Zum Umgang mit der Ausarbeitung von Auswahlverfahren

Seit dem 01. Januar 2005 gilt für alle Hochschulen ein geändertes Zulassungsrecht. Dieser Leitfaden richtet sich an StudentInnen, die Mitglied in den für die Umsetzung zuständigen Gremien der Hochschulen sind. Zunächst wird kurz der rechtliche Hintergrund (das 7. HRGÄndG) dargestellt, die Zielsetzung des BMBF wird beschrieben und die Umsetzung vor Ort wird näher erläutert. Außerdem wird ein kurzer Überblick über die Problematiken der einzelnen Auswahlinstrumente gegeben. Wir hoffen damit insbesondere den studentischen Gremienmitgliedern Argumentationsstrategien an die Hand geben zu können. Abschließend sollen noch die aus der Sicht des fzs vorhandenen Alternativen zur erfolgten Stärkung des Auswahlrechts durch die Hochschulen erläutert werden.

1. Der rechtliche Hintergrund

Die Neuregelung der Studienplatzvergabe ist durch das 7. Änderungsgesetz zum Hochschulrahmengesetz (7. HRGÄndG) seit dem 1. Januar 2005 wirksam. Die neuen Verfahren sollen bereits zum Wintersemester 2005 / 2006 angewandt werden. Das 7. HRGÄndG betrifft zunächst nur diejenigen Studienplätze, die bundesweit durch die Zentralstelle zur Vergabe von Studienplätzen (ZVS) vergeben werden. Das sind derzeit (SoSe 05) Biologie, Medizin, Zahnmedizin, Pharmazie und Psychologie. Das bedeutet, dass zusätzlich zu den hochschulbeschränkten Studiengängen nun auch diese Studienfächer der Auswahl durch die Hochschule unterworfen werden. Allerdings sind hier weitere „Ausstrahlungseffekte“ auf örtlich zulassungsbeschränkte Fächer zu erwarten, die bereits jetzt zum Teil schon sehr restriktiv gehandhabt werden. Außerdem bestehen schon längere Zeit landesrechtliche Experimentierklauseln, einzelne Studiengänge haben „Sondervereinbarungen“ für die Erprobung von Auswahlverfahren mit der jeweiligen Landesregierung vereinbart. Die neuen Zulassungsverfahren unterliegen einer Quote: 20% der Studienplätze gehen an die bundesweit Abiturbesten, weitere 20% werden nach Wartezeit vergeben und die restlichen 60% werden von den Hochschulen selbst nach eigenen Kriterien vergeben. Im Moment sind noch Änderungen in Staatsvertrag, Vergabeverordnung, Landeshochschulgesetzen und Hochschulsatzungen notwendig. Die ZVS büßt durch diese Änderungen ihren Einfluss weiter ein. Noch 2004 vergab sie 39 000 der bundesweit zulassungsbeschränkten Studienplätze. Mit dem 7. HRGÄndG übernimmt sie die Funktion einer Koordinierungs- und Servicestelle. Im Allgemeinen ist hier wohl ein Zurückdrängen der Bundesgesetzgebungskompetenzen zu beobachten. Die Landesgesetzgebungskompetenzen wurden in diesem Fall genauso gestärkt wie die Rechte der einzelnen Hochschulen bei der Auswahl der Studierenden.

2. Die Neuregelungen im Einzelnen

Eine bestimmte Anzahl an Studienplätzen wird auf Hochschulebene nach dem Ergebnis eines Auswahlverfahrens vergeben. Insbesondere sollen bei der Vergabe die folgenden Kriterien Anwendung finden:

  • Grad der Qualifikation nach § 27 (Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung)
  • Gewichtete Einzelnoten des Schulabschlusses, die über die fachspezifische Eignung Auskunft geben sollen
  • Ergebnis eines fachspezifischen Studierfähigkeitstests
  • Art einer Berufsausbildung oder Berufstätigkeit
  • Ergebnis eines Auswahlgespräches, das Aufschluss über die Motivation und die Identifikation mit dem gewählten Studium und dem angestrebten Beruf geben sowie zur Vermeidung von Fehlvorstellungen dienen soll
  • oder eine Kombination dieser Kriterien

