Offener Brief des fzs und des ABS an die Regierung Rüttgers

Sehr geehrter Herr Rüttgers, Sehr geehrter Herr Pinkwart,

wahrscheinlich wird der nordrhein-westfälische Landtag morgen Ihren Studiengebührengesetzentwurf mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition verabschieden. Kein Grund zur Freude.

Sie mögen Ihre Parteifreundinnen und Parteifreunde von dem Gesetzentwurf überzeugt haben. Die Mehrheit der Menschen in Nord- rhein-Westfalen haben Sie nicht überzeugt. Die Mehrheit der Men- schen an den Hochschulen haben Sie nicht überzeugt. Sie haben enttäuscht und bisher nicht auf einen einzigen der zahlreichen Kritik- punkte an Ihrem Gesetzesentwurf antworten können. Vielleicht werden Sie nun endlich die Zeit finden, eine der Fragen zu beantworten, die Sie bis heute nicht beantwortet haben.

Sie bezeichnen ihren Studiengebührengesetzentwurf als sozial verträglich. Deutschland hat im OECD-Vergleich eines der sozial selektivsten Bildungssystem. Nur 12% der Studierenden an den Hochschulen stammen aus sozial schwächer gestellten Schichten. Was hilft Ihr Gesetzentwurf gegen die sozial unerträgliche Situation, die jetzt schon besteht?

Sie versprechen, dass die von den Studierenden gezahlten Stu- diengebühren an die Hochschulen kommen sollen. Ein Studierender, der in Zukunft 10 Semester studiert, einen Kredit aufnimmt und nach dem Studium in Raten von 50 Euro zurückzahlt, wird aber 65% seines Geldes (5.700 Euro Zinsen, 1.250 Euro in den Ausfallfond) in Ihr Kredit- und Schuldensystem zahlen müssen. Zu- sätzlich müssen die Hochschulen aus den Studiengebühren auch noch den Verwaltungsaufwand Ihres Gesetzes bestreiten. Können Sie sich ein System vorstellen, dass sinnloser junge Menschen mit Schulden belastet?

Sie behaupten ihr Gesetzentwurf wäre gerecht. Am Ende eines Studium wird die arbeitslose, alleinerziehende Sozi- alpädagogin in Zukunft mit dem selben Schuldenberg dastehen, wie der gutverdienende Topmanager. Wenn Sie Gerechtigkeit suchen, warum setzen Sie sich dann nicht dafür ein, dass jeder und jede nach seinem tatsächlichen Einkommen zur Finanzierung von Gesell- schaftsaufgaben beiträgt? Warum kämpfen Sie dann nicht für ein ge- rechtes, progressives Steuersystem, das dem Staat die Erfüllung seiner Aufgaben, also auch die Ausfinanzierung der Hochschulen erlaubt?

Sie behaupten, Sie würden die Mittel für die Hochschulen nicht ver- ringern. Schon bevor der Gesetzentwurf beschlossen ist, haben sie im Hoch- schulbereich – bei den Studentenwerken – massiv gekürzt. Schon jetzt planen Sie auch bei den Hochschulen selbst Kürzungen. Oder werden sie den Hochschulen bei der Umstellung auf Globalhaushalte 100% dessen zugestehen, was bisher für sie im Landeshaushalt vorgesehen war? Wissen Sie, dass es kein Land auf der Erde gibt, in dem Studiengebühren mittelfristig zu mehr Geld für die Hochschulen geführt haben?

Sie rühmen sich, den Gesetzentwurf besonders schnell realisiert zu haben. Bisher haben schon vier Rechtsgutachten unabhängig voneinander Ihrem Gesetzentwurf schwere juristische Bedenken und Verstöße gegen Verfassungs-, Europa-, und Völkerrecht assistiert. Sie haben behauptet, Ihr Gesetz würde sich als gerichtsfest erweisen; dem Wissenschafts-, pardon Innovationsministerium würden eigene Rechtsgutachten vorliegen. Wo sind diese Rechtsgutachten, wieso sind sie bisher nicht veröffentlicht?

Sie behaupten, den Hochschulen die Freiheit zu geben, selbst über Studiengebühren zu entscheiden. Sie gestehen diese Freiheit aber nicht den Hochschulen, sondern nur den Hochschulleitungen zu. Wie soll eine Hochschule sich tatsächlich für oder gegen Studiengebühren entscheiden, wenn die Mehrheit der Menschen an einer Hochschule – die Studierenden – nicht an dieser Entscheidung beteiligt sind? Sie geben den Hochschulen keine Freiheit, sondern geben die Verantwortung für die Probleme, die Ihre Politik selbst geschaffen hat, einfach ab. Als Nächstes planen sie mit dem Hochschulfreiheitsgesetz eine noch weitergehende Entdemokratisierung der Hochschulen. Ist es ihr Ziel, noch mehr Unfrieden und noch mehr Konflikte in die Hochschulen zu tragen, als mit den Rektoratsbesetzungen in Bielefeld und Paderborn schon offen zu Tage ge- treten sind?

Sehr geehrter Herr Rüttgers, Sehr geehrter Herr Pinkwart,

wir möchten, dass Sie uns diese Fragen beantworten. Beschäftigen sie sich einmal wirklich mit den vorhandenen Problemen und den Problemen, die Sie mit ihrem Gesetzentwurf an den Hochschulen schaffen werden.

Es kann doch nicht sein,
dass Mitglieder ihrer Koalition ausländische Studierende aus Nicht- EU-Staaten vom Kreditsystem ausschließen und fordern, diese soll- ten stattdessen mehr arbeiten – ohne zu wissen, dass ausländische Studierende aus Nicht-EU-Staaten in Deutschland kaum arbeiten dürfen.

Es kann doch nicht sein,
dass Mitglieder ihrer Koalition den Studierenden nahe legen, sich doch in den Senaten gegen Studiengebühren einzusetzen, aber nicht wissen, dass die Studierenden dort überhaupt nicht angemessen demokratisch repräsentiert sind.

Es kann doch nicht sein,
dass MitarbeiterInnen ihrer Regierung sich in Podiumsdiskussionen positiv auf das australische Studiengebührenmodell beziehen, aber nicht wissen, dass Männer dort im Schnitt nur 17, Frauen aber 51 Jahre ihre Studiengebührenschulden zurückzahlen müssen.

Man könnte diese Liste noch fortsetzen. Wir haben uns diese Dinge nicht ausgedacht. Wir haben sie erfahren müssen in den letzen Wo- chen – in Podiumsdiskussionen, in Gesprächen, bei Vorträgen. Sie haben in der ExpertenInnenanhörung des Wissenschaftsausschuss so viele Argumente gegen ihren Gesetzentwurf gehört. Warum sind Sie ihnen nicht gefolgt?

Wenn sie sich mit den Probleme im Hochschulwesen beschäftigt hät- ten, würden Sie keine Studiengebühren in NRW einführen, würden Sie die Hochschulen endlich ausfinanzieren, würden Sie sich bundesweit für den Ausbau des BAföG einsetzen, würden Sie sich in der Föderalismusreform für mehr Bundeskompetenzen im Bildungsbereich einsetzen.

Bildungschancen von jungen Menschen dürfen nicht vom Geldbeutel der Eltern und auch nicht von der Kassenlage des jeweiligen Bundeslandes abhängen.

Jochen Dahm (Geschäftsführer des ABS)
Amin Benaissa (Geschäftsführer des ABS)
Christian Berg (fzs-Vorstand)
Regina Weber (fzs-Vorstand)