Gründungserklärung des fzs

Interessenvertretung von Studentlnnen in dieser Gesellschaft

Die Bedingungen von Hochschulbildung und -forschung in der Bundesrepublik Deutschland werden nicht von Studentlnnen bestimmt. Die Ausstattung der Hochschulen, die Inhalte von Lehre und Forschung, die bestehenden Lehr- und Lernformen, die formellen Prüfungsbedingungen und vieles mehr tritt den Studentlnnen an den Hochschulen als eine mächtige herrschende Realität gegenüber. Viele haben den Eindruck, daß diese Realität durch sie nicht veränderbar ist, sondern daß sie ihr Leben während des Studiums bestimmt.

Die unzureichende soziale Absicherung der Studentlnnen, die Unterdrückung von Frauen und der zunehmende Rassismus an den Hochschulen verschärfen diese Situation.

In der Gesellschaft der Bundesrepublik gehören die meisten Studentlnnen zu dem Teil der Menschen, die ihren Lebensraum nicht selbst gestalten können, die keine politische und wirtschaftliche Macht ausüben, sondern zur Anpassung an bestehende Verhältnisse gezwungen werden sollen. Sie sind nicht Herrschende, sondern in ihrem gesamten Lebensraum weitgehend Beherrschte so wie die Mehrheit der Menschen, die in der Bundesrepublik leben.

Die herrschende Hochschulpolitik in der Bundesrepublik trägt dieser Situation Rechnung. Zwangsmaßnahmen zur Verkürzung der realen Studienzeiten und zur Verstärkung des individuellen Anpassungsdrucks gehörten immer schon zu den Instrumentarien dieser Beherrschung. Heute, in einer Zeit, in der die Bildung ebenso wie die Arbeit der Menschen möglichst umfassend zur Stärkung des „Standorts Deutschland“ vereinnahmt werden soll, werden solche Maßnahmen besonders forciert.

Hochschulen sind sowohl Teil als auch Spiegelbild der Gesellschaft. Insofern ist jede unmittelbar hochschulpolitische Frage nicht unabhängig von ihren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu denken. Deshalb müssen Studentinnen zu allen politischen Fragen Stellung nehmen.

Studentische Politik darf sich deshalb nicht auf die isolierte Interessenvertretung einer sozialen Gruppe beschränken. Gerade Studentlnnen müssen diese gesellschaftlichen Zusammenhänge deutlich machen und nicht gegen, sondern mit anderen Beherrschten für Veränderungen kämpfen.

Umgekehrt ist eine studentische Interessenvertretung auch ein wichtiger Beitrag für diesen Kampf in der gesamten Gesellschaft, wenn sie sich nicht elitär gegen andere gesellschaftliche Gruppen abgrenzt, sondern studentische Interessenvertretung als einen Teil sozialer Opposition versteht, die konkret im Bereich der Hochschulen ansetzt. In diesem Sinne darf studentische Interessenvertretung auch nicht an den Landesgrenzen halt machen, sondern muß auch eine internationale Dimension haben.

In diesem Sinne wollen wir die Entfaltung und Durchsetzung studentischer Interessen überregional unterstützen und zusammenfassen. Dabei wollen wir mit den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, sowie allen, die sich für einen ökologischen und demokratischen Umbruch einsetzen, zusammenarbeiten.

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Der neue Dachverband von Studentlnnenschaften

In der Bundesrepublik gab es seit dem Zusammenbruch der vds keinen Verband mehr, in dem die an den Hochschulen politisch aktiven Studentinnen sich miteinander auseinandersetzen, ihre Aktivitäten koordinieren und gemeinsame Strategien entwickeln konnten, wobei auch die vds diesen Anspruch nicht mehr erfüllte.

Seit drei Jahren gab es daher nur in Teilbereichen Zusammenschlüsse von Studentlnnenschaften. So gab es zum Beispiel die Treffen und Konferenzen der ASten einzelner Bundesländer, den Dachverband von Studentlnnenschaften an Fachhochschulen (FKS) und den Zusammenschluß von Uni-ASten im BAS. Zeitweise gab es den Zusammenschluß von StudentInnenräten in Ostdeutschland in der KdS. Es gibt Bundestagungen von Fachschaftsräten, Frauen und einzelnen Arbeitsbereichen wie Soziales oder Ökologie.

