Diskussionspapiere geben keine Positionierung des fzs wieder. von Jens Wernicke, Stefanie Geyer und Nele Hirsch
Die Bundesrepublik Deutschland definiert sich im Grundgesetz als demokratischer Rechtsstaat. So wachen vermeintlich unabhängige Gerichte über das Einhalten selbst gesetzter Normen und kontrollieren somit unter anderem die Politik – was gerade mit Blick auf die faschistische deutsche Vergan-genheit als wichtig und notwendig anzusehen ist. Unerwähnt bleibt allerdings oft, dass Richterinnen und Richter selbst natürlich nie ‚objektiv’ agieren, sondern ihre Entscheidungen notwendigerweise nicht nur durch die vorhandene Rechtsla-ge, sondern ebenso durch ihre eigenen politischen und mora-lischen Ansichten vorgeprägt sind. Darüber hinaus ist es bedenklich, dass ihre Rechtssprechung nicht nur im und über den konkreten Fall zu entscheiden vermag, sondern selbst wiederum Einfluss auf die Rechtslage nimmt.
Umso erstaunlicher erscheint es daher, dass gerichtliche Entscheidungen oft bereits in vorauseilendem Gehorsam unreflektiert akzeptiert und zur formalen Legitimation ursächlich politischer Intentionen und Anliegen benutzt werden. Exemplarisch lässt sich dies am aktuell laufenden Verfahren bezüglich der Klage gegen die 6. Novelle des Hochschulrahmengesetzes aufzeigen.
Diese wurde Anfang 2002 nach langen Diskussionen und Verhandlungen von der damaligen Bundesregierung verabschiedet. Enthalten ist in ihr unter anderem die Absicherung des gebührenfreien Erststudiums sowie das Gebot zur Ein-führung Verfasster Studierendenschaften, also von gesetzlich verankerten studentischen Interessenvertretungen an allen Hochschulen im Bundesgebiet. Den unionsgeführten Ländern passte diese Politik jedoch nicht ins Konzept. Im parlamenta-rischen Prozess, der erfreulicherweise durch große öffentliche Beteiligung gerade auch von studentischer Seite geprägt war, waren sie mit ihrer Meinung eindeutig in der Minderheit. Nun legten sie umgehend nach der Verabschiedung der Novelle Klage gegen diese ein. Im Rahmen dieser Klage wer-den nun Bedenken geäußert, die die eigentliche politische Intention hinter derselben verschleiern und in den Hintergrund rücken: Der Bund habe mit der Novelle seine Rahmengesetzgebungskompetenz, die ihm im Hochschulbereich zusteht, überschritten. Da den Ländern somit zu wenig eigener Gestaltungsspielraum bleibe, sei die Novelle illegitim.
Angesichts dieser Vorwürfe wird die SPD nun bereits vor der Urteilsverkündung ihren eigenen politischen Zielen und An-sprüchen untreu: Ganz klar, so argumentiert ausgerechnet die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), habe man sich mit dem Studiengebührenverbot verrannt, was auch das Karlsruher Urteil aufzeigen werde.
Wenn der SPD dagegen tatsächlich an ihrem ohnehin schon unzureichenden Studiengebührenverbot und dem Gebot der Verfassten Studierendenschaft gelegen wäre, müsste ihre Argumentationslinie anders aussehen:
Sie müsste eine stärkere Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes gerade im Bildungsbereich forcieren. Schon nach der derzeitigen Rechtslage gibt es viele gute und nachvollziehbare Gründe, warum der Bund mit der 6. HRG-Novelle nichts anderes tat, als den dringend notwendigen und ver-fassungsmäßig geforderten „Rahmen“ des Hochschulwesens sicherzustellen. Wenn die derzeitige Rechtslage eine solche Rahmengesetzgebung nicht hergibt, müsste diese folgerich-tig nachgebessert werden. Tatsächlich geschieht jedoch das Gegenteil: Die Arbeit der aktuell eingesetzten „Föderalismuskommission zur Neuordnung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern“ ist mehr von Machtspielchen und -streitigkeiten, denn einem dringend notwendigen gesellschaftlich-politischen Diskussions- und Prioritätensetzungsprozess geprägt. Politische Argumente wie die Forderung nach Vergleichbarkeit und einheitlicher Zielsetzung gerade im Bildungsbereich sind gänzlich in den Hintergrund gerückt, bildungspolitische Fragen dienen allenfalls als Verhandlungsmasse, die machtpolitischen Interessen geopfert werden.
Anstatt hier Änderungen zu fordern, wird aber weiterhin lieber auf die „Unabhängigkeit“ der Gerichte geschworen und sogar akzeptiert, dass das Bundesverfassungsgericht nicht nur eine verfassungskontrollierende, sondern immer wieder auch -gestaltende Rolle einnimmt – und somit dem demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozess vorgreift bzw. diesen ersetzt.
Des Weiteren wird ignoriert, dass sich der Berufsstand der RichterInnen überwiegend aus konservativen Milieus speist – und damit tendenziell auch eine konservative Rechtsinterpretation und -auslegung manifestiert wird. Hier kann auf frühe-re wie aktuelle Urteile verwiesen werden, die den konservati-ven Grundcharakter der Gerichte sichtbar machen; beispielsweise die zahlreichen erfolgreichen Klagen rechtskon-servativer und rechtextremistischer KlägerInnen gegen Studierendenvertretungen, die antifaschistische oder antirassis-tische Projekte gefördert haben. Gerade deswegen müsste beispielsweise das Besetzungsverfahren der Gerichte dringend demokratisiert werden. Bisher steht auch, wie unzählige Studien zeigen, der Weg zum RichterInnenamt und der Bildungserfolg in der Bundesrepublik generell, in maßgeblichem Zusammenhang mit der sozialen Herkunft und dem Habitus.