Aufruf der Kampagne „Fight Racism Now!“ unterstützen

FIGHT RACISM NOW!

20 Jahre nach der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl

20 Jahre nach dem Mordanschlag von Solingen

Unmittelbar nach der deutschen Einheit führte eine rassistische Medien- und Gewaltkampagne zur Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Neonazis, unbescholtene Bürger und die etablierten Parteien zogen an einem Strang und verkündeten unisono, dass in Deutschland kein Platz mehr sei für Asylsuchende. Noch während des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen vereinbarten CDU/CSU, FDP und SPD die Grundgesetzänderung. Am 26. Mai 1993 wurde schließlich der Grundgesetzartikel 16 gestrichen, der – als politisches Bekenntnis nach dem Nationalsozialismus -, allen „politisch Verfolgten” einen Rechtsanspruch auf Asyl eingeräumt hatte. Ersetzt wurde er durch den Abschiebe-Artikel 16a. Neonazis sahen sich bestätigt und feierten die Entscheidung drei Tage später mit einem Brandanschlag auf das Haus der Solinger Familie Genç. Dabei starben fünf Menschen: Hatice Genç, Hülya Genç, Saime Genç, Gürsün İnce und Gülüstan Öztürk. Vierzehn weitere wurden teils schwer verletzt.

Rassismus als Staatsraison

Mit der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl 1993 hat die Berliner Republik Ausgrenzung ausdrücklich zur Staatsraison erhoben. Rassistische Sondergesetze wie das ebenfalls 1993 beschlossene Asylbewerberleistungsgesetz prägen bis heute einen grausamen Alltag: Geflüchtete werden oft über Jahre in abgelegenen und überfüllten Sammellagern isoliert und unsichtbar gemacht. Sie werden systematisch unterversorgt und entmündigt – durch ein generelles Arbeitsverbot, durch strikte „Residenzpflicht” im einmal zugewiesenen Landkreis, durch Gutscheinsysteme statt Bargeld, durch Polizeischikane, Behördenwillkür und ständig drohende Abschiebung. Frauen und Kinder leiden unter dieser Situation in besonderem Maße, weil ihnen jede Privatsphäre verwehrt ist. Viele Geflüchtete werden so in den Suizid getrieben. Ihr Anspruch auf Asyl wird so gut wie nie anerkannt.

Rassismus ist kein Randphänomen

Die weiß-deutsche Öffentlichkeit sieht sich überwiegend als tolerant und „ausländerfreundlich”. Sie ist „gegen Nazis” und schätzt Mesut Özil im deutschen Nationaltrikot. Dennoch ist die deutsche Mehrheitsgesellschaft rassistisch. Sie spricht Millionen hier lebenden Menschen dauerhaft elementare Rechte ab. Sie behandelt Nicht-Weiße noch immer als Fremde, als Menschen auf Bewährung. Ein Schlaglicht darauf wirft die Staatsaffäre um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU): Mehr als ein Jahrzehnt lang konnte der NSU unbehelligt morden, Bomben legen und Banken ausrauben, weil die deutsche Gesellschaft sich darauf festgelegt hatte, dass die Schuldigen dem „Milieu” der Opfer entstammen mussten. Mit dem rassistischen Label „Döner-Morde” haben Medien und Öffentlichkeit über Jahre die Opfer stigmatisiert und eine mögliche Aufklärung hintertrieben. Mit der Krise ist auch der überwunden geglaubte Rassismus gegen Bürger_innen südeuropäischer Staaten als Massenphänomen zurückgekehrt. Kapitalistischer Leistungskult und Standort-Nationalismus gehen hier Hand in Hand.

Globale Ausbeutungsverhältnisse

Die Einschränkung des Asylrechts auf „politisch Verfolgte” blendet globale Macht- und Ausbeutungsverhältnisse systematisch aus – und damit die Schuld und Verantwortung Deutschlands und Europas. Koloniale Unterdrückung setzt sich heute in den Hierarchien des kapitalistischen Weltmarkts fort, in seinen gesellschaftlich produzierten Verwüstungen und Krisen. Darauf zielen die zwei zentralen Slogans der Flüchtlingsproteste: „We are here because you destroy our countries!” – „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört!”. Und deshalb: „Every refugee is a political refugee!” – „Jeder Flüchtling ist ein politischer Flüchtling!”. Die EU versucht, Migration nach kapitalistischen Verwertungsinteressen zu steuern. Migration ist aber immer auch ein Versuch, diese Machtverhältnisse zu unterlaufen und aufzubrechen.

Modernisierter Rassismus…

Der nationale Diskurs um Integration steht für einen modernisierten Rassismus, der nach Herkunft und Leistung gleichermaßen diskriminiert. Er richtet sich insbesondere gegen Menschen, denen eine muslimische Identität zugeschrieben wird. Menschen, die oft seit Jahrzehnten in Deutschland leben oder hier geboren wurden, wird pauschal ein Integrationsproblem unterstellt. So werden die Folgen anhaltender sozialer und politischer Diskriminierung als Versäumnisse der Betroffenen umgedeutet, als Ausdruck von Kultur und Mentalität. Einzelne werden als gut integrierte Vorzeige-Migrant_innen präsentiert, um allen anderen ihre ewige Bringschuld vorzuführen. Dass auch dieser kulturell verbrämte Rassismus brandgefährlich ist, belegt unter anderem der Publikumserfolg Thilo Sarrazins, und auf europäischer Ebene der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien.

…und rassistische Kontinuitäten

Der Umgang mit den Roma offenbart die Heuchelei der deutsch-europäischen Asyl- und Menschenrechtspolitik. Roma werden überall in Europa in Armut gedrängt und stigmatisiert. In vielen Ländern werden sie von Behörden, Polizei und von bewaffneten Bürgerbanden systematisch terrorisiert. Die reichen Staaten Kerneuropas nutzen jede Gelegenheit, Roma in diese Länder zu deportieren. Sie setzen damit eine Jahrhunderte lange Geschichte der Ausgrenzung und Verfolgung fort. Die aktuelle Stimmungsmache und Politik von Innenminister Friedrich gegen Asylsuchende aus Serbien und Mazedonien und gegen Roma aus EU-Staaten knüpft nahtlos an die Hetze von 1993 an.

Festung Europa

Deutschlands Anti-Asyl-Politik wurde zum Vorbild der europäischen Flüchtlingsabwehr, der in den letzten 20 Jahren mehr als 16.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Auf Grundlage des Art. 16a schiebt Deutschland Flüchtlinge ab, die über vermeintlich „sichere Drittstaaten” eingereist sind. Damit werden sämtliche umgebenden EU-Staaten Teil des Deutschen Abschottungsregimes. Die militarisierte Grenzschutz-Kooperation FRONTEX zwingt Flüchtende Tag für Tag auf lebensgefährliche Routen, lässt sie ertrinken, verdursten oder ersticken. Wer Europa erreicht, wird einem lückenlosen Kontroll- und Abschiebesystem unterworfen und einem bestimmten Land zugewiesen, meist dem Einreiseland. Dort, besonders in Griechenland und Italien, herrschen für Geflüchtete selbst nach Ansicht deutscher Gerichte menschenunwürdige Bedingungen: Obdachlosigkeit, systematische Polizeigewalt, irreguläre Asylverfahren. Abschiebungen werden europaweit mit Verfolgerstaaten koordiniert. In Zukunft sollen Flüchtende bereits bei ihrer Einreise inhaftiert werden können. Diese Maschinerie läuft Tag und Nacht.

Eine neue Perspektive

Seit 20 Jahren kämpfen selbstorganisierte Flüchtlingsgruppen und antirassistische Initiativen in vielen Ländern Europas gegen das deutsch-europäische Asylregime, und gegen die globalen Ausbeutungsverhältnisse, die es stützt. 2012 haben Geflüchtete in einigen Regionen Deutschlands ihre zugewiesenen Lager verlassen und in größeren Städten Protestzelte errichtet. Im Spätsommer haben sie ihre Forderungen über einen 600km langen Protestmarsch von Würzburg nach Berlin getragen. Auf dem zentralen Oranienplatz haben sie für alle sichtbar ein Protest-Camp errichtet, in dem sie bis heute leben und ihren Widerstand organisieren. Inzwischen sind Geflüchtete und Illegalisierte in anderen Ländern ihrem Beispiel gefolgt. So halten Geflüchtete in Wien seit Wochen die zentrale Votivkirche besetzt. 20 Jahre nach Abschaffung des Grundrechts auf Asyl ist dieser Kampf Vorbild und Ansatzpunkt für eine neue antirassistische Offensive. Das System der Abschottung und Diskriminierung, der Lager und Deportationen muss fallen. Integration in eine rassistische Gesellschaft?! Nein Danke!

Fight Racism Now!

Bis zum doppelten Jahrestag Ende Mai 2013 möchten wir eine bundesweite Plattform schaffen, auf der verschiedene antirassistische Initiativen zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützten können. Wir bereiten Aktionen, Materialien und Veranstaltungen vor. Wir zählen aber auch auf eure Phantasie und eure Initiative. Die Kampagne ist, was wir daraus machen! Für Mitte Mai planen wir einen bundesweiten Aktionstag. Für den 25. Mai mobilisieren wir zu einer bundesweiten Demonstration nach Berlin. Aber Rassismus ist Alltag und muss jeden Tag bekämpft werden. Deshalb geht die Kampagne weiter und begleitet den Bundestagswahlkampf bis zum Wahltag am 22. September. Rassistische Hetze gegen Roma, gegen Bürger_innen südeuropäischer Staaten, gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und gegen Flüchtlingsunterkünfte in Wohngebieten – schon jetzt ist klar, dass wir viel zu tun haben werden.

Als Kampagne unterstützen wir die Forderungen der laufenden Flüchtlingsproteste. Alle Abschiebungen sofort stoppen! Residenzpflicht abschaffen! Alle Lager sofort schließen!

Kampagne „Fight Racism Now!” (Februar 2013)