Das Landesrecht kann weitere Kriterien, wie z.B. außerschulische Aktivitäten (NRW plant bspw. ein Kriterium „soziales Engagement“) vorsehen und den Hochschulen nähere Vorgaben machen, die z.B. die obligatorische Anwendung von weiteren Kriterien neben der Abiturdurchschnittsnote beinhalten. Sollten sich Hochschulen für eine Kombination der erwähnten Kriterien entscheiden, muss der Durchschnittsnote das höchste Gewicht beigemessen werden.

Dieses Gesetz sieht vor, neben der bekannten Prüfung der allgemeinen Studierfähigkeit durch den Grad der Qualifikation auch die fachspezifische Studierfähigkeit als Zulassungskriterium feststellen zu lassen. Letzteres sollte mit Hilfe fachlich einschlägiger Schulnoten und fachspezifischer Studierfähigkeitstests geprüft werden. Das Gesetz erlaubt es auch, sog. „Binnenquoten“ zu bilden, d.h. eine sofortige Zulassung bis zu einer bestimmten Durchschnittsnote und in einem zweiten Schritt dann eine Anwendung der oben beschriebenen Kriterien. Eine Vorauswahl der StudentInnen ist ebenfalls möglich, damit die Anzahl der TeilnehmerInnen an den Auswahlverfahren begrenzt werden kann. Dazu kann die Hochschule folgende Kriterien anwenden:

  • Grad der Qualifikation nach § 27 (Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung)
  • Gewichtete Einzelnoten des Schulabschlusses, die über die fachspezifische Eignung Auskunft geben sollen
  • Ergebnis eines fachspezifischen Studierfähigkeitstests
  • Art einer Berufsausbildung oder Berufstätigkeit
  • Grad der Ortspräferenz
  • oder eine Kombination dieser Kriterien

Durch die Änderungen erhofft sich die Bundesregierung erstens eine Erhöhung des Studienerfolgs (gute bis überdurchschnittlich gute Abschlussnoten der AbsolventInnen) und zweitens eine Verringerung der Abbruchquoten.

3. Was kommt jetzt an Herausforderungen auf studentische Gremienmitglieder zu?

Die Hochschulen sind verpflichtet, ihre Hochschulsatzungen bzw. -verfassungen an das geänderte Bundesrecht anzupassen. Es ist zu erwarten, dass die konkrete Umsetzung jedoch nicht von den Hochschulleitungen selbst bearbeitet, sondern von den Fachbereichen bzw. durch Arbeitsgruppen in Institutsvorständen oder Dekanaten zunächst vorbereitet wird. Auf jeden Fall sollte darauf gedrängt werden, dass in den Arbeitsgruppen, welche die notwendigen Satzungsänderungen ausarbeiten und über die konkrete Umsetzung vor Ort letztlich entscheiden, auch StudentInnen mitarbeiten. Aus unserer Sicht sollte die studentische Beteiligung sich nicht dergestalt auswirken, dass auf Intervention der studentischen Gremienmitglieder die Neuregelungen des Hochschulzugangs gerichtsfest geacht werden oder dass sich studentische Gremienmitglieder konstruktiv an der konkreten Ausarbeitung der „bestmöglichen“ Zugangsbeschränkung beteiligen. Sollten sich die zuständigen Gremien für ein Auswahlverfahren entscheiden, das über die allgemeine Qualifikation hinaus die im Gesetz erwähnten Kriterien fachspezifischer Studierfähigkeitstest, Auswahlgespräch oder eine Kombination beinhaltet, muss hierzu zuvor das Verfahrens genau festgelegt worden sein. Dieses Verfahren wird ebenfalls Bestandteil einer neu zu fassenden Satzung sein.

Zudem können die Hochschulleitungen Mindeststandards für die Verfahren festlegen, an die sich die Gremien halten müssen. (Bsp.: „Eine Regelung über die Durchführung von Auswahlgesprächen muss mindestens beinhalten: die Einladungsmodalitäten, Zusammensetzung der Auswahlkommission, Gesprächsgegenstände, Durchführungs- und Ablaufbestimmungen sowie Bewertungsverfahren und -kriterien.“)

Wie oben schon erwähnt, muss der Abiturdurchschnittsnote bei einer Kombination von Auswahlkriterien das höchste Gewicht beigemessen werden. Dies ist eine gesetzliche Verpflichtung, der die Fachbereiche und Hochschulen Rechnung tragen müssen. Darüber hinaus müssen die Gremien nachweisen können, dass die Validität und Verlässlichkeit von zusätzlichen eignungsdiagnostischen Instrumenten (z.B. fachspezifischer Studierfähigkeitstest) sicher gestellt sind.

4. Hintergrund der Neugestaltung

Zunächst einmal sollte eine Art „ideeller“ Hintergrund für die Auswahlverfahren offen gelegt werden. Die 7. Novelle des HRG stellt auf den ersten Blick eine Ergänzung des alten Verfahrens der Hochschulzulassung über Abiturdurchschnitt, Wartezeit und ggf. örtlicher NC dar. StudienplatzbewerberInnen müssen demnach nicht mehr nur ihre allgemeine Studierfähigkeit beweisen, sondern darüber hinaus auch noch eine „fachspezifische Studierfähigkeit“ nachweisen. Hinter dieser Ergänzung steht zum einen die Annahme, das Abitur wäre als alleiniger Prädiktor für Studienerfolg nicht ausreichend und würde auch individuelle Neigungen und Fähigkeiten der BewerberInnen nur unzureichend berücksichtigen. Zum anderen ist die bisher zuständige Einrichtung der ZVS als „zu bürokratisch“, ineffizient und zu wenig individuell wahrgenommen worden.

Im Allgemeinen scheint eine Auffassung zu dominieren, die Probleme im Bildungsbereich seien auf eine mangelnde Eignung der StudienanfängerInnen und nicht auf vorhandene Mängel im Bildungswesen selbst zurück zu führen. Hier hat aus unserer Sicht ein sehr einschneidender Paradigmenwechsel stattgefunden. Aus einer politisch gewollten „Verknappung“ der Kapazitäten an den Hochschulen, und als nichts anderes sollte man die massiven Kürzungen im Bildungsbereich der vergangenen Jahre bezeichnen, resultiert eine gefährliche Sachzwanglogik: Die Zahl der Studienplätze hält seit langem schon nicht mehr mit der Entwicklung der StudienanfängerInnen-Zahlen Schritt, sodass zunächst Zulassungsbeschränkungen, quantitativ (mehr Fächer) und qualitativ (höhere NCs), immer weiter ausgebaut wurden. Noch bleibt auch die Kapazitätsverordnung unangetastet, die die Hochschulen zwingt, alle vorhandenen Studienplätze (ggf. über Nachrückverfahren) zu vergeben. Dennoch ist die Situation an den Hochschulen an dieser Stelle weiterhin alles andere als gut. Mit der 7. Novelle wird nun im Prinzip versucht, nur noch BewerberInnen zuzulassen, die in das Profil der einzelnen Studiengänge „passen“. Das Recht auf eine freie Studienplatzwahl und damit auch auf ein selbstbestimmtes Studium wird hier also zusätzlich eingeschränkt. Die Zulassung an einer Hochschule wird nun von der individuellen „Passfähigkeit“ der BewerberInnen abhängig gemacht. Zusätzlich sollte erwähnt werden, dass aufgrund einiger Auswahlverfahren eine kognitive Dissonanz erwartet werden muss. Hat sich beispielsweise eine Kommission oder ein Professor für die subjektive „Passfähigkeit“ eines Studienbewerbers ausgesprochen, wird diese/r die eigene Entscheidung nicht anzweifeln und gegebenenfalls auch den Studienerfolg desjenigen Bewerbers „erhöhen“.

Die vorliegende Novelle muss als eine Art Kompromiss bewertet werden, der sowohl die einschlägigen Vorschläge des Wissenschaftsrates als auch die Forderungen der HRK nach einer „aktiveren“ Rolle bei der BewerberInnen-Auswahl integriert.