Mit der Zusammenarbeit der Studentlnnenschaften in Bezug auf den studentischen Bildungsgipfel im Juni 1993 haben wir eine neue Basis der gemeinsamen Diskussion, des Streits, der Koordination von Aktivitäten und der Vertretung gemeinsamer Positionen gefunden.

In den vergangenen Jahren und ganz besonders in der Arbeit am studentischen Bildungsgipfel ist aber auch deutlich geworden, daß die Zusammenarbeit einer strukturierenden gemeinsamen Organisationsform bedarf.

Deshalb haben die unterzeichnenden StudentInnenschaften beschlossen, mit der Gründung eines neuen Dachverbands von Studentlnnenschaften einen ersten Schritt zu einer Bündelung der Kräfte, die eine bundesweite Zusammenarbeit in dieser Form wollen, zu tun.

Dabei baut der neue Dachverband auf der bisherigen Arbeit der Studentlnnenschaften auf. Insbesondere die Positionen, die im Arbeitskreis Bildungsgipfel, in der Freien Konferenz der Studentlnnenschaften an Fachhochschulen (FKS), im Büro von ASten, USten und Studentlnnenräten (BAS) und im Netzwerk für Frauen- und Lesbenpolitik entwickelt wurden, sind auch Grundlage der Arbeit des neuen Dachverbands.

An dieser Gründung sind ostdeutsche Studentlnnenschaften noch nicht beteiligt. Wir streben allerdings eine gleichberechtigte Zusammenarbeit an.

Sowohl mit den Bundesfachschaftentagungen, mit dem Netzwerk für Frauen- und Lesbenpolitik als auch mit dem Bundessozialreferentlnnentreffen und vergleichbaren Zusammenschlüssen wünschen wir uns eine enge Zusammenarbeit.

Der neue Dachverband soll ein Forum der Diskussion, der Koordination von Aktivitäten und der Vertretung studentischer Interessen in Deutschland unter anderem in folgenden Bereichen sein:

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Für eine neue Hochschulpolitik

Die Anforderungen an jede Form von Bildung gehen weit über den reinen Erwerb von Wissen hinaus. Um gesellschaftliche Prozesse beurteilen und selbstbestimmt demokratische Entscheidungen kompetent treffen zu können, muß die Fähigkeit zum kritischen Denken gefördert werden. Bildung ist notwendig, damit soziales und ökologisches Verhalten im notwendigen Ausmaß erlernt wird. Außerdem ist Bildung ein wichtiger Aspekt für die Entwicklung der Persönlichkeit.

In diesem Sinne sind Hochschulen für uns kein Standortfaktor, sondern bieten eine Chance, allen Menschen mehr Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen. Nicht der ökonomische Standort, sondern die Emanzipation und die Qualifizierung der Menschen im Sinne einer gesellschaftlichen Problemlösungskompetenz muß im Mittelpunkt der Hochschulbildung stehen. Dabei müssen sich Formen und Inhalte von Forschung und Lehre an den heutigen gesellschaftlichen Problemen, wie dem der Zuspitzung der 2/3-Gesellschaft, dem der Vernichtung der Umwelt, dem der Ausweitung von Herrschaftsverhältnissen und anderen orientieren.

Die Inhalte von Forschung und Lehre müssen sich deshalb an antirassistischen, antisexistischen, ökologischen und sozialen Grundsätzen orientieren. Hochschule und Wissenschaft müssen es sich zur Aufgabe machen, sich an den Überlebensfragen der Menschheit statt an der bloßen ökonomischen Verwertbarkeit ihrer Ergebnisse zu orientieren.

Dazu muß auch die Hochschule selbst demokratisch organisiert sein, was unter anderem bedeutet, daß bis zu ihrer Überwindung die ‚Statusgruppen‘ der Studentlnnen, Mitarbeiterlnnen und Dozentlnnen gleichberechtigt sein müssen, was auch ausschließt, daß Entscheidungen, die die Studentlnnen betreffen, gegen ihren erklärten Willen getroffen werden.

Dazu muß die an der Hochschule betriebene Wissenschaft in allen Bereichen also der Wissensproduktion, -vermittlung, -anwendung, usw. kritisch betrachtet werden.

