Bildungspolitik und Sozialpolitik

Die Mitgliederversammlung des fzs verabschiedet das folgende Thesenpapier zur Bildungs- und Sozialpolitik als Arbeitspapier. Das Arbeitspapier dient als weitere Diskussions- und Arbeitsgrundlage für interne Debatten und als grobe Leitlinie für die tägliche Arbeit im fzs.

Bildungspolitik und Sozialpolitik

Analyse

Der Bildungsbereich und die Systeme sozialer Sicherung hängen in jeder Gesellschaft und jeder Form menschlichen Zusammenlebens ursächlich zusammen. Beide Bereiche erfahren in der derzeitig herrschenden Politik eine extreme Abwertung – ja viel weitergehend noch – werden neoliberalen und marktwirtschaftlich-kapitalistischen Handlungsstrategien unterworfen.

Die ständig beschworene und verschärfte Konkurrenz zwischen Staaten, Standorten und Unternehmen innerhalb des neoliberalen Weltbildes dient der Aufrechterhaltung bestehender Abhängigkeitsverhältnisse zwischen und in den Staaten. Unter dem Primat der ökonomischen Standort-Kriegführung findet eine weitere Durchrationalisierung und Durchkapitalisierung aller Lebensbereiche, insbesondere des Kultur-, Sozial- und Bildungsbereiches statt. Die herrschende Politik suggeriert, daß nur diejenigen Nationen mit den besten (wirtschaftlichen) Leistungen die Probleme der Menschheit lösen werden – und das ausschließlich mit Hilfe von weiterentwickelten Technologien. Die Technologieentwicklung wiederum wird durch Wettbewerb und Marktwirtschaft und eine in deren Dienst gestellte Wissenschaft wesentlich beschleunigt. So werden eben nicht nur Wirtschaftsbedingungen für Konzerne mit Verweis auf internationale Konkurrenzsituationen vergünstigt, sondern auch der Bildungs- und Sozialbereich wird zum Kampfplatz erhoben, um den Standort Deutschland zu stärken. Während der Bildungsbereich somit von immenser Bedeutung für die Standortsicherung und den Elitennachwuchs ist, wird der Sozialbereich zum einen konsequent vernachlässigt, weil er nun einmal Geld kostet und zum anderen aber auch systematisch und geplant abgebaut, um Menschen zu disziplinieren und sie in eine Verwertbarkeitslogik zu pressen, damit sie bedingungslos ausbeutbar werden.

Besonders in der deutschen Sozialpolitik spüren wir die geplante und durchgeführte Durchrationalisierung in Form eines drastischen Abbaus des sozialen Netzes und aller Sozialleistungen, sowie die verstärkte Koppelung von sozialer Sicherung an Zwangsmaßnahmen. Unter dem Deckmantel der Stärkung individueller Selbstverantwortung werden Fragen der sozialen Gerechtigkeit zu Fragen einer Marktgerechtigkeit transformiert. Staatliche Interventionen im sozial- und bildungspolitischen Bereich sollen sich an der privat-wirtschaftlich-kapitalistischen Marktlogik messen lassen und sind somit nicht Gegenprinzip, sondern Bestandteil kapitalistischer Verwertungslogik. Soziale Risiken werden individuell zu- und privat abgerechnet. Hierfür finden sich zahlreiche Beispiele in vergangenen Kürzungen des Systems der sozialen Sicherung und auch der derzeitigen Diskussion um den Abbau des Sozialstaates: mehr Selbstbeteiligung in der Krankenversicherung, Einschränkungen bei der originären Arbeitslosenhilfe, Arbeitszwang in Form von ständiger Bereitschaft jeden Job annehmen zu müssen, Verschärfung des Lohnabstandsgebotes in der Sozialhilfe, Einführung eines Niedriglohnsektors, unzureichende Anpassung der Freibeträge und Bedarfssätze des BAföG – trotz rot-grüner Regierung. Privatisierungstendenzen und das Aufbürden sozialer Risiken treffen hier immer diejenigen, die sich am wenigsten wehren können.

Wir sind weiter denn je davon entfernt, auf ein System der sozialen Sicherung oder ein gut aufgebautes soziales Netz zurückgreifen zu können, das allen Menschen die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben ermöglichen würde. Stattdessen verschäft sich das soziale Klima im Lande zusehends. Auch wenn es im Moment noch nicht so weit ist, werden doch entscheidende Weichen jetzt gestellt: der Niedriglohnsektor wird ausgebaut, unternehmerisches Denken wird gefördert, jedeR sollte bestenfalls seine/ihre Arbeitskraft selbständig vermarkten, absurde Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden den Arbeitslosen aufgebrummt. ”Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!”, lautet die Devise. Die Verwertbarkeit der Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter gilt als das Kriterium schlechthin für die gesellschaftliche und individuelle Nützlichkeit jedes einzelnen Menschen in dieser Gesellschaft. Dennoch will sich aber die Politik nicht mehr dafür verantwortlich sehen, den Menschen einen sinnvollen und anerkannten Platz in der Gesellschaft zukommen zu lassen.

Das alte Sprichwort ”Jeder ist seines Glückes Schmied” gewinnt neue Bedeutung. Dabei wird vollkommen ignoriert und negiert, daß es unterschiedliche Ausgangspositionen und Voraussetzungen gibt. Menschen, die nicht dem konstruierten Normalbild ”männlich, weiß, jung” entsprechen, fallen zunehmend aus dem sozialen Netz. Innerhalb des kapitalistischen Verwertungsprozesses wird die dominante Stellung deutscher und weißer, nicht behinderter Männer durch die Definition einer Normalbiographie gestärkt. Mit der ökonomischen verbindet sich eine politische und kulturelle Gestaltungshegemonie. Herrschaftsverhältnisse sollen damit objektiviert werden. Sowohl im Bereich der auf den Arbeitsmarkt hinführenden Ausbildung, zu der auch das Studium gezählt wird, als auch in der lohnarbeitszentrierten sozialen Sicherung bestimmt diese fiktive Normalbiographie den gesellschaftlichen Status der Menschen. Jede Definition einer Normalbiographie impliziert eine Abgrenzung von der abweichenden Biographie. Die Abweichung wird negativ sanktioniert. Für die vom Arbeitsmarkt abgeleitete soziale Sicherung gilt die Annahme ”Vollzeitarbeit mit existenzsichernder Bezahlung”. Erwerbsbiographien seien außerdem kontinuierlich und ausreichend lang und folgen dem Muster ”Erziehung – Arbeit – Ruhestand”. Der Mann sei der Familienernährer, während der einkommens- und sozialpolitische Status der Frau und der Kinder davon abgeleitet sei.