Nun stellt sich aber auch die Frage, ob die im Gesetz erwähnten zusätzlichen Instrumente den Studienerfolg (definiert als guter bis sehr guter Studienabschluss vs. Studienabbruch) besser vorhersagen können als es, nach Meinung der BefürworterInnen, das Abitur kann. Des Weiteren stellt jede Neuregelung des Hochschulzugangs eine im Sinne der Chancengleichheit sensible Intervention dar, die auch auf ihren Grad an sozialer Selektivität hin untersucht werden muss. Es empfiehlt sich daher, von studentischer Seite aus auf eine frühzeitige Analyse und Evaluation der Verfahren zu drängen. Insbesondere sollte erhoben werden, ob die neuen Auswahlverfahren Auswirkungen auf die soziale Zusammensetzung der StudentInnenschaft haben und sich Abschreckungseffekte nachweisen lassen.

5. Die inhaltlichen Besonderheiten der Auswahlinstrumente

Im Folgenden möchten wir zunächst die einzelnen Auswahlinstrumente aus sozialpolitischer Sicht kommentieren. Die Abiturnote ist – nach gegenwärtigem Forschungsstand – eine der besten (und ökonomischsten) Prädiktoren für Studienerfolg. Je besser die Abiturnote, desto bessere Prüfungsnoten, desto geringere Neigung zum Studienabbruch und desto wahrscheinlicher ein früher Studienabschluss. Hier muss die Anmerkung erlaubt sein, dass zum Zeitpunkt des Abiturs die entscheidende soziale Selektion bereits stattgefunden hat. Des Weiteren kann durch zahlreiche Studien belegt werden, dass insbesondere bei Schülerinnen und Schülern aus sog. bildungsfernen Schichten selbst bei überdurchschnittlich guten Noten im Abitur große Unsicherheiten in Bezug auf die Studienaufnahme bestehen. Der Übergang von der Schule an die Hochschule wird tendenziell als schwierig bewertet. Kommen zu dieser Hürde in der Bildungsbiographie Weitere hinzu, wird ein zusätzlicher Abschreckungseffekt entstehen.

Das zweite nun zur Verfügung stehende Auswahlkriterium sind gewichtete Einzelnoten des Schulabschlusses. Hier gibt es allerdings keine einheitlichen Ergebnisse aus Studien zum Prognosewert im Vergleich zur Abiturdurchschnittsnote: die Mehrheit der bisher vorhandenen Untersuchungen legt nahe, dass die Prognosequalität eher unter dem der Abiturnote liegt. Jedoch erzielen AbiturientInnen mit Leistungskursen mit engem inhaltlichen Bezug zum Studienfach bessere Examensnoten. Diese Belege werden nun heran gezogen, um die Existenz einer „fachspezifischen“ Studierfähigkeit zu unterstreichen. Vorteile werden auch dahingehend gesehen, dass in diesem Fall die StudentInnen eine klarere Vorstellung von den Inhalten eines Studienfachs haben und sich auch „bewusster“ für einen Studiengang entscheiden. Nachteile sind ganz klar darin zu sehen, dass Schülerinnen und Schüler benachteiligt würden, die nicht diese Leistungskurse gewählt haben bzw. keine Möglichkeit dazu an der Schule hatten. Diese Besonderheiten sind zwingend bei der Entscheidung für oder gegen ein solches Instrument der StudentInnenauswahl zu beachten. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass den BewerberInnen dadurch eine frühzeitige strategische Bildungsentscheidung abverlangt wird: Eine Umorientierung wäre prinzipiell nach dem Eintritt in die Oberstufe deutlich erschwert, eine freie Berufswahl insofern stark eingeschränkt.

