Von Adeline Duvivier
Wie Hochschulreform auch anders gehen kann… oder nicht
Im Nachbarland Frankreich geschehen in letzter Zeit komische Sachen. Wenn Frankreich nach rechts rückt, dann wird auch alles wild reformiert. Und da Reformen nicht zwangsläufig bedeuten, dass es besser wird, scheinen sich einige Reformen des französischen Bildungswesens an das deutsche wilde Reformieren anzulehnen. Auch wenn Frankreich vergleichsweise auf den unteren Stufen der neoliberalen Bildungsreformleiter steht, lassen sich in der Tendenz viele Parallele erkennen.
Bildungsministerin Pécresse soll – kaum in ihrem neuen Amt angekommen – die Aufgaben erledigen, für die sie speziell von Staatspräsidenten Sarkozy beauftragt wurde. Das Hochschulwesen soll streng reformiert werden. Es produziere zu viele AbbrecherInnen und es solle mehr an die Bedürfnisse der Wirtschaft angepasst werden. Wenn dabei an ein paar Prinzipien des Sozialstaates gekratzt werden sollte, dann wird dies auf die Meritokratie geschoben – das schöne Prinzip der französischen Republik seit der französischen Revolution: Wer die Leistung erbringt, dem steht das Leben offen.
Studierende haben unterdessen bereits Streiks zum Beginn des nächsten Hochschuljahres angekündigt, wenn ihren Forderungen nicht nachgekommen wird. Die Studierendengewerkschaften standen aber diesmal nicht allein gegen die Reformpläne, die mittlerweile aufgeweicht und teilweise vertagt wurden.
Mehr Autonomie…
Der deutsche Trend in Richtung einer größeren Autonomie der Hochschulen zeichnet sich auch in Frankreich ab. Die neue Regierung wünscht sich konkurrenzfähige Hochschulen, die mit den besten Hochschulen der Welt mithalten können. Dafür sollen sie sich sowohl ihre Studierenden als auch ihre DozentInnen und ProfessorInnen selbst aussuchen können. PorfessorInnenverbände lehnen sich gegen solche Konkurrenzbedingungen und gegen geplante Einschränkungen der Forschung und Wissenschaft auf. Studierendengewerkschaften sehen die Gefahr, dass die Kluft zwischen einigen „Elite“hochschulen und gewöhnlichen Hochschulen weiter wachsen wird. Eine Konkurrenz der Hochschulen lehnen sowohl die Studierenden als auch die ProfessorInnen ab, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Um aber die Beteiligten für den geplanten Wechsel zu ködern, sollen Hochschulen, die sich für das autonome System entscheiden, besondere Finanzmittel und Hilfen erhalten.
… und weniger Mitwirkungsrechte
Die studentische Vertretung soll sehr stark eingeschränkt werden. Bereits jetzt haben die französischen Studierenden ein sehr beschränktes Vertretungsrecht. Bloß in den Verwaltungsräten der Hochschulen, die ähnliche Aufgaben wie die Senate deutscher Hochschulen wahrnehmen, sind Studierende derzeit vertreten. Von 15 studentischen VertreterInnen in einem 60-köpfigen Gremium soll die Zahl nun auf drei von 20 Mitgliedern reduziert werden. Dieser Angriff auf die Hochschuldemokratie steht stark in der Kritik. Die ProfessorInnen kritisieren auch die neuen Vetorechte der HochschulpräsidentInnen, mit denen diese sich über demokratische Beschlüsse des Verwaltungsräte hinwegsetzen können.
Selektion zum Master?
Der größte Streitpunkt der Reform ist die geplante Selektion beim Masterzugang. Um die Problemlage besser einschätzen zu können, muss einiges über das französische Hochschulsystem vorab geklärt werden: Französische Hochschulen haben keinen NC. Alle AbiturientInnen dürfen sich an einer wohnortabhängig zugewiesenen Hochschule für jedes Fach einschreiben. Die Kurse können eventuell überfüllt sein oder es werden einfach neue Kurse angeboten. Typische deutsche NC-Studiengänge wie Medizin oder Pharmazie bedienen sich eines Filtertests nach dem ersten Unijahr. Allerdings wird dabei nur der Stoff des Jahres geprüft – die Note des Abiturs ist und bleibt irrelevant. Die Selektion verschiebt sich in die Hochschulen und ist damit fachgebunden. Die übrigen Studiengänge nehmen alle BewerberInnen an und führen sie zu dem jeweils gewünschten Abschluss.
Die neue Autonomie würde allerdings den Hochschulen die Möglichkeit geben, die Studierenden nach dem Bachelor-Abschluss auszusieben. Der laute Aufschrei der Studierenden konnte diese Pläne jedoch abmildern – die Selektion soll nur „in besonderen Fällen“ stattfinden, die Kriterien sollen „transparent“ sein und allen Studierenden sollen trotz der Selektion zu einem anderen Abschluss verholfen werden.
Voller Erfolg oder eingekauft?
Eine Woche voller Presse und viele Termine beim Ministerium gingen ins Land – und die stärksten Studierendengewerkschaften knickten ein. Deren Erfolgsmeldung ist klar: Die Studiengebührenpläne, die im Wahlkampf kurz und schüchtern angedeutet wurden, sind ganz schnell wieder in der Schublade verschwunden. Dafür konnte vieles akzeptiert werden, wie zum Beispiel der Einschnitt in die schon jetzt mageren Vertretungsrechte. Ob man dann sagen kann, dass die Studierenden eingekauft wurden?
Aus deutscher Sicht ist es ein voller Erfolg. Die schlimmsten Befürchtungen haben sich nicht ansatzweise konkretisiert, weil von vornherein klar war, dass der Widerstand gegen die mögliche Einführung von Studiengebühren noch groß genug ist. Aber was machen in ein paar Jahren die drei Studierenden in einem Verwaltungsrat gegen die drohenden Studiengebühren? Wohl das Gleiche wie unsere Handvoll VertreterInnen in den deutschen Hochschulsenaten: den Kürzeren ziehen. Die neoliberale Reform der Hochschulen wird sich – über kurz oder lang – auch in Frankreich durchsetzen.
Zur Autorin
Adeline Duvivier studiert Deaf Studies an der Humboldt Universität Berlin und ist Mitglied im Ausschuss Sozialpolitik des fzs.
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 3/2007 des fzs:magazin (Oktober 2007).