Soziale Selektivität durch Auswahlverfahren

Mit diesem Gesetz nähert sich eine öffentliche Debatte ihrem vorerst unrühmlichen Ende: Sukzessive musste die Misere der öffentlichen Bildung dafür herhalten, vorhandene strukturelle Mängel mit Hilfe des Bilds von studierunfähigen StudienbewerberInnen zu verschleiern. Schon länger ist nicht nur eine inhaltliche Verschiebung der Debatte, sondern sind auch erste praktische Umsetzungen von Auswahlverfahrensmechanismen zu beobachten. Doch nun werden die durchaus unterschiedlichen und vereinzelten Praxen einer Auswahl der Studierenden institutionalisiert. Spätestens zu dem Zeitpunkt einer vollständigen Autonomie der Hochschulen, wie sie unter den Gesichtspunkten von knappen Ressourcen und der „Passfähigkeit“ der BewerberInnen seit langem von HRK und CHE eingefordert wird, wird sich der Hochschulzugang in der Bundesrepublik fundamental verändern. Dies ist aus Sicht des fzs Anlass genug, um sich mit den durch die 7. HRG-Novelle standardisierten Auswahlmechanismen intensiver zu beschäftigen.

Das Gesetz sieht vor, neben der Prüfung der „allgemeinen Studierfähigkeit“ (Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung) auch eine „fachspezifische“ Studierfähigkeit der BewerberInnen prüfen zu lassen. Letzteres soll mit Hilfe „fachlich einschlägiger“ Schulnoten und fachspezifischer Studierfähigkeitstests geschehen.

Weder das verfassungsmäßige Recht auf freie Berufswahl noch die Rechtssprechung zum Hochschulzugang rechtfertigen eine Zgangsbeschränkung mit den genannten Zielen. Das so genannte „NC-Urteil“ des BVerfG gestattet eine Beschränkung des Hochschlzugangs lediglich aus Gründen nicht ausreichender Kapazitäten am jeweiligen Standort. Grundsätzlich stellt jede Neuregelung des Hochschulzugangs eine im Sinne der Chancengleichheit sensible Intervention dar, welche auf ihren Grad der Selektivität hin untersucht werden müsste.

Die Erwartungen, die an die Neuregelung gestellt werden, sind indes hoch gesteckt. Von Qualitätsverbesserung an den Hochschulen ist da die Rede; auch wird prognostiziert, dass durch dieses neue Gesetz Abbruchquoten sänken und sich der Studienerfolg des/ der Einzelnen erhöhe. Außerdem solle die 7. Novelle den StudienbewerberInnen helfen, sich für eine Hochschule und das Studienfach bewusster zu entscheiden.

Aus Sicht des fzs erfüllen sich diese Erwartungen in keiner Weise. Aus empirischen Untersuchungen ist bekannt, dass die Einflüsse auf die Motive der Studienort- oder -fachwahl grundsätzlich anders gelagert sind, als es das neue Gesetz unterstellt. In Bezug auf die Wahl der Hochschule spielen erstaunlich häufig soziale und fachliche Motive eine große Rolle. Und in Bezug auf die Studienfachwahl erlaubt beispielsweise die Studierendenbefragung des HIS an der Universität Münster den Rückschluss, dass sich StudentInnen durchaus bewusster für ein Studienfach entscheiden, als es die BefürworterInnen der neuen Auswahlverfahren propagieren. Auffällig ist allerdings, dass die Entscheidung für ein Fach zwar bewusst getroffen wird, sich aber die Erwartungen, die die StudienanfängerInnen an dieses Fach stellten, nicht einstellen. Dies hebt die seit langem bekannte und bis heute ungelöste Problematik hervor, dass der Übergang von der Schule an die Hochschule durch ein erhebliches Informations- und Beratungsdefizit gekennzeichnet ist. Zudem wird die fachliche Information über Studienfächer, deren Inhalte und Anforderungen nicht selten dazu instrumentalisiert, gezielt BewerberInnen abzuschrecken, indem in der Regel insbesondere erwünschtes Vorwissen oder spezielle Qualifikationen als zentral für die Bewältigung der mit dem Fachstudium einhergehenden Inhalte dargestellt werden. Diese Praxis ist angesichts der Unsicherheiten in bildungsfernen Schichten in Bezug auf eine Studienaufnahme scharf zu kritisieren. Bis heute gibt es keine schlüssigen Konzepte, wie der Übergang an die Hochschule fachlich und sozial besser gestaltet werden kann, denn weder die Berufsinformationszentren der Arbeitsagenturen noch die Studienberatungen der Hochschulen selbst können diesen Missstand beheben.

