Studierende fordern: Multikulturelles Projekt ernst nehmen!

Als besonders besorgniserregend empfindet der studentische Dachverband die Verlautbarung des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt, der in einem Interview die Aufnahme von „Gastarbeitern“ zu Beginn der 60er Jahre als Fehler bezeichnete. „Es mutet fremd an, dass sich einige offenbar immer noch eine Welt vorstellen können, in der Migration und multikulturelle Lebenswelten nicht selbstverständlich sind. Dies ist von der Realität gerade der jungen Generationen unendlich weit entfernt“, findet Christine Scholz, Vorstandsmitglied des fzs.

Angesichts der gegenwärtigen Terrorismusgefahr werden nicht nur ernsthafte Auswege aus dem Dilemma diskutiert, sondern auch haarsträubend rückständige Vorschläge unterbreitet. „Einige sehen offenbar die Stunde für einen Roll-Back der Ausgrenzung gekommen. Wenn Schmidt ‚die Ghettos auflösen‘ will, erinnert das von der Formulierung her nicht nur frappierend an Nazi-Programmatik, sondern erscheint bei aller Nachsicht dem 85-Jährigen gegenüber alles andere als konstruktiv. Kulturelle Annäherung muss immer ein zweiseitiger Prozess sein und auf Augenhöhe stattfinden. AsylantInnen etwa werden auch morgen nicht in Villen-Vierteln untergebracht, und befindet sich eine Flüchtlingsunterkunft doch zu nah an einer gutbürgerlichen Wohngegend, bekommen deren Insaßen oft genug den Zorn aufgebrachter AnwohnerInnen zu spüren. Ghettoisierung lässt sich langfristig nur dann überwinden, wenn inklusive Formen des Zusammenlebens auch finanziell gefördert werden“, so Christine Scholz.

Generell erscheint die heute allgegenwärtige einseitige Beschuldigung vor allem muslimischer Mitmenschen widersinnig, denen „mangelnde Integrationsbereitschaft“ vorgeworfen wird. „Wenn von Integration die Rede ist, ist fast immer Assimilation gemeint“, so Nele Hirsch, ebenfalls im fzs-Vorstand. „Von vielen Leuten wird ernsthaft erwartet, dass sie ihre gesamte kulturelle Prägung, ihre Sozialisation und Geschichte, mal eben über den Haufen werfen und sich dem deutschen Mainstream zwischen Bratwurst, Harald Schmidt und Richard Wagner einfügen. Wenn den Verantwortlichen „Integration“ wirklich so wichtig ist, müssen kulturelle Projekte geplant, gefördert und nachhaltig verankert werden, die nicht nur „Begegnung“ oder „Dialog“ bewerben, sondern im Sinne einer mitgestaltbaren, freien und demokratischen Gesellschaft ernsthafte Identifikationsangebote für unterschiedliche Menschen machen, völlig unabhängig davon, in welchem sozialen Kontext sie sich verorten.

Gleichzeitig gilt es, politische Beteiligung für alle hier lebenden Menschen zu ermöglichen. Der gegenwärtige finanzpolitische Trend, der soziale und kulturelle Projekte vernachlässigt, ist zur Einrichtung einer wirklich freien und offenen Gesellschaft sicher nicht hilfreich.“ Der fzs setzt sich für eine Welt ein, in der Diskriminierung aufgrund von Pass, Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, Überzeugung oder Behinderungen eine Absage erteilt wird. An zehn Hochschulen im ganzen Bundesgebiet fand so beispielsweise im letzten Jahr das „festival contre le racisme“ statt, welches, ursprünglich aus Frankreich kommend, auch in der Schweiz und bald auch in anderen Ländern veranstaltet wird. „Wir rufen alle Studierenden auf, sich an Anti-Diskrimierungs-Projekten zu beteiligen sowie für eine offene Gesellschaft einzutreten“, so Nele Hirsch abschließend. „Im kommenden Jahr ist das festival contre le racisme in der Woche vom 23. bis 29. Mai geplant.“

Kontakt bei Nachfragen:
Nele Hirsch: 0176/24005790
Christine Scholz: 0177/2349702