Das dritte vorgeschlagene Auswahlkriterium stellen fachspezifische Studierfähigkeitstests dar. Bisher untersuchte fachspezifische Studierfähigkeitstests weisen eine etwa gleich hohe Prognosekraft für den Studienerfolg auf wie die Abiturnote. Sie werden im Vergleich zur Abiturnote insbesondere dann als hilfreich eingeschätzt, wenn trotz individueller Fähigkeiten und Neigungen in einem oder mehreren Fächern ein durchschnittlich schlechteres Abiturzeugnis vorliegt. Testaufgaben müssten sich dann insbesondere auf „kognitive Fähigkeiten“ beziehen, die für das Studienfach und den Studienerfolg im allgemeinen als relevant erachtet werden. Dies bedingt wiederum eine sehr umfangreiche Testentwicklung, da in jedem Studiengang andere Kriterien von Bedeutung sind. Der Maßstab für die Testaufgaben stellt ein weiteres kritisches Kriterium dar, da nicht bei allen StudienbewerberInnen vom selben Niveau ausgegangen werden kann. Für ausgewählte Studienfächer existieren bereits solche Tests. Die bekannten Tests beziehen sich allerdings eher auf die Sprachfähigkeiten der BewerberInnen. Hier wäre die Frage interessant, welche Kosten eine Testentwicklung nach sich zöge und auch, wer diese Kosten übernähme. Hier wrd sich ein Markt für Vorbereitungskurse etablieren. Die Folge wäre, dass sich nur finanziell besser gestellte BewerberInnen eine optimale Vorbereitung leisten könnten. Eine Hochschule in gesellschaftlicher Verantwortung sollte sich mit diesen Tendenzen kritisch auseinander setzen.

Das vierte Auswahlkriterium sind einschlägige Berufsausbildungen oder Berufstätigkeiten. Allerdings erzielen StudentInnen mit Berufsausbildung oder -tätigkeit erwiesenermaßen keine besseren Studienabschlüsse als ohne. Auch hier wird wieder davon ausgegangen, dass sich solche BewerberInnen mit den Anforderungen und den Inhalten eines Faches stärker auseinander gesetzt haben. Bei diesen BewerberInnen kann zwar davon ausgegangen werden, dass die Lern- und Studieninhalte des erwählten Studienganges besser bekannt sind, das bedeutet aber nicht zugleich, dass diese auch über eine höhere Motivation verfügen und wie bereits erwähnt bessere Abschlüsse erbringen.

Als letztes Auswahlkriterium werden Auswahlgespräche vorgeschlagen. Im Gesetz heißt es genau: „Ergebnis eines Auswahlgespräches, das Aufschluss über die Motivation und die Identifikation mit dem gewählten Studium und dem angestrebten Beruf geben sowie zur Vermeidung von Fehlvorstellungen dienen soll“. Die Vorgaben sind also eng. Bei diesem Instrument sind aber Vorbehalte auch immer sehr vehement geäußert worden. Es wird hier explizit beabsichtigt, die Ausprägung von kommunikativen und sozialen Kompetenzen zu prüfen. Hier kommt es in der Regel immer zu einem diskriminierendem Verhalten der PrüferInnen, z.B. gegenüber Frauen, AusländerInnen oder Behinderten. Denn sämtliche Beurteilungskriterien basieren auf subjektiven Vorstellungen, die schwer zu operationalisieren und zu objektivieren sind. Selten wird bei diesen Auswahlgesprächen bedacht, dass für behinderte Menschen, insbesondere Taubstumme, DolmetscherInnen zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Kosten für solche DolmetscherInnen können in aller Regel nicht durch die StudienbewerberInnen aufgebracht werden. Eine gute Illustration eines solchen Zusammenhangs bietet die sogenannte Theorie der kognitiven Dissonanz: Nach Entscheidungen werden konsonante Informationen (z.B. Stärken des Studierenden) gesucht, dissonante (z.B. Defizite) werden ausgeblendet. So wird die Einstellung zu den ausgewählten Studierenden in der Regel positiver. Wenn sich die Lehrenden also persönlich für einige Studierende entschieden haben, „müssen“ diese gut sein.

