CHARTER 2003
(MANSHOOR 81)
- Wir bekennen uns zu allen in der „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO“ verkündeten Rechten und Freiheiten und verlangen, dass diese in der iranischen Verfassung verankert werden müssen.
- Wir stehen unwiderruflich auf dem Standpunkt, dass eine Regierung nur durch allgemeine, freie und geheime Wahlen an die Macht kommen darf, und erkennen ausschließlich die staatlichen Institutionen an, die aus diesen Wahlen hervorgegangen sind.
- Wir verlangen eine klare Trennung von Staat und Religion und lehnen die Herrschaft von Geistlichen sowie jeder anderen Interessengruppe oder Personen, die nicht auf demokratischem Weg gewählt worden sind, ab.
- Wir stehen für freie politische Anschauungen und für die Glaubensfreiheit jedes Menschen und lehnen jegliche Einmischung des Staates in die religiösen Angelegenheiten der Bürger ab.
- Wir sind für die volle Gleichstellung aller Iraner und Iranerinnen ohne Unterschied von Geschlecht, Rasse, ethnischer, sprachlicher, politischer oder religiöser Zugehörigkeit. Jede Art von Diskriminierung und ungleicher Behandlung aufgrund dieser Unterschiede lehnen wir ab. Insbesondere fordern wir die völlige Gleichberechtigung von Frauen und Männern im privaten, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben.
- Wir sind für eine Regierungsstruktur mit minimaler Kontrolle durch Zentralregierung und höchster kommunalen Demokratie entsprechend der kulturellen, ethnischen und sprachlichen Vielfalt der iranischen Bevölkerung im Rahmen der nationalen Einheit des Landes.
- Wir treten dafür ein, dass der nationale Reichtum und die natürlichen Ressourcen zum Wohle aller Menschen des Staates gleichermaßen genutzt werden müssen. Wir sind auch der Meinung, dass der Staat ein Existenzminimum für jeden Iraner und jede Iranerin vorzusehen hat.
- Wir lehnen jede unrechtmäßige Einmischung des Staates in die Privatsphären der Bürger und ihre Beziehungen untereinander ab. In die allgemeine Persönlichkeitsrechte darf nur aufgrund eines Gesetzes von der unabhängigen Justiz eingegriffen werden, um Personen zu schützen und Schaden von ihnen abzuwenden.
- Wir sind gegen jede legimitierte Anwendung von Gewalt an politischen und anderen Gefangenen durch den Staat, insbesondere körperliche und psychische Folter und andere menschenverachtende Methoden wie Hinrichtungen.
- Wir unterstützen die Liberalisierungsbewegungen der iranischen Bevölkerung, die gegen die staatliche Unterdrückung und religiöse Gewaltherrschaft kämpfen. Insbesondere unterstützen wir die Protestbewegungen der Frauen, der Jugend, der Studenten, der Journalisten und der Schriftsteller, sowie der Künstler, der Arbeiter und der Angestellten. Auch wir stehen für gewaltfreie Reformen auf dem Wege zu einer liberalen und demokratischen Gesellschaft und fordern die Umsetzung der in dieser Charter 2003 gesetzten Ziele.
- Wir verlangen den friedlichen Ausbau der internationalen Beziehungen des Iran mit anderen Völkern der Welt auf der Grundlage des gegenseitigen Respekts und im Rahmen der UN-Charta unter Einbeziehung der nationalen Interessen des Iran. Wir unterstützen die Zusammenarbeit mit im Völkerrecht anerkannten internationalen Organisationen für Friedensbeobachtung und -erhaltung, für Menschenrechte sowie Organisationen für soziale, wirtschaftliche und humanitäre Entwicklungen einschließlich Umweltorganisationen.
- Wir stimmen der Forderung der Menschen, die Opfer politischer Willkür geworden sind, alle dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Jedoch sind wir der Meinung, dass dies durch ein von einer demokratisch gewählten Regierung zu gründendes Komitee für Verbrechensverfolgung und nationale Versöhnung, oder von legitimierten Gerichten vorgenommen werden muss – Punkt 9 dieser Charter ist einzuhalten.
