Der fzs möge diesen Text als Positionierung zu einer Kampagne beschließen. Der Text soll als Grundlage der Konzeption für eine Kampagne dienen und gleichzeitig als Aufruf für alle Studierendenschaften an der Beteiligung dieser Kampagne fungieren. Mit diesem Text beschließt der fzs eine inhaltlich entsprechende Kampagne zu organisieren.
Wir beobachten mit Sorge eine massenhafte Verarmung, eine zunehmende Öffnung der sozialen Schere. Während eine kleine Gruppe ungeheuerliche Vermögen anhäuft und immer neue Reichtumsrekorde feiert, halten Reallöhne nicht mit Produktivität und Kostenentwicklungen schritt. Die massive Inflation hat dabei insbesondere die unteren Lohngruppen und armen Menschen getroffen. Kurz: es verschärfen sich die Klassengegensätze. Gleichzeitig lässt der Staat soziale Infrastrukturen verfallen, Liberale und Konservative drohen offen den Sozialstaat weiter zu kürzen. Das ist kein Zufall, die neoliberale Sparpolitik und ihre Schuldenbremse dienen dem ungehemmten Wettbewerb, angebotsorientierten Politik, einer Kürzung der Staatsquote und so genannten Steuererleichterungen im Sinne von Konzernen, Erben und Besserverdienenden. Dabei legen neoliberale Reformer*innen wenig Wert auf Demokratie oder Menschenrechte. Tatsächlich stehen sie der Arbeiter*innenbewegung aufgrund des offensichtlichen Interessengegensatzes ablehnend gegenüber. Diese Art der Politik ist mindestens seit den 80er Jahren international vorherrschend und wird bis heute fortgeführt.
Der Verfall staatlicher Infrastruktur und die umgreifende Verarmung in kapitalistischen Zentren geht augenfällig mit einer schleichenden Reform der liberalen Demokratie einher, die in der Politikwissenschaft u. a. als Entleerung der Demokratie, Postdemokratie, Refeudalisierung des Rechts u. Ä. bezeichnet wird. In der Konsequenz haben sich bereits vor der Gründung der AfD signifikante Teile der Bevölkerung von der bürgerlichen Demokratie abgewendet.
Ein herausragendes Experimentierfeld neoliberaler Reformen sind die Hochschulen. Nicht nur wird hier erklärtermaßen ein marktfähiges Subjekt ausgebildet. Die Strukturen der Hochschule haben diese in einen wettbewerbsorientierten Dienstleistungsbetrieb verwandelt. Zu den maßgeblichen Strukturreformen gehört die Liberalisierung des Drittmittelmarktes [1], die Kompetenzzuwächse der Hochschulpräsidien[2], die Einführung von Hochschulräten, die Einführung des Akkreditierungswesens nach dem Vorbild von Ratingagenturen, die Senkung pauschaliert vergebener Grundmittel, die Einführung der leistungsorientierten Mittelvergabe, die Einführung der Bologna-Reform und die Einrichtung von Exzellenzinitiativen. Die Prekarisierung des Mittelbaus ist keine deklarierte Strukturreform, hat aber die Wirkung einer solchen und ist de facto mehr als ein unabsichtlicher Kollateralschaden. Sie ist u. a. durch die Ökonomisierung der Hochschulfinanzierung vorangetrieben sowie durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz und damit die Abkopplung des wissenschaftlichen Arbeitens von lang erkämpften Arbeitsrechten ermöglicht worden. In den letzten Jahren hat sich darüber hinaus die Struktur der Hochschullandschaft massiv gewandelt. Der Anteil privater Hochschulen nimmt zu, duale und berufliche Hochschulen werden neugegründet oder ausgebaut, der Charakter der Fachhochschulen ändert sich mit wachsenden Fakultäten ökonomisch gut verwertbarer Ausbildungsstudiengänge. Die Technischen Hochschulen sind zu Technischen Universitäten umgewandelt worden und werden zunehmend als Vehikel strategischer Wirtschaftsförderung gesehen und sprechen sich selbst einen Elitestatus zu, der vielfach über ihre Finanzierung abgebildet wird.
Daneben ändert sich die Architektur der Hochschulen. Waren für die Reformhochschulen noch offene Raumkonzepte, kurze Wege, Transparenz und aktiv gestaltbare Räume, wirken neuere Hochschulen wie Repräsentanzbauten, die sich nicht durch eine Offenheit, sondern eher durch einen Avantgarde-Anspruch und/oder reiner Arbeitsfunktionalität auszeichnen. Dabei wird Arbeit weniger egalitär und kooperativ gedacht, sondern findet im Sinne einer hierarchisierten und semipermeablen Arbeitsteilung statt: Studierende können nicht mehr umstandslos mit Wissenschaftler*innen in Kontakt treten. Die Bauwerke vermitteln eine pseudo-sachliche Autorität[3]. Passend zu diesem (Geistes-)Wandel in der Architektur, verändert das Hochschulmanagement auch die Ausgestaltung der Gebäude. So verlieren Studierende an vielen Orten ihre selbstverwalteten Räume und werden nicht nur im Rahmen von Studienreformen, sondern auch im Hinblick auf ihren Aktionsraum auf den Status von älteren Schüler*innen verwiesen, denen die Fähigkeit zu Selbstorganisation abgesprochen wird.
Hinter all diesen Reformen schwebt die Idee Wettbewerbsordnungen einzurichten und auszubauen, da diese gemäß neoliberaler Ideologie zu Effizienzsteigerungen und der bestmöglichen Ressourcenallokation führe. Forciert werden die Reformen und die Wettbewerbe durch eine politisch gewollte Ressourcenverknappung. Seit den 70er Jahren sind Hochschulen von Sparpolitiken betroffen, die zu einem Verfall der Gebäude, der Lehr- und Betreuungsqualität führen.
Neben dem Wandel der Universitäten und Hochschulen zeichnen sich aber auch an anderen Stellen die Ergebnisse neoliberale Politiken ab. Das BAföG erreicht kaum noch Studierende und reicht zum Leben nicht mehr aus. Das passt zu der mikro-ökonomischen Humankapitaltheorie, die Bildung als privates Investment sieht, dem staatliche Unterstützungssysteme eher entgegenstehen. Den relativen Kürzungen des BAföG durch Reformen, die strukturell hinter der Inflation zurückbleiben, steht der Ausbau des Stipendien- und Kreditwesens gegenüber, das der meritokratischen[4] Ideologie besser entspricht.
Studierende sind, wie große Teile der Bevölkerung, von dem Verfall öffentlicher Verkehrssysteme, steigenden Mieten und den finanziellen Engpässen von öffentlichen Bädern, Kulturzentren und Bibliotheken betroffen. Es trägt zu einer Verarmung und einer Verringerung sozialer Teilhabe bei und ist ein Nährboden für Vertrauensverlust in etablierte Institutionen.
Wir prangern daher die neoliberale Sparpolitik an. Wir warnen vor dem Autoritarismus [5], der mit dieser Politik einhergeht. So werden nicht nur ökonomische Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse verschärft. Auch die Struktur öffentlicher Einrichtungen und der bürgerlichen Regierung wird autoritärer. Gleichzeitig werden mit der Erziehung zu Wettbewerb und Marktförmigkeit auch autoritäre Unterwürfigkeit und antisoziale Charakterzüge kultiviert. Politische Ohnmacht und Passivierung münden in Zynismus und fördern reaktionäre Bewegungen.
Aus unserer Sicht gibt es einen realistischen Ausweg aus dem regressiven Chauvinismus: Das nachvollziehbare Unbehagen, das die Erosion sozialer Sicherheiten, die Verschärfung gesellschaftlicher Gegensätze und Destruktivität dieser Gesellschaftsordnung nach sich zieht, ist über den Einsatz für soziale Gleichheit und wirtschaftliche Demokratisierung in sinnvolle Bahnen zu lenken. Die Organisation sozialen Widerstandes erlaubt die Erfahrung demokratischer Selbstbestimmung im Sinne einer vernünftigen, kollektiven Selbstorganisation.
Konkret fordern wir:
Bildungsinvestitionen
- Mehr Fachkräfte in Lehre und Betreuung
- 60.000 zusätzliche Professuren an Hochschulen
- 60 Milliarden Euro für den Bau und Sanierung von Hochschulgebäuden
- Anmietung weiterer Räume für Hochschulen
- 1500 € Bildungshonorar und Tarifierung aller Beschäftigten
- Ausbau (selbstverwalteter) Sozial- und Kulturzentren
- Offene, stabile und Datensichere IT-Infrastruktur, die von Lernenden (Mit-) bzw. Selbstverwaltet wird
Finanzpolitik
- Abschaffung der Schuldenbremse
Steuerreform
- Vermögens- und Erbschaftssteuer
- Kapitalertragssteuer
- Finanztransaktionssteuer
- Unternehmenssteuern erhöhen
Mobilität und Wohnen
- Dauerhaft kostenloser, europaweiter ÖPNV
- Ausbau des ÖPNV und Bahnnetz
- Mietpreisbremse
- Mehr sozialer, gemeinwohlorientierter Wohnungsbau
- Rückkauf vormals veräußerter Immobilien und Flächen von Bund und Ländern
- Strommoratorium
- Vergesellschaftung von Energie- und Immobilienkonzernen
Antrag 74MV-I03 "Solidarität statt Sparpolitik. Eine Kampagne für Bildungsinvestitionen und ein offenes Bildungswesen." Beschlossen auf der 74. Mitgliederversammlung