Bolkestein Direktive

Im Februar 2004 legte der damalige EU Kommissar für Binnenmarkt Frits Bolkestein seinen Entwurf für eine Direktive für Dienstleistungen im Binnenmarkt vor – allgemein bekannt geworden unter dem Namen Bolkestein Direktive. Erklärtes Ziel der Direktive ist es nach Angaben der EU Kommission EU-Dienstleistungsunternehmen, die in anderen Ländern der Union tätig werden möchten, von bürokratischen Auflagen und Hindernissen zu befreien. Dies betrifft gleichermaßen die Möglichkeit einer permanenten Ansiedlung von Dienstleistungsanbietern eines EU Landes in einem anderen EU Mitgliedsland, wie das grenzüberschreitende Angebot von Dienstleistungen ohne einen festen Sitz im jeweiligen Zielland.

Handlungsbedarf für eine solche Direktive sah Bolkestein angesichts der Tatsache, dass „die nationalen Vorschriften […] zum Teil archaisch, übertrieben aufwändig [sind] und […] gegen das EU-Recht [verstoßen]. Diese Vorschriften müssen schlichtweg verschwinden.“

Welche Dienstleistungen umfasst die Bolkestein Direktive?

Dienstleistungen, die unter die Bolkestein Direktive (COM(2004) 2 final/3) fallen, sind darin wie folgt definiert:

Art.2-1: „This Directive shall apply to services supplied by providers established in a Member State.”

Art.4-1: „“service“ means any self-employed economic activity, as referred to in Article 50 of the Treaty, consisting in the provision of a service for consideration;”

p.20 (pt.7a): „However, the definition does not cover non-economic activities, nor activities performed by the State for no consideration as part of its social, cultural, education and judicial functions where there is no element of remuneration.”

Die Definition der Dienstleistungen, die unter die Direktive fallen, ist jedoch unklar und bietet einen breiten Interpretationsspielraum. Angesichts dessen kann nicht definitiv ausgeschlossen werden, dass Bildung ebenfalls in den Bereich der Dienstleistungsdirektive eingeschlossen ist. Denn es ist ungeklärt, was unter nicht wirtschaftlichen Aktivitäten zu verstehen ist oder unter staatlichen Aktivitäten als Teil ihrer sozialen, kulturellen, bildungspolitischen oder juristischen Funktionen, bei denen es kein Element von Bezahlung gibt. Sind darunter Dienstleistungen zu verstehen, die nicht (vorrangig) unter den Einflüssen des Marktes stehen und somit nicht (in erster Linie) abhängig sind von der Bezahlung durch ihre EmpfängerInnen? Oder sind damit Dienstleistungen gemeint, die nicht Gewinn-orientiert angeboten werden? Sind sämtliche Dienstleistungen, für welche ein Beitrag erhoben wird, in dieser Definition eingeschlossen oder sind solche, welche vorrangig öffentlich finanziert werden, von der Direktive ausgenommen?

Die Unklarheiten dieser Definition, lassen sich auch durch die Ausführungen der Europäischen Kommission zum Wirkungsbereich der Direktive nicht aufklären. Darin ist ausgeführt, dass „the proposal does not cover those services, such as public administration or public education, which are of a non-economic nature, i.e. provided by the State in fulfilment of its public mission without any economic consideration.”

In einem anderen Dokument der Kommission wird dargestellt, dass „the definition of ‘service’ in this Proposal is based on well established case-law of the Court of Justice of the European Communities.”

Entsprechend dieser Gerichtsentscheidung liegen der Definition von Dienstleistung folgende Kriterien zugrunde:

  • es muss von wirtschaftlicher Natur sein, entsprechend EG-Vertrag Art. 2 und 59
  • es muss gegen Entgelt angeboten werden
  • die außerordentliche Natur bestimmter Aktivitäten schließt diese nicht davon aus, von wirtschaftlicher Natur zu sein
  • eine Beurteilung kann nur auf der Basis von Einzelfallentscheidungen getroffen werden und soll dabei untersuchen „in particular the way the service is provided, organised and financed in the Member State concerned”

Mindestens drei der oben genannten Punkte treffen unter bestimmten Bedingungen auch auf Hochschulbildung zu. Die verschiedenen Erklärungen bringen zudem keine Klarheit hinsichtlich der Definition ökonomischer und nicht-ökonomischer Aktivität.