Website der „Charter 2003“: www.manshoor.org/index.htm
Hossein Bagher Zadeh, London, Informatiker, Menschenrechtler, Politikkritiker, Sprecher der Vereinigungsinitiative der iranischen Opposition „Charter 2003“
Die Rede von Dr. Hossein Bagher Zadeh am 30.11.2003 im Kulturzentrum Merlin in Stuttgart
Deutsche Übertragung von: Mohammad Aref
Sehr geehrte Gäste, Meine Damen und Herren,
Iran zieht heute die Aufmerksamkeit der Welt wegen mehrerer Gründe auf sich. Die weltweite Verbreitung der Gewalt und des Terrorismus ist einer dieser Gründe. Die Islamische Republik ist einer der wichtigsten Betreiber und Verbreiter des staatlichen Terrors. Die Massenvernichtungswaffen und geheime Programme Irans im Bereich Atomtechnologie sind ein weiterer Grund. Die Welt ist am Beginn des 21. Jahrhunderts die Bühne unzähliger internationalen Auseinandersetzungen. Daher kann sie den Beitritt Irans in den Atomclub nicht mehr ertragen. Und schließlich die Menschenrechts-verletzungen, die ununterbrochen auf der Tagesordnung der islamischen Republik steht, sind der dritte Grund dafür, dass Iran die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zieht.
Über die Menschenrechtsverletzungen in der islamischen Republik Iran kann man nie genug berichten. Mit Sicherheit kann man behaupten, dass kein anderes Regime auf der Welt eine erschütterndere Akte der Menschenrechtsverletzungen nachweisen konnte . Die islamische Republik Iran hat es fertig gebracht, alleine das ehemalige südafrikanische Apartheidsystem in geschlechtlicher und weltanschaulicher Form gegen Frauen und Andersgläubige wiederherzustellen und die grausamsten physischen Strafen wie etwa Steinigen, Auspeitschen, Abhacken von Händen und Füssen, Abköpfen und ähnliches zu benützen, und ihre politische Gegner brutal niederzuschlagen, eins der schrecklichsten Blutbäder der heutigen Welt durch Massenmord an Tausenden Gegnern und Andersdenkenden einzurichten. Zusammengefasst: Die islamische Republik Iran ist eine Summe aus dem ehemaligem, südafrikanischem Apartheidsystem, Saddam Husseins Irak und dem fundamentalistischen Regime von Saudi Arabien.
Die Islamische Republik hat selbstverständlich durch skrupellose Ausnützung religiöser Überzeugung der Menschen die Macht an sich gerissen und ihre Schreckensherrschaft errichten können. Ayatollah Khomeini konnte durch seinen Einfluss die brutalsten mittelalterlichen Gesetze durchsetzten oder das Todesurteil der Gegner im Land und im Ausland aussprechen. Das Todesurteil gegen Salman Rushdi im Jahre 1989 und zur Hinrichtung von Tausenden politischen Gefangnen im Jahre 1988 würden von ihm persönlich in seinem letzten Lebensjahr erlassen. Die selbe kriminelle Tradition haben seine Nachfolger gepflegt, zu deren Werk zählen die Hinrichtung der Führung der demokratischen Partei Kurdestan im Berliner Restaurant Mykonos im Jahre 1992 und Morde an einigen Politikern und berühmten iranischen Schriftstellern in den selben Tagen im Jahre 1998.
Nun nach ca. einem Viertel Jahrhundert Herrschaft dieses Regimes bildet sich eine breite Freiheitsbewegung im Iran. Die iranische, Gewalt, Korruption und Rückständigkeit satthabende Bevölkerung macht ihre Unzufriedenheit deutlich und hat ihre Unmut auf unterschiedlichsten Wege artikuliert. Eine Fraktion des Regimes (die Reformisten) konnte in einer gespannten Wahl vor 6 Jahren die Stimmen eines Großteils der Bevölkerung durch Aussprechen mancher Probleme u.a. Menschenrechte und Demokratie gewinnen. Die Reformisten machten viele Versprechungen, die sich wegen der Blockade der anderen herrschenden Fraktion nicht durchsetzten. Es war von vorne wohl klar, dass ihre Parolen mit Hinblick auf die Struktur der Islamischen Republik und des Grundgesetzes ohne dessen Änderung nichts außer ein Fatahmorgana war. Nun haben unsere Leute erfahren, dass in der Struktur der islamischen Republik keine Demokratisierung durchführbar ist – sie haben ihre umfangreiche politische Reife durch den Boykott der Kommunalwahlen am 28. Februar dieses Jahres dargestellt.
Diese allgemeine Unzufriedenheit und der Wunsch nach gründlichen Veränderungen im politischen System des Landes wird viel offener denn je zum Ausdruck gebracht. So dass mehrere regierende Fraktionen es gestehen. Die Welle politischer Demonstrationen, die besonders in den letzten Jahren an den Universitäten stattfanden, führten zum allgemeinen Wunsch nach einem Referendum und der Änderung des Grundgesetztes. Der Ruf der Iraner nach Freiheit findet nun einen weltweiten Wiederhall und erfährt die Solidarität von demokratischen Parteien, Persönlichkeiten und freiheitsliebenden Menschen. Die Verleihung des Nobelpreises 2003 an Frau Shirin Ebadi, Juristin und Menschenrechtlerin und ein Opfer der Diskriminierung der Frauen im Iran, zählt zu den Erscheinungen dieser weltweiten Interesse und Unterstutzung der freien und demokratischen Welt dem Wiederstand der iranischen Bevölkerung gegenüber.