Frauen haben aufgrund von Lohndiskriminierungen, möglicher Schwangerschaften oder Erziehungspausen schlechtere Erwerbschancen und tragen die Hauptlast der Familienarbeit durch die fortlebende traditionelle, patriarchale Arbeitsteilung. Deshalb erhalten sie im Vergleich zu Männern geringere Chancen zur Ausübung existenzsichernder, kontinuierlicher und mit beruflichem Aufstieg verbundener Erwerbsarbeit. Obwohl die BRD faktisch ein Einwanderungsland ist, werden keine gesetzlichen Maßnahmen getroffen, um MigrantInnen im Sinne einer interkulturellen Gesellschaft sozial abzusichern.

Im Schnittfeld zwischen Sozialpolitik und Bildungspolitik befindet sich das System der Ausbildungsförderung, das BAföG. Einst konzipiert, um die Bildungsreserven in der Bevölkerung zu aktivieren und auch bildungsfernen Schichten den Zugang zu den Hochschulen zu ermöglichen – allerdings eben im Namen des Standortes und nicht etwa im Namen der sozialen Gerechtigkeit oder der Chancengleichheit – ist das heutige BAföG wegen des konservativen Kahlschlags der 80er und 90er Jahre, aber auch wegen der Handlungsunfähigkeit und dem fehlenden politischen Willen der jetzigen rot-grünen Regierung zu einer Farce verkommen. Chancengleichheit heißt in diesem Zusammenhang Chancengerechtigkeit für alle unabhängig von ungleichen Startbedingungen oder Voraussetzungen. Es muß allen Menschen ermöglicht werden gleichberechtigt und dauerhaft an Bildung teilzuhaben und das ist mehr als nur die kurzfristige Herstellung gleicher Chancen, wie im SPD-Jargon üblich. Nur noch 12% aller StudentInnen erhalten überhaupt BAföG, die Höchstsätze sind nicht annähernd bedarfsdeckend, die Einkommensfreibeträge der Eltern liegen nur knapp über dem Sozialhilfesatz, an den Hochschulen studieren nur noch 8% aus bildungsfernen und einkommensschwachen Schichten, gefördert wird nur innerhalb der Regelstudienzeit und nur mit restriktiven Leistungsnachweisen, zu erwartende Schuldenberge und das vorhandene Mittelstandsloch schrecken viele junge Menschen komplett von einem Hochschulstudium ab, über zwei Drittel der StudentInnen müssen neben dem Studium existenzsichernder Erwerbsarbeit nachgehen. Soziale Gerechtigkeit oder gar Chancengleichheit ist nicht einmal annähernd gegeben, stattdessen wirken die Zugangsbedingungen zu den Hochschulen hochgradig selektiv und diskriminierend.

Wie bereits festgestellt, ist die Bildungspolitik für die neoliberale Umstrukturierung aller gesellschaftlicher Bereiche von immenser Bedeutung: sie prägt, sozialisiert und erzieht Kinder, Jugendliche und junge Menschen zu dem, was sie in Zukunft werden. Die junge Generation von heute besitzt die Gestaltungsmacht für die Zukunft von morgen. Bildungspolitik beginnt im Kindergarten und reicht von Schule, Ausbildung, und Hochschule hin zu späterer Weiterbildung. Dennoch spielen die Hochschulen eine herausragende Rolle. Einerseits ist die Hochschulpolitik ein besonders vermachtetes Politikfeld – eben weil es in sehr hohem Maße um Elitennachwuchs und Standortsicherung geht – andererseits tragen Hochschulen entscheidend zu einer Gesellschaft und ihrer Entwicklung bei. Und gleichzeitig spiegeln sie Vorstellungen, Ideale und Maxime einer Gesellschaft wider.

Die Leitbilder, deren sich die aktuelle Hochschulpolitik bedient, sind vorrangig dem Bereich der Marktökonomie entnommen. Sie spiegeln rein ökonomische Erfordernisse wider, wie Kostensenkung, Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit, Spitzenleistungen und Produktorientierung. Solche nicht hinterfragten Leitbilder suggerieren, daß Hochschule und Wissenschaft ausschließlich nach Rentabilitätskriterien der freien Marktwirtschaft ausgerichtet sein müssen. Die Implementierung marktwirtschaflticher Gesetze in möglichst viele Bereiche des Hochschulwesens geschieht zum einen durch eine bestimmte Prioritätensetzung bezüglich politischer Wertigkeit und entsprechender finanzieller Zuwendungen. Nicht-gewinnnbringende Ausgaben, die dem standortpolitischen Zweck nicht unmittelbar dienlich sind, werden in ihrem Anteil an den Gesamtausgaben reduziert, dazu gehören beispielsweise die Bereiche Studium und Lehre, Personalstellen, Ausbildungsförderung oder der studienplatzbezogene Hochschulbau. Gleichzeitig wird in Bereiche investiert, auf die Wirtschaftsunternehmen angewiesen sind: Spitzenforschung und Technologieentwicklung. Somit offenbart sich Kürzungspolitik immer auch als Politik der gewollten Umstrukturierung.

Zum anderen zielt die derzeit angestrebte Hochschulreform darauf, das Hochschulsystem zu einem flexiblen Instrument umzugestalten, das der direkten Durchsetzung von Unternehmensinteressen dient. Mechanismen der marktwirtschaftlichen Steuerung sollen in das Hochschulsystem eingeflochten werden bei gleichzeitigem Rückzug staatlicher Zuständigkeit. In den Hochschulen findet zur Zeit also die Umsetzung der Privatisierung und gleichzeitig die Verankerung des Prinzips der Individualisierung statt. Erkennbar ist das in allen Bereichen der Hochschulpolitik. Allerdings ist dieser Trend keineswegs eine speziell deutsche Entwicklung. Vor allem die europäische Ebene gewinnt an enormer Bedeutung. Dieselben Umstrukturierungsmaßnahmen geschehen in vielen Ländern nicht zufällig gerade jetzt oder zufällig gleichzeitig, sondern sie sind die Umsetzung von europäischen Vereinbarungen, die die BildungsministerInnen der meisten Länder Europas in Sorbonne (im Mai 1998) und Bologna (im Juni 1999) ratifiziert hatten. Vor allem internationale Angleichungsmaßnahmen und die Intensivierung von Harmonisierungstendenzen wurden hier versprochen.

Die innere Organisation der Hochschulen erfährt gerade einen ebenso tiefgreifenden Wandel. Gleichzeitig mit dem beginnenden Rückzug des Staates aus der rechtlichen und finanziellen Verantwortung für die Hochschulen werden Managementstrukturen eingeführt. Die Hochschulen sollen wie Unternehmen funktionieren, mit einer starken, hierarchisch aufgebauten Führung, mit einem Aufsichtsrat in Form eines ”Hochschulrates” oder ”Kuratoriums”, dem tendenziell weitgehende Befugnisse eingeräumt werden, mit einer starken Führung der einzelnen ”Abteilungen”. Jegliche bisher vorhandenen demokratischen oder partizipatorischen Strukturen werden durch diese Machtverlagerung beschnitten, verstümmelt oder zerschlagen und gänzlich unbrauchbar gemacht. ”Alle Macht den RektorInnen und DekanInnen” lautet das Motto”. Durch die Hochschulräte wird der ohnehin große Einfluß der Wirtschaft – bisher eher auf informeller oder persönlicher Ebene – institutionalisiert und kanalisiert und dadurch natürlich auch gestärkt, je mehr Befugnisse und Rechte ein solcher Rat besitzt, desto größer der Wirtschaftseinfluß. Von einer gesellschaftlichen Kontrolle oder Einflußnahme kann nicht die Rede sein, auch nicht mehr von einer Partizipation oder angemessenen Einbindung der breiten Masse von Lehrenden und Lernenden an den Hochschulen. Kritisches und umfassendes Denken wird systematisch verhindert, die StudentInnen finden sich am Ende der Mitbestimmung wieder. Demokratie wird zur Farce.

Im selben Zusammenhang ist die Einschränkung der schulischen und studentischen Selbstorganisation zu sehen. In Bayern und Baden-Württemberg existiert seit über zwanzig Jahren kein gesetzlich legitimiertes Recht zur Selbstorganisation mehr. Die verfaßte StudentInnenschaft als eigene Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Satzungsautonomie, Beitrags- und Finanzhoheit und politischem Mandat wurde in den 70er Jahren abgeschafft, obwohl oder gerade weil sie die einzige Form ist, die legitimierten studentischen Interessen angemessen zu organisieren. In den restlichen Bundesländern wird aber mittlerweile auch an der verfaßten StudentInnenschaft gerüttelt, entweder in Form einer Abschwächung und Einschränkung beispielsweise durch freiwillige statt automatische Mitgliedschaft der StudentInnen, oder in Form von juristischen Auseinandersetzungen um das politische Mandat. Den StudentInnen wird das Recht auf politische Meinungsäußerung abgesprochen, damit wird nicht nur die rechtliche Grundlage von kritischem Denken entzogen – zum Teil mit fatalen kriminalisierenden Folgen – vielmehr wird eine fiktive Trennung von studienrelevanten Inhalten, zu denen eine hochschulpolitische Stellungnahme ”erlaubt” ist, und sogenannten allgemeinpolitischen Inhalten, die ”tabu” sind, konstruiert.

Im ”Unternehmen Hochschule” sollen die StudentInnen auch nicht kritikfähige, denkende Menschen sein, sondern eher zu KundInnen degradiert werden, einerseits um die Mentalität des zügigen eindimensionalen Studierens zu rechtfertigen und andererseits um eine Elitenbildung zu ermöglichen. Junge Menschen kaufen sich die Ware Bildung, sofern sie sich ein Studium leisten können, sie empfinden sich als KundInnen, konsumieren Ausbildung und wissenschaftliche Fähigkeiten, sie sind Teile des internationalen Wettbewerbs um wirtschaftliche Vorherrschaft, sie bringen ihre Humanressourcen ein und werfen sie in die Waagschale für den Standort Deutschland. Bildung und Wissenschaft werden nicht mehr in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext gedacht und mit Idealen, wie Persönlichkeitsbildung, Kritikfähigkeit, kritisches Hinterfragen, Eigenständigkeit, Selbstbestimmung, Emanzipation und Gestaltung verbunden, sie erhalten ihre Bedeutung in einer neoliberalen Welt lediglich als Elemente der internationalen Konkurrenz. Eliten in diesem Sinne sind also finanzielle Eliten. Dieser Trend wird durch die drohende Einführung von generellen Studiengebühren noch verstärkt. Studiengebühren stehen auf der Agenda der mächtigen AkteurInnen der Hochschulpolitik ganz oben. Die unzureichende Ausbildungsförderung dagegen fügt dem finanziellen Aspekt auch noch den der Herkunft hinzu. Studieninteressierte aus bildungsfernen Schichten, die ohnehin kaum an den Hochschulen zu finden sind, werden durch die miserable Ausbildungsförderung noch weiter abgeschreckt, beziehungsweise werden so strukturell von einem Studium abgehalten.

Elitenbildung wird aber nicht nur durch KundInnenmentalität geschaffen. Die Förderung von gesellschaftlichen Eliten soll durch eine hierarchische Differenzierung des Bildungswesens stärker voran getrieben werden. Dazu sollen die bestehenden Unterschiede verschärft und neue Unterscheídungen geschaffen werden. Ziel ist ein wissenschaftliches Elitenstudium für wenige und ein berufsbezogenes, billiges Kurzstudium für den Großteil der StudentInnen sowie die damit verbundene Reduzierung von Bildungskosten. Die hierarchische Ausdifferenzierung beginnt schon in der Schule mit dem dreigliedrigen und wenig durchlässigen Schulsystem Haupt-, Realschule und Gymnasium. Gesamtschulen werden vernachlässigt und haben ein immer schlechteres Image. Auch im Hochschulbereich finden wir den Trend zur Differenz. Als in den 70er Jahren die Fachhochschulen gegründet wurden, erfuhren Ingenieurschulen und höhere Fachschulen die Aufwertung ihres Status in Fachhochschulen, die wiederum nach einiger Zeit mit den Universitäten in Form der integrierten Gesamthochschule zusammengeführt werden sollten. Die Idee der integrierten Gesamthochschule wurde jedoch bald fallengelassen und statt dessen auf Differenzierung gebaut.

Fachhochschulen sollen die ”Regelhochschulen” zur Ausbildung einer breiteren Masse von qualifizierten Arbeitskräften werden. Als Vorteile der Fachhochschulen werden von der herrschenden Politik die größeren Berufs- und Praxisnähe, die kürzeren Studienzeiten, die geringeren Kosten eines Fachhochschulstudiums sowie die stärkere Wirtschaftsanbindung genannt. Als Nachteile der Universitäten werden im selben Kontext eine zu starke Wissenschaftsfixierung, zu lange Studienzeiten, eine zu verkrustete Personal- und Entscheidungsstruktur, eine zu geringe Praxisanbindung und Verwertbarkeit der Forschung sowie die zu hohen Kosten der Ausbildung genannt. Mit der Formel ”Andersartig, aber gleichwertig” wird versucht, den Fachhochschulen in der öffentlichen Meinung mehr Prestige zu verschaffen. Aber auch innerhalb der Hochschulen setzt sich diese Differenzierung fort in Form einer Trennung in den berufsqualifizierenden Bachelor für die Mehrzahl und den wissenschaftlichen Master für einige wenige. Hinter diesen Vorschlägen steht sowohl das Bestreben nach Elitenbildung als auch der Wunsch die ungewollten Bildungskosten zu reduzieren und ”volkswirtschaftlich schädliche Überqualifikationen” zu vermeiden. Eliten werden als notwendig zur Bewahrung des Wirtschaftsstandortes postuliert, ohne sie könne Deutschland seinen Platz im internationalen Wettbewerb nicht behaupten und nicht die Lösungen für die Probleme der Zukunft finden. Dabei würden Eliten im Endeffekt auch allen zugute kommen, denn sie würden schließlich die Probleme aller Menschen lösen. Der Wunsch nach Selektion spielt also bei der Debatte um die neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master die Schlüsselrolle, weniger die geforderte Internationale Vergleichbarkeit oder gar eine Bereicherung im Sinne einer Diversität.

Leistungsorientierung ist das neue Zauberwort schlechthin. ”Mit mehr Leistung wird alles gut in den deutschen Hochschulen” so die Predigt. Bedingungslose Leistungsbereitschaft wird nicht nur von den StudentInnen gefordert, sondern neuerdings auch von ProfessorInnen. Die verkrustete Personalstruktur der Universitäten wird als das größte Hindernis auf dem Weg zu flexiblen, leistungsfähigen, nachfrageorientierten Hochschulen gesehen. Damit geraten die ehemals unantastbaren ProfessorInnen in die Schußlinie der neoliberalen Reformer. Leistungsbezogene Mittelvergabe im Rahmen von Globalhaushalten ist das Steuerungsinstrument, mit dem die ProfessorInnen diszipliniert und kontrolliert werden sollen, gleichzeitig werden damit nicht meßbare Qualitäten wie eine kritische, interdisziplinäre und breitgefächerte Bildung, Wissenschaft und Forschung vom Tisch gewischt, nur noch leistungsbezogene und quantifizierbare Daten sollen herangezogen werden zur Steuerung und ”Qualitätskontrolle”. Die angestrebte Änderung des Dienstrechtes schlägt unter anderem in diese Kerbe und soll die Grundlage für flexiblere ProfessorInnen schaffen durch die Aufhebung der starren Verbeamtung auf Lebenszeit.

Unter dem Schlagwort ”Lifelong Learning” wird die individuelle Verantwortlichkeit der Menschen, sich selbst beschäftigungsfähig zu halten, weiter vorangetrieben. Lebenslanges Lernen ist ein herrschaftsstabilisierendes Projekt, kein emanzipatorisches, wie das früher vielleicht einmal konzipiert war. Das lebenslange Lernen dient nicht der eigenen Freude am Lernen, dem Wissensdurst oder der Selbstverwirklichung, sondern dient der Anpassung an den Markt und bedeutet eine Ausbeutung menschlichen Lernens. Das Konzept sieht vor, daß Menschen aufgrund immer schnelleren und neueren Wissens in ihrer Erstausbildung gar nicht ”alles” lernen können, sondern nur Methoden des Lernens lernen und sich dann später ein Leben lang selbständig weiterbilden – auf eigene Kosten versteht sich. Das Deckmäntelchen der lebenslangen Fortbildung wird also benutzt um eine individuelle Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt auf Kosten des Individuums und nach ständig wechselnden Wünschen und Ansprüchen von Wirtschaft und Politik zu erreichen. Flexibilität heißt also flexibel auf die Ansprüche des Marktes reagieren und nicht etwa die Ermöglichung des Lebens verschiedener Lebensentwürfe oder gar ein Reagieren auf den Trend zur Heterogenität der Biographien.

