Gemeinsame Stellungnahme von fzs und ABS zum hessischen Studiengebührengesetz

Gemeinsame Stellungnahme des freien zusammenschlusses von studentInnenschaften (fzs) und des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS)

zum

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Studienbeiträgen an den Hochschulen des Landes und zur Änderung weiterer Vorschriften

Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) e.V. ist der Dachverband der Studierendenschaften in der Bundesrepublik Deutschland. Mit seinen 90 Mitgliedern vertritt der die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen von 1,1 Millionen Studierenden in Deutschland.

Das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren ist mit über 200 BündnispartnerInnen als breites gesellschaftliches Bündnis organisiert. Es setzt sich seit seiner Gründung 1999 auf Grundlage des „Krefelder Aufrufs“ gegen die mit Studiengebühren verbundene Privatisierung sozialer Risiken und für ein solidarisches, sozial gerechtes, also kostenfreies Bildungssystem ein.

Vorbemerkung

Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) und das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) lehnen den vorliegenden Gesetzentwurf in seiner Gesamtheit ab. Studiengebühren lösen kein einziges Problem der Bildungsmisere, sondern verschärfen die gegenwärtige Krise des Bildungssystems, die nicht zuletzt aus jahrzehntelanger Unterfinanzierung, verfehlter Prämissensetzung der Hochschulpolitik und einer ökonomisch verkürzten Auffassung des Bildungsbegriffes resultiert. Gebühren im Bildungssystem sind aus bildungs-, sozial- und gesellschaftspolitischen Gründen abzulehnen und widersprechen dem stets propagierten und eingeforderten Ziel des lebenslangen Lernens und der Erhöhung des AkademikerInnenanteils in der Bevölkerung. Studiengebühren, und nichts anderes sind die von der hessischen Regierung geplanten „Studienbeiträge“, verhindern die soziale Öffnung des Hochschulsystems und fördern dessen soziale Selektivität auf Basis der Bildungsherkunft durch das Errichten zusätzlicher Hürden.

Studiengebühren sind mit der hessischen Verfassung unvereinbar

Die hessische Landesverfassung untersagt in Artikel 59 jedwede Form von Studien- und Schulgebühren. Damit sind Studiengebühren nicht nur sozial ungerecht und gesellschaftspolitisch unsinnig, sondern darüber hinaus verfassungswidrig. Der fzs und das ABS verurteilen diesen Verfassungsbruch durch die hessische Landesregierung. Er soll politisch legitimieren, dass sich die politisch Verantwortlichen vermehrt aus der öffentlichen und durch demokratisch legitimierte Gremien kontrollierte Hochschulfinanzierung zurückziehen wollen und zunehmend gemeinschaftlich-staatliche Aufgaben in privater Verantwortung sehen. Die Errichtung einer Barriere, die im Ergebnis sozial selektiv zugangsbeschränkend wirkt und durch kein Kreditsystem wirksam ausgeglichen werden kann, widerspricht zusätzlich dem Grundsatz des allgemein unbeschränkten Hochschulzuganges für Personen, die eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben.

Der in der Gesetzesbegründung ausgeführte Zweck der Steigerung des Qualität des Lehrangebotes der Hochschulen, ohne dass dieser hierzu die notwendigen Mittel bereitstellen will, vermag keinen Eingriff in Grundrechte zu rechtfertigen. Dies wird im Urteil des hessischen Staatsgerichtshofes von 1949 deutlich, wenn dieser zu Recht darauf verweist, dass die Frage

„welche Folgen sich aus der Anerkennung unmittelbarer Geltung einer Verfassungsnorm in Sonderheit auf dem Gebiet der Staatsfinanzen ergeben“

ohne Bedeutung seien. Daher sind die feststellbaren Mängel an den Hochschulen nicht als Begründung für Studiengebühren tauglich, sondern nur als Eingeständnis, dass in den letzten Jahren Teile der öffentlichen Aufgaben nicht adäquat erfüllt wurden, indem nicht ausreichend Mittel für die Erfüllung der verfassungsmäßigen Aufgaben zur Verfügung gestellt wurden.

Unvereinbarkeit mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz

Studierende, die während ihres Studiums zur Gewährleistung ihrer Grundsicherung Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten, werden gezwungen sein, einen Teil dieser Summe für die Studiengebühren vorzuhalten. Grundsätzlich sind aber die Leistungen nach BAföG mit den Kosten des Studiums verbunden und würden zu einer Querfinanzierung von Landeseinrichtungen durch Bundesmittel führen, was dem grundgesetzlichen Trennungsgebot widerspricht. Das Bundesverfassungsgericht hatte hierzu folgendes im Urteil 1 BvR 1750/01 festgestellt:

„Die Erhebung einer (…) Studiengebühr von förderungsberechtigten Studierenden würde, im Widerspruch zu den bundesrechtlichen Vorschriften über die Ausbildungsförderung stehen und finanzielle Mittel abziehen, die zuvor auf deren Grundlage gewährt wurden.“

Benachteiligung von Frauen

Studiengebühren benachteiligen Frauen in höherem Maße als Männer. Gerade bei der individuellen Überlegung, ob ein Studium aufgenommen werden soll, ist von geschlechterspezifischen Unterschieden auszugehen. In Österreich zeigte sich, dass Frauen in überdurchschnittlichem Maße seit der Einführung von Studiengebühren ihr Studium abbrechen, dies trifft vor allem auf Frauen aus unteren Bildungs- und Erwerbsschichten zu. (Kolland, F. „Auswirkungen der Einführung von Studienbeiträge auf die Studienbeteiligung und das Studierverhalten“, Mai 2002).

Müssen Studiengebühren über Kredite finanziert werden und Studierende sich über diesen Weg verschulden, so stellt die Rückzahlung für Frauen eine höhere Hürde dar als für männliche Absolventen. Dies liegt zum einen in den immer noch existenten Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen begründet, welche bei gleicher Arbeit zwischen 20 und 25% betragen. Zum anderen sind Frauen heute noch von einer geringeren Lebensarbeitszeit und damit Lohnausfällen durch Kindererziehung betroffen. Frauen sind somit durch längere Rückzahlungszeiten deutlich benachteiligt, da die Schuldenlast durch Verzinsung immer weiter ansteigt. Australische Prognosen (Jackson, N., THE HIGHER EDUCATION CONTRIBUTION SCHEME – A HECS ON THE FAMILY?, 2002) legen nahe, dass ein Drittel der ehemaligen Studentinnen ihre Schulden bis zum Eintritt ins Rentenalter nicht vollständig zurückgezahlt haben werden. Die erwartete Rückzahlungsdauer beträgt nach diesen Schätzungen, verstärkt durch die wachsende Zinslast, für Frauen dreimal so viel wie für ihre männlichen Kommilitonen. Insbesondere Frauen aus finanzschwachen Familien, werden also signifikant benachteiligt, da sie nicht auf die Unterstützung ihrer Familien bauen können. Bei ihnen ist zu befürchten, dass die Entscheidung über die weitere Laufbahn nach der Hochschulreife zu Ungunsten eines Studiums ausfallen wird und zwar in höherem Ausmaß als bei Männern. Aufgrund dieser Auswirkungen sind Studiengebühren auch aus frauenpolitischer Sicht abzulehnen, da sie einer gleichberechtigten Teilhabe beider Geschlechter an Hochschulbildung entgegenstehen.

Ausländische Studierende aus Nicht-EU-Ländern werden zusätzlich benachteiligt

Der fzs und das ABS lehnen die Einführung von Gebühren sowohl im allgemeinen als auch speziell für AusländerInnen nach §3 (2) 1. an hessischen Hochschulen ab. Neben der Tatsache, dass Studiengebühren eine zusätzliche finanzielle Belastung für ausländische Studierende darstellen, führen sie auch zu einer Verschärfung der Ungleichbehandlung zwischen hessischen Studierenden und ausländischen Studierenden, da ausländische Studierende aus Nicht-EU-Ländern lt. Gesetzesentwurf 1500 Euro, also drei mal so viel wie ihre KommilitonInnen aus der EU, zu zahlen haben. Die bereits jetzt vielfach schwierige finanzielle und soziale Situation ausländischer Studierender würde durch diese Gebühren zunehmend verschärft werden. Hinzu kommt, dass ausländische Studierende aus Nicht-EU-Staaten keinen Anspruch auf einen Studienkredit haben. Aufgrund arbeitsrechtlicher Regelungen ist es für Nicht-EU-AusländerInnen schwierig bis unmöglich, zusätzliches Geld für Studiengebühren zu verdienen, da sie in Deutschland nur 90 Tage im Jahr arbeiten dürfen.

