Beschlossen: Studiengebühren ab dem ersten Semester in NRW

Am Donnerstag dem 16. März 2006 wurde in NRW der Weg für allgemeine Studiengebühren frei gemacht – nur sechs Tage nach Beginn der vorlesungsfreien Zeit. Mit den Stimmen von CDU und FDP wurde das so genannte Hochschulfinanzierungsgerechtigkeitsgesetz (HFGG) beschlossen, das den Hochschulen erlaubt bis zu 500 Euro Studiengebühren pro Semester zu verlangen: Schon ab Wintersemester 2006/2007 gilt dies für StudienanfängerInnen, ab Sommersemester 2007 für alle Studierende.

Den Studierenden soll ein „Anspruch auf Abschluss eines moderat verzinslichen Studienbeitragsdarlehen“ gewährt werden, das erst nach dem Studium abbezahlt werden muss, wenn ein „hinreichendes Einkommen“ von 32.000 Euro im Jahr erzielt wird. Das Darlehen soll ohne Bonitätsprüfung bei der NRW.Bank aufgenommen werden können, die Zinsen sollen nach Angaben des „Innovationsministeriums“ unter sechs Prozent betragen. Des Weiteren soll es eine „Kappungsgrenze“ von 1000 Euro pro Semester bzw. 10.000 Euro für das ganze Studium geben: darüber hinausgehende Darlehen sollen nicht zurückgezahlt werden müssen. Die Bafög-Darlehen sollen darin eingerechnet werden, so dass nach Angaben der Landesregierung 2/3 der Bafög-Empfängerinnen nicht zusätzlich belastet werden würden. Obwohl sich das fast sozial verträglich anhört, würden beispielsweise Studierende, die zehn Semester studiert haben und im Anschluss daran das Darlehen in monatlichen Raten von 50 Euro abbezahlen, mit über 50 Prozent der Rückzahlungen Zinsen an die in öffentlicher Hand befindlichen NRW.Bank bezahlen. Außerdem bleibt abzuwarten, wie lange die Regelungen in dieser abgemilderten Form bestehen bleiben.

Nach Angaben des „Innovationsministers“ Andreas Pinkwart (FDP) sollen die erwarteten 320 Millionen Euro pro Jahr „weitestgehend“ den Hochschulen zugute kommen, allerdings stehen diesen von den 500 Euro pro StudentIn ohnehin nur maximal 385 Euro zu: 23 Prozent der Gebühren sollen nämlich in so genannte Ausfallfonds fließen. Diese sollen für die Fälle genutzt werden, dass Beträge über die Kappungsgrenze hinausgehen oder Studierende ihre Darlehen nicht zurückzahlen können.

Des Weiteren soll es Möglichkeiten zur Gebührenbefreiung z.B. für Studierende mit Kind, Behinderte, Kranke und in Hochschulgremien tätige Studierende geben. Die Hochschulen können auch weitere Ausnahmefälle festlegen, wenn sie es für unbedingt nötig halten. Allerdings sind alle diese Befreiungen zumeist auf wenige Semester beschränkt.

Besonders bemerkenswert ist beim HFGG das erste „G“: Gerechtigkeit. In dem Beschluss ist man sich nicht zu schade, die Ergebnisse der PISA-Studie, nämlich dass vor allem Kinder aus einkommensstarken Familien ein Studium aufnehmen, für die eigene unsoziale Politik zu missbrauchen. Folgender pseudosoziale Satz findet sich in der Einleitung des Gesetzentwurfes: „Die Einführung von Studiengebühren trägt damit dazu bei, dass gerade einkommensschwache Familien nicht mehr – wie bisher – über ihre Steuern das Studium der Kinder finanzieren, die aus einkommensstarken Familien stammen.“ Die Möglichkeit, einkommensschwache SteuerzahlerInnen durch progressivere Steuern zu entlasten, dadurch Einkommensstarke zur Kasse zu bitten und so auch Kindern aus einkommensschwachen Familien überhaupt ein Studium zu ermöglichen, kommt den Regierungsparteien anscheinend gar nicht in den Sinn. So ist auch der direkt an diese Begründung anschließende Absatz mit der Überschrift „Alternativen“ sehr kurz: „Keine“.

Derzeit gibt es in Baden-Württemberg und Niedersachsen allgemeine Studiengebühren, nach Angaben des „Innovationsministeriums“ in Düsseldorf sind auch Bayern, Hamburg und das Saarland dabei, allgemeine Studiengebühren einzuführen. Der Unterschied des nordrheinwestfälischen Gesetzes zu den bisher beschlossenen Studiengebührengesetzen ist, dass die Hochschulen selber entscheiden können, ob und in welcher Höhe sie Studiengebühren erheben. Dies soll zum Wettkampf zwischen den Hochschulen und – so die Theorie der Landesregierung – zur Steigerung der Bildungsqualität führen. Allerdings haben schon einige der 54 Hochschulen in NRW Grundsatzbeschlüsse gefällt, dass sie Studiengebühren einführen wollen. Immerhin bestehen in fünf Hochschulen Beschlüsse die sich gegen Studiengebühren aussprechen – es bleibt zu bezweifeln, ob sich diese im Rahmen des erwarteten „Wettkampfes“ halten werden können.

Sowohl der fzs als auch die Grünen im Landtag halten das Gesetz außerdem in mehreren Punkten für verfassungswidrig und haben schon entsprechende Klagen angekündigt: Unter anderem verstoße nach diversen Rechtsgutachten die Wahlfreiheit der Hochschulen dem Grundsatz, dass die parlamentarischen GesetzgeberInnen in grundrechtsrelevanten Bereichen, zu denen insbesondere Fragen zur Hochschulausbildung zählen, die wesentlichen Fragen selbst regeln muss. Außerdem führt er zur Ungleichbehandlung von Studierenden bzw. StudienbewerberInnen. Das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) hat angekündigt, Studierende bei Klagen mit aller Kraft zu unterstützen, der fzs und andere studentische Organisationen haben außerdem mit Protesten gedroht.

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Der Gesetzesentwurf