Diskussionsbeitrag erschienen in der Pflichtlektüre im WS 02/03:Studentenwerke am Ende?

Den Studentenwerken steht das Wasser bis zum Hals. Staatliche Zuschüsse werden radikal gesenkt, die studentischen Sozialbeiträge steigen massiv an. An einigen Orten wird bereits die Existenzberechtigung der Studentenwerke in Frage gestellt. Wir StudentInnen müssen daher dringend über die Zukunft der Studentenwerke diskutieren. Wie steht es um den sozialen Auftrag und um studentischen Einfluss? Der fzs beginnt die Debatte Ende Februar mit einer Tagung in Leipzig.

Die Finanzierung der Leistungen der Studentenwerke setzt sich aus drei Hauptquellen zusammen. Neben den Einnahmen aus Wohnheimen und Mensen sind dies die Zuschüsse der Länder für den laufenden Betrieb und die Sozialbeiträge der StudentInnen. Aufgrund selbstverschuldeter Finanzknappheit der Länder sinken überall die Landeszuschüsse. Die Defizite sollen durch ein Ansteigen der studentischen Sozialbeiträge ausgeglichen werden. Die durchschnittlichen Sozialbeiträge der StudentInnen erhöhten sich allein zwischen 1990 und 2000 von 19 auf 29 €; sie sind in den letzten zwei Jahren noch schneller gestiegen. Die staatlichen Zuschüsse bspw. in Sachsen sollen von ca. 12 Mio. € jährlich um 2 Mio. € zurückgefahren werden. Das Land legte den Studentenwerken nahe, die Sozialbeiträge jeweils um 10 € pro StudentIn und Semester zu erhöhen.

Chancengleichheit durch Studentenwerke?
Das Ziel von Studentenwerken sollte es sein, allen Menschen, speziell auch StudentInnen mit Kindern, ausländischen StudentInnen, Behinderten und chronisch Kranken, die Aufnahme und Durchführung eines Studiums zu ermöglichen und zu vereinfachen. Der Zugang zur Hochschule entscheidet immer noch darüber, wer Zugang zu zentralen gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen und -positionen bekommt. Für eine demokratische Gesellschaft muss es daher Ziel sein, die Zusammensetzung der StudentInnenschaft der gesellschaftlichen Zusammensetzung anzupassen. Kinder aus ArbeiterInnen-, Angestellten-, Selbständigen- und Beamtenfamilien sollten entsprechend der Zusammensetzung der Geburtsjahrgänge an Hochschulen vertreten sein. Denn Demokratie funktioniert nur, wenn alle Interessen und Erfahrungen Eingang in gesamtgesellschaftliche Entscheidungsprozesse finden. Eine repräsentative Vertretung aller gesellschaftlichen Gruppen an den Orten, die den Zugang zu Entscheidungspositionen regeln, ist dafür unerlässlich.

Die gesellschaftliche Realität entfernt sich immer weiter von diesem Ziel. Immer weniger StudentInnen kommen aus bildungsfernen Schichten, wie die 16. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks belegt: Während 72 % der Beamtenkinder eine Hochschule besuchen, gilt dasselbe nur für 12 % der Arbeiterkinder. 39 % der StudentInnen an Universitäten stammen aus der sozialen Herkunftsgruppe „hoch“, 11 % aus der Herkunftsgruppe „niedrig“.

Dienstleistungsunternehmen vs. sozialer Auftrag?
Die Studentenwerke wurden als Selbsthilfeorganisationen von StudentInnen in einer ökonomisch schwierigen Übergangsphase gegründet, sie waren ursprünglich Organe der StudentInnenschaften. Insofern mussten sie schon immer wirtschaftlich arbeiten. Das Selbstverständnis wandelte sich allerdings von Selbsthilfeorganisationen zu „Dienstleistungsunternehmen mit sozialem Auftrag“. Aktuelle Trends sind u.a. der Aufbau und Betrieb von Gästehäusern für Universitäten, Catering für Großveranstaltungen und die Einrichtung edlerer Restaurants. Hinzu kommen kostspielige, häufig aber wenig bedürfnisorientierte und praxisnah geplante Veredlungen und Neubauten von Mensen und Wohnheimen.

Dabei kommt es zunehmend zur Vernachlässigung der Kernaufgaben, welche vielfach nurmehr als lästige Pflicht empfunden werden. Für viele GeschäftsführerInnen stehen Prestige und Einfluss über den sozialen Bedürfnissen der StudentInnen. Hierbei laufen sie aber in eine gefährliche Falle. Geht der soziale Auftrag verloren, werden Studentenwerke wie normale Unternehmen beurteilt. Allein an Wirtschaftlichkeitskriterien gemessen sind Studentenwerke ihrer Organisationsform nach jedoch zu teuer – private Unternehmen könnten – bei Wegfall der sozialen Leistungen – sowohl Wohnheime als auch Mensen günstiger betreiben. Die Privatisierung der Studentenwerke oder schlicht die Vergabe von Aufträgen durch Ausschreibung könnten das Ende dieser Anstalten des öffentlichen Rechts bedeuten.

Bei Studentenwerken muss, in enger Abstimmung mit der sozialen Interessenvertretung der StudentInnen – den ASten, StuRä und ihrer Dachorganisation – der sozialpolitische Auftrag im Mittelpunkt stehen. Dazu gehört z.B. ein Mindestangebot an Wohnungen, deren Preis deutlich unter dem lokalen Mietspiegel liegt, kostengünstiges Essen, soziale Beratung und Unterstützung in Notlagen, und ein konsequentes Eintreten für sozial benachteiligte StudentInnen. Eine unbedingte Voraussetzung für diese Schwerpunktsetzung ist ferner die Partizipation der StudentInnen an den Entscheidungen des Studentenwerks. Denn nur die Betroffenen wissen, welche Leistungen sie benötigen. Ein immer größerer Teil der Mittel, über die ein Studentenwerk verfügt, stammt von den StudentInnen. Nicht zuletzt aus diesem Grund stellt sich die Frage nach der studentischen Partizipation, nach der Durchsetzung studentischer Interessen im sozialen Bereich, neu.

Studentenwerke als Teil der studentischen Selbstverwaltung?
Die StudentInnen sollten in allen Gremien der Studentenwerke die Mehrheit haben, damit keine Mittel bzw. Projekte gegen ihren Willen veranlasst oder ausgegeben werden können. Weitergehend müsste man fragen, ob die Studentenwerke nicht zurück in die StudentInnenschaften integriert werden sollten. Sie könnten beispielsweise, wie ursprünglich konzipiert, Teil der studentischen Selbstverwaltung sein. Das Zurückfahren studentischer Einflussmöglichkeiten ist jedenfalls nicht im Interesse der StudentInnen. Und dass studentenwerksähnliche Strukturen als Teil der studentischen Selbstverwaltung optimal funktionieren und professionell organisiert werden können, zeigen beispielsweise Vorbilder aus Norwegen und anderen nordischen Staaten – Länder, in denen Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit nahezu verwirklicht sind.

Kurt Stiegler ist Sprecher des bundesweiten Arbeitskreises der StudentInnen in den Studentenwerksorganen (AK SES) Heiner Fechner ist Mitglied des fzs-Vorstands und stellvertretender Kuratoriumsvorsitzender des Deutschen Studentenwerks