Es ist das vierte Mal in der Geschichte des letzten Jahrhunderts, dass die iranische Bevölkerung wegen Freiheit und Demokratie kämpft. Die konstitutionelle Revolution vom 1906, die Verstaatlichungsbewegung der Ölindustrie von 1952-53 und die Revolution vom 1979 waren die letzten Bewegungen, die jeder auf irgendeinen Grund fehl schlugen. Einer der Gründe des Fehlschlags war die kulturelle und demokratische Unreife. Beispielsweise wurden die demokratischen Werte und Menschenrechte in der Revolution vom 1979 allgemein übersehen. Das neue Regime begann sofort nach dem Umsturz die Anführer des Exregimes schnell oder ohne Prozesse hinzurichten, und die meisten politischen Kräfte der Opposition parallel zu ihrem Kampf gegen das Regime unterstützen diese Gewaltanwendung. Die Frauen wurden unterdruckt, und die meisten politisch linken Organisationen nahmen dies mit dem Vorwand, sie hätten wichtigeres zu tun, nicht ernst. Eine Gruppe von dem Regime abhängiger Studenten besetzte die amerikanische Botschaft und nahm ihre Angestellten als Geisel fest, und diese Tat wurde von der Mehrheit der Kräfte gutgeheißen. Die leisen Rufe nach Menschenrechten wurden im revolutionären Lärm erstickt, und die neue Diktatur fasste überall Fuß.
Diese bittere Erfahrung liegt im Blickfeld der iranischen Bevölkerung und besonders der jungen Generation, und damit überträgt sie den Intellektuellen und politisch demokratischen Kräften eine große Verantwortung. Die Bekämpfung der vorherrschende Diktatur allein wird für die Durchsetzung der Freiheit und Demokratie im Iran nicht mehr ausreichen. Das heißt, wir müssen über das, was wir nicht haben wollen, hinaus, noch deutlich machen, was wir haben wollen. Und das, was wir uns wünschen, müssen wir im Rahmen von demokratischen und menschenrechtlichen Regeln und Grundlagen definieren. Das heißt die politischen Kämpfer und Aktivisten müssen sich verpflichten, eine Kette von Bestimmungen zu befolgen- Bestimmungen, welche die Befestigung demokratischer Organe auf den Grundlagen der Menschenrechte versichern.
Das ist die Grundidee von Manshoor (Charta 2003), die im Februar dieses Jahres erstmals mit über 100 Unterschriften von Intellektuellen, politischen und menschenrechtlichen Aktivisten veröffentlicht worden ist. Beim Verfassen der Charta haben wir die Schwerpunkte: Demokratie, Freiheit, Frieden, Menschenrechte und Gewaltlosigkeit berücksichtigt, und während dessen haben wir unsere ideale Systemform nicht vorrausgesetzt. Wir glauben daran, dass es allen Iranern , die die Realisierung dieser Bestimmungen als ihre Pflicht ansehen, möglich sein sollte, abgesehen von ihren politischen Überzeugungen, sich um ein gemeinsames Dokument zu versammeln und ihre Ideale mit Hinblick auf darin Eingetragenen Bestimmungen zu verfolgen. Wir haben es akzeptiert, dass die iranische Bevölkerung in der Lage sein sollte, ihr Schicksal in Freiheit und Gleichheit zu bewerkstelligen. Und der Charta 2003 Verpflichtet-zu-sein bedeutet, dass wir, um unsere politischen Ziele zu erreichen, keine undemokratischen oder menschenrechtsverletzenden Methoden verwenden werden. Die Charta 2003 beinhaltet das Allernötigste, was eine demokratische Institution, Partei und Organisation haben soll und sich verpflichten muss, sie zu befolgen.
Die Treue zur Charta 2003 ist nicht gleich Verleugnung des parteiischen oder ideologischen Charakters der Unterzeichner. Viele der Unterzeichner sind in ihren Parteien aktiv oder haben neue politische Organisationen gegründet. Sie können den sozialistischen, liberalen, nationalistischen, linken oder rechten Überzeugungen angehören. Und obwohl die Mehrheit der Unterzeichner der Charta die Erfüllung deren Bestimmungen nur in einer Republik für realisierbar halten, gibt es auch manche Unterzeichner, die es auch in einer modernen Monarchie entschieden für möglich halten. Aus unserer Sicht ist es sehr wichtig, dass aller Unterzeichner sich verpflichtet haben, sich in jeder politischen Aktivität in der Gegenwart und in der Zukunft die Realisierung dieser Bestimmungen bewusst zu sein und in ihrer Richtlinien hinzuarbeiten. Es ist unsere Erwartung und Hoffnung, dass Charta 2003 von allen politisch-demokratischen Kräften als ein nationales Dokument für die nationale Übereinstimmung akzeptiert wird, und dass diese Kräfte sich, abgesehen von ihren Meinungsverschiedenheiten, in der Tat und moralisch an deren Bestimmungen halten.
Die Verpflichtung zu einer bestimmten Kette von demokratischen und menschenrechtlichen Bestimmungen von der Seite der breitesten politischaktiven Kräfte der Gesellschaft ist die Beste Versicherung dafür, dass die Katastrophe der Revolution von 1979 sich nicht mehr wiederholt. Damals war die Freiheitsparole überall zu hören, aber von Demokratie war wenig zu hören. Alle redeten von dem Kampf gegen die vorherrschende Diktatur, aber für die Menschenrechte und Ablehnung der Todesstrafe räumte man keinen so großen Platz in den Debatten ein. Die Revolution war nur auf den Kampf gegen die Form des diktatorischen Systems aus, und man hat weniger über die Inhalt des neuen Systems nachgedacht. Deshalb haben wir erfahren, dass die Freiheit nach der Revolution sehr kurzlebig war, dass die Menschenrechte die ersten Opfer der Revolution waren, dass die Hinrichtungskommandos nach den Köpfen des Schah Regimes Tausende von Gegnern und Andersdenkenden und Andersseienden zum Ziel machten, dass mit der Änderung der Systemform wie schnell ein noch gewalttätigerer, tödlicherer und noch brutalerer Inhalt sich etablierte. Heute sagen wir, dass wir die Freiheit nur zusammen mit Demokratie und Menschenrechten haben wollen, dass wir Gewalt und Folterung und Hinrichtung auf keinen Fall akzeptieren. Und anstatt auf die Form viel mehr auf den Inhalt der kommenden Regierung Iran achten. Das ist die Aussage von „Charta 2003“.
Ich habe am Anfang schon erwähnt, dass Iran heute wegen drei Hauptgründe das Interesse der Welt auf sich zieht: Terrorismus, Massenvernichtungs-waffen, und Menschenrechtsverletzungen. Da die Außenwelt sich viel mehr von den ersten zwei Gründen betroffen fühlt, reagiert sie auch empfindlicher. Aber theoretische und praktische Erfahrungen zeigen, dass die Lösung der ersten zwei Gründe von der Lösung des dritten Problems abhängig ist. Das heißt, wenn die Demokratie in der iranischen Gesellschaft Fuß fasst und die Menschenrechte geachtet werden, wird die Welt sich wegen der Verbreitung des Terrorismus und geheimen Atomprogramme keine Sorgen mehr machen. Aber ohne eine Lösung für die Demokratie- und Menschenrechtsfrage können weder der Druck der internationalen Agentur der Atomenergie noch die Embargodrohungen von der Seite der Uno die erwähnten Gefahren aus dem Wege räumen, und die islamische Republik wird weiterhin als eine Quelle des internationalen Terrorismus und der Bedrohung des Weltfriedens erhalten bleiben.
Anders ausgedrückt, die Interessen der Welt sind heutzutage mit den Wünschen der absoluten Mehrheit der iranischen Bevölkerung für die Durchführung der Demokratie und Achtung der Menschenrechte identisch. Wichtig ist, dass die Weltöffentlichkeit die Rolle der Demokratie und Menschenrechte im Iran ernster nimmt und im Bezug auf Iran deren Lösung an die Spitze ihrer Interesse stellt. Denn die Beseitigung anderer Sorgen über Iran nur dadurch möglich wird. Es ist eine Illusion, wenn einige westliche Länder glauben, dass sie die Atomprogramme der islamischen Republik unter Kontrolle bringen können. Europa und andere demokratische Länder der Welt haben nur noch einen Weg, um das Problem der geheimen Atomprogramme Iran und der Verbreitung von Terrorismus über dieses Land lösen, und es ist der Druck zur Veränderung Irans in einem demokratischen, den Menschenrechten treuen System. Das ist ebenfalls der Wunsch der iranischen Bevölkerung. Die iranische Bevölkerung erwartet von der Weltöffentlichkeit, dass sie in dieser Zeit, in der die Terrorismusgefahr und Verbreitung von Atom- und Massenvernichtungswaffen die Gemüter der freien Welt beschäftigen, ihr bei der Durchführung der Demokratie und Beachtung der Menschenrechte im Iran beizustehen. Die Lösung des Demokratie- und Menschenrechtsproblems im Iran ist gleichzeitig die Lösung der anderen zwei Probleme im Bezug auf Iran, das heißt des Terrorismus und der Verbreitung von Atomwaffen.