(„Der Numerus Clausus in Medizin liegt bei 1,0. Führt eine Kommission Auswahlgespräche durch, käme höchstwahrscheinlich nicht mehr die Einser-Abiturientin aus dem schwäbischen Dorf zum Zug sondern der Mediziner-Sohn aus Hamburg. Das zeigen Beispiele renommierter Universitäten in den USA eindeutig. Bis es ein gerechteres Auswahlverfahren gibt, bleibt die ZVS die beste Lösung.“ – Prof. Michael Hartmann, TU Darmstadt)

Auswahlgespräche sind sicherlich das Instrument, das die meisten Personalkapazitäten bindet. Die Kommissionen müssen zudem zeitlich sehr weit im Voraus tätig werden und darüber hinaus auch valide und rechtssichere Verfahren entwickeln. Der Prüfmaßstab der Motivation muss ebenfalls problematisiert werden, denn hier ist von sozial erwünschten Antworttendenzen der BewerberInnen auszugehen. Zudem sollte man sich auch auf den ersten Blick „banale“ Situationen vergegenwärtigen: In der Regel werden sich AbiturientInnen bei mehreren Hochschulen bewerben, was unter Umständen dazu führt, dass sie jedes Mal zu Auswahlgesprächen anreisen müssten. In diesen Fällen müssten die BewerberInnen selbst für die entstehenden Kosten aufkommen. Bildungsferne Schichten hätten also auch bei diesem Kriterium wieder einmal einen starken Nachteil. Des Weiteren haben insbesondere die Auswahlgespräche auch eine hohe Abschreckungswirkung auf BewerberInnen mit bildungsferner Herkunft: Die Aussicht, vor einer Kommission auftreten zu müssen, bewirkt gerade für BewerberInnen aus einem explizit nicht-akademischen Hintergrund extreme Unsicherheiten.

In jedem Fall sollte also kritisch überprüft werden, ob die zum Teil beträchtlichen finanziellen zusätzlichen Aufwendungen für neue Auswahlverfahren, gemessen an dem jeweils erzielten Nutzen, gerechtfertigt sind.

6. Wo Alternativen zu suchen sind

Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass die Hochschulen durch die Novelle nicht gezwungen werden, neben dem Abiturdurchschnitt weitere Auswahlverfahren zur Vergabe von Studienplätzen zu entwickeln. Für den fzs ist es selbstverständlich, dass das Recht auf einen Studienplatz der Studieninteressierten grundsätzlich höher zu bewerten ist, als das Interesse der Hochschulen, sich ihre StudentInnen nach den eigenen Vorstellungen und im Sinne ihrer spezifischen Profilbildung selbst auswählen zu können. In diesem Zusammenhang sollten die studentischen Mitglieder in den Hochschulgremien verstärkt darauf achten, dass die neuen Auswahlverfahren nicht durch die Hochschulen dazu missbraucht werden, die StudienanfängerInnenkapazitäten herunter zu fahren. Es lohnt sich unter Umständen, bei passender Gelegenheit die für die Umsetzung vor Ort zuständigen Personen darauf aufmerksam zu machen, dass sich aus dem durch das Grundgesetz geschützten Recht auf freie Berufswahl grundsätzlich die politische Verpflichtung ergibt, in jenen Studiengängen, in denen die Zahl der Studienplätze die Nachfrage unterschreitet, auf ein nachfragedeckendes Studienangebot hinzuwirken: Die Studierneigung hat sich in den vergangenen Jahren nämlich stetig weiter erhöht; allerdings hat dies nicht zu einer steigenden Zahl an Studienplätzen geführt, sondern stattdessen zu einer Zunahme von Zulassungsbeschränkungen.

Wenn das Ziel der neuen Verfahren tatsächlich zum Einen eine bessere Qualifikation und zum Anderen eine niedrigere Studienabbruchquote sein soll, muss man sich die Frage stellen, ob es nicht auch alternative Wege gibt, dieses auch aus unserer Sicht begrüßenswerte Ziel zu erreichen. Allgemein kann angemerkt werden, dass zu diesen Ziele wesentlich beigetragen wird, wenn es zu einer Verbesserung der Beratung der zukünftigen Studierenden kommt. Dies stellt nämlich auch der Wissenschaftsrat in seinem Bericht „Empfehlungen zue Reform des Hochschulzugangs“ vom Januar 2004 fest. Denn gerade im Schulbereich fehlt es durch die Fachlehrer an ausreichender Beratung, auch an den Berufsinformationszentren (BIZ) und ähnlichen Einrichtungen kann man keine ausreichende und zufriedenstellende Beratung zum weiteren Lebensweg erhalten.

