Sehr geehrte Frau Außenministerin Baerbock,
Sehr geehrte Frau Bildungsministerin Stark-Watzinger,
Das Jahr 2023 hat noch kein Ende gefunden und es sind bereits 80 trans* feindliche Gesetze in Kraft getreten – allein in den USA [Q1].
Der dortige Anstieg an beschlossenen anti-trans Gesetzen um mehr als 190% zum Vorjahr, der Ausschluss von gewählten Abgeordneten aus Parlamenten und die politischen Kampfreden führender konservativer Politiker*innen sind nicht folgenlos [Q2]. Sie führen zu Lebensangst bei den Betroffenen und das so weit sogar, dass diese sich fürchten, öffentlich darüber zu sprechen. Viele fürchten sich vor Gewalt.
Diese Legalisierung von Menschenrechtsverletzungen muss auch die deutsche Regierung und insbesondere Sie als Außenministerin interessieren. Sowohl vor dem Hintergrund der geschichtlichen Verantwortung durch die systematische Verurteilung Hunderttausender und letztliche Deportierung von mindestens 15.000 homosexuellen Männern. Zahlen, die weitere Mitglieder der queeren Community nicht einmal mitrechnen [Q3]. Aber auch durch die vertiefte wirtschaftliche Abhängigkeit und transatlantische Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten. Diese Entwicklungen zu ignorieren, bedeutet nicht nur die Menschenrechte des Grundgesetzes in Frage zu stellen. Es steht auch im Widerspruch zu Ihrer aktuellen politischen Leitlinie mit Hinblick auf das Selbstbestimmungsgesetz und letztlich auch Ihrer feministischen Außenpolitik.
Auf eine Anfrage diesbezüglich erhielten wir von Ihrem Ministerium unter anderem folgende Aussage:
„Das Auswärtige Amt ist sich daher der kontroversen identitätspolitischen Debatten in den Vereinigten Staaten von Amerika sowie der legislativen Entwicklungen in bestimmten US- Bundesstaaten bewusst, die sich aus den aktivistischen Forderungen von Transpersonen nach entsprechenden Rechten und davon abweichenden politischen Positionen ergeben.“
Diese Aussage ist zutiefst erschütternd. Sie suggeriert einen legitimen Diskurs zwischen politischer Verfolgung von trans* Personen und den Betroffenen. Es wird von „Forderungen […] nach entsprechenden Rechten“ gesprochen, wo es um den Kampf geht, Menschenrechte nicht zu verlieren. Und von „abweichenden politischen Positionen“, wo es um systematische Diskriminierung und die Aberkennung von Menschenrechten geht. Neben all dieser Verharmlosung fehlt in dieser Aussage jegliche Positionierung. Uns bleibt daher nichts anderes, als das Schlimmste zu fürchten: Das Sie nur zusehen. Und für das Außenministerium in Bezug auf Ihren wichtigen Verbündeten ist das gleichbedeutend mit einer Unterstützung dieser menschenfeindlichen Politik.
Das lässt zudem Zweifel daran, wie sehr die Regierung bereit ist die trans* Community und LGBTIQ*-Community als Ganzes vor ähnlichen Bestrebungen in Deutschland zu schützen [Q4].
Und die Gefahr für diese Personen ist weit weg von hypothetisch. Seit Jahren steigt auch in Deutschland die erfasste Gewalt gegenüber der LSBTIQ*- Community [Q5]. Wie auch jüngst das Gewaltverbrechen nach dem CSD in Hannover zeigt [Q6]. Oder wie die durch den Lesben- und Schwulenverband gut dokumentierte Hasskriminalität, die eine hohe Dunkelziffer in ihrem Ausmaß nur erahnen lässt [Q7]. Deutschland und die U.S.A. sind dabei keine Einzelfälle, dennoch in ihrer Relevanz von hoher Bedeutung. Denn in der Wechselwirkung verstärken und legitimieren sich diese Entwicklungen gegenseitig.