Für die Hochschulen konkretisiert sich die Vorstellung einer Normalbiographie im kinderlosen, finanziell abgesicherten, nicht behinderten Vollzeitstudenten. Die tatsächlichen studentischen Lebensläufe entsprechen aber kaum noch dieser Norm. Mehr als zwei Drittel der StudentInnen bestreiten ihren Lebensunterhalt mit Erwerbsarbeit, StudentInnen mit Kind(ern) wird weder eine adäquate Studienzeitverlängerung noch eine ausreichende Studienfinanzierung gewährt. In beiden Fällen wirkt sich Geschlecht verstärkend nachteilig aus: Frauen haben schlechtere Verdienstchancen als Männer und sind häufiger Alleinerziehende. Zudem werden Frauen in der ”wissenschaftlichen Gemeinde” weniger gefördert als Männer.

Bildungspolitik und Sozialpolitik

Perspektiven

In den Bereichen Bildungs- und Sozialpolitik gibt es für uns zwei grundsätzlich verschiedene Aktionsebenen: die unpragmatischen, von Maximalforderungen und prinzipiellen Vorstellungen ausgehenden ”Visionen”, die auch weiter in die Zukunft denken und auf der anderen Seite die Ansätze der Verbesserungen und Veränderungen, die auch im derzeitigen System funktionieren und Sinn machen.

Bei der gerade vorherrschenden Politik ist es allerdings auch in den konkreten Bereichen leider oft nicht wirklich zu trennen, welches die konkreten Handlungsspielräume sind und wo die Utopie schon ansetzt. Ein wichtiges Element der Politik des fzs ist es, bestehende Forderungen auch auszusprechen und sie zu artikulieren, also auch im pragmatischen Rahmen den Mut zu destruktiver Kritik oder zu unrealistischen Vorschlägen aufzubringen. Politik bedeutet Gestaltungswillen und Durchsetzung unserer ursächlichen Interessen, weniger ein Spiel auf rein taktischer Basis.

Eine optimale Sozialpolitik muß es den Menschen ermöglichen, ihr Leben frei von jedweden äußeren Zwängen zu führen und selbständig zu gestalten. Ein System sozialer Sicherung muß allen Menschen die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Leben ermöglichen. Der fzs fordert die soziale Grundsicherung für alle Menschen. Dadurch wird ein Leben in Würde ohne Zwänge und ohne Diskriminierungen erst ermöglicht. Der jetzige Bestand des Sozialstaates ist nicht nur ungenügend, sondern wird tendenziell immer weiter abgebaut und verschärft damit soziale Selektion nach den Kriterien Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Hautfarbe, Herkunft und gesellschaftlicher Klasse.

Wir fordern ein Ende der Drangsalierungen und gesellschaftlichen Stigmatisierungen von Menschen, die Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen. Die soziale Grundsicherung wird bestehende Löcher im sozialen Netz schließen und auch durch ihr generalisierendes Moment gar nicht erst aufkommen lassen. Die zahlreichen Einzelgesetzgebungen und der bürokratisch administrative Aufwand würden um ein erhebliches Maß reduziert Menschen werden nicht mehr gezwungen ihre persönlichsten Verhältnisse offenzulegen und für jede Kleinigkeit eine amtliche Bescheinigung nachzuweisen. Verschiedene soziale Gruppen werden in einem Grundsicherungssystem nicht mehr gegeneinander ausgespielt. Zudem bedeutet die Grundsicherung für alle automatisch mehr Verteilungsgerechtigkeit, die wir ebenfalls vehement einfordern. Soziale Grundsicherung heißt auch, daß alle Menschen freie, kostenlose, qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen können. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für Menschen, die in kapitalistisch entwickelten Metropolen leben, sondern auch und vor allem für Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern oder in der Peripherie. Gesundheit darf nicht von finanzieller Leistungsfähigkeit abhängig sein.

Die faktische Definition des Menschen über Erwerbstätigkeit mündet in einem gesellschaftlichen Zwang zur Arbeit, den wir ablehnen. Arbeit soll eine ausfüllende, selbst und frei gewählte, sinnvolle Beschäftigung sein. Gesellschaftliche Anerkennung soll nicht mit dem derzeitig eng gefaßten Begriff von Arbeit – als abhängige Lohnarbeit – gekoppelt sein. Alle Menschen haben das Recht auf Arbeit, nicht aber die Verpflichtung zur Arbeit. Unter den derzeitigen Bedingungen fordern wir folgende, erste und dringende Verbesserungen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit überall auf der Welt. Mindestlöhne und soziale Mindeststandards müssen weltweit eingeführt werden, der Niedriglohnsektor und informelle Sektor müssen in den Bereich sozialer Sicherung integriert oder abgeschafft werden. Die vergeschlechtlichte Wertschätzung von Arbeit muß aufgehoben werden. Reproduktionsarbeit darf nicht Sache der Frau sein. Das Zwei-Klassen-Gesundheitssystem muß beendet werden. Alle ArbeiterInnen und Angestellten müssen ein Recht auf unabhängige gewerkschaftliche Organisierung haben und stärker als bisher an Entscheidungsstrukturen beteiligt werden. Kinderarbeit muß weltweit geächtet und verboten werden.

Solange es keine soziale Grundsicherung gibt, fordern wir die Revolutionierung der Ausbildungsfinanzierung. Eine solidarische Bildungsfinanzierung muß folgenden Kriterien entsprechen: Elternunabhängigkeit, Verteilungsgerechtigkeit, gesamtgesellschaftliche Verankerung, Bedarfsdeckung, Repressionsfreiheit, keine Diskriminierungen, Berücksichtigung von tatsächlicher Studiendauer und verschiedenen Lebensentwürfen. Daher fordert der fzs eine umfassende Sturkturreform, um echte Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit zu ermöglichen. Höhere Bildung darf nicht von sozialer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit oder Willen der Eltern abhängen.