Als erste Alternative bietet sich die Etablierung einer Orientierungsphase, bzw. von Schnupperstudiengängen an. Folgendes sollte bei der Umsetzung zwingend beachtet werden: *Die StudentInnen müssen alle Lehrveranstaltungen frei, d.h. völlig unabhängig der Fachrichtungen, wählen und kombinieren können. *Die Angebote in diesem Rahmen sollten darauf ausgerichtet sein, Unsicherheiten abzubauen und u.U. kompensatorischer Art sein. Die Angebote haben also zum Ziel, die StudentInnen zur tatsächlichen Aufnahme eines Studiums zu motivieren und einen möglichen Studienabbruch zu verhindern. In keinem Fall dürfen, z.B. durch überzogen dargestellte Leistungsanforderungen, Abschreckungseffekte entstehen. Bestehende Unsicherheiten (bereits feststellbar bei Frauen gegenüber naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen, aber auch beispielsweise eines ArbeiterInnenkindes gegenüber einem Medizinstudium) würden auf diese Weise instrumentalisiert.

  • Sie müssen durch Tutorienprogramme flankiert werden.
  • Sie dürfen andere Beratungs- und Informationsangebote (z.B. der Zentralen Studienberatung oder teilweise vorhandene psychologische Beratung der StudentInnenwerke) nur ergänzen und niemals ersetzen.
  • Den StudienanfängerInnen muss die Möglichkeit gegeben werden, bereits in dieser Phase Leistungsnachweise erwerben zu können.
  • Falls Leistungsnachweise erbracht werden, sollten diese für das „reguläre“ Studium angerechnet werden.
  • Für den Übergang ins eigentliche Studium ist ausschließlich der Wunsch zur Studienaufnahme der StudentInnen ausschlaggebend, nicht etwa die in der Orientierungsphase erbrachten Leistungen.
  • Den StudentInnen wird genügend Raum geboten, alle Betreuungs- und Informationsangebote der Hochschule zu nutzen.
  • Die Angebote der Orientierungsphase dürfen nicht als fort- oder weiterbildende Veranstaltungen mit den möglicherweise damit verbundenen Gebühren oder fehlender Förderungswürdigkeit beim BAföG gelten.

Grundsätzlich gilt es, Einfluss auf die Hochschulleitungen auszuüben. Aus der bestehenden Mangelverwaltung darf keine Sachzwanglogik resultieren. Das Ziel muss klar sein, bestehende Studienangebote auszubauen und eine bessere Ausstattung der einzelnen Studiengänge und Beratungseinrichtungen zu gewährleisten. Nötig ist des Weiteren eine stärkere Kooperation mit den StudentInnenwerken im Bereich der sozialen Rahmenbedingungen der Studiums. Hier müssen auch die Hochschulen in die Verantwortung genommen werden: Es ist gesellschaftlich fahrlässig nach dem Motto „sozial ist uns egal“ zu handeln und zu glauben, es reiche für ein erfolgreiches Studium aus, genügend Labor- oder Praktikumsplätze von Seiten der Hochschulen bereit zu stellen. Die Hochschulen müssen sich auch den sozialen Rahmenbedingungen als einem Aufgabenbereich annehmen. Im Moment sind z.B. schichts- oder geschlechtsspezifischer Beratungsbedarf oder die Studienfinanzierung „blinde Flecken“, die nicht bearbeitet werden. Dies geschieht häufig mit der Begründung, dass man für diese Aufgaben nicht zuständig sei. Doch ist die Zuständigkeit, zumindest partiell, immer gegeben. Die Umstellung auf neue Studienstrukturen und -abschlüsse kann dies hervorragend illustrieren.

Positiv zur Kenntnis genommen von der 28. MV in Karlsruhe, August 2005