Dazu brauchen wir eine grundlegend andere Hochschulpolitik und dazu haben wir bereits weitgehende Grundlagen erarbeitet.

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Für soziale Gerechtigkeit

Für Studentlnnen muß es wie für alle Menschen die sie brauchen eine soziale Grundsicherung geben. Alle Menschen haben ein Recht auf Wohnraum. Studierenden Eltern muß ein Studieren mit Kind ermöglicht werden. Studentlnnen müssen daher entsprechende Forderungen gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Gruppen formulieren.

Um die so erarbeiteten Positionen wirkungsvoll durchsetzen zu können, kommt es darauf an, daß der Dachverband im Bündnis mit den gesellschaftlichen Kräften, die dafür in Frage kommen, gemeinsame Interessenvertretungskämpfe organisiert. Im Bereich der Sozialpolitik kommt hierbei den Gewerkschaften eine besondere Bedeutung zu.

In diesem Sinne muß sich die Ausbildungsförderung, der Wohnungsbau und die soziale Absicherung in der Bundesrepublik im Ganzen verändern. Die sozialen Lebensbedingungen müssen die Emanzipation der Menschen ermöglichen. Für weitergehende gesellschaftliche Einflußnahme der Studentlnnenschaften

Die Entfaltung studentischer Interessen in Hochschule und Gesellschaft kann für uns nicht nur sogenannte ‚hochschulpolitische‘ und ’soziale‘ Fragen umfassen.

Wir treten ein für eine Emanzipation aller Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, Staatsangehõrigkeit, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung, politischer Überzeugung und sozialer Stellung. Darum wenden wir uns gegen jede Form von Diskriminierung und Verfolgung in der Gesellschaft und somit auch in der Hochschule.

Deshalb wenden wir uns unter anderem gegen ein diskriminierendes AusländerInnenrecht, gegen die faktische Abschaffung des Asylrechts, gegen Abschottungspolitik und andere Tendenzen staatlicher und nicht-staatlicher Diskriminierung und Verfolgung.

Dagegen wollen wir antifaschistische und antirassistische Strategien und Handlungsansätze entwickeln. Hierbei kommt der Auseinandersetzung mit diesen und der Analyse der gesellschaftlichen Hintergründe in Lehre und Forschung an den Hochschulen besondere Bedeutung zu.

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Für feministische Politik

Wie wenig Gestaltungsmacht von Frauen auch nur in Ansätzen durchgesetzt worden ist, zeigt sich auf allen Ebenen der Gesellschaft, in der strukturelle Gewalt gegen Frauen bis heute zum Alltag gehört und akzeptiert wird.

Frauenmacht muß gestärkt werden, um gesellschaftliche, patriarchalische Machtstrukturen aufzubrechen. In diesem Sinne brauchen wir Frauenförderung und Quotierung ebenso wie wirksame Aktivitäten gegen Sexismus in der Gesellschaft und damit auch an der Hochschule. Frauenförderung ist ein Teil der Hochschulpolitik (!) und verfolgt zielgerichtet die Aufhebung jeglicher Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts in Wort, Schrift, in Handlungs- und Entscheidungspraktiken.

Patriarchalische Machtstrukturen finden sich auch in studentischen Strukturen wider. Diese Machtstrukturen (auch im Dachverband) können nur aufgebrochen werden, wenn u.a. Frauenförderung und Quotierung als Teil feministischer Politik auch in unseren eigenen Strukturen festgeschrieben werden. Feministische Politik an den Hochschulen stellt einen Impuls für die gesamte Gesellschaft dar. Sie läßt sich nicht reduzieren auf Frauenförderung und Quotierung. Feministische Positionen müssen in allen gesellschaftlichen Bereichen verankert werden. Diese gesellschaftsverändernde Politik muß Grundlage der Arbeit aller Menschen im Dachverband sein. Es bleibt jedoch strategische Aufgabe, in Zusammenarbeit mit der gesamten Frauenbewegung auch über die Hochschulen hinausgehend die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Frauen zu verändern.

Die Arbeit des Dachverbands soll dabei an die im AK Bildungsgipfel, in der FKS und im Netzwerk für Frauen- und Lesbenpolitik entwickelten Ansätzen anknüpfen.

