Verzinste Zukunft

Wer sich ein Studium nicht leisten kann, dem winkt neuerdings eine Geldspritze der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Drohende Schulden sind nur eine der Nebenwirkungen.

Im Februar hat die Bundesregierung der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) grünes Licht für die Einführung sogenannter Studienkredite zum 1. April 2006 gegeben. Damit können Studierende künftig bei Bedarf ein Darlehen aufnehmen, um ihre Lebenshaltungskosten zu bestreiten. Was Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) als „wichtigen Schritt zur Erschließung eines funktionierenden Marktes der Bildungsfinanzierung“ feiert, markiert für Kritiker den drohenden Einstieg in den Ausstieg aus der Bundesausbildungsförderung (BAföG).

Das Studienkreditmodell der KfW soll – und wird – die Studienfinanzierung in der Republik nachhaltig verändern. Während hinter der Einführung des BAföG 1971 der politische Wille stand, durch die „Gewährung individueller Ausbildungsförderung auf eine berufliche Chancengleichheit hinzuwirken“, wird durch die Einführung von Studienkrediten die staatliche Förderung beiseite gedrängt. Satt dessen soll die Studienfinanzierung voll und ganz der persönlichen Verantwortung der Studierenden obliegen – einschließlich der Begleichung von Zins und Zinseszins. Nach dem Modell der KfW können Studierende auf einen Kredit in Höhe von monatlich 100 bis 650 Euro zugreifen, der spätestens 23 Monate nach Beendigung des Studiums in Raten zurückgezahlt wird. Darlehensberechtigt sind deutsche und ihnen gleichgestellte Studierende, also Bürger der Europäischen Union, während Migranten aus Staaten jenseits der EU-Grenzen ausgeschlossen sind. Ein Rechtsanspruch besteht allerdings für niemanden. Der Kredit wird vorerst mit 5,1 Prozent verzinst; die Rückerstattung kann über einen Zeitraum von zehn bis 25 Jahren erfolgen.

Auf den ersten Blick mag das Modell als ein verlockendendes Angebot erscheinen und sämtliche akuten Finanzierungsprobleme von Studierenden in Luft aufzulösen. Eine realsitischere Sicht der Dinge ermöglicht indes der „Tilgungsrechner“ der KfW. Bezieht man für die Dauer von vier Jahren den Höchstsatz von 650 Euro, beläuft sich das Darlehen auf 31200 Euro. Im Falle der längsten Rückzahlungszeit von 25 Jahren werden zuzüglich Zins und Zinseszins insgesamt 46259,46 Euro, also mehr als das Doppelte des Kreditvolumens, fällig. Bei einer Rückzahlungsfrist von lediglich zehn Jahren, betragen anfallenden Zinsen noch immer mehr als die Hälfte der Kreditsumme. Wer sein Studium mittels Studienkredit finanzieren will oder muß, steht mittel- und langfristig vor immensen Belastungen. Dabei gilt: Angesichts der drohenden Schuldenberge wirkt eine darlehensbasierte Studienfinanzierung grundsätzlich diskriminierend für Menschen aus einkommensschwachen Familien. Nicht zufällig stehen diese der Aufnahme eines Darlehens weitaus kritischer gegenüber als Angehörige der Mittel- und Oberschichten. Gegenwärtig schaffen nur elf Prozent aus der Herkunftsgruppe „niedrig“ den Sprung an eine Hochschule. Dagegen studieren 81 von 100 Angehörigen der Herkunftgruppe „hoch“. Wenn demnächst Bildungschancen an die individuelle Verschuldungsbereitschaft gekoppelt sind, wird die ohnehin schon grobe Benachteiligung gesellschaftlich schwächer gestellter Menschen noch zugespitzt.

Die Studienkredite der KfW sind darüber hinaus eine Bedrohung für den Bestand des BAföG. Angesichts von hunderten Millionen Euro, die dafür Jahr für Jahr aus dem Bundeshaushalt aufgewendet werden, ist die staatliche Förderung inzwischen nicht nur Finanzpolitikern ein Dorn im Auge. Ausgerechnet Bundesbildungsministerin Schavan hatte schon eimal in einem Interview in der Tageszeitung Die Welt am 5. April 2005 für den perspektivischen Wegfall des BAföG plädiert. Damals noch Kultusminsiterin von Baden-Württemberg fügte sie hinzu: „Allerdings muß das BAföG noch so lange erhalten bleiben, bis es einen tatsächlich attraktiven Markt der Bildungsfinanzierung gibt.“ Dieser Markt, so Schavan zehn Monate später bei der Vorstellung des KfW-Modelles im Februar, werde durch die Studienkredite nun geschaffen. Bleibt abzuwarten, wie ernst das Dementi von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu nehmen ist: Niemand habe die Absicht, das BAföG abzuschaffen, versicherte diese noch einmal zu Beginn dieses Jahres. Das war vor den letzen drei Landtagswahlen.

Erschienen in: unispezial Sommersemester 2006. Beilage der Tageszeitung jungeWelt vom 19. April 2006.