In unserer Gesellschaft muß Bildung als eines der höchsten Güter angesehen werden. Bildung ist ein öffentliches Gut und muß deshalb für alle gleichermaßen offen stehen, der Zugang zu Bildung muß den Prinzipien eines gleichberechtigten, offenen und freien Zugangs entsprechen. Alle Menschen haben das Recht auf Bildung solange sie wollen, so oft sie wollen und so viel sie wollen. Bildung entscheidet in dieser Gesellschaft so grundlegend über die Zukunftschancen eines Menschen, daß diese Forderung nach Gleichberechtigung und echter Chancengleichheit eine der wichtigsten ist auf dem Weg in eine solidarische Gesellschaft. Hochschulen tragen entscheidend zur Persönlichkeitsbildung und zur Sozialisation der Menschen in einer Gesellschaft bei. Deshalb ist es für uns extrem wichtig Bildung als einen sehr umfassenden Aspekt zu betrachten. Bildung bedeutet nicht nur Ausbildung und Vermittlung von reinem Wissen, nicht nur Berufsbefähigung und Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt. Bildung bedeutet nicht die Einbindung in eine Zwangssystem, wie es beispielsweise die Schulpflicht darstellt. Bildung bedeutet vielmehr Persönlichkeitsbildung, Leben und Gestalten des eigenen Lebens und Lebensumfeldes, Erlernen von sozialen Kompetenzen, Teamfähigkeit und sozialem Verhalten, Aneignung wissenschaftlicher Methoden und Vorgehensweisen, Lernen der Kritikfähigkeit und des Zweifelns, Lernen des Kritisierens, Verwerfens und Neudefinierens von Wissenschaft, Reflexionsvermögen, Begreifen von Kulturverständnis und Toleranz, Erweiterung des eigenen Horizontes. Es ist für uns von entscheidender Bedeutung, daß Hochschulen die Fähigkeiten und Möglichkeiten vermitteln eine Gesellschaft zu tragen, kritisch zu begleiten, zu gestalten oder zu verändern.

Unsere ganz eigene Vorstellung von Hochschule baut auf dem Verständnis einer erneuerten Hochschule auf, in der kritisches Denken vermittelt wird. Im folgenden sollen die Vorstellungen des fzs in Bezug auf die erneuerte Hochschule konkretisiert und vorgestellt werden. Die erneuerte Hochschule versteht sich als Forum der Erkenntnisgewinnung durch Lernen, Lehren und Forschen. Sie soll als Lebensraum gesellschaftliche Bedürfnisse und individuelle Emanzipation verwirklichen. Die erneuerte Hochschule ist Teil der Gesellschaft. Dies setzt nicht nur eine institutionalisierte Einflußnahme voraus, sondern beruht auf einem offenen, kritischen und gleichberechtigten Dialog. Gleichzeitig muß sie auch dem Individuum Freiräume bieten. Nur diese Freiräume lassen verschiedene Lebensentwürfe zu, fördern das gleichberechtigte Miteinander und so eine lebendige Demokratie. Nur in diesem Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlichen Forderungen und individuellen Ansprüchen kann sich eine Wissenschaft entwickeln, die in der Lage ist, nicht nur ihre eigenen Voraussetzungen zu reproduzieren, sondern auch kreativ neue Ansätze in sozialer und ökologischer Verantwortung zu entwickeln. Die Reflexion über die Relevanz und die langfristigen Folgen des eigenen Tuns muß insofern integraler Bestandteil des Lernens und Forschens sein, als darüber ständig öffentlich Rechenschaft abzulegen ist. Gleichzeitig muß die Kreativität dahingehend angeregt werden, daß die Gesetzmäßigkeiten des jeweils herrschenden Wissenschaftsverständnisses nicht als unüberwindbare Grenzen, sondern gerade als Herausforderung verstanden werden, diese zu überschreiten. Dies gilt insbesondere für das Hinterfragen des bestehenden patriarchalen Wissenschaftsbildes und seiner Methoden. Unverzichtbar ist auch die Entwicklung umfassender sozialer Kompetenzen: das Handeln inner- wie außerhalb der Hochschule muß immer wieder in bezug auf seine Wirkungen auf andere Menschen (auch die zukünftiger Generationen) hinterfragt werden. Nicht zuletzt muß die Hochschule auch solche Fertigkeiten vermitteln, die auf die Umsetzung der erworbenen Erkenntnisse in Politik, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen abzielt. Da die Trennung in wissenschaftliche und anwendungsorientierte (Aus-)Bildung unsinnig ist, sind praktische Fertigkeiten genauso zu vermitteln, wie theoretische.

