Der Arbeitgeber*innen-Lobbyist echauffierte sich darüber, dass das Unternehmertum in diesem Buch zu negativ dargestellt würde, die Publikation ideologische Anschuldigungen transportiere und als Propaganda gegen die Wirtschaft zu verstehen sei. Das Kapitel zu Lobbyismus und dem Einfluss von Unternehmen auf das Bildungswesen hat ihn wohl besonders gestört, so zumindest die aktuellen Presseberichte. Konsequenterweise empfahl er das Buch aus dem Verkehr zu ziehen. Es scheint fast so als wollten er und das Innenministerium ein praktisches Beispiel für die negativen Konsequenzen des Lobbyismus geben. Spiegel Online mokiert sich daher vollkommen zurecht: „Vielleicht ist ja auch der Versuch des BDA, ein Wirtschaftsbuch aus dem Verkehr zu ziehen, künftig ein gutes Beispiel für den Unterricht.“[1] Jedenfalls erging die Weisung des Innenministeriums trotz des Widerspruch seitens der Autor*innen und ohne eine ausgiebige Prüfung oder eine Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats der bpb abzuwarten. Bemerkenswerterweise hat genau dieser Beirat dem Innenministerium inzwischen widersprochen und für den Vertrieb des Buches gestimmt. Die deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) sieht in dem Fall einen „Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft“. Der Versuch Schüler*innen soziologische Erkenntnisse über Wirtschaft vorzuenthalten, missachte zudem das „Gebot der Wissenschaftsorientierung von Bildung“.[2] Reinhold Hedtke, Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften und Wirtschaftssoziologie in Bielefeld und Mitautor des Bandes, lässt sich von der Onlineausgabe der Süddeutschen Zeitung folgendermaßen zitieren: „Dass Arbeitgeberverbände versuchten, ihre Lobbymacht auszuüben, kennt man ja schon. Viel schlimmer ist, dass der Innenminister daraufhin Zensur ausgeübt hat. Das darf nicht sein.“
Selbstverständlich begrüßen wir die kritische Haltung des DGS, allerdings erscheint uns die Rede von der Wissenschaftsfreiheit als beschönigend. Von welcher Freiheit ist hier die Rede? Ein solcher Eingriff ist eher die Spitze des Eisberges. Schon heute muss sich ein Großteil von Forschung und Lehre über Drittmittel finanzieren. Der Staat befördert diese Einflussnahme nicht nur, indem er die Hochschulkassen austrocknet, er hat längst die Finanzierung der Hochschulen umgestellt. Im Rahmen von Sonderprogrammen, der Exzellenzinitiativen und der Leistungsorientierten Mittelvergabe bekommen vor allem diejenigen viel Geld, die erfolgreich Drittmittel akquieren. Damit wird die Anbiederung an kurzsichtige Verwertungsinteressen der jeweiligen Investor*innen noch verstärkt. Selbstredend beeinflusst dieses Verhältnis Fragestellungen, Methoden und Ergebnisse der Wissenschaft.
Im Übrigen ist auch bemerkenswert, welche Institution von dieser Zensurmaßnahme betroffen war. Das bpb ist wohl alles andere als eine unabhängige Bildungseinrichtung. Denn als staatliche Behörde ist sie schon institutionell eher keine Querdenkerin, die weit von hegemonialen Interessen abweicht. Bezeichnenderweise haben die Behördenleitung meist auch Mitglieder der beiden größten deutschen Parteien inne. Die von Gabriele Metzler beteuerte Pluralität (Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der bpb) scheint ziemlich gering zu sein, wenn ein CDU geführtes Ministerium Publikationen aus dem Verkehr zieht, die von einem Parteimitglied ihrer Koalitionspartnerin geleitet wird.