit aber entgegen ihrer Behauptung nicht auf ”wissenschaftliche Erkenntnisse”, sondern auf die Auswirkungen weiblicher Geschlechtersozialisierung, die von ihnen systematisch ausgenutzt wird.
So werden schon bestehende gesellschaftliche Strukturen rund um das Geschlechterverhältnis genutzt, um sexuelle Verfügungsgewalt zu demonstrieren und männliches Begehren um jeden Preis durchzusetzen.
Kurzum: Es handelt sich um die Systematisierung von Rape Culture.
Rape Culture bezeichnet eine kulturelle Atmosphäre, in der das andauernde Übertreten individueller Grenzen von Frauen* normalisiert wird, in privaten und öffentlichen Räumen gleichermaßen.
Die ”PickUp Community” ist ein exzellentes Beispiel für diese Kultur, aber sicher nicht das Einzige. Der Grad der ”Professionalisierung” und ihr schematisches Vorgehen macht sie als Vertreter aber besonders sichtbar- und benennbar.
Die Rede ist von einer Community, die in einem ihrer größten deutschen Foren mit den Worten wirbt:
”Wie man zum Kuss kommt, wie man zu der Intimzone der Frau gelangt, ohne große Widerstände. Wenn das Prinzip einmal klar ist, werden Sie überall fremde Frauen küssen im Club, bei Dates, auf der Straße, einfach immer und an jedem Ort. Sie werden nie wieder Angst vor der Eskalation haben, denn Sie werden sie vollkommen beherrschen.”
Was hier ausbuchstabiert wird, ist eine zugespitzte Form des üblichen Bezugs von Männern* auf Frauen* und kein Alleinstellungsmerkmal der PickUp Community.
Einer Gesellschaft, in der Frauen* sich nicht frei bewegen können, ohne sexualisiert und/oder beleidigt zu werden, fügt die PickUp Community noch eine Bedrohung hinzu.
Wenn es in den Seminaren und Ratgebern der selbsternannten Gurus explizit um ”schöne Frauen” geht, wird auch klar, dass es hier um eine noch viel weiterreichende Klassifizierung geht:
Der Wert eines Menschen wird in einem Nummerierungssystem von 1-10 gestaffelt.
Wer nicht hart arbeitet, um sich diesen verrückten Maßstäben anzupassen, darf mit Beleidigungen auf der Straße rechnen (”Diss Fatties, Bang Hotties”, eben.).
Das bedeutet: Keine Frau* ist davor gefeit. Die Degradierung zum Objekt beinhaltet Abwertung und Aufwertung gleichermaßen und kann willkürlich von einem ins andere umschlagen. Diese Klassifizierungsmechanismen reproduzieren auch andere existierende Abwertungen, gerade mit und durch ihre pseudowissenschaftliche Argumentation.
So gehören zu diesem Menschenbild notwendigerweise auch Abwertungen von Menschen, die von ihrem Körper, ihrem Verhalten oder ihrer politischen Haltung her nicht dem von der Community gesetzten ”Ideal” entsprechen – also eigentlich allen, die nicht als ”schöne Frauen” oder ”starke Männer” eingeordnet werden.
Und selbst diese sind nur so viel Wert wie ihre Funktionen.
Damit wird nicht nur ein zutiefst reaktionäres Geschlechterrollenbild gewaltsam fortgeschrieben, sondern auch eine konkurrenzbasierte Gesellschaft untermauert.
Die Logik der An-und Aberkennung von Wert anhand von ästhetischen, funktionalistischen und sexistischen Ideologien ist als Grundlage für einen zwischenmenschlichen Umgang abzulehnen.
Uns geht es darum, aktiv gegen die Akteure anzugehen, die Rape Culture zu einer Alltagsrealität machen und nicht Frauen* für ihren Umgang mit einer solchen Kultur zu kritisieren oder gar zu bestrafen. Ein reaktionäres Frauen*bild, das Frauen* als Opfer und Objekte männlichen Begehrens imaginiert, muss aktiv bekämpft werden, um Freiräume und Alternativen zu ermöglichen.
Wenn diejenigen, die gegen Sexismus aktiv werden, zum Schweigen gebracht werden, hat das zur Folge, dass sexistische Praxen weiterhin als Normalzustand akzeptiert werden.
Wenn sich über ”PickUp-Artists” als Ausnahmephänomen entsetzt wird, das nichts mit bestehenden Realitäten zu tun hat, ist auch das eine Verschleierung von herrschenden Zuständen.
Sexismus und sexuelle Gewalt sind Phänomene, die zum bestehenden Geschlechterverhältnis gehören wie die Kälte zum Eis.
Die Empörung über Einzelpersonen und Gruppen, wo Sexismus als individuelle Tat auftaucht oder auf Basis rassistischer Ressentiments diskutiert wird, wird der gesamtgesellschaftlichen Lage nicht gerecht und beinhaltet stark verkürzte Kritik.
Wenn eine Debatte über Sexismus nur dann geführt werden darf , wenn die Täter vermeintlich Geflüchtete sind, dann hat das nichts mit einer vollständigen oder gar sinnvollen Diskussion über sexuelle Gewalt zu tun.
Wir stellen uns diesen Strukturen als Bündnis verschiedener Student*innenvertretungen, politischer Organisationen und Publikationsorgane entschieden entgegen.

[1] Die Schreibweise mit dem * zeigt an, dass Geschlecht eine gesellschaftliche Kategorie und keineswegs eine natürliche Tatsache ist.
Die PickUp-Szene reproduziert durch populärwissenschaftliche Argumentationen und gegen weiblich gelesene Personen gerichtete Sexismen ein zutiefst reaktionäres Menschen- und Geschlechterrollenbild.
Nach Meinung der Autor*innen ist dies aber eher ein Grund, weiterhin auf die Gemachtheit von Geschlecht hinzuweisen, daher werden die Sternchen auch in diesem Text verwendet.
[2] Unter Cis-Männern werden Menschen verstanden, deren bei der Geburt zugewiesenes männliches Geschlecht mit ihrer gelebten Geschlechtsidentität übereinstimmt.