Kommentar des fzs zur Empfehlung der HRK zur Europäischen Studienreform

Beschluss der HRK: Empfehlung zur Umsetzung der Europäischen Studienreform

Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften e.V. (fzs) begrüßt die Möglichkeit sich zu der Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz zu äußern. Wir sind überaus erfreut, dass sich die HRK dieses Themas angenommen hat und kommentieren die Empfehlung wie folgt:

Fraglich ist, wie die HRK dafür Sorge tragen wird, dass die Empfehlungen nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern nachhaltig umgesetzt werden. Viele der angesprochenen Punkte sind richtig und unterstützenswert, aber nicht neu. An vielen Hochschulen, insbesondere bei denjenigen, bei denen umfassende Umwälzungen in Studium und Lehre dringend benötigt werden, sind die Probleme lange bekannt, ohne dass sich dies Wissen in Handlungsansätze umwandelte. Im Papier wird häufig an die Verantwortung der Hochschulen appelliert, doch fehlen dem fzs konkrete Ansätze der HRK zur Motivation der Hochschulen, die Beschlusslage auch umzusetzen. zu I.1 (Akzeptanz der gestuften Studienstruktur in Deutschland)

Der reine Fokus auf die formale Umstellung auf das mehrstufige System greift dem fzs zu kurz. Es ist nicht zielführend, darauf zu drängen, alle Studiengänge umzustellen, ohne dabei auf die Qualität der sich ergebenden Studiengänge zu achten. Daher möchten wir an dieser Stelle auf eine Studie der European Students Union (ESU) „Bologna with student eyes“ hinweisen, an der sich auch der fzs seit vielen Jahren beteiligt. Entgegen der Interpretation der HRK zeigt sich in der Studie, dass Deutschland bei der Umsetzung vieler Maßnahmen des Bologna-Prozesses im europäischen Vergleich Nachholbedarf hat.

zu I.2 (Mobilität)

Eine differenzierte Betrachtung des Zahlenmaterials wünscht sich der fzs auch beim Thema Mobilität. Wir sehen es kritisch, dass hier die Fallzahlen von Auslandsaufenthalten mit kurzen Industriepraktika erhöht werden, während Studienaufenthalte für ein ganzes Semester oder länger weniger Berücksichtigung finden.

Als besonders relevant erachtet der fzs weiterhin das ebenfalls angerissene Problemfeld von Mobilität und sozialer Herkunft. Hier sollten Studierendengruppen gezielt gefördert werden, die aus finanziellen Gründen keine Möglichkeit haben im Ausland wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Möglicher Ansatzpunkt wäre in diesem Zusammenhang eine Novellierung des Auslands-BAföGs. Auch die Gruppe der chronisch kranken und behinderten Studierenden, die leider keine Erwähnung findet muss mehr Berücksichtigung finden. Hochschulen sollten stärker ermutigt werden innovative Konzepte zu entwickeln. Hochschulen muss eine Plattform geboten werden, auf der sie innovative Konzepte und best-practice-Beispiele finden und teilen können.

Als vielversprechend sieht der fzs die Anregung „Lernergebnisse fachspezifisch zu sammeln“. Wir sind gerne bereit, in enger Zusammenarbeit mit der HRK diese Idee weiter auszubauen. Doch auch diese Maßnahme kann nur greifen, wenn die Anwender*innen, letztendlich also die für Anerkennung zuständigen Lehrenden ein verstärktes Verständnis für die der Anerkennung zu Grunde liegenden Konzepte „Kompetenzorientierung“ und „Gleichwertigkeit von Leistungen“ haben. Dies ist unserer Ansicht nach häufig nicht der Fall und kann nur durch gezielte Schulungen gelöst werden. Wir möchten die HRK unsererseits ermutigen, die Weiterbildungsangebote im Rahmen des nexus-Projekts weiter zu verfolgen.

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zu II.1 (Bachelor und Master – Gestaltung und Funktion der neuen Studienprogramme)

Die Promotionsphase pauschal nicht in den Bologna-Prozess einzubeziehen halten wir für falsch. Wir verstehen, dass Promotionsstudien aufgrund ihrer von einem Hochschulstudium der ersten beiden Phasen, abweichenden Natur besonderen Regelungen unterliegen müssen. Jedoch müssen auch für die dritte Phase Studierbarkeit, Mobilität und soziale Durchlässigkeit gewährleistet werden.

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zu II.1.1 (Bachelor)

Der fzs unterstützt die Forderung nach einer polyvalenten Ausrichtung von Bachelorstudiengängen ausdrücklich. Besonders die Wertschätzung eines Bachelorabschlusses als vollwertiger Hochschulabschluss auch im universitären Bereich muss nachdrücklich gefördert werden. Hier wünschen wir uns auch von Seiten der HRK bessere Aufklärungsarbeit bei den Lehrenden.

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zu II.1.2 (Struktur- und Flexibilisierungsmaßnahmen)

Auch die Forderung nach mehr Flexibilisierung teilt der fzs. Insbesondere die landesspezifischen Strukturvorgaben führen zu einer unnötigen Feingliederung im bundesdeutschen Hochschulsystem, doch auch die kompromisslosen ländergemeinsamen Vorgaben können kaum als zukunftsweisend angesehen werden. Eine flexible Lösung gerade in der Kombination von Bachelor- und Masterstudiengängen begrüßen wir. Die Fokussierung der HRK auf die 300-ECTS-Regel halten wir an dieser Stelle für zu konsekutiv gedacht.

Wir betonen allerdings, dass eine vollständige Aufweichung der Vorgaben nicht das Ziel sein darf. Diese sind nicht zuletzt zum Schutz der Studierenden eingerichtet worden. Dies gilt besonders für die Dauer von Abschlussarbeiten. Wir sehen hier allerdings, anders als die HRK, den Handlungsbedarf eher bei den Bachelorarbeiten. Bei diesen könnte ein etwas größerer Umfang sich positiv auf die Akzeptanz der Studiengänge auswirken. Im Master den Umfang noch weiter zu erhöhen würde dort aber zu Lasten von strukturierten Studieninhalten gehen, was abzulehnen ist. Grundsätzlich darf eine Erhöhung der Bearbeitungszeit sich nicht darin äußern, dass die Verantwortung und Betreuungsleistung der betreuenden Lehrenden minimiert wird.

Gerade bei extern ausgeführten Arbeiten, also vor allem an Fachhochschulen, würde dies voraussichtlich genutzt werden, um die Kosten für die Studiengänge auf Seiten der Hochschulen zu reduzieren. Dies kann nicht ohne eine Qualitätssicherung der Anfertigungsphasen einhergehen.

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zu II.1.3 (Wissenschaftliche Befähigung zu akademischen und außerakademischen Karrieren)

Der fzs stellt erfreut fest, dass er in Bezug auf das Spannungsfeld „Bildung versus Ausbildung“ als Ziel eines Hochschulstudiums den Ausführungen der HRK ohne Abstriche zustimmen kann. Besonders die Universitäten sollten ermutigt werden, ihre falsche Scheu vor einem größeren Anwendungsbezug hinter sich zu lassen.

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zu II.2 (Die Kompetenzorientierung – Neuorientierung von Lehre und Prüfungen)

Lehre und Prüfungen kompetenzorientiert zu gestalten ist ein wesentlicher Bestandteil des Bologna-Prozesses. Viele der schon vorgenommenen Maßnahmen wie die Modularisierung können ihre volle Wirkung erst entfalten, wenn Kompetenzen operationalisiert formuliert sind und kompetenzorientiert gelehrt wird. Dazu gehört auch, dass bei der Entwicklung von Curricula mögliche Auswirkungen von Modulen untereinander berücksichtigt werden.

Viele neue Lernangebote oder Prüfungsformen erfordern in der Entwicklung – aber auch in der Durchführung – hohen Personalaufwand. In der Empfehlung wird richtig darauf verwiesen, dass hier Bund und Länder finanzielle Mehrleistungen erbringen müssen, um die Lehre zu modernisieren. Aber auch jetzt gibt es an vielen Stellen schon die Möglichkeit Lehre entsprechend zu gestalten. Die Bedeutung von Kompetenzorientierung als Baustein im Bologna-Prozess ist zu groß, um sich weiter komplett hinter der Finanzierungslücke zu verstecken. Hier müssen die Lehrenden verstärkt in die Pflicht genommen, aber auch durch Weiterbildungsmaßnahmen darin unterstützt werden, ihre Lehre zu überdenken und im Sinne des shift from teaching to learning tatsächlich an die Gegebenheiten von reformierten Studiengängen anzupassen.

Kompetenzorientierung wird in den Empfehlungen deutlich auf die Beschäftigungsbefähigung bezogen. Dies ist zwar richtig, aber noch nicht ausreichend, denn ein Bezug auf die akademische Laufbahn wäre ebenso wichtig gewesen. Selbstverständlich ist es auch hier wesentlich, sowohl Wissen anwenden zu können als auch über sonstige, insbesondere soziale, Kompetenzen zu verfügen.

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zu II.3 (Qualitätssicherung von forschungsbasierten und wissenschaftsadäquater Gestaltung von Studium und Lehre)

Die Hauptverantwortlichkeit für die Qualität der Studiengänge muss selbstverständlich auch weiterhin bei den Hochschulen liegen. In den Empfehlungen unterscheidet die HRK leider nicht ausreichend zwischen Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung.

„Selbstgesteckte Ziele, Strategien und Programme“ können und konnten Hochschulen schon immer mit ihren Prozessen zu erreichen versuchen. In diesem Zusammenhang weisen wir aber noch einmal darauf hin, dass es sich bei der Akkreditierung ausschließlich um eine Mindestsicherung handelt. Hochschulen sind schon jetzt völlig frei ihre Qualität auch darüber hinaus zu entwickeln. Die Sicherung des Mindestmaßes sollte dieser Weiterentwicklung an den meisten Hochschulen nicht entgegenstehen. Ist dies trotzdem der Fall, liegt dies an der Qualität der Lehre der Hochschule, dies ist dann allerdings keineswegs eine Folge der Kriterien, die für alle gelten.

Die systemakkreditierten Hochschulen mögen zwar positiv von ihren Erfahrungen berichten, gerade an vielen dieser Hochschulen berichten die Studierenden aber von äußerst erschreckenden Erfahrungen. Dies deckt sich im Wesentlichen leider auch mit den Erfahrungen des Akkreditierungsrates in den ersten Stichproben zur Systemakkreditierung. In der Systemakkreditierung sind Mindestziele einzuhalten. Aus den Ziel- und Leistungsvereinbarungen wissen wir jedoch, dass Hochschulen sich die Hürden selbst möglichst niedrig legen. Ohne die Mindestanforderungen aus der Akkreditierung würden einige Hochschulen sicher wieder unter dieses Qualitätsniveau zurückfallen, bei dem von Qualität kaum noch gesprochen werden kann.

Wir suchen ebenso wie die HRK nach einer Lösung für die Hochschulen, die schon jetzt ihre Akkreditierung nur durch Dehnen der Akkreditierungskriterien erhalten. An vielen Stellen ist die Studierbarkeit von akkreditierten Studiengängen trotz Akkreditierung nicht gegeben. Der fzs ist sich jedoch sicher, dass dies nicht verbessert wird, wenn auf das Kriterium Studierbarkeit verzichtet wird, was eine Folge der direkten Orientierung an den ESG wäre.

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zu II.4 (Finanzielle Konsequenzen aus den veränderten Anforderungen an Studium und Lehre)

Die HRK stellt fest, dass das Engagement vieler Lehrender für die Lehre wenig Anerkennung erfährt. Leider fehlt zu diesem Punkt in den Empfehlungen ein Lösungsansatz. Hier hätten wir uns konkretere Vorschläge gewünscht, damit das Thema Bildung auch in der Gesellschaft wieder ein größere Gewicht bekommt.

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zu II.5 (Studentische Vielfalt als Chance und Herausforderung für die Hochschulen)

Studentische Vielfalt ist seid langem ein Kernthema des fzs, das endlich auch in der hochschulpolitischen Debatte angekommen ist.

Hier zeigt die HRK einige richtige Ansätze. Insbesondere halten wir die Flexibilisierung der BaföG-Unterstützung für lange überfällig, da sie wesentlich dazu beitragen kann neue Zielgruppen für ein Hochschulstudium zu erschließen und mehr Interessierten die Aufnahme eines Studiums ermöglicht.

Heftig widersprechen müssen wir allerdings den Ausführungen zum E-learning. E-learning ist keine Maßnahme um den Ressourceneinsatz zu optimieren und muss immer berücksichtigen, dass Lernen ein soziales Geschehen ist. Auch wenn E-learning eine wertvolle Ergänzung zu traditionellen Lehrformaten ist und die Stärkung der Eigenverantwortung der Studierenden zu begrüßen, sollte e-learning nicht dazu führen universitäre Lehre an die Isolation des heimischen Schreibtisches zu verbannen. Ziel müssen hier integrierte blended learning Konzepte sein, die auch den Lehrenden noch weiter als zentrales Element erhalten.

Die Vielfalt der Studierenden zeichnet sich in diesem Zusammenhang nicht nur in ihrer sozialen oder regionalen Herkunft ab, sondern auch im Lernverhalten. Es muss dafür Sorge getragen werden, dass alle Studierenden hier in ausreichendem Maße berücksichtigt werden. Nur dann kann der Studienerfolg flächendeckend nachhaltig verbessert werden.

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zu II.6 (Studienbiographien: linear – wechselnd – abbrechend)

Auch bei der Bewertung von Studienverläufen treffen die Ausführungen der HRK die Überzeugungen des fzs. Wir erleben die täglich wachsende Stigmatisierung von Studierenden, die ihr Studienfach wechseln, ihr Studium abbrechen oder nicht in Regelstudienzeit ihr Studium abschließen. Diese Tendenzen verurteilen wir zutiefst und freuen uns an vielen Hochschulstandorten auch Alternativen zu finden (wie die Begleitung beim Übergang in eine Berufsausbildung), um denjenigen langfristig einen Berufseinstieg zu ermöglichen, die sich dagegen entscheiden, ihr einmal begonnenes Studium abzuschließen.

Wir unterstützen die Forderung die Erfassung von Daten zu Studienabbrechern zu optimieren und die Betrachtung zu differenzieren. Ein Studienabbruch kann nicht als alleiniges Versagen von Hochschulen interpretiert werden, sondern muss als Folge eines hochkomplexen Prozesses verstanden werden. Langfristig sind von den Hochschulen hier Daten zu erheben, aus denen auch qualitativ hervorgeht, was zum Studienabbruch geführt hat, denn nur dann können strukturelle Problemfelder, wie mangelnde Studienfinanzierung, sinnvoll zu identifizieren und zu beheben, während auch Leistungsprobleme von Studierenden vielschichtige Hintergründe haben können.

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zu III „Bologna-Kultur“

Die HRK stellt fest, dass das „Vertrauen in die Studierenden und ihre Lernbereitschaft“ zur Bologna-Kultur gehört. Doch gerade im Lichte dieser Erkenntnis kann der fzs die weiteren Ausführungen der HRK nicht nachvollziehen. „Bessere Planbarkeit des Studiums und einen kontinuierlichen Kompetenzaufbau“ müssen, anders als in den Empfehlungen behauptet, nicht mit einer Verdichtung des Lernstoffes und hoher Prüfungsanzahl einhergehen.

Die hohe Anzahl an Prüfungen am Ende eines Semesters im MINT-Bereich, genauso wie die frappierende Zahl an Hausarbeiten in Fächern aus dem geistes- und humanwissenschaftlichen Bereich sind sicherlich kein Grundanliegen der Studienreform. Ganz im Gegenteil zeigen sie deutlich ein eingangs bereits beschriebenes Problem:

Die vorherrschenden Schwierigkeiten der Lehrenden Module kompetenz- statt wissensorientiert zu gestalten und aufeinander abzustimmen, das Kernanliegen der Reform also.

Den subjektiven Zwang alle Leistungen mit für die Endnote relevanten Noten zu versehen, der mit Einführung der gestuften Studiengänge in den Hochschulen Einzug gehalten hat, lehnt der fzs ab. Daher teilen wir die Auffassung der HRK, dass der Zeitpunkt ab dem (relevante) Noten vergeben werden erst in späteren Abschnitten des Studiums liegen sollte. Patentrezepte in Form von Lernportfolios sollten hier allerdings nicht zum Allheilmittel glorifiziert werden, da auch dies der Realität vieler Studiengänge nicht gerecht werden kann.

Ein Vertrauen in die Lernbereitschaft der Studierenden zeichnet sich in keinem Fall dadurch aus, jeden noch so kleinen Kompetenzgewinn direkt prüfen und benoten zu wollen. Hier wünschen wir uns verstärkte Aufklärungsarbeit in Bezug auf die Wurzel des Problems statt der empfohlenen Symptombekämpfung.

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Zum Fazit

Der fzs ist wie die HRK der Überzeugung, dass bei Umsetzung der Empfehlungen sich Lehre und Studium weiter verbessern würden. Jedoch gehen die Meinungen zur tatsächlichen Akzeptanz deutlich auseinander. Vor diesem Hintergrund erwartet der fzs einen erheblichen Wandel der Hochschulen um den beschriebenen Standard und die Empfehlungen umzusetzen. An zu vielen Stellen sind die Hochschulen nach 15 Jahren Bologna-Prozess noch ganz am Anfang des Prozesses.

Die Erkenntnis, dass „Bologna“ nicht die Wurzel allen Übels ist, ist noch in zu wenig Rektoraten angekommen. Zusätzlich verfallen zu viele Akteur*innen – auch unterstützt von der HRK – immer wieder in das allgemeine Klagen über Bologna. Soweit konkrete Vorschläge oder Ansätze in den Empfehlungen enthalten sind, fragen wir uns, wie diese von der HRK durchgesetzt werden könnten. Dabei ist es keine Lösung vom „blaming Bologna“ nahtlos dazu überzugehen, sich hinter einer mangelnden Finanzierungslücke zu verstecken. Sicher ließen sich einige Probleme mit einer soliden und gesicherten Grundfinanzierung lösen, viele Maßnahmen sind aber bereits jetzt möglich. Ein Umdenken in der Modularisierung, der Kompetenzorientierung und der generellen Curriculargestaltung erfordern nicht zuerst Geld, sondern motivierte, geschulte Lehrende und Rektor*innen.

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