Auch im Hinblick auf die Zielsetzung einer international attraktiven und von wissenschaftlichem Austausch lebenden Hochschule ist die Erhebung einer solchen zusätzlichen Gebühr nicht nachvollziehbar und nur als anachronistischer Akt der Abschottung verständlich. Der fzs und das ABS fordern daher die hessischen Hochschulen und die Landesregierung dazu auf, überhaupt keine zusätzlichen Gebühren für Hochschulbildung einzuführen, sondern vielmehr bestehende Gebühren abzubauen, um einen gleichen und freien Hochschulzugang für alle Menschen ungeachtet ihrer Herkunft an hessischen Hochschulen zu ermöglichen.

Benachteiligung von Langzeitstudierenden

Der fzs und das ABS lehnen zusätzlich zu den bereits bestehenden Langzeitstudiengebühren auch die im HStuBeiG-Entwurf vorgesehenen Langzeitstudiengebühren ab. Sie stehen einem lebenslangen Lernen im Wege. Langzeitstudiengebühren setzen die Studierenden unter Zeitdruck und verhindern ein vertiefendes und qualitativ hochwertiges Studium, das den Grundsätzen der Studierfreiheit als ein Ausdruck der Wissenschaftsfreiheit Rechnung trägt. Durch die mittlerweile aufgrund unzureichender Bildungsfinanzierung weitgehend notwendig gewordene Erwerbsarbeit verlängert sich das Studium zusätzlich, so dass sozial schlechter gestellte Studierende durch Langzeitstudiengebühren doppelt belastet werden. Die Langzeitstudiengebühren kommen nach §2 (3) nicht einmal der Verbesserung der Lehre zugute und demaskieren damit die eigentlichen Absichten eines Paradigmenwechsels der Hochschulfinanzierung: Es handelt sich nicht um die Verbesserung der Lehre, sondern um die Sanierung des Landeshaushalts durch das „Outsourcen“ von staatlichen Aufgaben zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger. Die bereits heute sehr hohe private Beteiligung an den Kosten eines Studiums, die nach einer Studie des FiBS im Jahre 2000 bereits 49% (FiBS-Forum Nr. 20, 2004) der Gesamtaufwendungen betrugen, würde auf ein Maß steigen, das international ohne Beispiel ist.

Diskriminierung von Studierenden mit Behinderung und chronischer Krankheit

Ein Studium ist für Studierende mit Behinderung bzw. chronischer Krankheit in der Regel organisatorisch und zeitlich aufwändiger als das Studium ihrer gesunden KommilitonInnen. Aufgabe der Hochschule ist es, Studierenden mit körperlicher Beeinträchtigung einen chancengleichen Zugang zu Hochschulbildung und ein chancengleiches Studium zu ermöglichen. Wir weisen andererseits darauf hin, dass nach Untersuchungen der Agentur für Arbeit die Arbeitslosigkeit von behinderten und nicht-behinderten Akademikerinnen und Akademikern bei 4% liegt. Ein Hochschulstudium ist damit im Vergleich zu anderen Maßnahmen eine der erfolgreichsten Mittel zur Integration behinderter und chronisch kranker Menschen. Behinderte und chronisch kranke Studierende sind in der Regel für ihr persönliches Budget verantwortlich und müssen neben dem Studium auch ihre sachlichen und personellen Hilfen selbst organisieren. Neben organisatorischen Herausforderungen sind lange Antragszeiträume für Sozialleistungen wie das BAföG oder die Wiedereingliederungshilfe für eine Verzögerung des Studiums maßgeblich. Darüber hinaus können Krankenhausaufenthalte, zeitliche Einschränkung durch dauerhafte ärztliche Behandlung sowie eine verminderte Studierfähigkeit durch die Behinderung/chronische Krankheit das Studium beeinträchtigen und verlängern.