Mit Hilfe des neuen Gesetzes sollen auch die Abbruchquoten gesenkt werden. Hier muss erneut unter Hinzuziehung von einschlägigen Untersuchungen festgestellt werden, dass die Gründe für einen Studienfachwechsel oder einen Studienabbruch fundamental anders gelagert sind, als dass sie mit den neuen Auswahlinstrumenten überhaupt nur annähernd erfasst werden könnten. Die Gründe für einen Fachwechsel und die Motivlagen für einen Studienabbruch sind äußerst komplex. Für einen Fachwechsel lässt sich zunächst feststellen, dass hier nicht nur abweichende Vorstellungen der fachlichen Anforderungen vom Studienfach in die Entscheidung eingehen, sondern besonders häufig auch ein verändertes Berufsziel bzw. schlechte Berufsaussichten als Grund für den Wechsel genannt werden. Eine Änderung der beruflichen Vorstellungen oder eine erhöhte Unsichrheit in Bezug auf den Übergang in den Beruf sind allerdings nichts, was mit einer Änderung des Hochschulrahmengesetzes behoben werden könnte.

Auch die den Ausschlag gebenden Gründe für einen Studienabbruch sind vor allem sozialer und fachlicher Art. Es sind seit langem die Untersuchungen dazu bekannt und konsequent hat der fzs deshalb immer eine verbesserte soziale und finanzielle Absicherung und die Ausweitung von psychosozialen Beratungs- und Betreuungsmöglichkeiten eingefordert. Das Gesetz ist auf diesem Auge völlig blind für strukturelle Ungleichheiten auch gerade in Bezug auf den Hochschulzugang.

In der Diskussion um Auswahlverfahren wird persönlichkeitsbezogenen Instrumenten in der Regel eine besondere Rolle zugemessen. Erschreckend sind Aussagen in diesem Zusammenhang zu bewerten, die die Subjektivität dieser Zulassungsinstrumente als deren Stärke betrachten. Einschlägige Stellungnahmen betonen an dieser Stelle die hohe Wahrscheinlichkeit einer verstärkten sozialen Selektion. So schreibt die Deutsche Gesellschaft für Psychologie: „Es ist zudem zu befürchten, dass [durch] die Auswahlgespräche die bereits sehr hohe soziale Selektivität von Studierenden in Deutschland verstärkt wird […].“

Darüber hinaus ist anzunehmen, dass zunehmend Kriterien zu Grunde gelegt werden, welche von den Auswählenden in den Gesprächen subjektiv als Maßstab angelegt werden. Konkret ist hier an die Hinzunahme externer Personen aus der „Berufspraxis oder Berufsausbildung“, wie es beispielsweise im Thüringischen Hochschulgesetz vorgesehen ist, zu denken. Dies stellt klar einen gravierenden Eingriff in die Hochschulautonomie dar und führt die Frage nach der „Eignung“ der StudienbewerberInnen auf die akute Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt der Branche, welche durch den/die PrüferIn vertreten wird, zurück. Dass die Beteiligung Externer aus der Privatwirtschaft in Hochschulgremien zwangsläufig zu einseitigen Interessen führt, ist bereits bei den in Baden-Württemberg eingeführten „Aufsichtsräten“ sichtbar.

Aus den genannten Gründen ist das 7. HRGÄndG aus Sicht des fzs abzulehnen.