Gleichzeitig reisen konservative Politiker*innen aus Deutschland in die Vereinigten Staaten, um sich mit dem trans* feindlichen U.S. Gouverneur Ron DeSantis gemein zu machen [Q8]. Darüber hinaus werden über Jahre queer- feindliche Anträge im Bundestag gestellt, die im Grunde historisch wiederkehrend zum Beispiel Queer und Gender Studies abschaffen wollen [Q9.1][Q9.2]. So wie auch in Florida die gesetzliche Finanzierungsgrundlage dieser Wissenschaften genommen wurde [Q10]. Dadurch wird die Freiheit der Betroffenen, der Studierenden, der Forschenden und der Wissenschaft an sich angegriffen. Wie in den U.S.A. wird hierbei oft kein argumentativer Diskurs geführt, sondern es werden lediglich legitime Menschenrechte pseudowissenschaftlich abgesprochen. Es braucht also sowohl international als auch national den Kampf für die Sicherheit, Freiheit und Rechte dieser Menschen.
Trotz dieser Gefahr für Menschenrechte sowie Wissenschaftsfreiheit, einer großen historischen Verantwortung und dem verstärkten Aufflammen von Hass – in den USA und hier in Deutschland – fehlt es an Gegenpositionen aus der Bundesregierung. Insbesondere dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Die Leitlinie des Auswärtigen Amtes: „Bei der Bekämpfung von Gewalt gegen und Diskriminierung von LSBTIQ* gehen wir voran“ scheint aktuell nicht mehr als eine leere Phrase [Q11].
Denn jetzt ist die Zeit, um sich deutlich zu positionieren. Um die Menschenrechtsverletzungen als diese zu benennen und zu verurteilen. Die Wissenschaftsfreiheit und bedeutsame Studiengänge klar zu verteidigen. Sich mit den Betroffenen zu solidarisieren, ihnen den Rücken zu stärken und gemeinsam mit ihnen gegen die trans* Feindlichkeit anzugehen. Ohne das, müssen Sie sich ihr Versagen bei dieser Leitlinie eingestehen. Ein Versagen das nicht ohne menschliche Folgen ist. International und auch hier vor Ort. Wir bitten Sie inständig das Richtige zu tun und nicht weiter nur zuzusehen!
English
Open Letter on Transphobia in the USA and Germany
Dear Foreign Minister Baerbock,
Dear Education Minister Stark-Watzinger,
The year 2023 has not yet come to an end, and already 80 transphobic laws have been enacted – in the USA alone [Q1].
The increase in anti-trans laws there by more than 190% compared to the previous year, the exclusion of elected representatives from parliaments, and the political rhetoric of leading conservative politicians do not pass without consequences [Q2]. They instill fear of life among those affected, to the extent that they are even afraid to speak out publicly. Many fear violence.
This legalization of human rights violations should also concern the German government, and especially you as Foreign Minister. This is not only due to the historical responsibility stemming from the systematic conviction of hundreds of thousands and eventual deportation, including at least 15,000 homosexual men – numbers that don’t even account for other members of the queer community [Q3]. But it’s also due to the deepened economic interdependence and transatlantic cooperation with the United States. Ignoring these developments not only questions the human rights enshrined in the basic law, but also contradicts your current political guidelines regarding the Self-Determination Act and ultimately your feminist foreign policy.
In response to an inquiry on this matter, we received the following statement from your ministry:
„Das Auswärtige Amt ist sich daher der kontroversen identitätspolitischen Debatten in den Vereinigten Staaten von Amerika sowie der legislativen Entwicklungen in bestimmten US-Bundesstaaten bewusst, die sich aus den aktivistischen Forderungen von Transpersonen nach entsprechenden Rechten und davon abweichenden politischen Positionen ergeben.“
(The Foreign Office is aware of the controversial identity-political debates in the United States of America, as well as the legislative developments in certain U.S. states resulting from the activist demands of transgender individuals for corresponding rights and differing political positions.)