Ein mögliches Modell einer solchen Hochschule ist für uns die ”Offene Hochschule”. In der Offenen Hochschule werden deshalb nicht mehr einzelne Fächer oder Studiengänge studiert, sondern themen- bzw. projektorientiert gelernt, gelehrt und geforscht. Diese Projekte sind interdisziplinär gestaltet, das heißt, es wird nicht nur Fachwissen gelehrt, sondern auch gemeinsam über mögliche Folgen, Konsequenzen und Alternativen nachgedacht. Mehrere Projekte ähnlicher Art bilden Einheiten, die zur Vergleichbarkeit wichtig sind. Dazu muß festgelegt werden, welche und wieviel Projekte aus den verschiedenen Einheiten belegt werden müssen. Am Anfang des Studiums steht für zwei Semester eine Orientierungsphase. Ihr Inhalt verbindet soziale Elemente (gegenseitiges Kennenlernen, Ortskenntnisse, Leben innerhalb und außerhalb der Hochschule, Infrastrukturkenntnisse) mit der Vermittlung von Grundlagen und Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens (u.a. Wissenschaftskritik, feministische Wissenschaft und -kritik, Geschlechterverhältnisse). Das Projektstudium wird ergänzt durch Grundlagenseminare, Ringvorlesungen, autonom gestaltete Seminare und fachlich ungebundene Arbeit, z.B. in der studentischen Selbstverwaltung. Die einzelnen Projekte können als Gruppen- oder als Einzelarbeiten geleistet werden. Dabei sind gemischtgeschlechtliche (quotiert?) und getrenntgeschlechtliche Gruppen möglich. Ebenso werden interdisziplinäre Projekte speziell für Frauen angeboten und anerkannt. Wo durch gesellschaftliche Strukturen das Lernen, Lehren und Forschen besonders erschwert wird, muß von der Hochschule Abhilfe geschaffen werden. An die Stelle festgeschriebener Studienordnungen tritt ein selbständig erarbeiteter Weg durch das Studium. So werden Teilzeitstudien und Weiterbildungsbedürfnisse zu gleichberechtigten Motivationen neben dem herkömmlichen Vollzeitstudium. Unterbrechungen sind jederzeit möglich. Ein lebenslanger, selbstbestimmter Bildungsprozeß wird konstitutiv für die Studienstrukturen an der Hochschule. Der Zugang ist frei und kostenlos. Abgeschlossen im weitesten Sinne wird das Studium mit einem Katalog aller belegten Projekte mit kurzer Beschreibung des Themas und der Arbeit.

Die Struktur der Offenen Hochschule ist durch möglichst flache Hierarchien geprägt. Die Standeshierarchien zwischen ProfessorInnen und den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen werden aufgehoben. Der Unterschied zwischen WissenschaftlerInnen und StudentInnen soll nicht durch persönliche Abhängigkeiten gekennzeichnet sein, sondern es soll durch Wissens- und Erfahrungsvorsprünge ein lebendiger Austausch stattfinden. Die Forschungs- und Studienprojekte organisieren sich selber. WissenschaftlerInnen und StudentInnen arbeiten hier gleichberechtigt zusammen. Die Beteiligung aller Hochschulmitglieder an der Selbstverwaltung wird als ein wichtiger und eigenständiger Aufgabenbereich verstanden und gefördert. Auch in der Hochschulleitung werden kollektive Leitungsstrukturen geschaffen, die von allen Hochschulmitgliedern paritätisch besetzt werden. Zusätzlich erhalten gesellschaftliche Gruppen maßgeblichen Einfluß auf die Hochschulen. Dies kann z.B. in Form eines Kuratoriums geschehen. Das Modell der Offenen Hochschule setzt sich aus den bisherigen hochschulpolitischen Forderungen des fzs nach einer demokratischen, feministischen, ökologischen und solidarischen Hochschulreform zusammen. Die Vision einer erneuerten Hochschule stellt für den fzs eine konsequente Antwort auf die herrschende Politik dar. Die Widersprüche im bestehenden Hochschulsystem, wie zwischen wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und ProfessorInnen oder zwischen Anspruch und Wirklichkeit der theoretischen und praktischen (Aus-)Bildung an Universitäten und Fachhochschulen klären sich in diesem neuen Konzept.

Der Weg in die offene Hochschule ist in der derzeitigen herrschenden Politik nicht denkbar. Um uns Schritt für Schritt unseren Idealvorstellungen der offenen Hochschule anzunähern, formulieren wir einzelne Forderungen, die wir zur sofortigen Umsetzung vorschlagen. Diese Punkte stehen meist zueinander in Verhältnis und in Abhängigkeit, sie bauen teils aufeinander auf, wären trotzdem manchmal auch als einzelne Änderung ein Fortschritt.

Der offene und freie Hochschulzugang muß gewährleistet sein, auch in der jetzigen Realität. Ein Hochschulzugang ist nur dann wirklich frei und offen, wenn keinerlei soziale oder geschlechtsspezifische Selektionsmechanismen existieren. Vor allem soziale Selektion beginnt nicht erst mit dem Übergang zur höheren Bildung, sondern es wird vielfach früher schon im drei-gliedrigen Schulsystem über den zukünftigen Bildungsweg entschieden. Weitere Zugangsbeschränkungen beim Übergang zu den Hochschulen, wie den Numerus Clausus oder persönliche Auswahlgespräche durch die Hochschulen lehnen wir ab. Ebenso ist es für uns nicht akzeptabel, StudentInnen wegen nicht fristgerecht erbrachter Leistungsnachweise oder ”zu langer” Studiendauer willkürlich aus den Hochschulen auszuschließen. Es gibt viele legitime und strukturell bedingte Gründe dafür, daß Fristen und Regelstudienzeiten nicht eingehalten werden können. Dazu zählen unter anderem die mangelhafte Ausstattung der Hochschulen, die fehlende soziale Ausbildungsförderung und der dadurch entstehende Zwang zur existenzsichernden Erwerbstätigkeit neben dem Studium.

Studiengebühren wären ebenso ein Mechanismus, der kein einziges Problem lösen, sondern die Krise des Bildungssystems verschärfen würde. Deshalb müssen Studiengebühren in jeglicher Form ausgeschlossen, verboten und abgeschafft werden, sie sind aus gesellschafts-, sozial- und bildungspolitischen Gründen abzulehnen. Studiengebühren befördern die Privatisierung sozialer Risiken. Die sozialen Wirkungen und Steuerungseffekte von Studiengebühren sind gesellschaftlich schädlich. Studiengebühren fördern ein antisoziales und entsolidarisierendes persönliches Bildungsverhalten und verstärken die gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit des Wissenschaftssystems. Sogenannte ”bildungsferne” Schichten werden noch stärker von weiterführender Bildung abgeschreckt. ”Sozialverträgliche” Studiengebühren kann es nicht geben! Das ist ein Widerspruch in sich. Studiengebühren ersetzen Rechts-, Beteiligungs- und Mitwirkungsansprüche durch ein privates Marktverhältnis zwischen Verkäufern und Kunden. Die neue Freiheit“ der Studierenden wäre daher lediglich negativer Natur.

Wir halten daran fest, daß Bildungsfinanzierung eindeutige Aufgabe des Staates ist. Der Rückzug des Staates aus der finanziellen Verantwortlichkeit gegenüber den Hochschulen geschieht zeitgleich zur Abgabe von Entscheidungskompetenzen an die Hochschulen. Die in die sogenannte Autonomie entlassene Hochschule wird in Managementstrukturen und in hierarchisch gegliederte Entscheidungswege umgebaut. Der fzs verurteilt diese Entwicklung nach dem Konzept des ”starken Führers”. Demokratische Mitbestimmungsprinzipien werden dadurch ausgehebelt. Mitsprache braucht nicht nur VertreterInnen in Gremien, sondern auch Entscheidungskompetenzen. Genau diese werden aber in der Hierarchie noch weiter nach oben verschoben. Die dadurch unternehmensähnlich aufgebaute Hochschule bekommt natürlich auch institutionalisierten Wirtschaftseinfluß z.B. in Form eines Hochschulrates. Dieser massive Wirtschaftseinfluß drängt die Hochschulen in Richtung von Wettbewerbsdenken, Konkurrenzverhalten und Verwertbarkeitsmustern. Das ist für uns nicht akzeptabel.

Der fzs fordert eine Hochschulstrukturreform, die sich an demokratischen Leitlinien orientiert. Wir setzen uns ein für die viertelparitätische Besetzung der Hochschulgremien, für die Rückverlagerung von Gestaltungsmacht in die demokratisch legitimierten Gremien, für die Beteiligung von gesellschaftlichen Gruppen ( z.B. Frauenverbände, Umweltverbände, VerbraucherInnenverbände, MigrantInnenverbände, ArbeitgeberInnen- und ArbeitnehmerInnenvertretung) nach festgelegter Quotierung in einem Kuratorium mit Befugnissen, für die bundesweite Absicherung der SchülerInnenschaft und der Verfaßten StudentInnenschaft mit Satzungsautonomie, Beitrags- und Finanzhoheit sowie dem politischem Mandat.

Der fzs sieht die Reformierung des Personal- und Dienstrechtes an den Hochschulen als absolut nötig an, allerdings nicht unter den derzeitig diskutierten Gesichtspunkten der rein leistungsorientierten und flexibilisierten Besoldung von ProfessorInnen. Wir fordern die Abschaffung der Habilitation, die Verkürzung der Qualifikationszeiten, die Abflachung von Hierarchien, die Einrichtung von Assistenzprofessuren, die Stärkung der didaktischen Ausbildung, die stärkere Durchlässigkeit innerhalb der wissenschaftlichen ”community”, die Abschaffung der totalen Abhängigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses und aktive Frauenförderung als oberste Maxime.

Wir wenden uns ganz entschieden gegen eine Verschulung, Verkürzung und Verengung des Studiums. Bachelor und Master Studiengänge sind daher vehement abzulehnen, da sie Elitenbildung und Selektion vorantreiben. Im selben Zusammenhang ist die Akkreditierung von Bachelor/Master Studiengängen politisch zu bewerten. Akkreditierung dient der Akzeptanzbeschaffung von technokratischen Scheinlösungen, auch wenn sie unpolitisch und rein qualitätssichernd erscheinen will. Dennoch müssen wir die Realität anerkennen, in der nun einmal Akkreditierung zu einer der wichtigsten, politischen Auseinandersetzungen um Studienstruktur und Studienreform wird oder vielmehr bereits geworden ist. Im Akkreditierungsverfahren ist außerdem derzeit noch Spielraum vorhanden, um Einfluß zu nehmen und von studentischer Seite Kriterien zu formulieren, die eine aktive, qualitative Studienreform voran bringen würden. Diesen Spielraum gilt es nun zu nutzen und koordiniert auszufüllen. Auch wenn dies im Widerspruch zur politischen Einschätzung der Akkreditierung durch den fzs steht, schließt dies die kritische Mitarbeit keineswegs aus, ganz im Gegenteil erfordert gerade die Akkreditierung unser Engagement und unsere Einflußnahme. Widersprüche in pragmatischem Handeln und politischer Positionierung und Überzeugung sind für uns kein Manko, sondern passieren gelegentlich, sollten aber natürlich im bewußten Umgang reflektiert werden. Ebenso wie Bachelor und Master nur auf wirtschaftliche Anforderungen abgestimmt sind, ist die mit wirtschaftlicher Verwertbarkeit verbundene Mentalität des ”life long learning” (des ”sich für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt fit machen”) zu beurteilen. Wie in der Analyse ausführlich dargestellt, markiert das Lebenslange Lernen den Einstieg in die private Verantwortlichkeit für die Erhaltung der eigenen Beschäftigungsfähigkeit, Kosten von Fort- und Weiterbildung werden individualisiert und die Verpflichtung zur wirtschaftlichen Verwertbarkeit manifestiert.

Wir fordern daß Weiterbildung, freiwilliger Wissenserwerb und Lebensbegleitendes Lernen nicht zu einem Zwang werden dürfen. Der Wille zur Bildung darf nicht mißbraucht werden. Lernen soll als selbstbestimmtes Gut, als eigene Gestaltungsmacht verstanden und gehandhabt werden. Dazu ist es notwendig, daß in allen Lebensabschnitten Ideale und Prinzipien eines emanzipatorischen Umgangs gelehrt und vorgelebt werden. In diesem Sinne sehen wir es als dringend erforderlich an, Bildung und Lehrinhalte in allen Bereichen neu zu definieren. Emanzipatorische, solidarische, soziale, feministische, ökologische, antirassistische, antifaschistische sowie pazifistische bzw. anit-militaristische Aspekte müssen dabei in Wissenschaft, Forschung und Lehre integriert werden!”

Beschlossen auf der 17.MV in Hamburg, November 2000