In dem gesellschafts- und sozialpolitisch sensiblen Bereich des Hochschulzugangs findet derzeit ein einschneidender Paradigmenwechsel statt, der die Probleme im Bildungsbereich, wie mangelnde Ausstattung, unkreative Lehr- und Lernmethoden, Unterfinanzierung der Hochschulen und unzureichende Studienfinanzierung, auf die „Nicht-Eignung“ der StudienanfängerInnen abschiebt: Die ohne Zweifel vorhandenen und nicht zuletzt auch auf Grund falscher Prioritäten politisch herbei geführten Mängel des deutschen Bildungssystems werden im Moment um ein Vielfaches durch eine erhöhte Studierneigung potenziert. Die Kapazitäten halten schon seit Langem nicht mehr mit der BewerberInnenzahl Schritt, sodass die Hochschulen gezwungen waren, mit Zulassungsbeschränkungen zu reagieren. Die Bildungspolitik hat auf diese Entwicklungen nicht reagiert und die Studienbedingungen verschlechtern sich zunehmend. Hinter der geforderten „Passfähigkeit“ der BewerberInnen steht aus Sicht des fzs eine rückwärts gewandte Sehnsucht nach der kleinen überschaubaren Universität. Der gesellschaftliche Bildungsdiskurs wird derzeit dominiert durch eine Leistungsideologie, die ein Scheitern im Studium auf die Person des Studenten/ der Studentin abschiebt und letztendlich als Legitimation zum Abbau von Studienplätzen dienen wird. Dieses Konzept kann den individuellen Besonderheiten in den Bildungsbiographien in keiner Weise gerecht werden: Der Bildungsauftrag der Hochschule wird darauf reduziert, hochspezialisiertes Fachwissen in kürzester Zeit zu vermitteln, da ein von den FachvertreterInnen selbst konzipierter Kanon an Grundvoraussetzungen die Homogenität und zahlenmäßige Überschaubarkeit der StudentInnen garantiert. An dieser Stelle zeigt sich aus Sicht des fzs sehr deutlich der Widerspruch zwischen einer Auswahl „der Besten“ zu Lasten eines offenen Hochschulzugangs: Nicht nur der Abbau von Studienplätzen ließe sich mit fachlich ungeeigneten BerwerberInnen begründen, mindestens genauso offen tritt derzeit der Anspruch auf eine (Heraus-)Bildung von gesellschaftlichen Eliten hervor.

Die erweiterte Möglichkeit auf eine wissenschaftliche Ausbildung für mehr Studieninteressierte und eine erhöhte Qualifikation der StudentInnen sind nicht umsonst zu haben: Der fzs fordert deshalb Bund, Länder und Hochschulleitungen auf, die Ausstattung mit finanziellen, personellen und strukturellen Ressourcen zu verbessern und die Integration von StudentInnen mit unterschiedlichsten Hintergründen, Interessen und Biographien als ein Qualitätsmerkmal der deutschen Hochschulen anzuerkennen und gezielt zu fördern. Die StudentInnen benötigen insbesondere eine bessere Beratung und eine qualifiziertere Betreuung, für die Hochschulen gilt, dass sich die finanzielle Grundausstattung unter diesen Gesichtspunkten deutlich erhöhen muss. Für einen erleichterten Übergang an die Hochschule und auch ein abgeschlossenes Studium ist heute mehr den je eine gesicherte Studienfinanzierung konstitutiv, dieses Gesetz hingegen ist gegenüber der sozialen Lage der StudentInnen wie auch den Möglichkeiten von individuellen Bildungsbiographien völlig blind.

Insbesondere den Hochschulgremien und -leitungen empfiehlt der fzs deshalb von einer Umsetzung der 7. Novelle abzusehen. Auch für den fzs ist klar, dass ein Abitur in Deutschland bereits sozial selektiv zustande kommt, solange aber keine besseren Konzepte als das vorliegende entwickelt worden sind, wird der fzs auf einer allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung mit dem gleichzeitigen Ziel einer Öffnung des Hochschulzugangs und dem Abbau der sozialen Selektion in den vorgelagerten Bildungseinrichtungen bestehen.

Beschlossen von der 28. MV in Karlsruhe, August 2005