Durchlässigkeit fördern, nicht Bildungshürden zementieren!

Auf ihrer Tagung am 14. und 15. Dezember in Maastricht haben die Europäischen BildungsministerInnen beschlossen, bis zum Jahr 2006 ein „European Credit Transfer System for Vocational Education and Training (ECVET)“ einzuführen, in welches das bisherige European Credit Transfer System (ECTS), das nur auf den Hochschulbereich Anwendung fand, integriert werden soll. Der somit geschaffene Europäische Qualifikationsrahmen soll dazu dienen, die in europäischer Bildung und Beschäftigung erworbenen Kompetenzen und Qualifikationen über ein gemeinsames Einstufungssystem leichter vergleichbar und verwertbar zu machen sowie die Mobilität der Beschäftigten zu erhöhen. Während dieser Beschluss von Arbeitgeberverbänden wie Gewerkschaften scheinbar uneingeschränkt begrüßt wird, steht der bundesweite studentische Dachverband diesem mit großer Skepsis gegenüber.

Bereits Ende Oktober 2004 hatte er auf seiner Mitgliederversammlung in Bonn ein entsprechendes Positionspapier verabschiedet. Kritikwürdig erscheint dem fzs hierbei unter anderem, wie sehr in den momentan ausgehandelten europäischen Prozessen (Lissabon-Prozess, Kopenhagen-Prozess…), in deren Kontext der aktuelle Beschluss der europäischen BildungsministerInnen zu sehen ist, der regionalen und individuellen Wettbewerbsfähigkeit sowie ‚Employability’ (Beschäftigungsfähigkeit) jedes einzelnen Menschen Rechnung getragen wird, während soziale, kulturelle und emanzipatorische Aspekte nur eine untergeordnete Rolle spielen. „Ein Qualifikationsrahmen ist aus Sicht des fzs nur sinnvoll“, so Jens Wernicke, Vorstandsmitglied des fzs, „wenn er über eine Beschreibung der unterschiedlichen Stufen formaler Bildung und deren Zertifizierung hinausgeht und sichergestellt ist, dass als gleichwertig anerkannte Qualifikationen auch gleich behandelt werden. Dies würde nicht nur eine transparente Darstellung des Bildungssystems bedeuten, sondern auch einen tatsächlichen Abbau von Hürden.“

Vor diesem Hintergrund ist die deutsche Diskussion um die Einführung eines Qualifikationsrahmens im europäischen Kontext als ambivalent zu bewerten. Zwar sind die auf europäischer Ebene formulierten Ziele zu begrüßen, auf der nationalstaatlichen Ebene werden sie jedoch nicht umgesetzt. „Ganz im Gegenteil: Die bisher an der Diskussion Beteiligten, vor allem die Hochschulrektorenkonferenz und das Bundesinstitut für Berufsbildung, haben scheinbar gar kein Interesse daran, die Durchlässigkeit des Bildungssystems signifikant zu erhöhen“, meint Stefanie Geyer, ebenfalls Vorstandsmitglied des fzs. „Sie vertreten in voneinander losgelösten Teildiskussionen viel eher die Interessen kleiner Gruppe oder propagieren sogar ganz offen eine ‚Abschottungspolitik’. So geraten nicht nur die Gesamtperspektive und ein notwendiges Gesamtkonzept lebenslangen Lernens aus dem Blick; auch werden die Diskussionen von vorn herein elitär und unter Ausschluss breiter Bevölkerungsschichten geführt.“

Aus Sicht des fzs muss sich sowohl ein nationaler wie auch europäischer Qualifikationsrahmen daran messen lassen, was er tatsächlich zur Erhöhung der Durchlässigkeit innerhalb und zwischen den Bildungssystemen und somit zur Förderung individueller Bildungsverläufe beiträgt. Die Definition eines Qualifikationsrahmens muss deshalb zwingend das Ergebnis einer breiten gesellschaftlichen Diskussion sein und darf keinesfalls wie bisher von nur wenigen politischen AkteurInnen, die Partikularinteressen vertreten, bestimmt werden. Neben den VertreterInnen von ArbeitgeberInnenverbänden und Gewerkschaften sind deshalb gerade auch SchülerInnen, Auszubildende und Studierende in die Diskussionen mit einzubeziehen. „Sonst werden, dies erleben wir in Deutschland gerade“, so Jens Wernicke abschließend, „die Hürden zwischen den Bereichen des Bildungssystems sogar noch weiter zementiert, indem die einzelnen Stufen so unkonkret beschrieben werden, dass sie unüberprüfbar bleiben und weiterhin der Interpretationsmacht der im jeweiligen Teilbereich des Bildungssystems dominanten AkteurInnen unterliegen. Als Beispiele dieser mittels Deutungshegemonie einzelner ermöglichten offensiven ‚Abschottungspolitik’, die Hürden errichtet statt abzubauen, seien hier nur die Einschränkungen beim Übergang vom Bachelor- zum Masterstudiengang erwähnt.“

Weitere Informationen finden Sie im Internet unter:
Positionspapier des freien zusammenschlusses von studentInnenschaften (fzs), verabschiedet auf der 26. Mitgliederversammlung im Oktober 2004
Maastricht Communiqué der Europäischen BildungsministerInnen: www.eu.int/comm/education/news/ip/docs/maastricht_com_en.pdf.