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Für internationalistische Politik

Die Bildungspolitik hat die nationalen Grenzen längst überschritten. Fast weltweit geht es an den Hochschulen wie im gesamten Bildungsbereich nicht um Chancengleichheit und Emanzipation, sondern um Anpassung, Selektion und Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft.

Die BRD ist als eine der „führenden Industrienationen“ maßgeblich beteiligt an der systematischen Unterentwicklung der sog. 3. Welt. Der im weltweiten Maßstab große Reichtum in diesem Land basiert direkt auf der Armut von vier Fünfteln der Weltbevölkerung: Ein extrem ungerechter Weltmarkt zugunsten der entwickelten kapitalistischen Staaten und die u.a. mit deutschen Waffen angeheizten Kriege zwingen weltweit Millionen Menschen zur Flucht vor Armut, Hunger, Umweltzerstörung und Krieg.

Internationalistische Arbeit meint vor diesem Hintergrund nicht die Einrichtung von europäischen Austauschbörsen zur besseren Verwertbarkeit für den EG-Binnenmarkt. Sie beinhaltet vielmehr eine kritische Auseinandersetzung mit globalen und europaweiten Entwicklungen im Hochschulbereich, Kommunikation und Austausch mit den Studentlnnenschaften in den entsprechenden Ländern.

Sie bedeutet außerdem den Kampf gegen die weltweite Abhängigkeit und Ausbeutung der „3. Welt“ gegen die Festung Europa. Dazu gehören u.a.:

  • die praktische internationale, kritische Solidarität mit emanzipatorischen Befreiungsbewegungen,
  • die Kommunikation und Partnerlnnenschaft mit entsprechenden Studentlnnenschaften und
  • die Forderung, daß alle Menschen, die in die BRD flüchten müssen, hier ein uneingeschränktes Bleiberecht bekommen.

Der Dachverband soll in diesem Bereich an die bereits von FKS und anderen begonnenen Projekte der internationalen Zusammenarbeit anknüpfen. In diesem Sinn führt der fzs die Mitgliedschaft der FKS in der IUS fort.

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Für ökologische Politik

Die Hochschulen sollten Träger der Umgestaltung der fortgeschrittenen Industriegesellschaft sein. Lehre und Forschung müssen dabei jedoch in gesellschaftlicher Verantwortung gesehen werden und dürfen nicht unter dem Deckmantel der Wertfreiheit zu ökologischen Belastungen der Gesellschaft führen.

Daraus folgt, daß den Hochschulen eine besondere Verantwortung beim ökologischen Umbau der Gesellschaft zufällt, wozu auch eine Unterstützung der ökologischen Bewegung gehört. Diese wird zur Zeit nicht wahrgenommen, vielmehr orientieren sich die Hochschulen in Forschung und Lehre vor allem an ökonomischen Verwertungsinteressen.

Gleichzeitig stellen die Hochschulen mit den im Wissenschaftsbetrieb studierenden und arbeitenden Menschen einen Großbetrieb dar, der direkt die Umwelt beeinflußt. Gleichwohl ist die Erkenntnis dieser Tatsache nicht weit verbreitet. Umweltbeauftragte, Umweltbilanzen und -berichte oder ökologische Konzepte zur Umgestaltung der Hochschulen sind kaum vorhanden.

Ziel des fzs ist es daher, in Zusammenarbeit mit bereits existierenden Zusammenschlüssen und insbesondere mit dem Bundesverband Studentischer Ökologiearbeit, eine ökologische Politik in der Gesellschaft und an der Hochschule durchzusetzen.

Diese Gründungserklärung ersetzt kein Programm und kein Grundsatzpapier des neuen Verbands. Auf bestehende Positionsbestimmungen haben wir verwiesen. Viele einzelne Forderungen werden erst in diesen Zusammenhängen konkretisiert. An diese bereits entwickelten Positionen wollen wir anknüpfen.

Wir wollen künftig für gemeinsame Ziele auch gemeinsam eintreten. Das schließt Widersprüche in unseren Einschätzungen und Forderungen nicht aus. Wir wollen nicht um jeden Preis in jeder Frage Einigkeit vortäuschen. Wir denken vielmehr, daß unsere Vielfalt auch unsere Stärke ist.

In diesem Sinne gründen wir den freien zusammenschluß von studentlnnenschaften (fzs) e.V.

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