Der fzs und das ABS stellen mit der Erhebung von Studiengebühren eine verschärfte Benachteiligung von Studierenden mit Behinderung und chronischen Krankheiten fest. Studierende mit Behinderung und chronischen Krankheiten laufen daher eher Gefahr, ihr Studium nicht in der für „Normalstudierende“ maßgeblichen Regelstudienzeit abzuschliessen und sind daher zwangsläufig von allgemeinen und Langzeitgebühren betroffen.

Der fzs und das ABS sehen in der Erhebung von Studiengebühren eine besondere Diskriminierung von Studierenden mit Behinderung und chronischen Krankheiten.

Finanzielle Härtefälle

Der Gesetzentwurf der hessischen Landesregierung sieht keine Befreiung der Studiengebühren für Studierende vor, die sich in einer wirtschaftlichen Notsituation befinden. Damit werden zahlreiche Studierende, die ohnehin finanziell benachteiligt sind, weiter diskriminiert. Dies trifft insbesondere EmpfängerInnen einer staatlichen Ausbildungsförderung sowie erwerbstätige Studierende.

Nach der 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks werden 23% aller Studierenden nach dem BAföG gefördert und gehören damit entsprechend der BAföG-Regelungen jener Gruppe von Studierenden an, die aufgrund des geringen elterlichen Einkommens finanziell benachteiligt sind. BAföG-EmpfängerInnen werden im Vergleich zu anderen Studierenden durch die Zahlung von Studiengebühren verstärkt benachteiligt, da sie zusätzlich zu den durch die Ausbildungsförderung anfallenden Schulden dazu gezwungen sein werden, zur Finanzierung der Studiengebühren einen Kredit aufzunehmen. Wird darüber hinaus berücksichtigt, dass gerade Kinder aus einkommensschwachen Familien in der Regel nicht bereit sind, sich zu verschulden, muss ein starker Rückgang finanziell benachteiligter Studierender zumindest befürchtet werden.

Im Jahr 2003 waren 63% aller Studierende erwerbstätig; für 56% aller Erwerbstätigen ist die Erwerbstätigkeit nach eigener Aussage unbedingt notwendig zur Bestreitung des Lebensunterhaltes. Damit wird einmal mehr die schwierige finanzielle Situation zahlreicher Studierender deutlich. Etwa jede/r dritte Studierende/r ist darauf angewiesen, zur Finanzierung der eigenen Lebenshaltungskosten neben dem Studium zu jobben. Eine weitere finanzielle Belastung durch die Einführung von Studiengebühren wird demnach zu einer deutlichen Verschärfung der individuellen Situation dieser Studierenden führen. Der Gesetzentwurf nimmt auch hierauf keinerlei Rücksicht. Die finanzielle Situation gerade erwerbstätiger Studierender verschärft sich mit der Dauer ihres Studiums. Schon während der Regelstudienzeit beträgt der durchschnittlicher Zeitaufwand für erwerbstätige Studierende etwa sieben Stunden wöchentlich, was sich negativ auf die Studiensituation bzw. den für das Studium verbleibenden Zeitaufwand auswirkt. 38% aller erwerbstätigen Studierender geben demnach auch an, dass ihre Erwerbstätigkeit zu einer Studienzeitverlängerung führe.

Mit Ablauf der Regelstudienzeit steigt der Aufwand für die Erwerbstätigkeit bis auf das doppelte an, was neben den individuellen Lebensumständen insbesondere mit dem Ablauf bestehender Förderungsmöglichkeiten (BAföG, usw.) zusammenhängt. Je länger Studierende also auf Erwerbstätigkeit angewiesen sind, umso mehr müssen sie arbeiten, was sich wiederum auf ihre Studienzeit auswirkt. Eine zusätzliche Belastung durch Studiengebühren, insbesondere durch eine Strafgebühr mit verschärften Modalitäten würde diesen Teufelskreis zementieren (vgl. dazu die Ausführungen zu Langzeitstudierenden).