Kernelemente der Direktive

Zentrales Element der Direktive ist das Herkunftslandprinzip. Dieses Prinzip soll es Dienstleistungsanbietern, die im eigenen EU Land den gesetzlichen Vorschriften gemäß operieren, ermöglichen, ohne weitere Auflagen in jedem anderen EU Land ihre Dienstleistungen anzubieten, und zwar auf der Basis der gesetzlichen Vorgaben ihres Herkunftslandes.

Auch die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben ihres Herkunftslandes sowie entsprechende Gesetzesverstöße gegen diese bei der Operation in anderen EU Ländern, sollen durch das Herkunftsland der Dienstleistungsanbieter kontrolliert und geahndet werden. Um ein angemessenes Vertrauen in entsprechende Kontrollmaßnahmen der Herkunftsländer bei den Zielländern der Dienstleistungsanbieter zu erzeugen, sollen alle EU Mitgliedsländer intensiv zusammenarbeiten und sich über die in ihren Ländern jeweilig geltenden Gesetzesvorschriften austauschen.

Schließlich müssen die EU Mitgliedsländern hinsichtlich ihrer gesetzlichen Regelungen des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs sowie des Angebots von Dienstleistungen EU-ausländischer Anbieter 3 Prinzipien genüge tragen – Nicht-Diskriminierung, Notwendigkeit und Proportionalität. Insbesondere hierbei werden die Parallelen der Bolkestein Direktive mit dem GATS inhaltlich sowie im Vokabular deutlich.

Das könnte folglich dazu führen, dass DienstleistungsempfängerInnen sich mit den Rechtssystemen von 25 Ländern auseinandersetzen müssen und diese Systeme entsprechend miteinander in Wettbewerb treten.

Zeitrahmen

Der ursprünglich vorgeschlagene Zeitplan für die Direktive sah vor, dass Europäisches Parlament und der MinisterInnenrat bis Ende 2004 darüber entscheiden sollten. Allerdings haben zahlreiche NGOs, Gewerkschaften, Parlamentarier und nationale Regierungen ihre Kritik an der Direktive zum Ausdruck gebracht und Initiativen und Kampagnen initiiert, die sich insbesondere an gegen das Herkunfsland-Prinzip in der Direktive richteten.

Eine solche Initiative gegen die Bolkestein Direktive ist das StopBolkestein Netzwerk.

Angesichts dieser Proteste kündigte der gegenwärtige Kommissar für Binnenmarkt Charlie McCreevy im Februar 2005 an, die Direktive zu überarbeiten, so dass sie eine breite Akzeptanz möglich ist. Gleichzeitig jedoch griff der Handelskommissar Peter Mandelson insbesondere NGOs und Initiativen gegen die Direktive heftig an und verteidigte das Herkunftsland-Prinzip. Neben diesem Prinzip gibt es Initiativen die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse entweder aus der Bolkestein Direktive explizit auszuschließen oder für diese ein eigene sogenannte „Directive on Services of General Interest“, zu entwickeln. Beide Punkte befinden sich gegenwärtig in Diskussionsprozessen in den zuständigen Ausschüssen des Europäischen Parlaments.

Position von ESIB zu Bolkestein

ESIB hat das Ziel Bildung explizit und permanent von der Bolkestein Direktive auszuschließen, da diese ansonsten einer Privatisierung von Bildung Vorschub leisten würde und die Kompetenzen der EU im Bereich der (Hochschul-)bildung über das bisher im EG-Vertrag vereinbarte Maß erweitern und die nationale Souveränität im Bereich der (Hochschul-)bildung einschränken würde. Die Position von ESIB zu EU regulationen im Bildungsbereich ist hier zu finden.

Weitere Informationen und Links

Relevante offizielle Dokumente und Protokolle

ESIB-Informationen:

Stellungnahmen anderer Akteure: