Die Bundesrepublik Deutschland versucht seit den letzten zwei Jahren, die Expansion der deutschen Hochschulen voranzutreiben. Nicht in der BRD, sondern ins Ausland soll diese Expansion erfolgen. Um „fremde Bildungsmärkte“ zu erobern, wird der „Bildungsexport“ mit öffentlichen Mitteln unterstützt. Die Exportsubventionen sollen insbesondere dabei helfen, sich auf bisher unbekanntem, unternehmerischem Terrain zurechtzufinden. Diese Unterstützung wird aber nur solange stattfinden, bis sie durch Freihandelsabkommen verboten wird. Danach erhofft man sich von den Abkommen einen Schutz der Investitionen. Insgesamt sieht sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in einem Wettbewerb um „die besten Köpfe“. Was mit den Ländern geschieht, aus denen diese stammen, ist dabei dem BMBF egal.
Die gesamte Internationalisierungsstrategie läßt sich knapp zusammenfassen: Hochschulen sind Dienstleister, die in einem weltweiten Wettbewerb stehen, den man gewinnen muß, damit Deutschland wirtschaftlich oben auf bleibt. Die Hauptkonkurrenten in diesem Wettbewerb sind aus Sicht des BMBF die USA, Australien, Großbritannien und Neuseeland. Dabei wird natürlich für innerdeutsche Verlautbarungen weiter Wert darauf gelegt, daß Bildung keine Ware sei, auch wenn sie jetzt unter das Freihandelsabkommen GATS fallen würde.
Dieser Wettbewerb geht von den staatlichen Hochschulen der BRD aus, die aber in anderen Ländern als private Anbieter auftreten. So hat zum Beispiel die TU München das faktische Tochterunternehmen TUM-Tech GmbH gegründet, das u.a. Wirtschaftskooperationen und einen Teil der Auslandsaktivitäten koordiniert. Das German Institute of Science and Technology (GIST), ein Tochterprojekt der TUM-Tech in Singapur, ist laut Selbstdarstellung „ein nach ökonomischen Gesichtspunkten betriebenes Institut zum professionellen Export von in Deutschland erprobten Studienangeboten.“
Ein Element der Strategie sind Hochschulexporte. Dabei werden Studiengänge oder ganze Hochschulen von Deutschland aus in einem anderen Land aufgebaut. Die Organisation, Currcicula und ein Gutteil des Personals stammen auch daher. Ein gutes Beispiel hierfür ist die German University Cairo (GUC): Die Studienprogramme kommen aus Stuttgart und Ulm. Allen Fakultäten stehen jeweils ein ägyptischer und ein deutscher Dekan vor. Zwar ist die Unterrichtssprache Englisch, aber ein fixer Anteil des Lehrpersonals soll aus der BRD kommen. Außerdem sind Deutschkurse verpflichtend.
Die Exporte dienen auch zur Erprobung von „Reform“maßnahmen, welche in Deutschland selbst noch auf Widerstand stoßen. Sowohl in Singapur als auch in Kairo werden Studiengebühren erhoben. In Singapur sind es 15.000 — 20.000 Euro. Die sozial selektierende Wirkung der Gebühren wird im übrigen auch nicht verhehlt. So heißt es in einem Artikel des DAAD über die GUC: „Damit zielt die Hochschule auf die Nachfrage der oberen Mittelschicht, die ihren Kindern eine hochwertige Ausbildung ermöglichen möchte und alternativ ein Auslandsstudium in Betracht zieht.“ Aufnahmetests werden ebenfalls standardmäßig eingesetzt – etwas, was auch für die BRD demnächst ansteht.
Auch ist der Einfluß von deutschen Firmen auf die Lehrpläne viel deutlicher erkennbar als an den Hochschulen in der BRD selbst. So wird für das Projekt in Singapur damit geworben, daß das Curriculum mit führenden deutschen Chemieunternehmen abgestimmt ist. Dies wird hierzulande sonst nur sehr verschämt eingestanden, als ob Humboldt persönlich noch über die Einsamkeit und Freiheit der WissenschaftlerInnen wachen würde. Insoweit wundert es auch nicht, daß allen Beteuerungen über den Wert der Geisteswissenschaften zum Trotz, nur Technik-, Natur- und Wirtschaftswissenschaften eine Rolle beim Export spielen.
„Bildungsexporte“ sind die Hauptdomäne des General Agreements on Trade in Services (GATS), eines Abkommens im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO. Interessanterweise würde das GATS aber den Aktivitäten der BRD Einhalt gebieten, denn die staatliche Förderung von „Export“aktivitäten stellt, auch nach Einschätzung eines Verantwortlichen des Bundesministeriums selbst, eine unzulässige, da wettbewerbsverzerrende, Förderung dar. Daher ist aus Sicht des BMBF auch Eile geboten, da man diese Förderung nicht sehr lange aufrecht erhalten kann.
Entsprechend ist auch nicht verwunderlich, daß der Schwerpunkt aller offiziellen Äußerungen des BMBF zum GATS auf den Auswirkungen des GATS in der BRD liegt. Hier ist auch klare Linie der Bundesregierung, bei den laufenden Verhandlungen keine weiteren Zugeständnisse zum machen, da die EU ihren Bildungssektor schon sehr weitgehend liberalisiert hat. Allerdings wird nicht in Frage gestellt, daß Bildung ein Teil des GATS sein sollte. Im Gegenteil, in einem Vorbereitungspapier wird offen darüber gesprochen, wie das GATS zu nutzen sei: „Es ist nicht auszuschließen, dass derzeit noch „offene“ Zielländer im Laufe der Zeit eine Abwehrhaltung entwickeln, der durch möglichst frühzeitige und umfassende Liberalisierungsverpflichtung im Rahmen des GATS begegnet werden könnte. Insoweit muss Deutschland daran gelegen sein, dass sich Länder wie China, Indonesien, Thailand und Mexiko möglichst wenig Beschränkungen im Handel mit Bildungsdienstleistungen vorbehalten.“
Mit gespaltener Zunge spricht auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Sie hat eine sehr weitreichende Erklärung im Rahmen der Europäischen Rektorenkonferenz abgegeben. Grundtenor: Bildung solle nicht unter das GATS fallen. In einer jüngeren Entschließung der HRK heißt es immerhin: „Bildung und somit auch Hochschulbildung ist kein gewöhnliches „Handelsgut“ wie sonstige Waren. Bildung gehört zum Kern staatlicher Daseinsvorsorge.“ Allerdings ist hierbei völlig klar, daß diese Rhetorik nicht lange aufrechterhalten werden wird, da die HRK in Deutschland bisher immer für eine stärkere Deregulierung eingetreten ist. Dies wird auch von einem HRK-Vertreter damit erklärt, daß die Diskussion in der HRK noch in einem Stadium sei, „das eine verlässliche und fundierte Stellungnahme noch nicht erlaubt.“
Lautstarke Kritik an GATS und Privatisierungsstrategien kommt unter anderem von vielen studentischen Gruppen und Verbänden. Allerdings ist die Position vieler studentischer Gruppen sehr unklar. Auch wenn immer wieder davon die Rede ist, daß Bildung keine Ware sei, wird oft der Schwerpunkt der Diskussion auf die Abwehr „angelsächischer Verhältnisse“ im Bildungswesen gelegt. In diesem Punkt ist man sich aber mit der Bundesregierung einig. Die Expansion deutscher Hochschulen und die Stratgie der BRD wird nicht betrachtet oder lapidar als von „multinationalen Konzernen“ gekauft bezeichnet. Darin liegt die Gefahr, die Debatte um Bildung nationalistisch aufzuladen und so nur als HelfeshelferIn einer deutschen Expansionsstrategie zu fungieren. Nur eine gute Analyse der bundesdeutschen Strategie kann uns vor dieser Falle bewahren.
Lars Schewe war Mitglied des fzs-Vorstands 2002/03
erschienen in der Jungle-World Nr. 48 vom 6.11.2002