Masterstudiengänge

Der Gesetzentwurf sieht vor, für Master-Studiengänge Studiengebühren in Höhe von bis zu 1500 Euro zu erheben. Damit wird der von der hessischen Landesregierung politisch intendierte Grundsatz, den aus studentischer Sicht nicht zureichend qualifizierenden Bachelor-Abschluss zum Regelabschluss zu machen, durch finanzielle Restriktionen verfestigt. Das angebliche politische Ziel, jungen Menschen eine verbesserte Hochschulbildung zugängig zu machen, wird damit ad absurdum geführt.

Die Aufnahme eines Master-Studienganges nach einem erfolgreichem Bachelor-Abschluss wird damit nicht zu einer Frage von Qualifikation oder Studienschwerpunkt, sondern primär zu einer Frage der individuellen Finanzkraft. Dieser Schritt widerspricht dem Ziel der gestuften Studiengangsstruktur (Bachelor-/Master-Umstellung), wodurch eine Erhöhung der Durchlässigkeit theoretisch möglich wäre.

Kein sozial gerechtes Stipendiensystem

Die von der hessischen Landesregierung vorgeschlagene Darlehensgewährung ist keinesfalls eine soziale Abfederung von Studiengebühren. Studierwillige aus sozial schlechter gestellten Familien müssen sich hoch verschulden, wenn sie einen akademischen Abschluss anstreben. Für diese stellt eine zu erwartende Schuldenlast am Ende des Studiums eine materielle und psychische Barriere dar. Studiengebühren, das belegen empirische Studien aus anderen Ländern, schrecken Kinder aus bildungsfernen Schichten vor der Aufnahme eines Studiums ab. Mit der Einführung von Studiengebühren in Österreich hat sich die soziale Zusammensetzung der Studierenden, auch das ist der Kolland-Studie zu entnehmen, weiter zu einer sozialen Elite verschoben. Dies widerlegt auch die Behauptung der Gesetzesbegründung, dass eine soziale Gerechtigkeitslücke geschlossen werden könne. Die Sozialstudie des österreichischen Bildungsministeriums von 2004 sowie die Kolland-Studie zeigen deutlich, dass die Investitionen ins Bildungssystem nach der Einführung von Studiengebühren zwar die Studierendenquote ansteigen liessen; allerdings sinkt seitdem stetig der Anteil Studierender an einer Alterskohorte unter ihren anfänglichen Wert.

Die in der PISA-Studie konstatierte soziale Selektivität des mehrgliedrigen Schulsystems wird durch die geplante Einführung von Studiengebühren sowie die Umgestaltung der Studienstruktur in Bachelor- und Masterstudiengänge übertragen und damit zementiert. Verschärfend kommt hinzu, dass der Masterstudiengang nach §4 je nach Ermessen der Hochschule bis zu 1500 Euro pro Semester kosten kann, so dass er durch reine Nebenerwerbsarbeit nicht mehr finanzierbar ist.

Die Gewährung und erst recht die Erfordernis der Aufnahme von Krediten an Personen, die wirtschaftlich nicht zur Schuldendeckung in der Lage sind, verstößt gegen geltendes Recht. Ebenso, wenn die Gewährung von Grundrechten mit der Aufnahme von Krediten für eine bestimme Bevölkerungsgruppe verbunden wird. Allein schon an dieser Tatsache wird die Ungleichbehandlung von Studierenden unterschiedlicher sozialer Herkunftsgruppen deutlich. Dies verschärft sich in dem Maße, wie die Schuldenlast durch Zinsen anwächst, die durch die verlangsamte Rückzahlungsmöglichkeit einkommensschwacher Personen begründet ist.

Die Herstellung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit durch Kredite ist eine Widersprüchlichkeit in sich und somit als tragfähige Begründung heranziehbar. Das BVerfG stellte in seinem 2005er Urteil (1BvR 1508/96) fest:

„Ebenso wenig wie eine darlehensweise Gewährung von Sozialhilfe die Bedürftigkeit eines Hilfesuchenden und damit dessen Sozialhilfeanspruch zum Wegfall bringen kann, kann mittels einer analogen Anwendung von § 89 BSHG bei einem Unterhaltspflichtigen durch Gewährung eines Darlehens dessen Leistungsfähigkeit begründet werden.“

Ebenso, wie ein (sozialhilferechtlicher) Unterstützungsanspruch nicht durch die Gewährung eines Kredites der öffentlichen Hand negiert werden kann, ist durch die Vergabe von Krediten eine Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Studierenden anzunehmen. Zudem stellt die privatrechtliche Vergabe von Krediten durch die Landestreuhandstelle an Personen, deren Einkommen erwiesenermaßen nicht zur Tilgung der Schuld ausreichend ist und somit auf deren Überschuldung abzielt, auch im Rahmen der geplanten gemeinschaftlichen Regelungen im Bereich Kreditvergabe [KOM (2005), 483] ein fragwürdiges Gebaren dar.

Die Aufnahme eines Darlehens für das Erststudium ist Studierenden bis zum 35. Lebensjahr vorbehalten. Aus Sicht der Landesregierung sei die Aufnahme eines Studiums für Menschen ab dem 35. Lebensjahr „weniger schützenswert“, wie es in der Begründung des Gesetzentwurfes heißt. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass Menschen ab dem 35. Lebensjahr in der Lage seien, ihr Studium selbst zu finanzieren.

Dem kann nicht gefolgt werden. Die falsche Annahme, wonach das Lebensalter von Menschen Rückschlüsse auf ihre individuelle finanzielle Situation erlaube, widerspricht der gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Realität und entbehrt jeglicher Grundlage. Gerade angesichts der demografischen Entwicklung und der Arbeitsmarktsituation sollte die Landesregierung ein Interesse an einer qualitativ hochwertigen Bildung aller Menschen haben.

Der fzs und das ABS widersprechen darüber hinaus entschieden der Begründung des „nicht schützenswerten“ Studieninteresses vieler Menschen. Jenseits ökonomischer Überlegungen muss Bildung als Grundrecht verstanden werden, zu dem der Zugang nicht durch künstliche Hürden eingeschränkt werden darf. Der vorgelegte Gesetzentwurf diskriminiert damit breite gesellschaftliche Gruppen und widerspricht jeglichem Grundsatz von Lebenslangem Lernen.

UN-Sozialpakt

Der internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sieht vor, dass die Vertragsstaaten alle Schritte unter Ausschöpfung aller ihrer Möglichkeiten unternehmen, um die allmähliche Unentgeltlichkeit der Lehre zu sichern. Dieser Pakt ist durch seine Ratifikation 1968 geltendes Recht der BRD und bindet somit Deutschland und alle seine Gliedstaaten. In Artikel 13 Nr. 2 lit c des Paktes ist festgelegt, dass

„der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss“

Ferner sind nach dem Pakt nur solche Einschränkungen dieser Rechte zulässig, die „mit der Natur dieser Rechte vereinbar sind“. „Keine Bestimmung dieses Paktes darf darin ausgelegt werden, daß sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, die auf die Abschaffung der in diesem Pakt anerkannten Rechte und Freiheiten oder auf weitergehende Beschränkungen dieser Rechte und Freiheiten, als in dem Pakt vorgesehen, hinzielt.“ (Artikel 5, Absatz 1, Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte)

Die Erhebung von Studiengebühren, nachdem sie in Hessen bereits seit 1946 verfassungsrechtlich abgeschafft wurden, entspricht daher weder dem Wortlaut noch den Intentionen dieses internationalen Abkommens. Mit der Erhebung einer solchen Gebühr, die die Grundrechte der (künftigen) Studierenden missachtet, verletzt Hessen seine Verpflichtungen dem Bund gegenüber. Da das Gesetz gegen Bundesrecht verstieße handelt es sich um ein offensichtlich rechtswidriges Gesetz und sollte nicht erlassen werden.

Resümee

Der fzs und das ABS lehnen die Einführung von Studiengebühren entschieden ab und fordern eine deutliche Erhöhung der öffentlichen Ausgaben für den gesamten Bildungsbereich. In der gesellschaftlichen Verantwortung und der sozialen Bedeutung, der Bildung und entsprechend auch den Hochschulen zukommt, ist eine Abkehr vom Grundgedanken der Privatisierung von Bildungschancen alternativlos und die soziale Öffnung und Chancengerechtigkeit an den Hochschulen ein Grundsatz zukunftsorientierter Politik.