This statement is deeply disturbing. It suggests a legitimate discourse between political persecution of trans* individuals and those affected. It speaks of „demands […] for corresponding rights“ when it is about the struggle not to lose human rights. And it refers to „differing political positions“ when it concerns systematic discrimination and the denial of human rights. Aside from all this downplaying, this statement lacks any clear stance. Therefore, we are left with no choice but to fear the worst: that you are merely standing by. For the Foreign Ministry, regarding your important ally, this is tantamount to supporting this hostile policy towards people.
This also raises doubts about how much the government is willing to protect the trans* community and the LGBTIQ* community as a whole from similar endeavours in Germany [Q4].
And the danger for these individuals is far from hypothetical. In Germany, the recorded violence against the LGBTIQ* community has been on the rise for years [Q5], as evidenced by recent incidents like the violent crime following the CSD (Christopher Street Day) in Hannover [Q6]. The hate crimes documented by the Lesbian and Gay Association are just the tip of the iceberg, indicating a much higher level of unreported cases [Q7]. Germany and the USA are not isolated cases; however, their significance is of utmost importance because these developments reinforce and legitimize each other through their interplay.
At the same time, conservative politicians from Germany travel to the United States to align themselves with the transphobic U.S. Governor Ron DeSantis [Q8]. Additionally, for years, queer-phobic proposals have been put forward in the Bundestag, aiming to essentially abolish e.g. gender and queer sciences in a scarily historic manner[Q9.1][Q9.2] . Just as in Florida, where the legal funding for these sciences was removed [Q10]. This attacks the freedom of those affected, students, researchers, and science itself. Similar to the situation in the USA, often no argumentative discourse takes place here, but instead, legitimate human rights are pseudo-scientifically denied. Thus, the fight for the safety, freedom, and rights of these individuals is needed both internationally and nationally.
Despite the danger to human rights and academic freedom, the significant historical responsibility, and the heightened resurgence of hatred – both in the USA and here in Germany – there is a lack of opposing positions from the federal government, particularly from the Foreign Office and the Federal Ministry of Education and Research.
The guideline of the Foreign Office, „We take the lead in combating violence and discrimination against LGBTIQ* individuals,“ seems to be nothing more than an empty phrase at present [Q11].
Now is the time to take a clear stance, to denounce and condemn human rights violations, to firmly defend academic freedom and important fields of study. It is the time to stand in solidarity with those affected, to support them, and to join forces in combating transphobia. Without doing so, you must admit your failure to uphold this guideline. A failure that has real human consequences, both internationally and locally. We earnestly implore you to do the right thing and not continue to merely watch from the sidelines!
Unterstützende Gruppen / Supported by:








Unterzeichner*innen
25 Karin M.
24 Rüdiger G.
23 Jenny G.
22 Leon S.
21 Blanka M.
20 Sasha J.
19 Ronja D.
18 Lana K.
17 Fabian G.
16 Thomas R.
15 Marie K.
14 Blake H.
13 Theresia H.
12 Alex P.
11 Flora K.
10 Svenja R.
9 Jennifer M.
8 Ines R.
7 José A.
6 Nelson N.
5 Cosima S.
4 Jessica P.
3 Fay U.
2 Felix S.
1 Jacob B.
Quellennachweise
Q1 https://translegislation.com
Q2 https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/transgender-debatte-100.html
Q3 https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/275892/queere-geschichte-und-der-holocaust/
Q4 https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-gay-bill-florida-101.html
Q6 https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/christopher-street-day-hannover-100.html
Q7 https://www.lsvd.de/de/ct/3958-Alltag-Homophobe-und-transfeindliche-Gewaltvorfaelle-in-Deutschland
Q8 https://www.sueddeutsche.de/politik/scheuer-desantis-treffen-1.5842598
Q9 https://dserver.bundestag.de/btd/20/075/2007565.pdf u. https://dserver.bundestag.de/btd/19/253/1925312.pdf
Q10 https://www.flsenate.gov/Session/Bill/2023/999/?Tab=BillHistory
Q11 https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2585008/d444590d5a7741acc6e37a142959170e/230301-ll-ffp-data.pdf