Offener Brief von ABS und fzs zur Föderalismusreform

Sehr geehrte Damen und Herren,

dass das deutsche Bildungssystem in einer schweren Krise steckt, dass in keinem anderen Land die soziale Herkunft so stark über die Bildungschancen entscheidet, ist fast ein politischer Allgemeinplatz geworden. Umso erschreckender ist für uns die Tatsache, dass noch immer kein politisches Konzept vorhanden scheint, welches diese Missstände beseitigen könnte.

Noch schlimmer: Die in der Öffentlichkeit erkennbaren Vorschläge aus der gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur „Modernisierung“ der bundesstaatlichen Ordnung lassen vermuten, dass in Zukunft keineswegs Besserung eintreten wird, vielmehr werden die bestehenden Mängel manifestiert.

Diese Vorschläge sind sicherlich auch ein Ergebnis der kaum vorhandenen gesellschafts- und bildungspolitischen Vision der Bundesregierung. Zwar muss attestiert werden, dass in einigen Punkten seit der Regierungsübernahme im Bildungsbereiche richtige Schritte eingeleitet wurden: Zu nennen ist hier die Förderung des Ausbaus von Ganztagsschulen ebenso wie die Reform der Ausbildungsförderung.

Ein tatsächliches Konzept scheint dahinter nicht zu stehen. Auffällig wurde dies erneut Anfang November, als Bundesjustizministerin Brigitte Zypries den Bundesländern unter anderem die Regelungskompetenz für die Frage der Studiengebühren überlassen wollte und damit Bildungsministerin Edelgard Bulmahn offen in den Rücken fiel – nur wenige Stunden nach einer Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht zu ebendieser Frage.

Zwar sind also durchaus positive Errungenschaften auch in den vergangenen Jahren durch den Bund erwirkt worden, diese werden aber vom eigenen Kabinett gleich wieder in Frage gestellt. Das bedeutet: Es liegen innerhalb der Regierung gute und richtige Ansätze vor, man muss nur den Mut haben, sie umzusetzen. Die Folge: Die Deutungshoheit haben für den Bildungsbereich derzeit die mehrheitlich CDU-geführten Bundesländer mit Reformkonzepten, die ein klarer Rückschritt sind, betrachtet man die Erreichung von Chancengleichheit als Ziel. Sie wollen mit rückwärtsgewandten Konzepten ein ohnehin schon konservatives Bildungssystem weiter ausbauen.

Die PISA-Studie hat gezeigt, dass Länder mit integrativen Gesamtschulen die besten Ergebnisse erzielt haben. Die CDU möchte am dreigliedrigen Schulsystem festhalten. Alle Parameter zeigen, dass das Hochschulsystem im internationalen Vergleich in der Gänze unterfinanziert ist.

Die CDU möchte auf die Förderung von Elite-Hochschulen setzen. Alle Studien zeigen, dass der Hochschulzugang schon jetzt maßgeblich von der sozialen Herkunft abhängt. Die CDU möchte mit der Einführung von Studiengebühren weitere Hürden aufbauen. Das ist keine fortschrittliche Politik. Eine fortschrittliche Bildungspolitik in unserem Sinne bedeutet die Gewährleistung von Chancengleichheit für alle Menschen, den Abbau von sozialen Schranken. Hierfür, das haben alle historischen Erfahrungen vom Öffnungsbeschluss für die Hochschulen bis zur Einführung des BaföG gezeigt, war immer die Bundesebene bestimmend.

Wenn Chancengleichheit und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse auch Ziele fortschrittlicher Bildungspolitik sein sollen, muss dies in einigen Bereichen zwingend Regelungskompetenz für den Bund bedeuten. Denn nur mit bundesstaatlichen Rechtsstandards können diese Ziele erreicht werden, nur so kann es zu einem Abbau sozialer Selektion und damit letztlich zu einem durchlässigen Bildungssystem in der gesamten Republik kommen. Das Recht auf freien Zugang zur Bildung muss bundesweit geregelt werden und darf nicht in die Hoheit der Länder fallen.

In diesem Zusammenhang dürfte deutlich geworden sein, dass die absolute Hoheit der Länder über den Hochschulbereich – wie von den Ländern gefordert – aus unserer Sicht absurd ist. Vielmehr müssen minimale Standards gefunden werden: Insbesondere sind hier der Hochschulzugang inklusive der Frage, ob Studiengebühren erhoben werden, sowie die Gestaltungskompetenz für die Ausbildungsförderung zu nennen.

Sollten diese Kompetenzen an die Länder gehen, ist künftig mit einem noch stärkeren Konkurrenzkampf zu rechnen, soziale Gerechtigkeit würde auf der Strecke bleiben, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse wäre nicht nur gefährdet sondern de facto abgeschafft. Die Verlierer wären diejenigen, die es schon heute schwer genug haben, Zugang zu den Hochschulen zu erhalten. Es geht hier also um die Frage, welche Vorstellung eines Bildungssystems Sie vertreten:

Wollen wir eine Hochschullandschaft, die es möglichst vielen jungen Menschen ermöglicht, die bestmögliche Ausbildung zu erhalten oder wollen wir ein System, bei dem der Bildungserfolg schon bei der Geburt festgelegt ist? Wir plädieren eindeutig für ein Bildungssystem, bei dem die Herstellung sozialer Gerechtigkeit mehr als nur eine Floskel ist.

Ebenso wäre es widersinnig, in Zeiten der Entstehung eines europäischen Hochschulraums Kompetenzen wie die Regelungen zu Abschlüssen aber auch zur Qualitätssicherung den Ländern zu überlassen.

Damit Mobilität von Studierenden und Lehrenden nicht schon an der Grenze des eigenen Bundeslandes endet, müssen auch in diesen Bereichen einheitliche Regelungen durch den Bund getroffen werden können. Alles andere wäre ein Rückfall ins bildungspolitische Mittelalter.

Sollte die gemeinsame Aufgabe Hochschulbau an die Länder gegeben werden, steht zu befürchten, dass in einigen strukturschwachen Ländern kein Ausbau von Hochschulen mehr erfolgen wird. Dies würde insbesondere die ostdeutschen Bundesländer treffen. Auch dies kann nicht das Ziel einer an sozialer Gerechtigkeit orientierten Hochschulpolitik sein.

Ebenso müssen aus unserer Sicht Grundregeln für die demokratische Verfasstheit der Hochschulen durch den Bund geregelt werden. Hochschulen als Ort der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen und Problemen müssen binnendemokratisch organisiert werden. Im Sinne der Förderung einer demokratischen Gesellschaft muss es Anliegen des Bundes sein, dies regeln zu können.

Wir fordern Sie daher auf: Lassen Sie eine Zersplitterung des Bildungssystems nicht zu, sprechen Sie sich im Rahmen der Diskussion für eine sozial gerechte und demokratische Alternative der Hochschulpolitik aus.

Mit freundlichen Grüßen, Sascha Vogt,
Geschäftsführer des Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) Stefanie Geyer, Vorstandsmitglied im freien zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs)