Hessen: Auseinandersetzungen verschärfen sich

Nachdem in den letzten Jahren der oft als zu „kuschelig“ verhöhnte Protest der Studierenden von den PolitikerInnen stets begrüßt oder ignoriert und ausgesessen wurde, scheinen die diesjährigen Proteste von Anfang an eine neue, ernstere Qualität zu haben: in NRW werden Rektorate und Unigebäude besetzt, in Hessen blockiert man statt Vorlesungen lieber Autobahnen und Bahngleise, um tatsächlichen Druck auf die Politik auszuüben.

Dieses neue Bewusstsein der eigenen demokratischen Möglichkeiten scheint viele PolitikerInnen nervös zu machen, denn sofort werden die Proteste kriminalisiert und als den demokratischen Rahmen verlassend bezeichnet. Die Polizeieinsätze wurden verschärft, anstatt wie sonst die studentischen Protestierenden milde zu belächeln sind die PolizistInnen dieses Jahr weniger zimperlich mit Schlagstöcken, Pfefferspray, Wasserwerfern und sonstigen Methoden, die sich üblicherweise eher auf die Bekämpfung linksradikaler Minderheiten beschränken.

Während die Großdemo in Darmstadt mit 1500 (Polizei) bis 6000 (AStA) TeilnehmerInnen trotz massiver Behinderung des Strassen-, Autobahn- und Strassenbahnverkehrs weitgehend friedlich verlaufen ist, ist die Situation in Frankfurt und Giessen eskaliert.

In Frankfurt gingen im Anschluss an eine ausserordentliche Senatssitzung, bei der sich der Uni-Senat als einziger in Hessen nicht gegen allgemeine Studiengebühren ausgesprochen hat, 1500 (hr) Studierende auf die Strasse. Allerdings wurde ihr Weg zur Autobahn am Messekreisel durch eine Kette von Polizei-Mannschaftswagen abgeschnitten – als einige Studierende trotzdem durchkamen, kam es zu Rangeleien mit der Polizei. Die wiederum setzte Schlagstöcke und Wasserwerfer ein, was sie mit dem Werfen von „Eiern, Flaschen, Stöcken und Steinen“ begründet. Verletzte PolizistInnen gab es allerdings keine, wie viele Menschen von Schlagstöcken, Wasserwerfer und Gas getroffen wurden, ist unbekannt.

In Giessen kam es zu einem tragischen Zwischenfall: Nachdem die Polizei die Studierenden wiederholt massiv daran gehindert hat, die Autobahn zu blockieren, entschlossen sich ca. 30 von ihnen, ein Bahngleis zu besetzen. Allerdings entschloss sich die Polizei, den Bahnverkehr nicht zu unterbrechen, sondern lediglich wiederholte Räumungsaufforderungen an die BesetzerInnen zu richten. Als sich die Studierenden vor einem heranfahrenden Regionalzug in Sicherheit bringen mussten, ist einer von ihnen ausgerutscht und wurde von der Lok am Bein erfasst. Er musste mit einem offenen Oberschenkelbruch in ein Krankenhaus eingeliefert werden.

In Marburg wurde die Besetzung des Universitätsverwaltungsgebäudes fortgesetzt. Mit ca. 100 bis 350 Anwesenden wurde ein Forderungskatalog erstellt, bei dessen Erfüllung die Besetzung freiwillig beendet werden soll. Auch in Fulda wurden nach einwöchiger Pause die Proteste fortgesetzt, in Rüsselsheim fand eine Vollversammlung mit über 1000 TeilnehmerInnen statt.

Der Geschäftsführer des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS) und Frankfurter AStA-Vorsitzende Amin Benaissa trat dem Vorwurf einiger Medien und des hessischen Wissenschaftsministers Udo Corts entgegen, wonach die Studierenden an einer Diskussion nicht interessiert wären, sondern nur „Krawall“ machen wollten: Er stellte klar, dass er natürlich zu einer Diskussion bereit wäre, allerdings müsse die öffentlich und transparent stattfinden, und nicht wie ein von der Bild-Zeitung angebotenes Treffen, für das er an einen „geheimen Ort“ gebracht werden sollte. Zu einem Gespräch in den Räumen der Frankfurter Universität sei er gerne bereit. (pj)