Zur Situation in Belarus

Sehr geehrte Frau Knoche,
Sehr geehrte Mitglieder der BT-Fraktion Die Linke,
Sehr geehrte Mitglieder des Parteivorstandes der Linkspartei.PDS,

mit Erstaunen haben wir Ihre Rede vom 29. März 2006 vor dem Deutschen Bundestag zu dem Antrag zur Situation nach den Präsidentschaftswahlen in Belarus verfolgt. Dabei hat uns insbesondere Ihre Aussage hinsichtlich der Relevanz der Ereignisse rund um die Wahlen verärgert. In der dem Antrag zugrunde liegenden Verurteilung der unfreien Wahlen in Belarus und in den eingeforderten demokratischen Reformen sehen Sie eine „Instrumentalisierung“ der Menschenrechtsfrage. Wir weisen diese Auffassung entschieden zurück.

Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, hat der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) als Dachverband der Studierendenschaften in der BRD gute Kontakte zu StudierendenvertreterInnen in Belarus. Die Studierenden gelten als eine der regimekritischsten Gruppen in Belarus. Sie sind seit Jahren den massiven Repressionen durch die Lukaschenko-Regierung ausgeliefert. Der einzige staatlich unabhängige Studierendenverband wurde vor einigen Jahren verboten. Zwangsexmatrikulationen mit fadenscheinigen Begründungen waren auch schon vor der letzten Präsidentschaftswahl an der Tagesordnunng und wurden mit dem „Schutz der Studierenden“ gerechtfertigt. Sicher ist auch Ihnen das Beispiel von Tatsiana Khoma bekannt, die aufgrund der Teilnahme an einer Konferenz des europäischen Studierendenverbandes ESIB exmatrikuliert wurde, weil sie sich nicht bei der Hochschulleitung abgemeldet hat!

Während der Wahlen und der anschließenden Demonstrationen wurden unter anderem Hunderte Studierende inhaftiert. Schon im Vorfeld der Wahlen waren sie großem Druck ausgesetzt worden, indem sie etwa gezwungen wurden, an einem bestimmten der fünf Wahltage wählen zu gehen oder am Wahlsonntag mit Ausgangs­verboten belegt wurden. Auch während der Proteste nach den Wahlen gab es Androhungen, alle TeilnehmerInnen der Demonstrationen zu exmatrikulieren.Das alles sind schwerwiegende Verstöße gegen grundlegende Menschenrechte. Gerade für Studierende wirken sich diese Einschränkungen massiv auf ihren zukünftigen Lebensweg aus.

In einer solchen Situation zu hören, dass die Unterstützung dieser Menschen einer Instrumentalisierung gleichkommen soll, stößt bei uns auf absolutes Unverständnis. Die Ächtung von Menschen- und Grundrechten ist immer inakzeptabel. Mit Ihren Aussagen spotten Sie den jungen Menschen, die ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen wollen und deswegen ihrer Bildungschancen und damit auch ihrer Zukunft beraubt werden. Ob die Menschen in Belarus in freien Wahlen ein anderes politisches und/ oder wirtschaftliches System wählen oder nicht, ist hier zweitrangig. Demokratinnen und Demokraten sollten sich darin einig sein, freie Wahlen zu unterstützen und die Durchsetzung und Wahrung von Menschenrechten über allem anderen einzufordern – unabhängig davon, ob am Ende ein ihnen – politisch – genehmer Sieger steht oder nicht.

Wir fordern Sie, Frau Knoche, als Mitglied des Bundestages, die gesamte Linksfraktion sowie den Parteivorstand der Linkspartei.PDS auf, die am 29. März 2006 geäußerte Position zur Situation der Menschen in Belarus zu überdenken und sich der Verantwortung bewusst zu werden, die wir gegenüber allen Menschen haben, denen grundlegende Menschenrechte verweigert werden. In diesem Sinne fordern wir Sie ebenfalls zu einer öffentlichen Stellungnahme zur Situation in Belarus unter Berücksichtigung der erfolgten Menschenrechtsverletzungen auf.

Der Parteivorstand sei hiermit zugleich aufgefordert, dem an ihn verwiesenen Antrag vom Bundesparteitag zuzustimmen.

Mit freundlichen Grüßen,

der Vorstand des fzs e.V.
Christian Berg, Regina Weber